Die zwölf Sprüche des Spruchsängers Süßkind von Trimberg. Rezeptionsgeschichte des Werks


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Sangspruchdichtung

3. Süßkind von Trimberg
3.1 Eintrag in der Großen Heidelberger Liederhandschrift
3.1.1 Das begleitende Bild in der Heidelberger Liederhandschrift
3.2 Süskind von Trimberg – ein Jude oder nicht?
3.3 Fiktion, Spruchdichtung und Geschichte im Josef Kasteins „Süßkind von Trimberg oder die Tragödie der Heimatlosigkeit“
3.3.1 Minnesangskritik
3.4 Rezeption der ausgewählten Gedichte
3.4.1 Gotteslob („Küng herre“, III, 1)
3.4.2 Frauenlob („Ir mannes krône“, III, 2)
3.4.3 Armutsklage ( V, 1,2)
3.4.4 Die Apologie: die Fabel über den Wolf ( VI)

4. Schlusswort

5. Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

In meiner Hausarbeit werde ich das Werk und die Rezeptionsgeschichte des Werks des Spruchsängers Süßkind von Trimberg vorstellen. Es sind zwölf Sangsprüche, die in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Palatinus Germanicus 848=C) als Werke Süßkinds von Trimberg aufgeführt sind. Sie sind in sechs Tönen überliefert. Insgesamt 157 Zeilen Lyrik sind auch die einzigen Spüren, die der Sänger Süßkind hinterlassen hat.

Zwei Verse werden in der Forschung besonders kontrovers diskutiert. Denn dort geht es um die Herkunft des Dichters. In den besagten Versen singt Süßkind:

ich will in alter juden leben

mich hinnan fürwert ziehen. (V, 2,7f)

Die Tatsache, dass ein mittelalterlicher deutscher Dichter ein Jude sein könnte, inspirierte und irritierte nicht wenige Germanisten und Mittelalterspezialisten von dem 19. Jahrhundert bis heute und zeigte sich als ideale Projektionsfläche für jede Art der Fiktionalisierung und Instrumentalisierung. Es entstanden Unmengen an Sekundärliteratur, aber auch Biografien, Erzählungen und ein Roman.[1]

Die Spruchsänger waren keine historisch handelnden Personen und ihre Biografien lassen sich praktisch nicht erfassen. Walther von der Vogelweide, Frauenlob, Reinmar von Zweter oder Regenbogen tauchen zumindest in historischen Quellen auf.[2] 1822 verfasste Ludwig Uhland (1787-1862) die erste fiktive Biographie eines Minnesängers, die von Walther von der Vogelweide, ohne wirklich viel über sein Leben zu wissen. Es folgten weitere äußerst fragwürdige Entschlüsselungen der rätselhaften, nur vermuteten Lebensläufe. Die überlieferten Verse der Sänger dienten dabei als wichtige Informationsquellen. Die ganzen Lebensgeschichten werden auf dieser Weise zusammengedichtet. Auf den Grundlagen der wissenschaftlichen Fiktion entstehen Biographien, theoretische Texte, Essays, die dann für die nachfolgenden Generationen der Forschenden als sekundäre, tertiäre, usw. Quellen betrachtet werden. Die Suche nach der Wahrheit erscheint dabei immer leichter, tatsächlich wird es aber immer schwieriger das Phantasierte von dem Realen zu unterscheiden.

Die Argumentationsart, unabhängig von der vertretenen Meinung, sagt nicht selten mehr über die Person und die Haltung derjenigen Wissenschaftler aus, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis der Deutschen und Juden in der Geschichte oder in der jeweiligen Gegenwart. So sind die Texte oft nur innerhalb des zeitgeistlichen Kontexts zu verstehen. Die Frage der Übersetzung spielt dabei eine entscheidende Rolle. In meiner Hausarbeit möchte ich einige dieser Beiträge vorstellen.

Der Essay des Germanisten Winfried Frey, in dem er unter anderem offenen und unterschwelligen Antisemitismus in der Süßkinds-Forschung vor und nach dem zweiten Weltkrieg untersucht sowie ein dem Sänger Süßkind gewidmetes Buch des jüdischen Historikers und Schriftstellers Josef Kastein (1890-1946), waren die Texte die mir bei der Verfassung meiner Hausarbeit besonders hilfreich waren. Das Buch Kasteins schien mir auch wegen seiner Schilderungen der Kreuzzüge und der Beziehungen Juden und Deutschen im Mittelalter besonders wertvoll. An dieser Stelle ist auch das Buch des Slawisten Dietrich Gerhardts (1911-2011) zu erwähnen. Denn in Gerhardts etwas konfusem Werk wird beinah jede über Süßkind geschriebene Zeile erwähnt, zitiert oder kommentiert. Die drei Autoren gehen inhaltlich und formal unterschiedlich mit dem Thema um und unterscheiden sich in Hinsicht auf die Einschätzung der Herkunft des Dichters.

Die einführenden Worte über die Gattung der Sangspruchdichtung stammen aus dem Buch Helmut Tervoorens.

2. Sangspruchdichtung

Sangspruch ist keine „Naturform“, sondern eine wissenschaftliche Setzung des 19. Jahrhunderts und wurde bis heute als eigenständige Gattung nicht einstimmig in dem Literaturgeschichtsschreiben aufgenommen. Sangspruchdichter standen sozial unter den Minnesängern. Sie setzen sich mit der dominanten Form der Minnekanzone auseinander, weisen eigentümliche inhaltliche und formale Merkmale auf.[3] Im 13. Jahrhundert erlebt Sangspruch seinen Höhepunkt.

Walther von der Vogelweide wird allgemein als die Ausnahmeerscheinung der Gattung angesehen. Einer der Gründe dafür, neben seines Talents, ist die Tatsache, dass seine „subjektiv gefärbte Liebeslyrik“ in der von der Romantik gelenkten Blick der Forschung des 19. Jahrhunderts näher stand als „versifizierte und komponierte Didaktik“, die man in den Sangsprüchen der meisten anderen Spruchsängern antrifft.[4]

Die fahrenden Dichter waren eine gesellschaftliche Randgruppe, lebten auf der Straße und teilten ihr Schicksal mit den Armen und Behinderten, mit Musikern, Schauspielern und Messerwerfern, Schurken und Schmarotzern, Spitzeln und Verdorbenen, Ketzern und Huren.[5] Alles diese Menschen verband ihr Außenseiterstatus der Rechtslosen, die Nichtsesshaftigkeit und die Schutzlosigkeit. Die Unterhaltungskünstler wurden gar von der milden Gabe (milte) ausgeschlossen, denn sie zu beschenken galt als „schreckliches Laster“.[6] Denn sie wurden aus der Sicht der Kirche als „Vertreter der triebgebundener Bereiche“ angesehen (dazu zählten Musik, Tanz, Komik, Sexualität) sowie als weiterexistierenden Träger der heidnischen Traditionen des Singens und Musizierens, die man als Christ überwinden haben sollte.[7]

Nur wenigen Sänger waren Ritter und Sesshafte. Die trugen Namen, die eine positive, werbende Wirkung haben, wie beispielsweise „Goldener“, „Guter“, der „Unverzagte“, „Singauf“ oder Namen, die eine beschreibende Funktion hatten und ihre gesellschaftliche Position (wie „Rumelant“, „Gast“, „Frauenlob“, „Regenbogen“) erläutern. Spruchsänger wurden oft verspottet als selbsternannte Sittenwächter und Schmarotzer.[8] Adelige Dilettanten und Fahrende konkurrierten miteinander, denn während die Fahrenden auf die milde Gabe angewiesen waren, waren es die Adeligen nicht. So gaben sich die Fahrenden mehr Mühe um ihre Gedichte ästhetischer, künstlerischer zu gestalten, während bei den gesellschaftlich besser positionierten Dilettanten der inhaltliche Aspekt im Vordergrund stand.[9]

Spruchsänger wollten sich von den Minnesängern abgrenzen und der Maßstab der Bewertung sollte kunst sein . Und die kunst kommt von Gott und dient Gott, er schenkt sie nur Würdigen. So sang der Sänger Rumelant.[10]

Das ideale Publikum nach Ansicht der Sänger soll freigebig (milte) und mit dem Kunstverstand sein, also Adel, Laien und Geistliche und seltener Frauen. Der Sangspruch ist wie der Minnesang die Hofdichtung, die sich im Unterschied zu Minnesang nicht auf große Höfe beschränkt hat.[11]

Thematisch kennt Spruchdichtung keine Beschränkung. Die vorhandene Wahrheit wird festgestellt, bestätigt und in Erinnerung gerufen. Die Originalität oder Individualität spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Denn in Sprüchen wird die öffentliche Meinung und das allgemein Gültige konstatiert.[12] Vor allem wurden die religiösen Themen, Minnethemen, Herrenlehre, aktuellen und politischen Themen behandelt.

Der Vortrag kann subjektiv engagiert sein mit persönlicher, politisch-sozialer Problematik (z. B. Lob und Tadel für Gönner und Kollegen, Ständekritik, Kritik an gesellschaftlichen Zuständen, Lobpreis Gottes oder der Dreifaltigkeit und Marias). Der Vortrag kann die gleichen Themen objektiv halten als Lebensweisheit und Wissen.[13] Tervooren unterscheidet zwischen drei Intentionen: moralisch-didaktischen (Lehrdichtung), persönlich-gesellschaftliche (Selbstdarstellung), persönlich-existentielle (Aspekte der Meisterschaft des Vortrags und der Belohnung von der Seite der Herren). Die Perspektive des Betroffenen ist selten, die Tendenz zur allgemeinen Belehrung üblich.[14] Die „Milde“ der Freigebigen wurde besungen, der Knauserige bloßgestellt oder beschimpft. Auch Kleidung, Waffen, Rüstungen oder Rossen waren als Zahlungsmittel üblich. Ende des 13. Jahrhunderts gab es immer mehr „unmilde“ Fürsten.[15]

3. Süßkind von Trimberg

Die zwölf Sprüche des Spruchsängers Süßkind von Trimberg wurden in der berühmten, um 1330 in Zürich entstandenen, „Großen Heidelberger Liederhandschrift“ (Codex Manesse) überliefert. Dort findet man den Namen des Autors in zwei unterschiedlichen Varianten. Während in der kleinen Vorschrift Süeskint von trimberg ein jude steht, lautet die Überschrift über dem ganzseitigen Bild Süeskint der Jude von Trimperg.[16] Einen Dichter nach seiner religiösen oder völkischen Zugehörigkeit wie hier zu benennen, war nicht üblich. Die meisten Dichter wurden nach ihrer Funktion am Hof (so war Truchseß als „Oberster der Mundschenke“ vermerkt) oder nach ihrer Tätigkeit (Schreiber, Schulmeister) genannt. Der einzige Dichter, der auf ähnliche Weise genannt wurde, war Christian von Lupin, der mit dem Zusatz „ein Thüring“ geführt wurde.[17] Das Werturteil des schmalen Gesamtwerkes Süßkinds sowie die Analyse seiner Gedichte hingen oft sehr eng mit der Einschätzung über die Herkunft des Dichters zusammen. Wenn einer in Süßkind einen Juden sah, dann versuchte er in jedem seiner Gedichte Beweise dafür zu sammeln. Und auch umgekehrt: Wenn einer der Meinung war, dass die Bezeichnung Jude eigentlich aus den zwei zitierten Zeilen in die Namenszeilen geraten sei, dann fand er in allen Strophen überhaupt nichts, das speziell jüdisch wäre.[18]

Denn die anderen Sänger waren Deutsche und Christen, Ritter, Adlige oder einfache Fahrenden. Der Name Süßkind ist typisch jüdisch, das begleitende Bild aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift zeigt eine Figur, die man als jüdisch identifizieren kann und in den Texten selbst findet man schließlich neben den alttestamentarischen auch einige Bezüge auf jüdische Traditionen- und trotzdem ist die Herkunft des Sängers umstritten. Aronstein stellt die These auf, dass die Verfasser der Aufsätze über Süßkind „entweder das Leben, oder die Literatur und die Dichtkunst der Zeit in der Süßkind gelebt hatte, nicht kannten“.[19]

Und was weiß man eigentlich über den Süßkind von Trimberg? War er ein alter, ein junger, ein treuer oder ein zum Christentum konvertierter Jude, ein Christ, der wirklich oder metaphorisch mit dem Gedanken einer Bekehrung zum Judentum spielte?[20]

Man weiß nich,t wo er geboren wurde, gelebt hat er in der zweiten Hälfte des 13. Jh. möglicherweise an der fränkischen Saale, in der Nähe von Würzburg.[21] Gestorben sei er womöglich in Schlüchtern.[22] Von der Hagen vermutete, dass er Arzt gewesen sein könnte. Das kann man auch bei Kastein und Spanier lesen.[23] Dafür gibt es aber keine Urkunde.

In der Zeit lebte in jeder größeren jüdischen Gemeinde mindestens ein Mann namens Süßkind. Allerdings unterscheiden sich auch hier die Meinungen. Jüdischer Germanist Richard M. Meyer (1860-1914) hält beispielsweise den Namensbestandteil der Jude nur für einen Beinamen oder Spitznamen Süßkinds und liest die Namenszeile der Handschrift als „ Süskind der Jude, von Trimperg“. Denn nach seiner Recherche ist der Name Süßkind erst ab dem 15 Jh. eindeutig als Judenname im Gebrauch.[24]

3.1 Eintrag in der Großen Heidelberger Liederhandschrift

In der Großen Heidelberger Liederhandschrift sind „große und kleine Poeten, ritterliche und bürgerliche Sänger, gescheite und platte Spruchdichter, Minnesänger und Moralisten“[25] vorgestellt. In der Sammlung, die ein Querschnitt der Dichtung der höfischen und ritterlichen Gesellschaft darstellt, sind 140 Dichter vorgestellt. Die präsentierten Dichter haben in einer großen Zeitspanne gewirkt. Die Reihenfolge der vertretenen Sänger erweist eine klare Hierarchie: Die ersten Plätze sind für die Kaiser und Könige (die ersten vorgestellten Dichter sind Kaiser Heinrich VI. (1190-1197) und sein Enkel König Konrad der Junge (Konradin, um 1258 getötet)) reserviert, sie werden von Herzögen und Fürsten, Grafen und Freiherrn gefolgt. Die hinteren Plätze sind von einfachen Fahrenden besetzt.[26]

Alle Beiträge sind bis auf drei Ausnahmen mit einem Bild des Dichters versehen. Da im Mittelalter das Individuelle noch keine Rolle spielte, kann man die Bilder nicht als Porträts, die eine echte Person zeigen, betrachten. So zeigten diese Bilder Menschen als Repräsentanten, als Figuren die geltenden Konventionen wiedergeben. An der Haltung und Kleidung der dargestellten Menschen sowie mit der Hilfe der ikonografischen Deutung der Gegenstände kann man in meisten Fällen den Beruf und den gesellschaftlichen Status der Dichter feststellen.

[...]


[1] Friedrich Torbergs Roman „Süßkind von Trimberg“ (1972).

[2] Tervooren, 24.

[3] Tervooren, 1.

[4] Tervooren, 9.

[5] Tervooren 26.

[6] Tervooren, 28.

[7] Tervooren, 29.

[8] Tervooren, 31.

[9] Tervooren, 33.

[10] Tervooren, 35.

[11] Tervooren, 42.

[12] Dazu gehören dazu die christliche Glaubenslehre, allgemeine Weisheitslehre, Stände-, Herren- und Jugendlehre, allgemeine und spezielle Frageneiner Leienmoral, Ethik des höfischen Lebens, Reflexionen über den Zustand der Welt (meist als Klage), Kunstkritik, Naturbetrachtung, Kosmologisches, Politisches und die Klagen über den eigenen Schicksal des Fahrenden. In: Tervooren, 49.

[13] Tervooren, 52.

[14] Tervooren, 53.

[15] Kastein, 117.

[16] Frey, 68.

[17] Gerhardt, 251.

[18] Frey, 69.

[19] Gerhardt, 255.

[20] Frey, 70.

[21] Kastein, 115.

[22] Frey, 68.

[23] Spanier, 140.

[24] Frey, 72.

[25] Kastein, 9.

[26] Wapnewski

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die zwölf Sprüche des Spruchsängers Süßkind von Trimberg. Rezeptionsgeschichte des Werks
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik)
Veranstaltung
Spruchdichtung
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
17
Katalognummer
V356283
ISBN (eBook)
9783668419919
ISBN (Buch)
9783668419926
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Minnesangskritik, Heidelberger Liederhandschrift, Juden im Mttelalter, Josef Kastein, Sangspruschdichtung, Mittelalter, Juden, Minnesang
Arbeit zitieren
Tomo Polic (Autor:in), 2015, Die zwölf Sprüche des Spruchsängers Süßkind von Trimberg. Rezeptionsgeschichte des Werks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356283

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die zwölf Sprüche des Spruchsängers Süßkind von Trimberg. Rezeptionsgeschichte des Werks



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden