Die "global care chain" und ihre Auswirkungen auf transnationale Familien


Dossier / Travail de Séminaire, 2016

22 Pages, Note: 1,0

Anonyme


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Beschreibung der global care chain

3. Stand der Forschung

4. Ursachen der global care chain

5. Auswirkungen der global care chain

6. Fazit

1. Einleitung

Als global care chain bezeichnet man in der Soziologie eine den Globus umspannende Umverteilung von bezahlten oder unbezahlten Betreuungsaufgaben innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen (vgl. Hochschild 2001: 1). Der Begriff wurde erstmals von der Soziologin Arlie Russell Hochschild geprägt und wird üblicherweise mit globaler Fürsorgekette ins Deutsche übersetzt (vgl. Rostock 2007: 8).

In diesen global care chains übernehmen Arbeitsmigrantinnen Betreuungs-, Haushalts, oder Pflegeaufgaben im Zielland, während ihre eigenen Kinder im Heimatland bleiben und dort von anderen weiblichen Familienangehörigen oder Angestellten versorgt werden. In der Forschung werden global care chains als konstituierender Faktor der Globalisierung beschrieben.

Weil es sich bei den Migrantinnen, die im Rahmen der care chains Fürsorgearbeit verrichten, laut Hochschild fast ausschließlich um Frauen handelt, verwendet der Autor in diesen Fällen nachfolgend ausschließlich das generische Femininum. Ansonsten verzichtet er auf eine gendersensible Schreibweise.

Typischerweise werden Studien zu globalen Fürsorgeketten von westlichen Wissenschaftlern durchgeführt und beschäftigen sich mit Lebenssituationen in den Zielländern der Migrantinnen. Die Familien und Kinder in den Herkunftsländern werden in den Forschungen nur äußerst nachlässig behandelt. Deshalb ist es ein Ziel dieser Arbeit, die Perspektive auf genau jene Menschen zu werfen, die von der konventionellen Forschung bislang kaum beachtet wurden. Im Fokus der nachfolgenden Untersuchungen stehen dabei die Kinder dieser sogenannten transnationalen Familien. Denn während ältere Forschungen beinahe ausschließlich von negativen Auswirkungen auf Kinder mit migrierten Müttern berichten, zeigen neuere Erkenntnisse, dass dieses einseitige Bild revidiert werden muss. Die Forschungsfrage lautet daher weiter, welche Auswirkungen die globale Betreuungskette auf Kinder in den Heimatländern hat. Der Autor folgt dabei der These, dass - neben den bekannten negativen Auswirkungen - durchaus auch von beachtlichen positiven Auswirkungen auf diese Kinder die Rede sein kann.

Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel, die von dieser Einleitung und einem Fazit umrahmt werden. Das zweite Kapitel widmet sich der formalen Beschreibung von global care chains, um einen theoretischen Rahmen für diese Arbeit zu legen. Darin zieht der Autor vor allem die US-amerikanische Soziologin Arlie Hochschild, die nicht nur im Jahr 2001 den Ausdruck global care chain, sondern bereits in den 70er Jahren den Begriff Emotionsarbeit prägte, der in diesem Teil der Arbeit eine Rolle spielen wird, als Quelle heran. Weiter ist Nicola Yeates eine wichtige Autorin in diesem interdisziplinären Fachgebiet und lieferte in den Jahren 2004 und 2005 jeweils einen wichtigen Artikel zu global care chains. Weiter wird die Gesellschaftswissenschaftlerin Helma Lutz zu Wort kommen, deren Forschungsschwerpunkte Frauen- und Gender- sowie Migrationsforschung sind.

Das dritte Kapitel widmet sich dem aktuellen Stand der Forschung zu global care chains. Es wird ein historischer Abriss zur Entstehungsgeschichte und zur Diskussion in der Forschung gegeben. Dieser Schritt ist insofern wichtig für die Arbeit, als dass er die Verknüpfungen zwischen einzelnen Fachbereichen wie der Ökonomie der Globalisierung, der Migrationssoziologie, den Gender Studies und demografischen Entwicklungen aufzeigt. Erst dadurch kann in der abschließenden Beantwortung der Ausgangsfrage ein umfassender Einblick auf alle Auswirkungen der globalen Fürsorgeketten auf die Kinder in den Herkunftsländern gegeben werden.

Im vierten Kapitel geht es um die Ursachen der global care chains. Der Autor macht den Unterschied zwischen Push- und Pull-Faktoren deutlich und zeigt die wichtigsten Aspekte dieser ökonomisch motivierten Migrationstheorie von Everett S. Lee auf. Als wichtige Grundlage dient hier der Artikel Importieren Länder der „Ersten Welt“ heute Liebe und Kinderbetreuung? der Sozialwissenschaftlerin Dagmar Vinz, die diese beiden Faktoren unter die Lupe nimmt.

Daran anschließend analysiert der Autor im fünften Kapitel die Auswirkungen der globalen Fürsorgeketten und beantwortet somit die Ausgangsfrage der vorliegenden Arbeit. Dabei fokussiert er sich insbesondere auf die Kinder der migrierten Mütter in den Herkunftsländern. Er nennt vor allem positive Auswirkungen, da diese in der landläufigen Forschung eher missachtet werden, setzt diese allerdings in einen forschungsgerechten Kontrast zu den bekannten negativen Auswirkungen. Zur Veranschaulichung der Lebenssituationen bedient er sich ausgewählter Zitate aus der Hearts Apart Studie, die an transnationalen Familien auf den Philippinen durchgeführt wurde. Als wichtige Quelle dient in diesem Abschnitt vor allem die Genderwissenschaftlerin Katharine Laurie mit ihrem Aufsatz Gender and Transnational Migration: Tracing the Impacts „Home“.

2. Beschreibung der global care chain

In global care chains entstehen weltweite Verbindungen von bezahlter oder unbezahlter Betreuungsarbeit. Es bilden sich komplexe Netzwerke, in denen verschiedene Arten der Betreuung miteinander verbunden werden (vgl. Vinz 2004: 19). Die US-amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild beschreibt global care chains aus der Perspektive von in Industrieländern arbeitenden Frauen, die auch „domestic worker“ genannt werden:

„Eine Frau kümmert sich zu Hause um die Kinder der Migrantin, eine zweite kümmert sich um die Kinder derjenigen, die auf die Kinder der Migrantin aufpasst, und eine dritte, die ausgewanderte Mutter selbst, kümmert sich um die Kinder von Berufstätigen in der Ersten Welt. Ärmere Frauen ziehen die Kinder wohlhabenderer Frauen auf, während noch ärmere - oder ältere oder vom Land kommende - deren Kinder aufziehen.“ (Vinz 2004: 19).

In einer typischen globalen Fürsorgekette stellt eine wohlhabende Familie aus einem Industriestaat eine Migrantin aus einem Entwicklungsland ein:

„An older daughter from a poor family in a third world country cares for her siblings (the first link in the chain) while her mother works as a nanny caring for the children of a nanny migrating to a first world country (the second link) who, in turn, cares for the child of a family in a rich country (the final link).” (Hochschild 2001: 1)

In dieser care chain findet die Kinderbetreuung in zwei Fällen durch eine andere Person als die eigene Mutter statt. Komplexere Verbindungen können ländliche und städtische Räume in einem Staat miteinander verbinden oder sich über mehrere Länder erstrecken. Solche Ketten bestehen üblicherweise aus drei Verbindungen. Die erste Verbindung ist die Tochter im Entwicklungsland, die die Arbeit ihrer Mutter übernimmt. Diese Mutter, die nun im Haushalt einer Familie in einem Entwicklungsland arbeitet, deren Mutter in ein Industrieland migriert, stellt die zweite Verbindung der Kette dar. Die dritte Verbindung der Kette ist die Mutter dieser reicheren Familie in einem Entwicklungsland, die die Betreuungsaufgaben einer Mutter in einem Industriestaat übernimmt. Immer, wenn eine Mutter Arbeit aufnimmt und eine andere Frau als Betreuerin für ihre Kinder einstellt, erweitert sich die care chain (vgl. Hochschild 2001: 2).

Diese Outsourcing-Strategie formt ein internationales Netzwerk von Familien. Die Verknüpfungen in diesem Netzwerk erstrecken sich innerhalb von transnationalen Familien und zwischen Familien über den Arbeitsmarkt. Theoretisch kann die längste global care chain bis auf das gesamte weltweite Arbeitskräftepotential im Betreuungssektor ausgeweitet werden. Das hätte zur Folge, dass kein Kind mehr von seiner Mutter großgezogen würde. In weiten Teilen der Gesellschaft wird die Betreuung der eigenen Kinder durch Fremde mit großer Skepsis gesehen. Janet Henshall Momsen zufolge artikuliert sich dieses Misstrauen gegenüber fremder Betreuung durch „Mega Dramas“. Die mediale Empörung bei Straftaten von Migrantinnen in Haushalten etwa sei riesig, obwohl dieses Phänomen so gut wie nie vorkäme. Diese Reaktionen weist Momsens Meinung nach auf eine latent xenophobe Einstellung der Ankunftsgesellschaften gegenüber ausländischen Fürsorgearbeiterinnen hin. In Singapur wurde im Jahr 1995 die philippinische Haushaltshilfe Flor Contemplacion wegen Doppelmordes an einer anderen Angestellten und ihrem vierjährigen Betreuungskind zum Tod durch den Strang verurteilt. Ähnliche „Mega Dramas“ spielten sich auch in den USA oder Frankreich ab (vgl. Momsen 1999: 17). Dass diese medialen und gesellschaftlichen Empörungen dennoch übertrieben sind, zeigt auch die Tatsache, dass pädagogisch prinzipiell nichts gegen Kinderbetreuung durch andere Personen als die eigenen Eltern spricht.

Die Migrantinnen übernehmen allerdings nicht zwangsläufig ausschließlich Betreuungsaufgaben von Kindern. Sie sind beispielsweise auch als Kranken- oder Altenpflegerinnen tätig. Häufig werden sie auch in der Reproduktionsarbeit, das heißt als Haushaltshilfe in Privathaushalten, eingestellt. Arlie Hochschild zufolge steht bei der global care chain jedoch die Emotionsarbeit im Vordergrund (vgl. Hochschild 2001: 2).

Durch die global care chain kommt es nicht zu einer Umverteilung der Betreuungsaufgaben zwischen den Geschlechtern. Die anfallenden Aufgaben werden global neu unter Frauen verteilt. So besteht die Fürsorgekette auch im Herkunftsland beinahe ausschließlich aus Betreuerinnen. Die Mutter bleibt im Heimatland die Hauptverantwortliche für ihre Kinder und sorgt dort für eine Stellvertretung, die entweder die älteste eigene Tochter oder die eigene Mutter sein kann. Dies mag zunächst verwundern, da die Berufstätigkeit von Männern in den OECD-Ländern in den letzten Jahren gesunken ist und somit eine Umverteilung der Reproduktionsarbeit hätte erwirkt werden können. Helma Lutz findet durch eine Analyse der symbolischen Bedeutung der geschlechtsspezifischen Teilung der Arbeitsfelder in ihrem Aufsatz Intime Fremde. Migrantinnen als Haushaltsarbeiterinnen in Westeuropa jedoch eine Begründung für diese Tatsache. Hausarbeit sei eine besonders „vergeschlechtlichte“ Aktivität, die Identität stifte. Als solche sei sie „emotional hochgradig mit Bedeutungen und Interpretationen darüber verbunden, wer wir als Frauen und Männer sind und wer wir sein wollen“ (Lutz 2007: 4). Hausarbeit sei die Hauptaktivität des doing gender, die die existierende soziale Hierarchie der Geschlechter verewige. Doing gender bedeutet, dass Personen wissen, wie sie sich als Mann oder Frau in der Gesellschaft zu verhalten haben, um als zu ihrem Geschlecht zugehörig empfunden zu werden. Diese Argumentation macht laut Lutz besonders deutlich, wieso traditionelle Geschlechtervereinbarungen äußerst resistent gegen Veränderungen sind. Die Umverteilung von Haus- oder Betreuungsarbeit auf eine andere Frau verbleibe in der Logik des doing gender und rufe keine Irritationen hervor, weil mit dieser Lösung das gängige Identitätsmuster nicht infrage gestellt werde (vgl. ebd.).

Letztendlich besteht eine care chain aus mindestens drei Frauen, wobei der Wert der Arbeit entlang der Kettenglieder abnimmt und am Ende, meist von einer älteren Tochter, die ihre Mutter ersetzt, oft unentgeltlich gearbeitet wird. Die Auslagerung der Hausarbeit wird von Geschlechts-, Klassen- und „Rassen“- zugehörigkeit strukturiert, wobei die global care chains die dominante „Alltagsversessenheit“ der Männer aufzeigen (vgl. Rostock 2007: 8f.). „If fathers worldwide shared child labor more equitably, care would spread laterally instead of being passed down a social- class ladder, diminishing in value along the way“ (Hochschild 2001: 9). Gleichzeitig wird durch die Delegation von Hausarbeit ein bestimmter Lebensstil und sozialer Status reproduziert.

„Most obviously, they reflect the social divisions of class, of wealth, income and status, with richer households located in richer regions or countries outsourcing (part of) their care labour requirements to members of poorer households drawn from poorer areas within the same country or from a poorer country in the same region.” (Yeates 2005: 3)

Falls die Kinder im Herkunftsland doch bei ihren Vätern untergebracht werden, bringt dieser sie meist sukzessiv bei anderen weiblichen Verwandten unter, da er nicht in der Lage ist, die Erziehung eigenverantwortlich zu übernehmen (vgl. Rostgaard 2008: 5).

3. Stand der Forschung

Der Begriff global care chain wurde erstmals im Jahr 2001 von Arlie Russel Hochschild erwähnt. Sie beschreibt ihn als „a series of personal links between people across the globe based on the paid or unpaid work of caring” (Hochschild 2001: 1). Hochschilds Untersuchungen liegen die Forschungen der philippinischen Soziologin Rhacel Parrenas zugrunde. Diese interviewte für ihr Buch Servants of Globalization eine philippinische Lehrerin, die als Haushaltshilfe bei einer wohlhabenden Familie in der kalifornischen Stadt Beverly Hills arbeitet. Dort verdient sie 400$ pro Woche und überweist ihrer philippinischen Familie davon ein Zehntel (vgl. ebd.). Obwohl diese Summe für philippinische Verhältnisse sehr hoch ist, zieht diese Art des Lebens doch einige Nachteile für die Familie nach sich: „Even though it’s paid well, you are sinking in the amount of your work. Even while you are ironing the clothes, they can still call you to the kitchen to wash the plates. It ... [is] also very depressing. The only thing you can do is give all your love to [the two-year-old American child]. In my absence from my children, the most I could do with my situation is give all my love to that child.” (Hochschild 2001: 1).

[...]

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die "global care chain" und ihre Auswirkungen auf transnationale Familien
Université
University of Osnabrück
Note
1,0
Année
2016
Pages
22
N° de catalogue
V356299
ISBN (ebook)
9783668424661
ISBN (Livre)
9783668424678
Taille d'un fichier
484 KB
Langue
allemand
Mots clés
global care chain, nanny, care chain, globale betreuungskette
Citation du texte
Anonyme, 2016, Die "global care chain" und ihre Auswirkungen auf transnationale Familien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356299

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