Deposition und Pennalismus im 17. Jahrhundert. Studentische Initiationsriten im Spannungsfeld zwischen Verurteilung und Verharmlosung


Term Paper (Advanced seminar), 2001

35 Pages, Grade: 1,6


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Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1. Die akademische Welt zwischen Reformation und Aufklärung. Eine kurze Einführung

2. Die Deposition

3. Der Pennalismus
3.1 Formen und Auswüchse
3.2 Die älteren Landsmannschaften und ihre Rolle im Pennalismus
3.3. Widerstand
3.4. Erklärungsversuche und Deutungsmuster

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Wer von Tübingen kommt ohne Weib, von Wittenberg mit gesundem Leib,

von Helmstedt ohne Wunden, von Jena ohne Schrunden,

von Marburg ungefallen, hat nicht studiert auf allen.“

Dieser vielzitierte[1] Stammbuchvers scheint zunächst auf prägnante Weise die Zustände an den deutschen Universitäten des 17. Jahrhunderts zu formulieren, galt dieses doch gleich einer „communis opinio“ eines Großteils der Historiker, die sich mit der Kulturgeschichte des Studententums befasst haben, lange als eine „Zeit schweren Niedergangs“[2], in der „tiefe Demoralisation“[3] die Studenten ergriffen habe. „Zügellosigkeit“[4], ja „tierische Roheit und Verkommenheit“[5] zeichne diese „zucht- und sittenlose Jugend“[6] aus. Angesichts der “vollständige[n] Verwilderung auf den deutschen Hochschulen“ sei die „Schmach und Hülflosigkeit Deutschlands unsäglich“ gewesen.[7]

Ein recht vernichtendes Urteil, das Anlass gibt, das akademische Leben des 17. Jahrhunderts näher zu untersuchen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein Referat, das ich im Rahmen eines Hauptseminars an der Universität zu Köln, welches die Geschichte der deutschen Universitäten vom Ende des Mittelalters bis zur Gründung der Berliner Universität (1810) behandelte, erstellte. Im Rahmen meines Referats zum studentischen Alltag in dieser Zeit erregte besonders das 17. Jahrhundert meine Aufmerksamkeit. Ein Zeitraum, der oft auch als „Zeitalter des Pennalismus“[8] bezeichnet wird.

Somit setzt sich diese Referatsausarbeitung zum Ziel, im Sinne einer informierenden Überblicksdarstellung eben diese Erscheinung, die zeitweilige (Gewalt-) Herrschaft der älteren Studenten über die Neulinge mit einhergehender Ausnutzung und Unterdrückung, zu betrachten. Dabei stößt man auf ein anderes Phänomen, das Bezüge zum Pennalismus erkennen lässt: der Deposition, dem einmaligen Aufnahmeritual für den Universitätsneuling. Diese beiden studentischen Initiationsriten sollen im Folgenden dargestellt werden. Dabei soll zunächst die Deposition, als die ältere Tradition, in ihrer Geschichte und Auftreten im 17. Jahrhundert untersucht werden. Worum handelte es sich hierbei genau? Wer waren die Träger dieses Aktes? Wie wandelte er sich und inwiefern kann er in einem Zusammenhang mit dem Pennalismus stehen?

Im Anschluss daran, und im Zentrum dieser Arbeit, steht der Pennalismus selbst. Es soll versucht werden, seine Ausprägungen darzustellen und Erklärungsmuster für seine Charakteristik zu geben. Wie und warum konnte sich diese Institution etablieren? Welche Komponenten spielten eine Rolle bei ihrem Ende? Bei diesen Fragestellungen kommt man an der Auseinandersetzung mit einer der frühesten Erscheinungen studentischen Verbindungswesens, den älteren Landsmannschaften oder Nationen, nicht vorbei. Auch sie und ihre Rolle im Pennalismus werden ein Aspekt dieser Arbeit sein.

Im Abschlussteil soll schließlich versucht werden, den Bogen zu oben zitierten Wertungen zu schließen und anhand der vorangegangenen Erläuterungen zu bewerten, inwiefern diese Meinungen zutreffen und das akademische Leben des 17. Jahrhunderts so negativ zu bewerten ist, und inwiefern sie einer Relativierung oder eines Widerspruchs bedürfen. Auch ein Blick auf die Gegenwart mit Anregungen zu möglichen zukünftigen Forschungsansätzen soll dabei nicht fehlen.

Relevant scheint mir eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Problemfeld Deposition und Pennalismus nicht nur aus persönlichem Interesse, sondern auch aufgrund des derzeitigen Standes der Forschungsliteratur, zu der eine Bemerkung unumgänglich ist, denn sie scheint mir nicht ganz unproblematisch. Schnell stellte sich bei der Recherche zu dieser Arbeit heraus, dass die Kulturgeschichte der Studenten kein Thema ist, dass unter Historikern der jüngeren Zeit „en vogue“ ist, besonders nicht das 17. Jahrhundert. Die meisten Arbeiten zur älteren Studentengeschichte stehen meist im Zusammenhang mit der burschenschaftlichen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Und auch hier zumeist im Hinblick auf ihre politische Rolle, selten auf ihre Mentalität oder auf die Alltagskultur der Studenten.

Ein Großteil der Literatur, die ergiebiger ist, stammt aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und bringt besondere Probleme mit sich, wie Wolfgang Hardtwig treffend formuliert: „[Sie] bleibt fast durchweg entweder in kulturgeschichtlichen Schilderungen älteren Stils oder in reinen, an Traditionsstiftung und Traditionspflege interessierten Korporationsgeschichten stecken.“[9] Trotzdem, und nicht zuletzt in Ermangelung von Alternativen, war die Lektüre dieser Werke von entscheidender Rolle bei der Verfassung dieser Arbeit, da besonders edierte Quellen zum Thema selten sind und vieles daher der Sekundärliteratur entnommen werden musste. Dabei war es selbstverständlich, die berechtigte Kritik Hardtwigs stets zu reflektieren.[10]

An dieser Stelle soll noch betont werden, dass nicht alle Aspekte des studentischen Alltags dieser Zeit betrachtet werden können. Allein die Initiationsriten Deposition und Pennalismus stehen im Blickpunkt. Andere Erscheinungen und Entgleisungen, die mit Sicherheit einen relevanten Anteil an oben zitierten Urteilen haben, können im Rahmen dieser Arbeit keine ausführliche Erwähnung finden.[11]

Ein kurzer Überblick über die Bildungslandschaft der Zeit als Einführung in das Thema ist aber gerechtfertigt und sogar notwendig, um das Verständnis für die späteren Ausführungen zu erleichtern.

1. Die akademische Welt zwischen Reformation und Aufklärung. Eine kurze Einführung.

Die deutschen Universitäten des 16. und 17. Jahrhunderts waren geprägt durch den gewaltigen konfessionellen Riss, der seit der Reformation durch das Land ging. Während auf der einen Seite die katholischen Universitäten wie Köln, Würzburg und Ingolstadt im Zuge der Gegenreformation zunehmend unter der rigiden Führung des Jesuitenordens standen,[12] entwickelten sich die protestantischen Hochschulen wie Jena, Wittenberg, Helmstedt, Rostock oder Leipzig auch aufgrund der konfessionellen Gegensätze untereinander zu regelrechten Landeshochschulen der jeweiligen Fürsten. Der Wissenschaft allerdings, schien diese Spaltung nicht allzu sehr zu schaden. Zwar erlitt das Universitätsleben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die Reformation und ihre Folgeerscheinungen einen großen Einbruch, jedoch stiegen die Immatrikulationszahlen bis ins 17. Jahrhundert erheblich.[13]

Die katholische wie protestantische Universitätswelt begriff sich noch als ein eigener Stand, in sich geschlossen und ständefrei. Studieren war keine Angelegenheit privilegierter Gesellschaftsschichten wie zu späteren Zeiten, auch wenn sich besonders unter der Studentenschaft des 17. Jahrhunderts Differenzierungen zunehmend bemerkbar machten.[14] Es galten noch viele der aus dem Mittelalter stammenden Privilegien wie Steuerbegünstigungen, militärische Freistellung und vor allem die eigene Gerichtsbarkeit für die akademische Öffentlichkeit, auch wenn das Eingreifen protestantischer Fürsten auf „ihren“ Universitäten, vor allem bei Kapitalverbrechen, durchaus vorkam. Auch die alte Einteilung der Hochschule in die vier Fakultäten Medizin, Jura, Theologie und – als verpflichtende Vorstufe zu den gerade erwähnten und somit der späteren gymnasialen Oberstufe gleichkommend – Philosophie (besser: Artes), war noch existent. Nichtsdestotrotz verstand sich Bildung immer mehr als Ausbildung in utilitaristischem Sinne zum gemeinen Nutzen der Gesellschaft, die zunehmend auf akademisch gebildete Arbeitskräfte angewiesen war.

Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648 mit all seinen Begleiterscheinungen war in dieser Blütezeit mit Sicherheit ein Einschnitt, der die Geisteswelt hart traf. Allerdings ist es wichtig, zwischen den einzelnen Hochschulen zu differenzieren. Während beispielsweise Altdorf unmittelbar unter Kriegsgräueln zu leiden hatte,[15] waren einige Universitäten wie Rostock und Königsberg „weit ab vom Schuss“ oder wie Jena durch Schutz- und Schirmbriefe[16] weitgehend geschützt. Dies bedeutete natürlich keine generelle Isolierung von den grobianistischen Zügen der Zeit. Man darf sich daher die Verhältnisse nicht allzu akademisch vorstellen, auch schon in den Jahrzehnten vor dem Krieg. So lassen sich schon für das 16. Jahrhundert zahlreiche studentische Tumulte und Exzesse feststellen, an denen auch später historische Persönlichkeiten wie Wallenstein maßgeblich beteiligt waren.[17] Fast müßig zu erwähnen, dass darüber hinaus die Lebensumstände einer Zeit, in der Gefahr für Leib und Leben nicht nur durch alltägliche Gewalt, sondern auch durch schwierigste hygienische Umstände, die immer wieder der Pest Einlass gewährten, nicht die einfachsten Studienverhältnisse schufen, die zudem durch kleinste alltägliche Probleme wie die Sorge um Heizung, Nahrung und Licht beschwerliche Anstrengung erforderten. Unter diesen Umständen lebte nun der Student im 17. Jahrhundert, der wohl im Alter zwischen 17 und 19 Jahren auf die Universität kam.[18] Bevor er dort seine Studien beginnen konnte, wurde er mit einem Brauch konfrontiert, der oft erschreckend wirken musste: der Deposition.

2. Die Deposition

Der Brauch der Deposition scheint beinah so alt zu sein wie die deutschen Universitäten selbst, auch wenn nur wenige Quellen vor der Reformationszeit davon berichten, was auf eine gewisse Selbstverständlichkeit schließen lässt – de normalibus non in actis. Die Ursprünge des Brauches lassen sich zunächst[19] in französischen Nationes, dem mittelalterlichen Einteilungsprinzip des gesamten Universitätskorpus nach landsmannschaftlichen Kriterien[20], und nicht viel später in den Bursen der französischen Hochschulen des späten Mittelalters finden. Hier zahlten die jungen Studenten, die bejani[21], dem Bursenvorstand (magister regens) ein Eintrittsgeld und ließen erste Aufnahmerituale über sich ergehen, die wohl mit Waschungen und kleineren Demütigungen verbunden waren. Ein überall üblicher oder gar verpflichtender Usus war dies aber nicht. Genaue Schilderungen und Ursprünge sind auch nicht überliefert, eine gewisse Verwandtschaft zu Aufnahmezeremonien in Handwerksgilden und Klöstern lässt sich jedoch nicht verleugnen. Überhaupt scheinen Aufnahmezeremonien und Initiationsriten, beispielsweise Waschungen, ein Phänomen zu sein, dass sich durch fast alle Kulturen und Zeiten zieht.[22]

Mit der Gründung von deutschen Universitäten nach Pariser Vorbild, wo sich der Brauch inzwischen etabliert hatte, wurde auch die Deposition übernommen. So lässt sich bereits in den Wiener Statuten von 1384 die Erwähnung von „Beanos“ finden, ebenso acht Jahre später im Kölner Pendant. Erstmals erwähnt wird der Begriff Deposition in den Erfurter Statuten von 1447,[23] und zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit Regelungen für das Bursenleben, was darauf schließen lässt, dass die Deposition zwar kein offizieller Universitätsakt war, aber dennoch geduldet wurde. Dass sich nun ein feststehender Begriff für den eigentlichen Akt findet, zeigt, dass sich der Brauch etablierte und zu einem geschlossenen Ereignis entwickelte, dass über die Verfahren in Frankreich hinausging. Die deutschen Studenten hatten Neuerungen hinzugefügt, von denen eine schließlich dem Brauch den Namen gab: dem Beanus wurden Hörner aufgesetzt und im Laufe des Rituals abgesägt – „depositio cornuum“ (lat. Abnehmen der Hörner).[24] Auch der Einsatz grober Werkzeuge, mit denen der Beanus malträtiert wurde, tauchte nun auf. Die Deposition wurde ein zunehmend gröberes „Vergnügen“ oder wie Schulze schreibt: „Der Wahnsinn bekommt jetzt Methode.“[25] Dies belegt auch die erste Beschreibung des Depositionsaktes an sich, das 1481 in Heidelberg erschienene „Manuale Scholarium“, in dem in Dialogform die Ereignisse dieses Aktes vor Augen geführt werden.[26] Aus der Tatsache, dass dieses Scholarium auch in Köln stark rezipiert wurde,[27] ist zudem erkennbar, dass der Brauch auf vielen deutschen Universitäten bereits stark verbreitet war.

Ein offizieller Akt wurde die Deposition allerdings erst durch die Folgen des die gesamte Bildungswelt erschütternden Humanismus. Die Verdrängung des scholastischen Bildungssystems ließ auch die Bursen, bis dato Ort der Deposition, nach und nach veröden. Die Deposition aber verschwand nicht. Die Humanisten schienen vielmehr von ihrem Sinn überzeugt und sie wurde integrativer Bestandteil der Aufnahme in die Studentenschaft, wobei auch eine gewisse Behördenfurcht vor einer unkontrollierten Ausübung durch die Studenten eine Rolle gespielt haben mag. Die Prager Statuten von 1528 machten eine erfolgreiche Deposition zur Zulassungsbedingung für das Baccalaureat[28] und bei der Gründung der Universität Jena 1558 schrieben die Professoren Stigel und Striegel: „Da mehrere Studierende noch nicht auf freien Schulen gewesen seien und durch die (...) Deposition förmlich aufgenommen zu werden wünschten, so möge diese Sitte eingeführt werden, damit man nicht glaube, Jena sei keine rechte Hochschule.“[29] Das Ausstellen von Depositionsscheinen kam auf. Statt der Burse fand das Schauspiel nun in einem Hörsaal statt, statt dem Bursenvorstand führte nun ein eigens bestellter Pedell, der gewisse Privilegien genoss,[30] oder der Dekan der Artes-Fakultät, das Verfahren durch. Wie beispielsweise Martin Luther in Wittenberg, der 1540 anlässlich einer Deposition seine Überzeugung so ausführte:

„Die Deposition ist ein Schauspiel für junge Leute, wodurch man die Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten und Gefahren andeuten wollt, welche Männer dereinst (...) zu überwinden haben. (...) Derselbige Brauch deutet auch an, (...) daß man bey der Ankunft auf hohen Schulen die Seele ebenso vom Schmutz reinigen müsse, wie der Cörper der Deponirten von allen Unsauberkeiten gereinigt wird.“[31]

Hier wird ein sinnstiftender Grundgedanke der Deposition deutlich, der die körperlichen Misshandlungen als Metapher für eine geistige Reinigung des jungen Studenten versteht. Luther formulierte das so:

[...]


[1] Zitiert nach: Brügmann, A.: Zucht und Leben der deutschen Studenten 1648-1848 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Studentengeschichte 1). Würzburg, 1941, S. 31. Ebenso bei: Bauer, Max: Sittengeschichte des deutschen Studententums. Dresden, 1926, S. 89, und Tholuck, F. August: Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts mit besonderer Beziehung auf die protestantisch-theologischen Fakultäten Deutschlands nach handschriftlichen Quellen (= Vorgeschichte des Rationalismus. Erster Theil). Halle, 1853, S. 277. Variationen bei Krause, Peter: „O alte Burschenherrlichkeit.“ Die Studenten und ihr Brauchtum. Graz, Wien, Köln, 1979, S. 28, und Keil, Richard und Robert: Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Universität bis zur Gegenwart (1548-1858). Leipzig, 1858, S. 91. Tholuck gibt als undatierte Quelle die Erwähnung in einem Brief Herzog Rudolf Augusts von Braunschweig an. Die anderen Autoren schweigen zum Ursprung.

[2] Bruchmüller, Wilhelm: Das deutsche Studententum von seinen Anfängen bis zu Gegenwart (Aus Natur und Geisteswelt 477). Leipzig, Berlin, 1922, S. 34.

[3] Keil: Jenaisches Studentenleben, S. 89.

[4] Baeker, Paul: Die Kämpfe um die akademische Freiheit einst und jetzt (Deutsches Wollen 1). Prenzlau, 1905, S. 20.

[5] Kelter, Edmund: Ein Jenaer Student um 1630 (Eberhard von Todenwarth). Jena, 1908, S. 35.

[6] Dolch, Oskar: Geschichte des deutschen Studententums. Graz, 1968 (Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1858), S. 149.

[7] Ebenda. S. 148f.

[8] Steinmetz, Max u.a.: Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum. 2 Bände. Jena, 1958, Band I: Darstellung, S.147.

[9] Hardtwig, Wolfgang: Studentische Mentalität – Politische Jugendbewegung - Nationalismus. Die Anfänge der deutschen Burschenschaft. In: Historische Zeitschrift 242. 1986, S. 581-628, hier S. 582. Vergleiche die ähnliche Kritik Steinhilbers zu Beginn seiner aufschlussreichen Dissertation über studentische Stammbücher: Steinhilber, Horst: Von der Tugend zur Freiheit: studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740-1800. Hildesheim, 1995.

[10] So ist es auffällig, dass Beyer (s. Anmerkung 18), Baeker, Dolch, Keil, Tholuck, Kelter und Schulze/Ssymank (s. Anmerkung 25) nicht selten Korporationsbegriffe ihrer Zeit (Leibbursch, Fuchs, Kneipe etc.) auf das 17. Jahrhundert anwenden, was mir so unzulässig erscheint. Während Tholuck und mit Einschränkung auch Schulze/Ssymank dabei aber ansonsten methodisch unproblematisch sind, bewertet besonders Beyer das 17. Jahrhundert im Hinblick auf das 19. allzu teleologisch und deutschtümelnd. Aus seiner Sympathie für das Korporationsstudententum („bedeutendes Erziehungsmittel“, S.3) macht er keinen Hehl, arbeitet darüber hinaus historisch ungenau, formuliert zu viele Vermutungen und Allgemeinplätze und rutscht dauernd ins dramatisierende Präsens (wie auch Kelter). Bei Brügmann, der in seiner Darstellung auf den ersten Blick problemlos erscheint, lassen sich gewisse nationalsozialistische Einflüsse zwischen den Zeilen nicht verneinen. So spricht er vom „völkischen Leben“ (S.45) und wehrt sich gegen „schrankenlosen Individualismus“ und den „zersetzenden Einfluss des Westens“ (ebd.). Allgemein, insbesondere aber bei Dolch und Kelter, lässt sich bei der Literatur bis zum Zweiten Weltkrieg eine gewisse moralisierende Tendenz nicht leugnen. Insgesamt muss man diesen Autoren, die sicher dem studentischen Korporationswesen ihrer Zeit naturgemäß nicht allzu fern standen, aber zugute halten, dass ohne ihr natürliches Interesse an der Geschichte studentischer Kultur wohl eine Lücke in der historischen Forschung entstanden wäre. Ähnliches gilt für spätere Auseinandersetzungen mit dem Thema, die zumeist auf Initiative korporationsgeprägter Institutionen wie dem Würzburger Institut für deutsche Studentengeschichte oder dem historischen Organ der Corps, „Einst und jetzt“, die oftmals auch Nicht-Historiker zu Wort kommen lassen, entstanden.

[11] Zu nennen wäre hier vor allem das vermehrt auftretende studentische Duellwesen, das gespannte Verhältnis der Studenten zu Nichtakademikern, sowie zu Frauen, und das Aufkommen genuin studentischer Ausprägungen kultureller Ausdrucksformen wie Standessprache, Literatur und Gesang.

[12] Die Meinungen über die Qualität der jesuitischen Bildung gehen in der Literatur weit auseinander. Bruchmüller spricht von „schulmäßigem Lehrbetrieb“ und einem „jahrhundertelangen fast völligen Stillstand“. Siehe Bruchmüller, Wilhelm: Das deutsche Studententum von seinen Anfängen bis zur Gegenwart (=Aus Natur und Geisteswelt 477). Leipzig, Berlin, 1922. Hier S. 34. Hammerstein dagegen lobt die „moderne, wirksame, fortschrittliche (...) und auch soziale Studienordnung“, die „großen Erfolg“ bescherte. Siehe Hammerstein, Notker: Zur Geschichte und Bedeutung der Universitäten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In: Historische Zeitschrift 241 (1985), S. 287-328, hier S.295.

[13] Studierten in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts keine 2000 Studenten an deutschen Universitäten, waren es Anfang des folgenden Jahrhunderts bereits über 7000. Siehe Prahl, Hans-Werner: Sozialgeschichte des Hochschulwesens. München, 1978, S. 369ff. Prahl bedient sich der Zahlen Eulenburgs, die er aber übersichtlicher anordnet. Vgl. Eulenburg, Franz: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Leipzig, 1904.

[14] Vgl. Müller, Rainer A.: Aristokratisierung des Studiums? Bemerkungen zur Adelsfrequenz an süddeutschen Universitäten im 17. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 10 (1983), S. 31-46. Zu diesem Thema später noch einige Anmerkungen.

[15] Siehe Ernstberger, Anton: Die Universität Nürnberg-Altorf während des Dreißigjährigen Krieges in ihrem Bestand bedroht (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Sitzungsberichte, 2/1966). München, 1966.

[16] Siehe Keil, Jenaisches Studentenleben, S. 104.

[17] Die Schilderungen dieser Zeit würden hier den Rahmen sprengen. Ein kurzer prägnanter Überblick findet sich u.a. bei Klose, Werner: Freiheit schreibt auf eure Fahnen. 800 Jahre deutsche Studenten. Oldenburg, Hamburg, 1967, S. 56-59. Auch Wallensteins wilde Studentenzeit, die sogar in Schillers Drama ihre Erwähnung findet, wird hier abgehandelt (S. 62f).

[18] Die Angaben schwanken hier. Während Steinmetz 19 Jahre angibt (S. 107), gehen Keil (S. 59) und Tholuck (S.198) von 18 Jahren aus. Beyer spricht von 17 Jahren. Siehe Beyer, C.: Studentenleben im 17. Jahrhundert. Kulturgeschichtliche Bilder. Schwerin, 1899, S. 13.

[19] Parallelen zu weit früheren Initiationsriten in der Gelehrtenwelt zu ziehen, wie etwa der athenischen Wasserweihe, halte ich für unpassend, da Verbindungslinien nicht zu knüpfen sind.

[20] Als höchst offizielle Einrichtung nicht zu verwechseln mit den späteren Studentenkorporationen, von denen noch die Rede sein wird.

[21] Wohl vom französischen „bec jaune“ = „Gelbschnabel“ (vgl. das deutsche „Grünschnabel“). Für die spätere in Deutschland gebräuchliche Latinisierung „beanus“ wird desöfteren auch das Achrosticon „Beanus Est Animal Nescius Vitam Studiosorum“ angeführt. Zur Etymologie vergleiche Fabricius, Wilhelm: Die Akademische Deposition (Depositio cornuum). Beiträge zur deutschen Litteratur- und Kulturgeschichte, speciell zur Sittengeschichte der Universitäten. Frankfurt am Main, 1895. S. 75-79.

[22] Man vergleiche allein die zahllosen religiösen Bräuche wie Taufe, Kommunion, Konfirmation oder Bar Mizwa, die Gesellenweihen bei Handwerkern oder die Äquatortaufe bei Seeleuten.

[23] Siehe Fabricius: Akademische Deposition, S. 34f.

[24] Eine interessante Ergänzung zur Entstehung des Namens bringt Fabricius, der dem Evangelium nach Johannes, dessen Feiertag auch depositio heißt, eine Stellung im Rahmen der Zeremonie nachweist. Siehe Fabricius: Akademische Deposition, S. 68.

[25] Schulze, Friedrich und Ssymank, Paul: Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zu Gegenwart. Leipzig, 1910, S.56.

[26] Wiedergegeben ebenda, S.56f, sowie bei Fabricius, S. 36-39 und bei Kruse, Erich: Die studentische Deposition. In: Einst und jetzt 16 (1971), S. 117-130, hier S. 119ff.

[27] Siehe Keussen, Hermann: Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte. Festschrift zum Einzug in die neue Universität. Köln, 1934, S. 169.

[28] Siehe Fabricius: Akademische Deposition, S. 47.

[29] Zitiert nach: Fabricius: Akademische Deposition, S. 49.

[30] Siehe Dolch: Geschichte, S. 12.

[31] Zitiert nach Kruse: Studentische Deposition, S. 122f.

Excerpt out of 35 pages

Details

Title
Deposition und Pennalismus im 17. Jahrhundert. Studentische Initiationsriten im Spannungsfeld zwischen Verurteilung und Verharmlosung
College
University of Cologne  (Historisches Seminar)
Course
Die Geschichte d. dt. Universitäten vom späten Mittenalter bis Gründung der Uni Berlin 1810
Grade
1,6
Author
Year
2001
Pages
35
Catalog Number
V3578
ISBN (eBook)
9783638122078
ISBN (Book)
9783656755227
File size
703 KB
Language
German
Keywords
WILDE, LEBENSART, EINIGER, STUDIOSORUM, BETREFFEND, Deposition, Pennalismus, Jahrhundert, Studentische, Initiationsriten, Betrachtung, Spannungsfeld, Verurteilung, Verharmlosung, Geschichte, Universitäten, Mittenalter, Gründung, Berlin
Quote paper
Daniel Koschera (Author), 2001, Deposition und Pennalismus im 17. Jahrhundert. Studentische Initiationsriten im Spannungsfeld zwischen Verurteilung und Verharmlosung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3578

Comments

  • guest on 9/8/2006

    quali- oder quantität?.

    die Arbeit ist zwar detaillreich recherchiert, aber in geplustert barockem stil geschrieben. Der Stand der Forschung ist seit 2001 besonders durch die Arbeiten von Marian Flusser vorangeschritten.
    Die Bewertung 1,3 halte ich für nicht gerechtfertigt.
    Mit freundlichem Gruß
    Andreas C. Schulz

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Title: Deposition und Pennalismus im 17. Jahrhundert. Studentische Initiationsriten im Spannungsfeld zwischen Verurteilung und Verharmlosung



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