Genese und Gegenwart der Sozialen Marktwirtschaft

Eine Betrachtung von Alfred Müller-Armacks Konzeption unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Aspekts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Das ideengeschichtliche Fundament
2.1. Neoliberalismus
2.2. Ordoliberalismus

3. Das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft nach Müller-Armack
3.1. Die historische Genese
3.2. Leitbild und Konzept der Sozialen Marktwirtschaft
3.3 Das Soziale der Sozialen Marktwirtschaft nach Müller-Armack
3.4 Soziale Marktwirtschaft und Ordoliberalismus

4 Die Gegenwart der Sozialen Marktwirtschaft
4.1 Die soziale Marktwirtschaft im Systemwettbewerb
4.2 Die INMS als Beispiel für Begriffsbesetzung

5 Schlussfolgerungen

6 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ ist eng mit der wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Neuausrichtung bzw. dem Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verzahnt. Die positive Konnotation der Sozialen Marktwirtschaft rührt unter anderem auch daher, dass der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands und somit großen Teilen der Bevölkerung, in enger Verbindung zu diesem politischen und wirtschaftlichen Konzept steht.

Dabei ist die genaue inhaltliche Auslegung des Ausdrucks „Soziale Marktwirtschaft“ nicht trennscharf abgesteckt. Vielmehr gibt es verschiedene „Zugänge zum Verständnis“[1] dieser Konzeption. Je nach Blickwinkel erhält einer der beiden Begriffsbestandteile eine höhere Gewichtung. So kann die Betonung auf „sozial“ liegen um deutlich zu machen, dass die Vorteile dieses Konzepts in einem „sozialen Ausgleich“[2] liegen, der alle Marktteilnehmer schützt sowie Teilhabe und Chancengerechtigkeit verspricht.[3] Anderseits wird deutlich, dass es sich um eine marktwirtschaftliche Ordnung handelt, in der Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, Wettbewerb herrscht und Marktzugänge offen sind. Deutlich wird in jedem Fall, dass eine Soziale Marktwirtschaft keine freie Marktwirtschaft im Sinne einer ungezügelten meint, sondern eine, in die mithilfe von Regeln bei Bedarf interveniert wird.

Das Ziel dieser Arbeit ist es nun die Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf deren ideengeschichtlichen Basis darzustellen. Dafür soll zunächst das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft näher untersucht und spezifiziert werden. Im weiteren Verlauf sollen historische Leitlinien sowie wichtige handelnde Akteure beleuchtet werden. Dies betrifft einerseits politische Handelnde wie Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard, die im Nachkriegsdeutschland entsprechende Fundamente legten. Andererseits sollen die verwandten Wirtschaftskonzepte von Ordo- bzw. Neoliberalismus betrachtet werden, auf deren Konzeptionen die Soziale Marktwirtschaft fußt. Hiermit eng verbunden sind die Namen Walter Eucken sowie Friedrich Hayek.

Nachdem die historischen und theoretischen Hintergründe geklärt wurden, folgt eine Betrachtung der jüngeren Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. Hierfür soll auf Entwicklungen der Wirtschaftspolitik in Bezug auf systemischen Wettbewerb genommen werden, ausgelöst durch internationalen Wettbewerb. So treten einerseits neue Spieler auf die Weltbühne, deren jeweilige Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung immer auch in Konkurrenz mit der deutschen steht. Demgegenüber stehen andererseits auch innerhalb Deutschlands Interessensgruppen, die Veränderungen in ihrem Sinne anstreben, wie es z.B. die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tut, und dies über das Setzen eines neuen Verständnisses von Begriffen versucht.

Am Ende folgt eine Schlussbetrachtung, die die Ergebnisse der Untersuchung rekapituliert und ein Fazit zieht.

2. Das ideengeschichtliche Fundament

Es lässt sich eine ideengeschichtliche Entwicklungslinie der Sozialen Marktwirtschaft ziehen, die ihre Ursprünge in den Gedankengängen des Neoliberalismus bzw. des Ordoliberalismus hat. Deshalb sollen beiden Schulen an diese Stelle kurz vorgestellt werden.

2.1. Neoliberalismus

Der Begriff „Neoliberalimus“ ist aus heutiger Sicht gesehen nicht gut beleumundet und zu einem politischen Kampfbegriff sowie zu einem vagen Begriffsfeld gewachsen. Dabei steht dieser, wie der Name es vermuten lässt, in der gedanklichen Nachfolge des klassischen Liberalismus, der sich im 20. Jahrhundert in einer Krise befand.[4] Der Grund für diesen „neuen Liberalismus“ liegt im damals sich verändernden Zeitgeist, der von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise[5] sowie nationalistischen Tendenzen und staatlichen Lenkungen begründet wurde.[6]

Auf dieses „offensichtliche Scheitern des Wirtschaftsliberalismus reagierte der neue Liberalismus“[7] und konstituierte sich im Rahmen des Colloque Walter Lippmann 1939 in Paris unter Beteiligung zahlreicher gelehrter Personen, wie u.a. Friedrich August von Hayek, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke der erstmalig so genannte Neoliberalismus.[8]

Die Neoliberalen brechen mit dem alten Liberalismus insbesondere hinsichtlich seines Prinzips des Laissez-faire. Von Hayek, einer der maßgeblichen Antreiber des Neoliberalismus konstatiert, „das Funktionieren des Wettbewerbs setzt nicht nur eine zweckmäßige Organisation bestimmter Institutionen des Geldes, der Märkte und der Informationsquellen voraus […], sondern es hängt vor allem an der Existenz eines entsprechen Rechtssystems ab, dass die doppelte Aufgabe hat, den Wettbewerb aufrecht zu erhalten und ihn mit einem Maximum an Nutzen arbeiten zu lassen.“[9] Der Staat scheint damit gegenüber dem Laissez-faire-Modell ein Mehr an Kompetenzen zu besitzen, die Grenzen bleiben jedoch eng gesteckt. Demnach hat der Staat dafür zu sorgen, dass der marktwirtschaftliche Wettbewerb weiterhin garantiert bleibt und Entwicklungen, die dem zuwider laufen, einzudämmen.

Trotz der verschiedenen Strömungen innerhalb des Neoliberalismus selbst, gibt es Prinzipien, die sich grundsätzlich bei alle seinen Spielarten finden lassen.[10] Diese wären u.a.:

- Glauben an die Funktionsfähigkeit des Marktes und die Allokation der knappen Ressourcen durch die „invisible Hand“
- Überlegenheit des Marktes gegenüber dem Staat
- Ablehnung von Eingriffen in den Markt zugunsten sozialer Maßnahmen
- Andere Systeme als Marktwirtschaften enden zwingend in totalitären Zwangsgesellschaften
- Konkurrenzmechanismen sind Lösungsmechanismen
- Freiheit ist instrumentell
- Der Mensch als homo oeconomicus

2.2. Ordoliberalismus

Der Ordoliberalismus ist eine Strömung innerhalb des Neoliberalismus und kann als deutsche Spielart gesehen werden. Seine Wurzeln liegen in der sogenannten „Freiburger Schule“.

Der Name orientiert sich am lateinischen „ordo“ für Ordnung, was die grundsätzliche Richtung dieser neoliberalen Variante anzeigt, da sie im Kern davon ausgeht, dass eine Ökonomie eine solche benötigt.[11] Die Ordnungsliberalen trauen den Kräften des Marktes nicht mehr zu, dass diese in der Lage sind Fehlentwicklungen selber zu beseitigen. Solche, dem Marktgeschehen zuwiderlaufenden Mängel können z.B. Kartelle oder Monopole sein. An dieser Stelle ist eine regulierende staatliche Intervention angezeigt.[12]

Eine genauere Ausführung dieses Ansatzes findet sich bei Walter Eucken, einem der bekanntesten Vertreter des Ordoliberalismus und Mitbegründer der namentlich angelehnten wirtschaftlichen Jahresschrift „ORDO.“ Im Grundsatz grenzt Eucken den Ordoliberalismus zum Liberalismus alter Prägung nicht über eine messbare, also quantitative Staatsaktivität ab, sondern über die qualitative. Demnach ist es wichtiger festzulegen, was der Staat tun darf. Er sagt: „Ob wenig oder mehr Staatstätigkeit– diese Frage geht am wesentlichen vorbei. Es handelt sich nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Problem.“[13] Damit stößt Eucken in eine Lücke zwischen Laissez-faire-Liberalismus und Zentralplanungssozialismus.[14] Während ersterer dem Staat auf einem Markt weder erlaubt die Spielregeln zu gestalten noch Spielzüge zu tätigen und letzterer beides ausdrücklich genehmigt, gesteht der Ordoliberalismus einem Staat die Spielregelgestaltung zu.[15]

Des Weiteren stellt Eucken Prinzipien auf, die ein Grundprinzip, nämlich ein funktionierendes Preissystem, konstituieren (sieben Stück) bzw. regulieren (vier Stück).[16] Die konstituierenden Prinzipien ermöglichen die wettbewerbliche Ordnung, die regulierenden erhalten sie.

Zu den konstituierenden Prinzipien gehört neben dem funktionierenden Preissystem:

- Das Primat der Währungspolitik

Stabile Währungen verhindern verzerrte Marktpreise. Insbesondere vor dem Hintergrund der Inflation zu sehen.

- Privateigentum

Bildet den Anreiz zum Wirtschaften, ebenso wie umgekehrt die Möglichkeit am Eigentum von Produktionsmitteln.

- Haftung

Verpflichtet Akteure, Verträge einzuhalten. Wirkt vertrauensbildend und vorbeugend.

- Konstanz der Wirtschaftspolitik

Kontinuität in der Wirtschaftspolitik sorgt für Vertrauen und politische Sicherheit.

- Vertragsfreiheit

Bedingung für wirtschaftliches Handeln. Darf nicht in dem Sinne genutzt werden, die Wettbewerbsordnung zu torpedieren.

- Offene Märkte

Abschottungen von Märkten (Bsp. Monopole) durch Unternehmen sollen verhindert werden.

Regulierende Prinzipien:

- Monopolkontrolle

Monopolaufsichten sollen Marktkonzentrationen und damit Machtmissbrauch verhindern.

- Einkommenspolitik

Soll im engbegrenzten Rahmen u.a. über Steuerprogression stattfinden, ohne das so jedoch Investitionen verhindert werden.

- Wirtschaftsrechnung

Können die Kosten wirtschaftlichen Handeln nicht internalisiert werden, bedarf es der Korrektur.

- Anomales Verhalten des Angebots

Gegensteuern bei Marktanomalien, bzw. bei stark fallenden Löhnen das Setzen eines Mindestlohns. I.d.R. regelt der Markt jedoch Schwankungen selbst.

Der Staat als ordnende Macht über den Markt, der alles weitere regelt, so ließe sich eine prägnante Kurzzusammenfassung des Ordoliberalismus verstehen. Im für den Ordoliberalismus relevanten deutschen Raum waren neben Walter Eucken, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke oder Franz Böhm.

3. Das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft nach Müller-Armack

Die Schwierigkeit, das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft zu fassen, liegt am Fehlen einer allgemeingültigen Definition. So macht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zwar zahlreiche Aussagen über die Konstitution und Ausgestaltung der Staatsform und der Organe, bei der Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung ist es jedoch weit weniger genau. Hans-Jürgen Papier hält hierfür fest, dass sich das Grundgesetz einerseits durch „seine grundsätzliche wirtschaftspolitische Neutralität“[17] auszeichnet und andererseits „eine Reihe relevanter wirtschaftsverfassungsrechtlicher Grundaussagen […], insbesondere im Bereich grundrechtlicher Bindungen“[18] trifft, die als Vorgaben eingehalten werden müssen. Dies betrifft hauptsächlich die unter den Grundrechten subsumierten Artikel. Hierunter fallen u.a. Artikel 14 GG, der das Privateigentum schützt, Artikel 12 Abs. 1, der die freie Arbeits- und Berufswahl garantiert oder aber Artikel 9, der u.a. ausdrücklich die Gründung von Gesellschaften erlaubt, was wirtschaftliches Handeln als Unternehmung ermöglicht.

Artikel 20, der zur Gruppe der Artikel über die Regelung der Beziehung zwischen Bund und Ländern gehört, legt fest, dass „die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“[19] ist. Hier verbirgt sich ein Teil des „Weimarer Sozialstaatspostulats“[20], das aber bewusst weitaus vager gehalten ist, um sich nicht im Vorfeld des beginnenden Wiederaufbaus des noch jungen Staats an eine bestimmte Wirtschaftspolitik gebunden zu haben.

Das Grundgesetz legt demnach zwar keine Wirtschaftsordnung fest, dürfte aber durch die darin verankerten zahlreichen Freiheiten, den Weg zu einer restriktiv orientierten verbauen. Demgegenüber ebnet es aber auch den Weg für eine Marktwirtschaft, weil private Initiativen (und somit Unternehmen) ermöglicht werden und schafft gleichzeitig eine Leerstelle für die noch zu definierende Ausgestaltung des „sozialen“ Bundesstaats. Es kann also festgestellt werden, dass das Grundgesetz allenfalls eine maximal grobe Richtung bezogen auf Wirtschaftspolitik festlegt. Es muss daher geklärt werden, wie und unter welchen Umständen die soziale Marktwirtschaft, als sogenannter Dritter Weg in „Abgrenzung vom Sozialismus auf der einen Seite und der freien Marktwirtschaft auf der anderen“[21] implementiert, welche Personen eine tragende Rolle innehatten und wie sie ausgestaltet wurde.

3.1. Die historische Genese

Die beiden zentralen und prägenden Figuren, die mit der Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft assoziiert werden, sind Ludwig Erhard einerseits und Alfred Müller-Armack anderseits. Ludwig Erhard, erst von 1949 bis 1963 Bundeswirtschaftsminister und im Anschluss als Nachfolger Konrad Adenauers von 1963 bis 1966 Bundeskanzler, gilt gemeinhin als einer der „Väter“ der Sozialen Marktwirtschaft und des in der Nachkriegszeit einsetzenden „Wirtschaftswunders“, in Zuge dessen der Wiederaufbau Deutschlands sowie der Industrie erfolgten und breite Teile der Bevölkerung am wachsenden Wohlstand partizipierten.

Daneben ist es Alfred Müller-Armack, der den maßgeblichen Beitrag leistete. Als Ökonom und Professor wurde er von - Erhard berufen - ab 1952 als Leiter der Abteilung I im Bundeswirtschaftsministerium zuständig für den Bereich der Wirtschaftspolitik und war wie dieser Christdemokrat.[22] Müller-Armack ist mit seinen Schriften der Urheber des Namens sowie der Idee von der Sozialen Marktwirtschaft.

Um die Entstehungsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft zu verstehen ist es notwendig, die historische Ausgangslage zu analysieren, Für Deutschland bildete das Jahr 1945, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Zäsur auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, aber keine „Stunde Null.“[23] Vielmehr handelte es sich zwar um einen Neustart in vielen Bereichen, so wie auch der Wirtschaft, aber dieser basierte zum einen auf bestehender Wirtschaftsinfrastruktur und zum anderen auf den auch ideengeschichtlichen Gedankengut und den Erfahrungen bzw. Lehren aus den letzten Jahrzehnten. Wobei keine Einigkeit bezüglich des einzuschlagendes Wegs herrschte, sondern sich die wirtschaftspolitische Ausrichtung erst allmählich abzeichnete.

Der Zustand der Wirtschaft in der Nachkriegszeit stabilisierte sich innerhalb weniger Jahre recht schnell in Relation zum Vorkriegsniveau. Nimmt man das Jahr 1936 als Maßstab der industriellen Leistung, so normalisierte sich diese sukzessive von 37% im Jahr 1946 auf 80% schon drei Jahre später im Jahr 1949 innerhalb der drei deutschen Sektoren, die unter westlicher Besatzung standen.[24] Dies war auch deshalb möglich, weil das industrielle Vermögen, anders als oftmals vermutet, insgesamt deutlich unbeschadeter aus dem Krieg hervorging und sich die Angriffe der Alliierten zu großen Teilen auf infrastrukturelle Sektoren wie Brücken, (Eisenbahn-)Trassen oder Häfen konzentrierte.[25] Auch wenn dagegen Reparationsleistungen, Demontagen oder die zerklüfteten Wirtschaftszonen des deutschen Gebiets stark erschwerend wirkten.[26] Daneben profitierte die damalige Wirtschaft jedoch von den vorhandenen und gut ausgebildeten Arbeitskräften, die aus den vorwiegend ostdeutschen Gebieten flohen.[27] Als wichtiger Produktionsfaktor standen diese Menschen somit unmittelbar zur Verfügung und mussten nicht erst ausgebildet werden, was Jahre in Anspruch genommen hätte.

Neben den Produktionsfaktoren, die demnach großteils konstant zur Verfügung standen, markiert das Ende des Krieges auch das Ende der Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten und damit die Notwendigkeit für die den Beginn nach einer neuen Programmatik, war doch die alte sichtbar gescheitert. Die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung war von starken staatlichen Eingriffen und Antiliberalismus geprägt und folgte dem Ziel, sich die Wirtschaft den eigenen Zielen (z.B. Lösen der Beschäftigungsprobleme, Kriegsvorbereitung) nützlich zu machen.[28] Dies hatte zur Folge, dass die Maßgaben der Wirtschaftspolitik, die u.a. im 25-Punkte-Programm[29] festgeschrieben wurden, in sich nicht stimmig waren, da sie mehr einem Wahlprogramm, denn einer realpolitischen Wirtschaftslenkung glichen. Karl Hardach resümiert, dass die darin festgehaltenen Punkte, wie die „Verstaatlichung aller Trusts“, „Brechung der Zinsknechtschaft“, die oder die „Gewinnbeteiligung an Großbetrieben“ eher an einen „Wunschzettel an den Weihnachtsmann“[30] erinnerten. Dem nationalsozialistischen Regime wurde deshalb retrospektiv das Vorhandensein einer klaren, stringenten und realistischen Strategie zur Wirtschaftslenkung vielfach abgesprochen. An dieser Stelle sei festgestellt, dass die Wirtschaftsform während der Diktatur der Nationalsozialisten durch die forcierte Zentralisierung, die starke staatliche Involvierung mit eigenen Wirtschaftstätigkeiten und die Kontrollen über bspw. Preise, Gewinne und den Außenhandel, treffend mit dem Ausdruck der „Befehlswirtschaft“[31] bezeichnet werden kann. Diese diente primär dem Zweck, die eigenen gesellschaftspolitischen Ziele zu erreichen.

In der Folge standen sich in der Nachkriegszeit auf der Suche nach einer nachfolgenden Wirtschaftsordnung vor allem zwei Lager gegenüber. Zum einen das derjenigen, die eine marktwirtschaftliche Ordnung präferierten und die, die eine Planwirtschaft installieren wollten. Betrachtet man die Programme der Parteien, so ergibt sich ein Bild, dass insbesondere der Sozialismus im damaligen Zeitgeist „zur Massensehnsucht“[32] geworden war. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher wetterte gegen Herrschaft, die sich auf Besitz gründe und die Partei stellte wirtschaftliche Leitsätze zusammen, die sie unter den Begriff des „Freiheitlichen Sozialismus“ fasste.[33] Auch die CDU war damals dem „planvollen Lenken der Wirtschaft“[34] nicht abgeneigt. Die Stimmung innerhalb der Partien muss vor allem vor der damals gegenwärtigen Lage der Menschen in den ersten Nachkriegsjahren betrachtet werden. Lebensmittel, Kleidung und Rohstoffe waren knapp, dem folgten harte Winter und Ernteausfälle. Diese schwierigen Lebensbedingungen waren gepaart mit den zwangsläufigen Konsequenzen des Kriegs. Die Flucht von Menschen aus den Ostgebieten, grassierende Krankheiten, traumatisierte und verwundete Heimkehrer sowie das Bewusstsein eines verlorenen zerstörerischen Krieges. Unter diesen Bedingungen musste sich die Gesellschaft erst einmal wiederfinden und es ist daher nicht verwunderlich, dass sich dies über den Wunsch eines gemeinschaftlich orientierten Konzepts kanalisierte. Die Parteien waren es, die diesen anscheinend tief verwurzelten Wunsch innerhalb der Bevölkerung über ihre Programme äußerten und gleichzeitig Stimmung gegen markwirtschaftliche Konzepte machten.[35] In den ersten Jahren entwickelte die CDU das Neheim-Hüstener Programm und einige Zeit später das Ahlener Programm, u.a. unter Beteiligung von Konrad Adenauer. Diese beiden Grundsatzpapiere bevorzugen gemäß ihren Aussagen ganz eindeutig eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“[36] in einer Zeit, in der „der Kapitalismus vorbei ist “[37] und der „private Kapitalismus durch einen Staatskapitalismus ersetz wird.“[38] Es entstanden Forderungen, wie die Entflechtung von Konzernen, Beteiligung von Arbeitnehmern, Anti-Kartellgesetze oder die Verstaatlichung wichtiger Industrien.[39]

Dem gegenüber standen jedoch auch Positionen, die sich gegen den damaligen Zeitgeist des „Kollektivismus“ zur Wehr setzten. Diese formierten sich insbesondere aus dem Milieu der Ordoliberalen, um u.a. Ludwig Erhard, Walter Eucken, Leonard Miksch oder Alfred Müller-Armack.[40] Ralf Ptak hielt hierfür fest, dass „in der unmittelbaren Nachkriegszeit […] diese antisozialistische Grundhaltung zum Kernpunkt der ordoliberalen Formierung werden“[41] die mit unerbittlicher Härte zwischen den Fronten verlief und „dabei eine eigentümliche Gemengelage aus politisch-ideologischer Propaganda und wirtschaftsliberaler Kritik“[42] entstand.

Letztendlich wurden zur ersten Bundestagswahl 1949 die Düsseldorfer Leitsätze von der CDU verabschiedet. Diese markieren den Wendepunkt, weg von den bisherigen Programmen, die in eine sozialistische Richtung neigten, hin zu einer marktwirtschaftlichen Orientierung. Ebenfalls nehmen die Leitsätze auch explizit Bezug auf den Terminus der „Sozialen Marktwirtschaft.“[43] Darin heißt es u.a. „die „Soziale Marktwirtschaft" verzichtet auf Planung und Lenkung von Produktion, Arbeitskraft und Absatz. Sie bejaht jedoch die planvolle Beeinflussung der Wirtschaft mit den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik auf Grund einer elastischen Anpassung an die Marktbeobachtung.“[44] Die Formulierung ist eine Absage an sozialistische Gedankenspieler auf der einen und rein marktwirtschaftlichen auf der anderen Seite.

Dem wirtschaftspolitischen Umschwung ging die westdeutsche Währungsreform im Juni des Jahres 1948 voraus. Die Einführung der Deutschen Mark stellt einen wichtigen Schritt in Richtung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus dar. Insbesondere stellt die Reform einen psychologischen Effekt dar, den Abelshauser „Schaufenstereffekt“[45] nennt. Denn die neue Währung stellte das Vertrauen stabilen Geldes her, das gegenseitiges Wirtschaften ohne Schwarzmärkte nun ermöglichte. Als Beispiel wird hierfür oft das Bild der „über Nacht gefüllten Schaufenster“ bemüht, das verdeutlichen soll, wie plötzlich von der Einführung der neuen Währung aus ein Impuls ausgesandt wurde. In Zuge dessen wurden durch die neue Nachfrage auch Anreize an die Produktion geschaffen, die nun abrupt anstieg.

Für die Währungsreform zeichnete sich die „Sonderstelle Geld und Kredit“ unter dem Vorsitz von Ludwig Erhard verantwortlich. Unter seine Zuständigkeit fiel ebenso das kurz danach beschlossene „Leitsätzegesetz“, das maßgeblich von Leonhard Miksch verfasst wurde, einem Anhänger der ordoliberalen Schule. Damit entfielen im Konsumgütersektor die Preisvorgaben für zahlreiche Produkte und eine freie Preisbildung auf dem Markt wurde ermöglicht. Lediglich für einige neuralgische Bereiche, so wie Nahrungsmittel, Treibstoffe, Mieten und einige industrielle Schlüsselprodukte blieb die Preisbindung bestehen.[46] Die freie Preisfindung über den Markt ist unbestreitbar eines der deutlichsten Zeichen hin zur Implementierung einer marktwirtschaftlichen Grundordnung.[47]

Bei der Ausarbeitung der bereits erwähnten Düsseldorfer Leitsätze für die anstehende Bundestagswahl war auch Erhard teilweise involviert und auch Konrad Adenauer übernahm den deutlich geändert Kurs in der Wirtschaftspolitik.[48] Anschließend wurde die CDU im August 1949 stärkste Kraft, was Adenauer auch als Zustimmung für die proklamierte Soziale Marktwirtschaft wertete.[49] Ludwig Erhard, der für diese Politik stand, wurde daraufhin zum ersten Bundeswirtschaftsminister ernannt.

[...]


[1] Ptak: Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus: ein deutscher Sonderweg., S. 71.

[2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Soziale Marktwirtschaft.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Biebricher: Neoliberalismus., S. 30f.

[5] Vgl. Ptak: Grundlagen des Neoliberalismus., S. 16f.

[6] Vgl. Biebricher: Neoliberalismus., S. 30f.

[7] Ptak: Grundlagen des Neoliberalismus., S. 14.

[8] Vgl. Biebricher: Neoliberalismus., S. 31 – 38.

[9] Hayek: Der Weg der Knechtschaft., S. 60.

[10] Nach Nicoll: Neoliberalismus., S. 16 – 18.

[11] Vgl. Biebricher: Neoliberalismus., S. 38.

[12] Vgl. Biebricher: Neoliberalismus., S. 39.

[13] Eucken: Vorwort. ORDO Band1. S. VII.

[14] Vgl. Pies: Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik., S. 21f.

[15] Vgl. ebd., S. 22.

[16] Vgl. Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. S. 254 – 290.

[17] Papier: Wirtschaftsordnung und Grundgesetz., S. 3.

[18] Ebd.

[19] Art. 20, Abs. 1 GG.

[20] Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. S. 186.

[21] Sturm: Der Dritte Weg., S. 4.

[22] Zündorf: Biografie Alfred Müller-Armack.

[23] Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte., S. 24.

[24] Vgl. Zinn: Soziale Marktwirtschaft., S. 51.

[25] Quaas: Soziale Marktwirtschaft., S. 60.

[26] Vgl. Zinn: Soziale Marktwirtschaft., S. 50.

[27] Vgl. ebd.

[28] Quaas: Soziale Marktwirtschaft., S. 61f.

[29] Vgl. http://www.documentarchiv.de/wr/1920/nsdap-programm.html, Abgerufen am 15.01.2017.

[30] Hardach: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. S. 65.

[31] Vgl. Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte., S. 87.

[32] Wünsche: Die Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft., S. 67.

[33] Ebd., S. 68.

[34] Ebd., S. 69.

[35] Vgl. ebd. S. 66.

[36] Das Ahlener Programm der CDU der britischen Zone vom 3. Februar 1947.

[37] Ebd.

[38] Ebd.

[39] Wünsche: Die Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft., S. 71.

[40] Vgl. Ptak: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft., S. 155.

[41] Ebd., S. 158.

[42] Ebd.

[43] Düsseldorfer Leitsätze der CDU., S.1.

[44] Ebd. S. 2.

[45] Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte., S. 126.

[46] Vgl. Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte., S. 128.

[47] Vgl. Bank.: Die Stunde der Neoliberalen., S. 17f.

[48] Vgl. Klump: Soziale Marktwirtschaft. Geistige Grundlagen, ethischer Anspruch, historische Wurzeln., S. 56.

[49] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Genese und Gegenwart der Sozialen Marktwirtschaft
Untertitel
Eine Betrachtung von Alfred Müller-Armacks Konzeption unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Aspekts
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Ökonomisches Denken im 20. Jahrhundert
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
27
Katalognummer
V358170
ISBN (eBook)
9783668432215
ISBN (Buch)
9783668432222
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, Ludwig Erhard, Deutschland, genese, gegenwart, sozial, marktwirtschaft, liberalismus, keynes, hayek, neoliberalismus, kommunismus, bundesrepublik, weltkrieg, wohlfahrtsstaat, köln, csu, cdu, vwl, wirtschaftsgeschichte, liberal, müller-armack, volkwirtschaftslehre, bwl, sozialwissenschaften, wirtschaftsdidaktik
Arbeit zitieren
Andreas J. Moj (Autor:in), 2017, Genese und Gegenwart der Sozialen Marktwirtschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358170

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