Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Proömium und der aktuelle Forschungsstand
3. Das Vergangenheitsverständnis im antiken Griechenland
3.1. Die Bedeutung der Wirtschaft
3.2. Die Bedeutung der verschiedenen Wirtschaftszweige
4. Schluss und Fazit
5. Quellenverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Thukydides 'von Athen hat den Krieg der Peloponnesier undAthener(...) aufgezeichnet. (,..)Denn was davor war und nochfrüher, das war zwar wegen der Länge der Zeit unmöglich genau zu erforschen; aber aus Zeichen, die sich mir bei der Prüfung im großen ganzen als 'verläßlich erwiesen, glaube ich, daß es nicht erheblich war, weder in Kriegen noch sonst.”1
Mit diesen Worten leitete der antike, griechische Historiker Thukydides (vor 432 - ca. 400 v. Chr.)2 sein Geschichtswerk über den Peloponnesischen Krieg (431 - 404 v. Chr.)3 ein. In diesem Konflikt standen sich die beiden griechischen Großmächte Athen und Sparta mit ihren jeweiligen Bündnispartnern gegenüber.4 Thukydides machte bereits zu Beginn seines Werkes deutlich, dass der Konflikt der größte aller Zeiten werden würde.5 Diese hochtrabende Einleitung alleine wäre von vielen Lesern und im Besonderen von nachfolgenden Historikern als eine Übertreibung interpretiert worden, mit welcher das Werk die Aufmerksamkeit des Lesers erhaschen sollte. Die nachfolgenden Textausführungen wären daher folgerichtig ebenfalls als übertrieben und unwahr bewertet worden. Ähnliche Ansätze einer übertriebenen Darstellung ließen sich in anderen Werken der Antike finden und bestärkten den Leser zusätzlich in diesem Gedankengang.6 Eine übertriebene Darstellung könnte einerseits auf die Absichten der Autoren und die Art des Werkes zurückgeführt werden. Dichtem wurde durchaus zugebilligt ihre Werke auszuschmücken, um das Publikum zu unterhalten. Andererseits könnte es auch vom Unvermögen der antiken Schriftsteller herrühren, vergangene Ereignisse unverfälscht zu rekonstruieren. Sie waren bei ihrer Quellenrecherche auf die besagten Dichtungen sowie schwierig nachzuprüfende Berichte beschränkt.
Dieser Problematik, der Rekonstruktion der Vergangenheit, widmete sich Thukydides ausführlich in seinem Proömium. Diese Seminararbeit wird daher das Proömium des Werkes auf die wirtschaftsbasierenden Ansätze der Vergangenheitsrekonstruktion hin untersuchen. Hierfür werden die verschiedenen Wirtschaftsbereiche und ihre Gewichtung analysiert. Schlussendlich wird aus diesen Ausführungen ein Fazit gezogen.
2. Das Proömium und der aktuelle Forschungsstand
Thukydides eröffnete sein acht Bücher umspannendes Werk mit der These, dass der Peloponnesische Krieg die größte militärische Auseinandersetzung in der bisherigen Menschheitsgeschichte darstellen sollte.7 Der Kernteil des insgesamt 23 Kapitel umfassenden Proömiums war die sogenannte „Archäologie“, welche sich vom zweiten bis zum neunzehnten Kapitel erstreckte.8 In ihr wurden verschiedene Quellen als Beleg für Thukydides‘ Ausgangsthese interpretiert. So zog er auf Basis der homerischen Epen Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Vergangenheit Griechenlands und stellte einen Vergleich zum Trojanischen Krieg her.9 Auch erbrachte er Analogieschlüsse, indem er von zu seiner Zeit gängigen Bräuchen auf die ursprünglichen Beweggründe in der Vergangenheit schloss. Beispielsweise wurde von ihm das alltägliche Waffentragen auf eine räuberische Vergangenheit in Hellas zurückgeführt.10 Anhand dieser Rückschlüsse stellte er weitere Thesen, auch zu wirtschaftlichen Aspekten, auf. Zum Abschluss beschrieb Thukydides die Problematik der Vergangenheitsrekonstruktion und seine hierbei angewendete Methode und schloss das Werk mit einem Vergleich zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg ab.11 Auf die wichtige Rolle der Wirtschaft wird im nächsten Kapitel eingegangen.
Die bisherige Forschung hat sich mit den verschiedensten Aspekten des Proömiums befasst. So wurden unter anderem interessante Arbeiten über den Einsatz von Gnomen, die rhetorische Argumentation, sowie die verfolgte Absicht des Autors verfasst.12 Eine der am häufigsten diskutierten Leitfragen war es ob Thukydides alleine der Überlieferung wegen sein Werk verfasste oder, ob er seine Leser belehren wollte. Auch wurden viele Erkenntnisse über die methodologischen Abschnitte in dem Werk gewonnen. Ebenso konnte die Bedeutung von Thukydides‘ Arbeit für folgende Historiker nachvollzogen werden, welche bis in die Gegenwart spürbar ist.13
3. Das Vergangenheitsverständnis im antiken Griechenland
Die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Frage, wie Thukydides die antike Wirtschaft zur Rekonstruktion der Vergangenheit nutzte. Zu Beginn wird die Bedeutung der Wirtschaft für die Begründung der Ausgangsthese analysiert. In der Folge wird die Gewichtung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche der Antike für Thukydides‘ Werk begutachtet.
3.1. Die Bedeutung der Wirtschaft
„Thucydides was well aware of the importance of the economicfactor in history. “14
Dies resümierte 1950 der britische Historiker Arnold Gomme und Thukydides beginnt bereits im zweiten Kapitel seine einführende These argumentativ zu untermauern, indem er die bisherige Geschichte der Griechen darlegt.15 Ein gewichtiges Argument für seine These, dass dieser Krieg der größte bisher dagewesene werden müsse, ist hierbei der in der Vorzeit herrschende Mangel an Ressourcen.16 In diesem Zusammenhang beschreibt er die wirtschaftlichen Strukturen vor dem Peloponnesischen Krieg ausführlich.
Er begann seine Begründung mit einer Ausführung über die älteste Geschichte Griechenlands. Die frühen griechischen Regionen wurden von ihm als ein Gebiet mit vielen wandernden Volksgruppen und daraus resultierenden inkonstanten Machtverhältnissen beschrieben. Die Bewohner dieser Zeit betrieben fast ausschließlich landwirtschaftliche Subsistenzwirtschaft, da ertragreiche Ländereien häufig überfallen wurden und den Besitzer wechselten.17 Das Erwirtschaften materieller Überschüsse oder gar die Ansammlung von finanziellen Mitteln war somit kaum möglich. Für Thukydides waren aber gerade diese Ressourcen essenziel für die Durchführung von großen militärischen Feldzügen oder Kriegen.18 Er erläuterte die Problematik von mangelhaften Mitteln am Beispiel des Trojanischen Krieges.19 Nach Thukydides konnte dieser Konflikt nicht annähernd so gewaltig gewesen sein, wie der von ihm zu beschreibende, da es den griechischen Heerführern schlichtweg an den nötigen Ressourcen zur Versorgung einer großen Truppe fehlte.20
Diese Begründung erscheint auf den ersten Blick etwas beliebig gewählt, vor allem, da sie die Ausgangsthese des Thukydides stützte. Jedoch zeigte sich in der bisherigen Menschheitsgeschichte, dass Kriege auch stets ein materielles Kräftemessen darstellten. Ein weiterer Aspekt war für Thukydides, dass sich aufgrund der ständig wechselnden Besitzverhältnisse in den ertragreichen Gebieten und einem stark verbreitetem Räubertum keine mächtigen Herrscher oder Städte herauszubilden vermochten.21 22
Die Bedeutung der Macht wurde in seinem Werk stark hervorgehoben.23 Der Historiker Antonis Tsakmakis resümierte, dass sie bei Thukydides die Hauptbedingung für die Entstehung und den Fortbestand großer Bündnisse darstellte.24 Nachdem er in seinem Proömium wirtschaftliche und andere Aspekte beleuchtete, fasste er einige seiner gemachten Erkenntnisse wie folgt zusammen: teils Athen, teils Sparta, denn diese beiden Städte hoben sich ab als die mächtigsten;...“25
Aus den rivalisierenden Siedlungen hatten sich also zwei von den anderen abgesetzt. Aber wie begründete Thukydides, dass ausgerechnet diese Städte zu den mächtigsten in Griechenland aufstiegen? Er beschrieb eine vergleichbare Entwicklung am Beispiel des Minos, dessen wirtschaftlichen Einnahmen vom Seeraub bedroht waren. Durch die Aufstellung einer militärischen Marine vertrieb dieserjedoch die Seeräuber, welche seine Schifffahrt bedrohten, und sicherte so seine wirtschaftlichen Einkünfte.
„Auch die Seeräuber suchte er natürlich nach Kräften zurückzudrängen, um seine Einkünfte zu verbessern. “26
Minos hatte somit wirtschaftliche Beweggründe, die Piraten zu vertreiben. Zusätzlich sicherte er auf diesem Wege auch seine Machtposition und erweiterte seinen politischen Einfluss. Denn aus den nun zunehmenden finanziellen Handelseinnahmen und
[...]
1 Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges, hrsg. von Bayer, Karl, u.a., übersetzt und erläutert von Landmann, Georg Peter, München 1993:1, 1,1.
2 Ziegler, Konrad (Hrsg.); u.a.: Der Kleine Pauly, in: Lexikon der Antike in fünf Bänden, Band 5, München 1979, S.
792 f.
3 Schulz, Raimund; Brodersen, Kai (Hrsg.): Athen und Sparta. (Geschichte kompakt: Antike), Darmstadt 2003, S. 72.
4 Ebd., S. 72.
5 Thuc: I, 1,1.
6 Vgl.: Homer: Ilias, übertragen von Schadewaldt, Wolfgang. Frankfurt am Main 1988.
7 Thuc: I, 1,1.
8 Tsakmakis, Antonis: Thukydides über die Vergangenheit. (Classica Monacensia: Münchener Studien zur Klassischen Philologie, 11), Tübingen 1995, S. 25; Thuc: I, 2-19.
9 Thuc: I, 3.
10 Thuc: I, 5-6.
11 Lendle, Otto: Einführung in die griechische Geschichtsschreibung. Von Hekataios bis Zosimos, Die Altertumswissenschaft, Darmstadt 1992, S. 75 ff.; Thuc: I, 20-23.
12 Vgl.: Erbse, Hartmut: Thukydides - Interpretationen. (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte, 33), Berlin 1989; Gommel, Jürgen: Rhetorisches Argumentieren bei Thukydides. (Spudasmata: Studien zur klassischen Philologie und ihren Grenzgebieten), Hildesheim 1966; Meister, Claus: Die Gnomik im Geschichtswerk des Thukydides. Keller 1955.
13 Vgl.: Meister, Klaus: Thukydides als Vorbild der Historiker. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2013; Alonso-Núñez, José Miguel: Die Archäologien des Thukydides. (Konstanzer althistorische Vorträge und Forschungen, 45),Konstanz 2000.
14 Diesner, Hans - Joachim: Wirtschaft und Gesellschaft bei Thukydides. Halle 1956, S. 19.
15 Thuc: I, 2-19.
16 Thuc: 1,11.
17 Thuc: I, 2.
18 Alonso - Núñez: Archäologien, S. 28.
19 Thuc: I, 9-11.
20 Thuc: I, 11; Alonso - Núñez: Archäologien, S. 36.
21 Thuc: 1,11,1.
22 Vgl.: Thuc: 1,2.
23 Vgl.: Thuc: I, 9,1, 13,15,18; Erbse: Interpretationen, S. 106 ff.
24 Tsakmakis: Vergangenheit, S. 43.
25 Thuc: I, 18.
26 Thuc: I, 4,2.