Die mit Abstand wichtigste geopolitische Entwicklung des 21. Jahrhunderts dürfte der Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Macht der Welt sein. Diese Transformation hat bereits begonnen und hinterlässt sichtbare Spuren im Mächtegleichgewicht der Staaten. Besonders im Südchinesischen Meer werden die Auswirkungen des chinesischen Aufstiegs in Form von sich zuspitzenden Konflikten immer deutlicher.
Das Südchinesische Meer ist von außerordentlicher sicherheitspolitischer Relevanz, weil es nicht nur eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt ist, sondern auch bedeutende Rohstoffvorkommen birgt, die von vielen angrenzenden Ländern beansprucht werden. Diese Vorkommen können die Rohstoffunabhängigkeit sichern, was nicht nur zu weniger Abhängigkeit führt, sondern vor allem für die Sicherstellung des eigenen Überlebens von strategischem Vorteil ist.
Auch wenn die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer auf den ersten Blick nichts mit den USA zu tun haben, so sind sie doch als Hegemonial- und Schutzmacht der Anrainerstaaten derjenige Akteur, mit dem China um die regionale Vorherrschaft kämpft.
Die USA als Mitspieler im Kampf um die Vormachtstellung im Südchinesischen Meer ist auch durch dessen exponierte geografische Position zu erklären, der amerikanischen Interessenslage in Asien und hauptsächlich durch das sich verändernde Machtgefüge im internationalen System, das die USA als Hegemon zum Einschreiten zwingt.
Schweller attestiert, dass sich das Machtgefüge des internationalen Systems schon begonnen hat, zu Ungunsten der USA zu verändern: „Pax Americana is coming to an end“ (Schweller 2014: 2). Es liegt die andauernde Bedrohung einer kriegerischen Auseinandersetzung in der Asien-Pazifik-Region in der Luft, ob aufgrund des Taiwan-Konfliktes, der koreanischen Halbinsel oder der Territorialstreitigkeiten zwischen China und seinen maritimen Nachbarn. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Zwischenfällen im Südchinesischen Meer, aber erst seit neuestem lässt auch der einzige regionale Hegemon USA seine Muskeln spielen und zeigt verstärkt militärische Präsenz, die eindeutig das aufstrebende China in ihre Schranken verweisen sollen.
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
II. Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
2 Theorie und methodisches Vorgehen
2.1 Auswahl und Begründung der Theoriewahl
2.2 Theorie des Neorealismus
2.3 Offensiver Neorealismus - nach John J. Mearsheimer
2.4 Methodisches Vorgehen und Operationalisierung
2.4.1 Erste zu testende Hypothese
2.4.2 Zweite zu testende Hypothese
3 Analyse des Konflikts zwischen China und den USA
3.1 Geografische Einordnung und Konfliktbeschreibung
3.1.1 Untersuchung der Konflikte im Südchinesischen Meer
3.1.2 Interessenlage und strategische Ausrichtung
3.2 Erster Hypothesentest - Zunahme der Machtressourcen Chinas
3.2.1 Latente Machtfaktoren: Bruttoinlandsprodukt - Bevölkerungszahl - Ausgaben für Forschung und Entwicklung
3.2.2 Effektive Machtfaktoren: Militärausgaben - Militärpersonal
3.2.3 Zwischenfazit des ersten Hypothesentest
3.3 Zweiter Hypothesentest - Eindämmungspolitik der USA ?
3.3.1 Bündnisse und Sicherheitsabkommen der USA
3.3.2 Wirtschaftsabkommen
3.3.3 Ausgaben für Militär- und Polizeihilfe der USA in der Asien-Pazifik Region
3.3.4 Truppenbewegungen der USA
3.3.5 Waffenverkäufe der USA an Kooperationspartner im asiatisch-pazifischen Raum
3.3.6 Außenhandelsbilanz der USA
3.3.7 Zweiter Hypothesentest - Zwischenfazit
4 Fazit
III. Literaturverzeichnis
I. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1. Das Südchinesische Meer
Abbildung 2. Anteil Chinas und der USA am weltweiten GDP in Prozent (kaufkraftbereinigt)
Abbildung 3. Prognostizierte Wachstumsraten des realen GDP für USA und China im Jahr 2014 mit Projektionen bis ins Jahr 2050
Abbildung 4. Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Milliarden US Dollar
Abbildung 5. Bevölkerungszahlen der USA und China (in Millionen)
Abbildung 6. Militärausgaben Chinas und der USA (in Millionen Dollar)
Abbildung 7. Anteil der Militärausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015
Abbildung 8. Truppenstärke (Anzahl des chinesischen und amerikanischen Militärpersonals)
Abbildung 9. Waffenverkäufe der USA an Sicherheitskooperationspartner in der Asien- Pazifik-Region
Abbildung 10. Jährliches US-Handelsdefizit mit China seit dem Jahr 2000 (in Milliarden Dollar)
Tabelle 1. US- Militär- und Polizeihilfe (in Millionen US Dollar)
Tabelle 2. Darstellung der Ergebnisse aus dem zweiten Hypothesentest
II. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführung
Die mit Abstand wichtigste geopolitische Entwicklung des 21. Jahrhunderts wird der Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Macht der Welt sein. Diese Transformation hat bereits begonnen und hinterlässt sichtbare Spuren im Mächtegleichgewicht der Staaten. Besonders im Südchinesischen Meer werden die Auswirkungen des chinesischen Aufstiegs in Form von sich zuspitzenden Konflikten immer deutlicher.
Das Südchinesische Meer ist von außerordentlicher sicherheitspolitischer Relevanz, weil es nicht nur eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt ist, sondern auch bedeutende Rohstoff- vorkommen in sich birgt, die von vielen angrenzenden Ländern beansprucht werden. Diese Vorkommen können die Rohstoffunabhängigkeit sichern, was nicht nur zu weniger Abhän- gigkeit führt, sondern vor allem für die Sicherstellung des eigenen Überlebens von strategi- schem Vorteil ist.
Auch wenn die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer auf den ersten Blick nichts mit den USA zu tun haben, so sind sie doch als Hegemonial- und Schutzmacht der Anrainer- staaten derjenige Akteur, mit dem China um die regionale Vorherrschaft kämpft. Unterstri- chen wird meine Auswahl der Hauptakteure im Konflikt um das Südchinesische Meer bei- spielsweise von Kaplans Aussage “all nine states that touch the South China Sea are more or less arrayed against China and therefore dependent on the US for diplomatic and military support” (ebd. 2011: 82). Die USA als Mitspieler im Kampf um die Vormachtstellung im Südchinesischen Meer ist auch durch dessen exponierte geografische Position zu erklären, der amerikanischen Interessenslage in Asien und hauptsächlich durch das sich verändernde Machtgefüge im internationalen System, das die USA als Hegemon zum Einschreiten zwingt. Schweller attestiert, dass sich das Machtgefüge des internationalen Systems schon begonnen hat, zu Ungunsten der USA zu verändern: „Pax Americana is coming to an end“ (Schweller 2014: 2). Es liegt die andauernde Bedrohung einer kriegerischen Auseinandersetzung in der Asien-Pazifik-Region in der Luft, ob aufgrund des Taiwan-Konfliktes, der koreanischen Halbinsel oder der Territorialstreitigkeiten zwischen China und seinen maritimen Nachbarn. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Zwischenfällen im Südchinesischen Meer, aber erst seit neuestem lässt auch der einzige regionale Hegemon USA seine Muskeln spielen und zeigt verstärkt militärische Präsenz, die eindeutig das aufstrebende China in ihre Schranken verweisen sollen.
Die aktuellen Entwicklungen im Südchinesischen Meer, ausgelöst durch immer weitere In- selaufschüttungen die dem Bau von Häfen und Landebahnen auf Seiten Chinas dienen, führen zu einer angespannten Sicherheitslage, der es besondere Aufmerksamkeit zu schenken gilt. Mit harten Worten hat sich der philippinische Präsident Benigno Aquino III zu dem Gebiets- streit mit China geäußert, indem er die rechtlose Annektierung Chinas mit dem Griff Hitlers nach dem Sudetenland verglich (FAZ1 05.02.2014). Die USA verdeutlichen, wie zuletzt im Oktober 2015 mit der Entsendung der USS Lassen ins Südchinesische Meer, dass sie den Machtspielen Chinas, wenn nötig auch mit militärischer Härte, begegnen werden. Sie haben ein großes Interesse daran, Chinas Aufstieg einzudämmen und ihre Vormachtstellung in Asi- en zu bewahren. Chinas Aufstieg wird von den meisten Realisten als größte langfristige Her- ausforderung amerikanischer Asien-Pazifik-Politik betrachtet (vgl. Wagener 2009).
Die oft rezitierten Prinzipien chinesischer Außenpolitik heben offiziell immer wieder die friedlichen Absichten Chinas hervor, so auch zuletzt Chinas Staatschef Xi Jinping im September 2015, der in seiner Rede die „friedliche Entwicklung“ Chinas betonte (Ger- man.xinhuanet2 03.09.2015).
Sie verfolgen laut ihrem Weißbuch eine „friedliche Entwicklung“, die sich nicht an Rüs- tungswettläufen beteiligt und auf die Vermeidung von „äußeren Konflikten“ abzielt. Laut offiziellem Papier ist die „friedliche Entwicklung“ Chinas eine strategische Wahl der Regie- rung und des Volkes, die in der Tradition der chinesischen Kultur verwurzelt ist. Wang leitet aus Chinas Geschichte aber ab, dass auch sie keine Ausnahme darstellen, wenn es um Groß- machtstreben eines Staates gehe. So schlussfolgert er: “As structural realism would expect, relative power shaped the Ming’s grand strategic choice” (Wang 2015: 71). Als die Ming Dynastie stark war, verfolgten sie eine Expansionspolitik und erst als ihre Macht schwand, eine defensiv ausgerichtete. Der oftmals zitierte Verweis auf eine exponierte friedliche Ver- gangenheit Chinas, die sie von anderen Großmächten der Geschichte abhebt, hat laut Wang einen Mangel an empirischer Unterstützung (ebd.). Diese Beobachtung überschneidet sich mit Mearsheimers Theorie des offensiven Neorealismus, nachdem Staaten versuchen, regionale Hegemonie zu erreichen, um ihr Überleben zu sichern. Mearsheimer fragt somit nicht ohne Grund, warum sich China anders verhalten solle als die Großmächte vor ihnen. China wird versuchen, die Asien-Pazifik-Region zu dominieren und dabei sicherstellen, “ that it is so powerful that no state in Asia has the wherewithal to threaten it“ (Mearsheimer 2010a: 389). Dabei werden sie auch versuchen, die USA aus der Region zu verdrängen, genau wie diese es in der westlichen Hemisphäre mit den Europäern im 19. Jahrhundert gemacht haben (ebd.). Auch Wang sieht die Verteilung von Macht innerhalb des internationalen Systems als Schlüs- selvariable für das Verständnis chinesischer Außenpolitik und nicht ihr historisches oder kul- turelles Erbe (ebd. 2015: 71). Gerade durch den Machtgewinn der letzten Jahre und dem klei- ner werdenden Abstand im “US-China power gap“ habe China ein aggressiveres Verhalten in Territorialstreitigkeiten, so auch im Südchinesischen Meer, an den Tag gelegt (ebd.).
China ist augenscheinlich von seinem einstigen „Pfad der friedlichen Entwicklung“ abgewi- chen und zeigt mit seinem Konfrontationskurs stark expansionistische Züge. Dies führt zu einem unkalkulierbaren Risiko der Kriegsgefahr und macht das Südchinesische Meer zu ei- nem Pulverfass, in dem verschiedenste Interessen und Akteure um ihre Einflusssphären buh- len. Dies gilt es im Folgenden zu analysieren und eine adäquate Erklärung für die aktuellen Ereignisse zu finden. Gerade diese neuste Stufe der Eskalation, die in der bisherigen Literatur noch nicht Untersuchungsgegenstand geworden ist, macht die Forschungsrelevanz dieser Ar- beit aus. Es gibt zwar verschiedene Analysen hinsichtlich des Mehrwerts von Mearsheimers Theorie des offensiven Neorealismus, aber keine der mir bekannten hat es bisher vermocht seine Theorie auf die neuesten Geschehnisse hin anzuwenden und ihre Aussagekraft zu unter- suchen.
Im Theoriekapitel 2.1 soll die Interdependenztheorie als Gegenentwurf zum offensiven Neo- realismus kurz angesprochen werden, um darzustellen, warum die für den vorliegenden Fall gewählte Theorie als am geeignetsten erscheint. Im theoretischen Teil der Arbeit soll dann unter 2.2 auf die Theorie des Neorealismus nach Kenneth Waltz eingegangen werden, der als Begründer des strukturellen Realismus gilt und auf dessen Theorie Mearsheimer seine Theo- rie des offensiven Neorealismus aufbaut. In 2.3 wird dann die Theorie des offensiven Neorea- lismus nach Mearsheimer dargelegt werden. Diese wird stringent bei der Beantwortung der Forschungsfrage angewendet, um einerseits eine bestmögliche Erklärung zur Beantwortung der Forschungsfrage zu liefern und um andererseits die Erklärungskraft der Theorie bestim- men zu können.
Nach einer kurzen Einführung soll in Kapitel 2.4 das methodische Vorgehen und die Operati- onalisierung näher erläutert werden, wobei ein y-zentriertes Forschungsdesign gewählt wurde.
Es wird ein Methodenmix aus Kongruenzmethode und Prozessanalyse zur Beantwortung der Forschungsfrage verwendet, um die zugrundeliegende Theorie auf Übereinstimmungen mit empirischen Beobachtungen hin zu untersuchen und diese anhand der Theorie zu erklären.
Zu Beginn der Fallstudie in Kapitel 3 wird es zu einer geografischen Einordnung kommen, gefolgt von einer Konfliktbeschreibung, welche den Zeitraum von 2010 bis Juni 2016 um- schließt. Dabei werden in Kapitel 3.1.1 alle Konflikte im selben Zeitraum zwischen den USA und China aufgezeigt, um einen Überblick zu erhalten. Darüber hinaus wird die jeweilige In- teressenslage von China und den USA hinsichtlich des Südchinesischen Meeres unter Punkt 3.1.2 dargestellt. Dies soll später helfen in der Untersuchung der Machtressourcen eine Erklä- rung dafür zu finden, warum es gerade Ende 2015 Anfang 2016 zu einer Zunahme der Kon- flikte gekommen ist. Hierbei sollen die Konflikte zeitlich mit der Machtakkumulation Chinas in Relation zur USA in Verbindung gebracht werden. Zwar kam es auch schon vor 2010 zu Territorialstreitigkeiten und anderen Konflikten zwischen China, den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres und den USA, aber gerade die Ausrichtung der Vereinigten Staaten hin nach Asien unter Präsident Obama lässt diesen Zeitraum für besonders relevant erschei- nen. So hat sich Obama in seiner viel beachteten Rede 2011 in Canberra nicht nur als „Ame- rikas erster pazifischer Präsident“ bezeichnet, sondern vor allem einen grundlegenden Strate- giewechsel hin zur Asien-Pazifik-Region vorgenommen3. In der "Asia First" Strategie der USA wurden ihre Ziele klar benannt und darin wurde auch der Konflikt mit China strategisch hervorgehoben. Sie zielt laut Benedikter darauf ab, „den Einfluss Amerikas im Pazifik zu be- wahren und auszubauen, Chinas rasch wachsenden wirtschaftlichen, politischen und kulturel- len Einfluss "einzudämmen" und dazu neue Allianzen zu bilden, gestützt auf militärische Prä- senz und Stärke“ (ebd. 2014: 220). Besondere Hinweise auf das enorme Konfliktpotential im Südchinesischen Meer liefern die im Jahre 2015 zunehmenden militärischen Machtspiele zwi- schen China und den USA. Nachdem die USS Lassen im Oktober 2015 nahe der von China reklamierten Spratly-Inseln patrouillierte, schaukelte sich der schon lang andauernde Konflikt extrem hoch. In einem Gespräch des höchsten Marineadmirals Wu Shengli warnte er seinen US Amtskollegen Admiral John Richardson davor, dass schon der kleinste Zwischenfall einen Krieg auslösen könnte (Guardian4 30.10.2015).
Wie Ikenberry feststellt, hat sich die „alte Ordnung“ in Ostasien mit dem Erstarken Chinas grundlegend verändert (ebd. 2014: 42). Konnte man bisher von einer „teilweise hegemonialen” Ordnung sprechen, so bezeichnet Ikenberry die aktuelle Ordnung des Machtgefüges als “more multipolar and shaped by balance of power impulses“ (ebd.). Seiner Meinung nach befindet sich die Region also in einer Transformationsphase hin zu einer neuen, noch nicht zu bezeichnenden Ordnung, welche weitreichende Konsequenzen für die strategische Ausrichtung und die globale Position der USA haben wird (ebd.).
Im Hauptteil der Analyse soll genau diese Veränderung des Machtgefüges der beiden Hauptprotagonisten China und USA im Südchinesischen Meer herausgestellt und analysiert werden. Die Untersuchung zielt darauf ab, folgende Frage beantworten zu können:
Kann man das sich verändernde Machtgefüge zwischen China und den USA anhand der ausgewählten Indikatoren messbar machen? Trifft dies so zu, stellt sich die Frage, inwiefern die Theorie des offensiven Neorealismus nach Mearsheimer eine adäquate Antwort darauf liefern kann, warum es zur Zunahme von Konflikten zwischen China und den USA gekommen ist. Die erste zu untersuchende Hypothese lautet:
H1: Je stärker China wird, desto häufiger kommt es in Folge der Machtverschiebungen in der Region des Südchinesischen Meeres zu Konflikten mit den USA.
Dafür sollen die Indikatoren I) latente Macht (Bruttoinlandsprodukt; Bevölkerungszahl; Ausgaben für Forschung und Entwicklung) in 3.2.2 sowie II) effektive Macht (Militärausgaben; Militärpersonal) in 3.2.3 zur Operationalisierung der Machtfähigkeiten herangezogen und in Relation zueinander gesetzt werden, sowie zeitlich mit den Konflikten im Südchinesischen Meer zwischen China und den USA abgeglichen werden.
Die zweite zu testende Hypothese geht der Frage nach, ob die USA eine Eindämmungspolitik gegenüber China betreiben. Dies wäre nach Mearsheimers Theorie für die Vereinigten Staaten die logische Konsequenz, um den Regionalmachtambitionen Chinas zu begegnen (vgl. ebd.
2013). Das Resultat aus der Gegenmachtbildung wird ein verstärkter Sicherheitswettbewerb sein, der nach Mearsheimer ein beträchtliches Potential für Krieg in sich birgt. (vgl.ebd. 2013). Die zweite zu untersuchende Hypothese lautet:
H2: Je mehr die USA versuchen China einzudämmen, desto häufiger kommt es zu Konflikten im Südchinesischen Meer.
In Kapitel 3.3 wird der zweite Hypothesentest durchgeführt. Anhand der Indikatoren sollen im Zeitraum 2010 bis 2016 die Bündnisse und Sicherheitsabkommen der USA (3.3.1) dahin- gehend untersucht werden, ob sie ihre Sicherheitskooperation in der Asien-Pazifik-Region ausgebaut haben. Danach werden in 3.3.2 die Wirtschaftsabkommen genauer beleuchtet, die ebenfalls als eine Art ökonomische Eindämmungspolitik genutzt werden können. In 3.3.3 wird untersucht, ob die Ausgaben für Militär- und Polizeihilfe der USA in der Asien-Pazifik- Region erhöht wurden. Sollte das belegt werden, so würde es einen erheblichen Eingriff ins Mächtegleichgewicht darstellen, wenn die USA größere Summen an mit China im Territorial- streit stehende Staaten vergibt. Inwiefern eine Truppenverlegung seit der Neuausrichtung Obamas hin nach Asien stattgefunden hat, soll in 3.3.4 untersucht werden. In Kapitel 3.3.5 werden die Waffenverkäufe der USA an Kooperationspartner im asiatisch-pazifischen Raum näher untersucht, was als Zeichen einer forcierten Aufrüstung seitens der USA gewertet wer- den kann. Schlussendlich soll noch unter Punkt 3.3.6 die Außenhandelsbilanz der USA näher beleuchtet werden, inwiefern China relative Gewinne auf Kosten der USA im Untersuchungs- zeitraum generiert hat.
Kann die Theorie des offensiven Neorealismus die Zunahme der Konflikte im Südchinesi- schen Meer erklären? Wo liegen ihre Stärken und wo ihre Schwächen? Dies scheint von er- heblicher Relevanz für zukünftige Forschungsprojekte, die in eine ähnliche Richtung gehen, um den Wert der Theorie bestimmen zu können und ihre Grenzen aufzuzeigen. Die unter An- nahme der Theorie des offensiven Neorealismus erstellten Hypothesen sollen letztendlich mithilfe der vorangegangenen Operationalisierung im Schlusskapitel verifiziert oder falsifi- ziert werden können, nach denen davon ausgegangen wird, dass eine Zunahme der Konflikte in 2015 bedingt wird, durch die Machtakkumulation Chinas und einer einsetzenden Eindäm- mungspolitik von Seiten der USA. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse soll noch einmal ein genaues Bild von der Erklärungskraft der Theorie zeichnen. Dabei sollen auch die vermu- teten Schwächen besondere Beachtung finden, da sie einen erheblichen Mehrwert für weitere Forschungsarbeiten bilden.
2 Theorie und methodisches Vorgehen
Theorien sind kein Spiegelbild der Realität. Sie sind Instrumente, die benutzt werden, um einen Teil der Realität/Wirklichkeit zu erklären (Masala 2010: 56). Die meisten Theorien sind nicht in der Lage dazu, eine Ursache-Wirkung zu identifizieren, weil sie viel zu viele unterschiedliche Variablen mit einfließen lassen, die zwar immer mehr Erklärungen für die scheinbare Ursache-Wirkungsbeziehung aufweisen, im Endeffekt aber nicht mehr in der Lage sind, diese genau zu bestimmen. Die Theorie des offensiven Neorealismus versucht weitestgehend die Anzahl der Variablen zu begrenzen, die als Erklärungshilfe für einen zu untersuchenden Problemfall herangezogen werden. In ihrer Einfachheit macht sie sich zwar angreifbar, aber gerade darin liegt für mich auch ihr größter Vorteil.
Im nachfolgenden Kapitel soll zuerst einmal dargelegt werden, warum die Theorie des offensiven Neorealismus als Grundlage zur Untersuchung der Forschungsfrage herangezogen wird. Dazu wird die Interdependenztheorie als mögliche Erklärungsalternative kurz beleuchtet. Danach wird die Theorie des Neorealismus in 2.2 vorgestellt, welche als Vorreiter zu Mearsheimers Entwicklung des offensiven Neorealismus gilt. In Kapitele 2.3. wird Mearsheimers offensiver Neorealismus zu Waltz defensivem Neorealismus abgegrenzt und die wichtigsten Aussagen Mearsheimers zusammengefasst, welche die theoretische Grundlage meiner Arbeit bilden. Zuletzt kommt es dann in Kapitel 2.4 zur Darlegung der Methodenwahl und zu einer ausführlichen Operationalisierung der aufgestellten Hypothesen.
2.1 Auswahl und Begründung der Theoriewahl
Die zur Erklärung der Forschungsfrage herangezogene Theorie geht auf Mearsheimers offensiven Neorealismus zurück. Die Analyse von outcomes steht dabei im Mittelpunkt dieser Arbeit. Diese sind auf Konstellationen des Internationalen Systems zurückzuführen und nicht als Ergebnis einer bewusst betriebenen Politik von Seiten des Staates zu verstehen (Masala 2010). Diese systemischen Zwänge gilt es zu identifizieren. Das Innenleben des Staates spielt hierbei keine große Rolle und wird größtenteils als Black-Box behandelt.
Die Interdependenztheorie soll als Gegenentwurf zum offensiven Neorealismus kurz ange- sprochen werden, um ihre geringe Erklärungskraft für den hier vorliegenden Fall darzustellen und meine Theorieauswahl zu untermauern. Zwar kann es auch für sie keinen Anspruch auf Wahrheit im Sinne Poppers geben, aber so kann doch davon ausgegangen werden, dass sie am ehesten dazu geeignet scheint, eine Annäherung an die Realität herbeizuführen. Es wird dabei der Anspruch auf Vollständigkeit aufgegeben, um im Gegenzug, einem vereinfachten Abbild der Realität näher zu kommen.
Im Hinblick auf den rasanten und enormen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas läge es nahe, den verschiedenen Ausprägungen der Liberalismus Theorien besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Gerade aber für die Suche nach Erklärungen für ein konfliktgeladenes Verhalten einiger Staaten - im Besonderen hier die USA und China - erweist sich meiner Ansicht nach dieser Theoriestrang als wenig gewinnbringend. Ausprägungen wie beispielsweise die Inter- dependenztheorie nach Robert O. Keohane und Joseph Nye würden davon ausgehen, dass es nicht zu Konflikten zwischen Staaten kommt, weil sie sich in ein gegenseitiges Abhängig- keitsverhältnis begeben haben, in dem sie aus ökonomischen Gründen miteinander kooperie- ren. Dies ist auch zweifelsohne zwischen China und den USA der Fall. Sie relativieren aber die Rolle des Staates in ihren Analysen und schenken nichtstaatlichen Akteuren besondere Aufmerksamkeit, die sie als Mitgestalter der Internationalen Beziehungen ansehen. Genau dies ist aber nicht gewinnbringend bei der Untersuchung zwischenstaatlicher Konflikte wie im Südchinesischem Meer. Ökonomische Interdependenz kann das Risiko eines Konfliktes viel- leicht mindern, aber bestimmt nicht verhindern. Als Totschlagsargument gegen die neolibera- le Theorie kann das folgende Zitat von Mearsheimer angesehen werden, der sagt: „if you do not survive, you cannot prosper“ (Mearsheimer 2015).
China hat im April 2005 ein Anti-Sezessionsgesetz gebilligt. Dies erlaubt einen Angriff auf Taiwan, falls sich das Land für unabhängig erklären sollte. Der Spiegel schreibt: „Staatspräsi- dent Hu Jintao rief die Streitkräfte auf, sich auf einen Krieg vorzubereiten“ (SPON5 14.03.2005). In dem Gesetz wird klargemacht, dass China „nicht-friedliche Mittel und andere notwendige Maßnahmen" ergreifen werde für den Fall, dass Taiwan sich abspaltet (ebd.).
Hieraus geht eindeutig hervor, dass selbst wenn sehr hohe ökonomische Kosten bei einem Krieg zwischen China und Taiwan - das auch noch militärisch mit den USA kooperiert - anfallen würden, sie letztendlich trotz alledem eine militärische Lösung suchen würden.
Genauso wenig hilfreich bei der Bewältigung des Konflikts wären Institutionen, wie einige neoliberale Institutionalismus Anhänger behaupten würden. Die Regeln der Charta der Ver- einten Nationen würden nur solange Geltungsrecht besitzen, wie sie im Interesse der Groß- mächte sind. Mearsheimer meint dazu: „great powers do not obey the rules when they do not think it´s in their interest“ (ebd. 2015). Sobald ihre Kerninteressen, wie beispielsweise die „Ein China Politik“ auf dem Spiel stehen, werden sie internationales Recht verletzen. Die Grundsätze des Neoliberalismus, der einst von den USA ausgegangen ist und weltweit etab- liert wurde, werden auch oftmals von ihnen selbst ignoriert. Die USA setzen sich genauso wie andere Staaten die ihren eigenen Vorteil suchen, über zuvor implementierte Regeln des staat- lichen Miteinanders hinweg und negieren internationales Recht. Die Einhaltung von Regeln ist bei zwischenstaatlicher Kooperation aber das Nonplusultra und somit Grundpfeiler libera- ler Theorien. Sicher finden sich noch unzählige weitere Beispiele die für und gegen den of- fensiven Neorealismus sprechen. In der nachfolgenden Untersuchung in Kapitel 3 soll deshalb geklärt werden, wie groß seine Erklärungskraft für den hier vorliegenden Fall ist und welche Schwachstellen er besitzt.
2.2 Theorie des Neorealismus
Im folgenden Abschnitt soll ein grobes Bild des Neorealismus gezeichnet werden. Dieser bildet die Grundlage für die Weiterentwicklung des Theoriestrangs durch Mearsheimer und ist somit essentiell für das Verständnis der hier zu Grunde liegenden Theorie.
Es werden ausschließlich Kausalbeziehungen des third image als Untersuchungsgegenstand herangezogen. Das Innenleben des Staates ist für den Neorealismus irrelevant. Er geht davon aus, dass je weniger Variablen zur Untersuchung herangezogen werden, desto besser sei die allgemeine Erklärungskraft seiner Theorie.
Der Neorealismus geht hervor aus der Theorie des Realismus und übernimmt von ihr sein pessimistisches Weltbild. In diesem ist die Beziehung zwischen Staaten durch den Zustand der Anarchie gekennzeichnet und nicht durch ein Herrschaftsverhältnis. Dies bedeutet, dass es keine übergeordnete Ordnungsinstanz gibt, die beispielsweise für Gerechtigkeit oder Frieden sorgt. Im internationalen System gibt es keine Sicherheitsgarantie für das Überleben von Staa- ten.
“Among states the state of nature is a state of war“ (Waltz 1979: 102 ff. zit. in: Waltz 1990: 290f.).
Deswegen dominiert der Selbsterhaltungstrieb der Staaten, in deren Mittelpunkt die Sicherung ihres Überlebens steht. Die Sicherung des Überlebens stellt die Basis allen staatlichen Han- delns da nach Waltz. Aus der ökonomischen Theorie her leitet er ab, dass Staaten immer mehr vom Gut „Sicherheit“ wollen sowie ökonomische Einheiten nach immer höheren Gewinnen streben (Vogt 1999: 45).
Da niemand für das Überleben Sorge trägt, ist das Selbsthilfeprinzip “necessarily the princip- le of action in an anrchic order“ (Waltz 1979: 102 ff. zit. in: Waltz 1990: 290f.). Es ist nicht möglich, das Prinzip der Selbsthilfe zu überwinden. Wer dies nicht anerkennt und die aus der Struktur des internationalen Systems her abgeleiteten Handlungsimperative für Staaten ne- giert, muss damit rechnen, dass die Staaten „erobert, geteilt oder beherrscht werden, also auf- hören zu existieren“ (Weede 1989: 256). Aus diesem Grund ist Kooperation zwischen Staaten riskant. Keiner kann die Einhaltung zwischenstaatlicher Kooperation garantieren, deswegen muss der Akteur immer damit rechnen, dass Abkommen gebrochen werden. Darüber hinaus beinhaltet Kooperation auch die Gefahr, dass der Partner mehr von ihr profitiert als man selbst, was zu einem Ausbau seiner Macht führt, relativ gesehen zu der Eigenen.
Die Struktur des internationalen Systems löst Machstreben als zentrale Analysekategorie von den Realisten ab. Daher wird der Neorealismus auch als struktureller Realismus bezeichnet. Die Struktur des Systems belohnt diejenigen Staaten, die sich an die von ihr gesetzten Handlungsimperative hält, in Form von Sicherheit. Die Staaten müssen dies erst lernen und sich dem „Wettbewerb“ um „Sicherheitseinheiten“ stellen (Vogt 1999: 45). „To say `the structure selects´ means simply that those who conform to accepted and successful practices more often rise to the top and are likelier to stay there” (Waltz 1979: 92).
Die Machtverteilung der Staaten innerhalb des internationalen Systems bestimmt dessen Struktur und legt fest, welchen Platz sie darin einnehmen.
„States are different placed by their power” (ebd.: 97).
Akteure (Staaten) sind zwar gleichartig, aber nicht gleichwertig, da sie über unterschiedliche Machtmittel, den sogenannten “capabilities“ verfügen. Capabilities sind zentraler Ausgangs- punkt, um Staaten und ihre Position innerhalb des Systems voneinander zu unterscheiden.
Eine systemische Analyse des internationalen Systems bedarf keiner weiteren Untersuchungseinheiten, außer den capabilities. Es genügen nach Waltz „Angaben über die Fähigkeiten eines Staates, um das positionale Gefüge des internationalen Systems zu erkennen und zu erklären“ (Vogt 1999: 47).
Die Machtstruktur dieses Systems kann unipolar sein, wenn ein Akteur mehr Macht hat als alle anderen, bi-polar, wenn es zwei gleichstarke Staaten gibt oder multi-polar, wenn mehrere Staaten ähnliche oder gar gleichstarke Machtverhältnisse haben. Macht dient dabei dem Staat sein Überleben zu sichern.
Staaten versuchen ihre relative Stellung im internationalen System zu bewahren oder zu ver- bessern. Dabei gilt das Machtstreben des Staates nicht als Ziel, sondern ist der Notwendigkeit des Überlebens geschuldet, „sich als autonom und unabhängig im anarchischen System ge- genüber Anderen zu behaupten und der ständigen Gefahr, Opfer der Gewaltanwendung Ande- rer zu werden“ (Gu 2010: 52), entgegenzustellen. Die Struktur des internationalen Systems bestimmt also das Verhalten des Staates und dient somit als Ursache für sein Handeln. Aus der Struktur des Systems ergibt sich der Handlungsimperativ für Akteure, Machtungleichge- wichte auszubalancieren (Wagener 2009: 32). Sicher ist man erst, wenn ein Machtgleichge- wicht existiert, denn die Möglichkeit einer zu erlangenden Niederlage im Konfliktfall wirkt abschreckend. Staaten sind demnach also angehalten, balancing zu betreiben. Da Sicherheit ein begrenztes Gut darstellt, um das alle Einheiten konkurrieren, ist “balance of power“ der Zustand, „in dem die „Sicherheitseinheiten“ über die wichtigsten Koalitionen des internatio- nalen Systems annähernd gleich verteilt sind“ (Vogt 1999: 50). Dabei gilt für Waltz, dass Staaten immer mit der schwächeren Koalition zusammengehen, um ein Machtungleichge- wicht auszubalancieren. Dies liegt in der Natur der Sache, denn Staaten versuchen „not to maximize power, but to maintain their positions in the system“(Waltz 1979: 126).
Die entgegengesetzte Strategie - auch als “bandwagoning“ beszeichnet -, in der ein Staat mit der stärkeren Koalition zusammengeht, ist für Waltz nur eine Verlegenheitsstrategie. Demnach schließen sie sich nur stärkeren Koalitionen an, wenn sie die hohen Kosten für balancing nicht aufbringen können.
2.3 Offensiver Neorealismus - nach John J. Mearsheimer
Aus der Frage, ob Staaten uneingeschränkt nach Macht streben oder nur bis zu einem gewis- sen Grad, an dem sie die eigene Sicherheit gewährleisten können, ging die Abspaltung in of- fensive und defensive Neorealisten hervor. Mearsheimer hat mit seiner Form der Neorealis- mus Theorie unter Wissenschaftlern wohl am meisten polarisiert und dabei entweder starken Gegenwind oder Bewunderung erfahren. Dabei haben vielmehr seine Implikationen, die er für die Außenpolitik der USA ableitet, als seine Theorie selbst für Aufsehen gesorgt. Ich folge dabei Masala der anmerkt, dass Mearsheimer eine hilfreiche Ergänzung und keine Alternative zu Waltz Neorealismus ist (ebd. 2005: 123). Deswegen stellt die Ausarbeitung im folgenden Teil auch keinen eigenen Theoriestrang dar, sondern wird unter der Bezeichnung „offensiver Neorealismus“ als weiterführende Neorealismus Theorie gehandhabt.
Der Kern seiner Theorie variiert leicht vom strukturellen Realismus nach Waltz, da er sich dabei auf die Sicherheitsmaximierung des Staates fokussiert, anstatt auf dessen Überleben. In seinen Untersuchungen über das Verhalten von Großmächten und ihre Beziehungen unterei- nander hat er eine Gesetzmäßigkeit erkannt. Für Mearsheimer steht fest, dass alle Staaten, die einen Machtzuwachs verzeichnen konnten, versuchten, ihre Region zu dominieren:
„…all great powers become more aggressive and more interested in dominating their region in the world as they grow more powerful” (Mearsheimer 2015).
Dieser Status des regionalen Hegemons ist laut Mearsheimer “the best way to be secure” (ebd.). Je mächtiger ein Staat ist relativ zu seinen Nachbarn, desto sicherer ist er auch, denn die schwächeren Staaten werden aus Angst vor einer Niederlage den Hegemon nicht angreifen (ebd. 2010a: 387). Gibt es aber zwei Großmächte in einer Region, so gibt es auch keinen regionalen Hegemon. Ein Hegemon ist nach Mearsheimer:
“a country that is so powerful that it dominates all the other states” (ebd.).
Da kein anderer Staat die militärische Macht hat ihn anzugreifen, ist er der einzige Hegemon im System. Zurzeit sind nach Mearsheimer die Vereinigten Staaten der einzige regionale He- gemon auf der Welt, da sie die westliche Hemisphäre dominieren (Mearsheimer 2014a: 40). Es sei fast nicht erreichbar ein globaler Hegemon zu werden, weil es kaum möglich ist für Großmächte ihre Machtprojektion über die Ozeane hinweg aufrechtzuerhalten (ebd.).
Unter den Bedingungen des anarchischen Selbsthilfesystems sieht er für Großmächte keine Handlungsalternative zu egoistischer Machtpolitik. Offensive Neorealisten wie Mearsheimer gehen davon aus, dass Großmächte gezwungen sind, ihre Sicherheit zu maximieren, indem sie ihre relative Macht auf Kosten anderer ausbauen. Dabei sind Staaten an relativen und nicht an absoluten Gewinnen interessiert. (Ebd.: 29-33).
Diesen Kampf um Macht führt er nicht auf die menschliche Natur zurück wie Morgenthau, sondern er sieht den Grund im anarchischen System, das Staaten zwingt, nach Sicherheit zu streben. Anarchie bezeichnet hierbei das internationale Ordnungssystem der Staatenwelt, weil es keine übergeordnete Ordnungsinstanz gibt, die im Notfall zur Hilfe eilt. Er bezeichnet es als eine Welt in der Staaten um Sicherheit konkurrieren und die von Krieg geprägt ist. Nur wer mehr Macht als andere hat, kann sich in der Sicherheit wiegen gegen Angriffe geschützt zu sein. Großmächte leben in ständiger Angst voreinander und dieser Angst begegnen sie mit Machtmaximierung, selbst wenn ihr eigentliches Ziel das eigene Überleben ist. (Ebd.: 30-32).
“States are disposed to think offensively toward other states even though their ultimate motive is simply to survive. In short, great powers have aggressive intentions” (Mearsheimer 2001: 34).
Status quo Mächte wie im defensiven Realismus gibt es für Mearsheimer nur in seltenen Fällen, denn das internationale System”creates powerful incentives for states to look for opportunities to gain power at the expense of rivals, and to take advantage of those situations when the benefits outweigh the costs“(ebd.: 21). Erst wenn eine Großmacht eine stabile Hegemonialposition erreicht hat, kann sie sich mit ihrer aktuellen Position im internationalen System relativ zufrieden geben. “A state´s ultimate Goal is to be the hegemon in the system” (ebd.). Erst dann gilt das Überleben des Staates als gesichert.
Waltz hingegen hat immer betont, das Hegemonialstreben die Chance auf Sicherheit oder das eigene Überleben verringern würde und Staaten das Ziel eines Machtgleichgewichts verfolgen würden. Machtmaximierung ist nicht das Ziel des Staates laut Waltz. Für Waltz gilt, dass Staaten dann sicherer sind, wenn sie sich defensiv verhalten, weswegen man ihn auch zu den defensiven Neorealisten zählen kann. Eine offensive Strategie führe dazu, die Sicherheit des Staates aufs Spiel zu setzen und würde zwangsläufig Gegenmachtbildung oder Expansions- drang anderer Staaten hervorrufen. Diese Gegenmachtbildung führe zu weniger Sicherheit und zu Rüstungswettläufen, die mit hohen Kosten verbunden sind. Defensive Neorealisten gehen davon aus, dass es in einem anarchischen internationalen System durchaus friedenssi- chernde Kooperation zwischen Staaten geben kann. (vgl. Waltz 1979: 126f.).
Für Vertreter des offensiven Realismus ist das internationale System so feindselig, dass auf- grund der allgegenwärtigen Unsicherheit über die Intentionen eines konkurrierenden Landes - im Zustand der Anarchie - selbst Staaten, die eigentlich die Aufrechterhaltung des Status quo anstreben, offensive Strategien übernehmen müssen. Eine Status quo Macht wie sie bei Waltz postuliert wird, kann es aufgrund der Struktur des internationalen Systems nach Mearsheimer nicht geben (Mearsheimer 2001: 34). Eine Ausnahme in der Geschichte sind die USA, in der eine Macht sich auf dem Status quo ausruhen kann, weil sie eine unangefochtene Hegemonie auf ihrem Kontinent hergestellt hat. Aber auch sie versuchen weiterhin alles in ihrer Macht stehende zu tun, um andere aufstrebende Staaten oder potentielle Hegemone in ihrem Ein- flusskreis klein zu halten, indem sie beispielsweise versuchen “… to maintain a balance of power between at least two great powers in such an adjoining region, so that the attention and energy of these powers will be absorbed in defending against each other“ (Snyder 2002: 152).
Da Staaten erst Status quo Mächte werden können, wenn sie ihre Region oder gar den ganzen Erdball dominieren, führt dies zu einem andauernden Zustand des Wettbewerbs um Sicher- heit, in dem Staaten bereit sind zu lügen, zu betrügen und brutalen Zwang einzusetzen, wenn es ihnen hilft einen Vorteil gegenüber ihren Rivalen zu erreichen (Mearsheimer 2014a: 35). Weil alle Staaten von dieser Logik getrieben sind, kommt es zum sogenannten “security di- lemma“ nach John Herz, auf das sich Mearsheimer hier bezieht. “The essence of the dilemma is that the measures a state takes to increase its own security usually decrease the security of other states” (ebd.: 36).
In einer Welt konkurrierender Staaten kann sich keiner sicher fühlen, weshalb ein Machtkampf beginnt und ein nichtendender Kreislauf von Sicherheits- und Machtmaximierung einsetzt (Herz 1950 in: ebd.: 36). Sie können der Unsicherheit nur durch eine Strategie der Machtmaximierung begegnen, denn “unlike military capabilities, which we can see and count, intentions cannot be empirically verified” (Mearsheimer 2010a: 383). Daraus folgt, dass selbst harmlose Manöver oder politische Entscheidungen von Seiten eines Staates als Gefahr wahrgenommen werden, weil sie schwierig zu interpretieren sind.
Großmächte sind im Besitz von erheblichen militärischen Machtmitteln, die sie jederzeit ge- gen einen anderen Staat einsetzen können. Je mehr Macht sie haben, desto gefährlicher sind sie und keiner kann sich sicher sein, dass diese Macht nicht gegen sie eingesetzt wird (Mears- heimer 2014a: 30). Da sie sich also niemals der Absichten anderer Staaten sicher sein oder ihr Handeln verstehen können, werden sie weiterhin versuchen ihre Macht auszubauen, bis sie das System dominieren, in dem sie agieren (Mearsheimer 2010a: 383). Alle anderen Motive eines Staates können seinen Zwang nach Sicherheit nicht abmildern, auch nicht ökonomische Interdependenz oder internationale Institutionen.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Intentionen sich von heute auf morgen ändern und die Verbündeten von heute die Feinde von morgen werden können. Genauso stellen Verträge keine Sicherheitsgarantie dar, weil sie in der Vergangenheit schon oft gebrochen wurden. (Mearsheimer 2014a: 30).
Es kann eine friedliche Zusammenarbeit auch nur in Ausnahmefälle geben. Dauerhafte Ko- operationen sind nach Mearsheimer nicht möglich und auch nicht planbar, sondern stellen sich als Nebenprodukt übergeordneter Machtrivalitäten ein. Die Angst vor Betrug stellt bei Kooperationen das größte Hindernis dar, weil es dem, der betrügt, einen signifikanten Vorteil verschafft. In einer realistischen Welt kooperieren Staaten deshalb zumeist nur gegen gemein- same Feinde, um das Mächtegleichgewicht zu ihren Gunsten zu verändern. (Mearsheimer 2014a: 51).
Dass es, aufgrund des kontinuierlichen Machtstrebens der Großmächte nicht zu einem perma- nenten Zustand des Krieges kommt, hat nach Mearsheimer mehrere Ursachen: Aufgrund einer günstigen geografischen Position eines Staates, wie z.B. bei insularen Mächten, kann es durch den geografischen Schutz zu zurückhaltender Politik kommen. Sie könnten sich auf die Rolle des “offshore balancers“ konzentrieren, die versuchen, an der gegenüberliegenden Küste die Errichtung von Hegemonialreichen zu verhindern, so wie er es für die zukünftige Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitikstrategie vorschlägt. (Mearsheimer 2001: 114-128).
Für ihn gibt es aber auch nicht gleich ein unvermeidliches Offensivstreben von Staaten, die stets aggressiv vorgehen. Staaten sind immer noch rationale Akteure, weswegen sie auch keine “mindless aggressors“ sind (Mearsheimer 2001: 37). Die Macht anderer Staaten kann sie durchaus abschrecken. Sie werden demnach abwarten bis sich eine günstigere Gelegenheit für Expansionsbestrebungen oder Rüstungswettläufe bietet (ebd.). Besondere Abschreckung geht von Staaten mit Atomwaffen aus, auch wenn dies nach Mearsheimer keine Garantie dafür ist, dass es nicht zu Kriegen oder Machtrivalitäten kommt (ebd.: 128).
Weiter postuliert Mearsheimer, dass nicht jede Ausweitung der Macht automatisch zu Krieg führt. Dies rührt daher, dass sich Staaten expansiv ausgerichteten Mächten sehr viel seltener entgegenstellen. Großmächte versuchen zwar zu expandieren, wenn die Gelegenheit günstig ist, aber nur wenn die zu erwartenden Gewinne höher als die Kosten und das einzugehende Risiko sind. In dem Fall, dass eine Großmacht einem mächtigeren Akteur gegenübersteht, wird diese weniger offensiv vorgehen und stattdessen eher versuchen ihre aktuelle Position im internationalen System zu erhalten. Aber kommt es zu einer komfortablen Ausgangssituation, wie beispielsweise einem Machtvakuum, in das sie eindringen können, ein technologischer militärischer Vorsprung oder eine ähnliche Verbesserung ihrer Machtmittel, dann werden schwächere Großmächte dies ausnutzen und versuchen, das Mächtegleichgewicht zu ihren Gunsten zu verändern. (Mearsheimer 2014a: 37).
Nach Mearsheimer neigen Großmächte im Falle einer Bedrohung eher zu buck-passing als zu balancing. Demnach versuchen sie, den Konflikt auf andere abzuwälzen, um die hohen Kosten des Krieges zu vermeiden. Erst wenn die Gefahr nicht gebannt wird, und sich niemand dem Aggressor entgegenstellt, schreiten sie ein. (Mearsheimer 2001: 157-162).
Waltz Neorealismus scheint durchzogen von der Idee der Status quo Macht, wohingegen Mearsheimers offensiver Neorealismus nicht davon wegkommt, in jedem Akteur einen revisionistischen Staat zu sehen, der fast nie aufhört, seine Sicherheit durch Machtmaximierung zu erhöhen. Snyder gibt dabei Mearsheimer und Schweller recht, die in Waltz Neorealismus primär eine Theorie sehen, die erklärt, wie sich defensiv ausgerichtete Staaten aufgrund struktureller Zwänge verhalten (Snyder 2002: 158).
Wann ist die Wahrscheinlichkeit für kriegerische Auseinandersetzungen am höchsten? Für Mearsheimer ist Bipolarität im internationalen System am stabilsten, danach kommt ausbalancierte Multipolarität und am instabilsten ist das unausgewogene multipolare System. Die multipolaren Systeme sind instabiler als bipolare, weil sie mehr Konfliktpaare haben, die Wahrscheinlichkeit für unausgewogene Machtverhältnisse größer ist und eine größere Gefahr der Fehlkalkulation besteht (Snyder 2002: 167).
Aber wie definiert Mearsheimer ein “unbalanced system“, in dem die Kriegsgefahr am größ- ten ist? “By definition, an unbalanced multipolar system contains a potential hegemon. Such a state will push further, toward regional hegemony” (Mearsheimer 2001: 345), denn die regi- onale Hegemonie stellt die höchste zu erreichende Stufe der Sicherheit dar, die ein Staat errei- chen kann. Daraus resultiert für die übrigen Staaten im multipolaren System, dass sie ängstli- cher werden und größere Risiken eingehen, um die Unausgewogenheit im System auszuglei- chen. Diese balancing Bestrebungen wird der angehende regionale Hegemon als Einkrei- sungsversuch wahrnehmen, denen er wiederum mit Sicherheitsmaximierung seinerseits be- gegnen wird. Dies führt zu einer Spirale der Angst, welche die Kriegsgefahr erhöht (ebd.).
Ein potentieller Hegemon ist nach Mearsheimer ein bevölkerungsreiches Land mit einer auf- strebenden Wirtschaft, das ein erhebliches Potential hat, seine latente Macht in potentielle Macht umzusetzen (Mearsheimer 2014a: 45). Dies trifft auf China zu, das für viele Wissen- schaftler (vgl. Lane 2008; Ikenberry 2014) die aufstrebende Großmacht des 21. Jahrhunderts sein wird und deshalb die größte Herausforderung für die Vereinigten Staaten darstellt.
Wie groß die Erklärungskraft der Theorie des offensiven Neorealismus zur Beantwortung der Forschungsfrage ist, soll im nachfolgenden Teil der Arbeit in Kapitel 3 untersucht werden.
2.4 Methodisches Vorgehen und Operationalisierung
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, meine weitere methodische Vorgehensweise zur Beantwortung der Fragestellung darzustellen und mein Forschungsdesign zu erläutern.
Da es nicht die „Eine“ beste Methode zur Beantwortungen einer Forschungsfrage gibt (vgl. Hall 2003; George/Bennett 2005), wird die Auswahl der Methode in Abhängigkeit von der Fragestellung und somit nach der Zielsetzung meiner Arbeit ausgewählt.
Die Forschungsfrage lautet:
„Inwiefern ist die Theorie des offensiven Neorealismus in der Lage, die zunehmende Häufig- keit von Konflikten zwischen China und den USA im Südchinesischen Meer zu erklären?“
Aufgrund ihres theorietestenden Charakters und der Suche nach Erklärungen für das spezifische Ereignis, „die Zunahme an Konflikten im Südchinesischen Meer“, wird ein y-zentriertes Forschungsdesign gewählt.
Aus einer jüngeren Arbeit zu der qualitativen Politikanalyse geht hervor, dass „die Kongru- enzmethode sehr oft in Kombination mit Prozessanalysen benutzt wird bzw. sich in der prak- tischen Anwendung Überschneidungen zwischen beiden Techniken ergeben“ (Blatter et al. 2007: 156). Mit den Methoden des “process tracing“ (George/Bennett 2005: 206) und der Kongruenzmethode werden die Daten theoriegeleitet rekonstruiert und zur Analyse der Ent- scheidungsprozesse verwendet. Zur Beantwortung meiner Forschungsfrage werde ich deshalb beide methodischen Verfahren nebeneinander einsetzen. Sie bilden die Grundlage für mein qualitatives Forschungsdesign.
Die Kongruenzmethode beginnt mit einem theoretischen Bezugsrahmen und versucht dann Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Theorieelementen und entsprechenden empirischen Beobachtungen herzustellen. Nach George und Bennett beginnt der Forscher mit einer Theorie ”…and then attempts to assess its ability to explain or predict the outcome in a particular case’’ (George/Bennett 2005: 181). Ein wichtiger Faktor ist hierbei die Übereinstimmung, die sie wie folgt beschreiben: “…similarity in the relative strength and duration of hypothesized causes and observed effects“ (George/Bennett 2005: 183).
Um mögliche Kausalmechanismen erkennen zu können, wird die Prozessanalyse als methodisches Hilfsmittel angewendet. Mit Hilfe der Prozessanalyse wird Schritt für Schritt der politische Diskussions- und Gestaltungsverlauf rekonstruiert und der empirische Fall mit der Theorie des offensiven Neorealismus verglichen.
Eine in Form einer Prozessanalyse durchgeführte Fallstudie eignet sich deshalb besonders gut für die angestrebte kausale Rekonstruktion, wie und warum es zur Zunahme von Konflikten zwischen den USA und China gekommen ist, weil man mit ihr sowohl die Dynamik des Geschehens gut nachverfolgen als auch das (Zusammen-)Wirken bestimmter kausaler Mechanismen aufspüren kann (George/Bennett 2005: 224).
Das internationale System weist drei Strukturmerkmale auf, von denen zwei (Anarchie und Staaten als gleichartige Einheiten) immer konstant sind. Damit man das außenpolitische Ver- halten von Staaten erklären kann, bedarf es der Bestimmung der Verteilung von Machtres- sourcen (capabilities) zwischen den zu untersuchenden Staaten - hier China und den USA. Dies ist die entscheidende zu untersuchende Variable für die Erklärung der Varianz staatlicher Interaktionen, denn die Verteilung der Machtressourcen bestimmt die jeweilige Position im internationalen System und beeinflusst maßgeblich das außenpolitische Verhalten von Staaten (Baumann et. al. 1999: 254).
Als Grundlage zur Theorieprüfung und unter dessen Annahme es zur Bildung von folgenden Hypothesen kommt, wird die Theorie des offensiven Neorealismus aus außenpolitischer Perspektive nach Mearsheimer gewählt. Dieser hat explizit darauf verwiesen, dass seine Theorie des offensiven Neorealismus, sowohl als systemische, wie auch als Außenpolitiktheorie angewendet werden kann (vgl. Mearsheimer 2001).
2.4.1 Erste zu testende Hypothese
Je größer Chinas Machtressourcen werden, desto häufiger kommt es in der Region des Süd- chinesischen Meeres zu Konflikten mit den USA.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit dem Erstarken Chinas geht nach Aussage des offensiven Neorealismus nach Mearsheimer eine Zunahme von Konflikten zwischen China und den USA einher. Die Konflikte werden anhand von öffentlichen Daten aus Zeitungen und Fachpublikationen zusammengetragen, um ein Bild von meiner abhängigen Variablen zu zeichnen. Sie dienen dazu eine genaue zeitliche Abfolge der Geschehnisse darstellen zu können und die zu untersuchenden Kausalzusammen- hänge im nachfolgenden Teil der Untersuchung offenzulegen. Hierfür wird im empirischen Teil der Arbeit zuerst definiert, was als Konflikt gewertet werden kann. Danach kommt es dann zu einer Darstellung der Konflikte im Südchinesischen Meer im Zeitraum von 2010 bis Juni 2016, um die abhängige Variable in 3.1.2 bestimmen zu können. Dabei werden aber nur diejenigen direkten Konfrontationen zwischen China und den USA als Konflikt gewertet, welche in der öffentlichen Presse im Untersuchungszeitraum zu finden sind.
Die Messbarkeit von Macht ist für die gegenwärtige Untersuchung deshalb wichtig, weil man die Erklärungskraft der Theorie des offensiven Neorealismus nur testen kann, wenn man den kausalen Zusammenhang zwischen Machtverteilung und Großmachtrivalität zwischen China und den USA überzeugend darstellt. Hierfür wird die Macht eines Staates anhand verschiede- ner selbst festgelegter Indikatoren in Kapitel 3.2 operationalisiert, die sich an Mearsheimers Konzept der Operationalisierung von Machtressourcen anlehnt und auf den aktuellen Fall zugeschnitten ist. Da Mearsheimer seinen Index größtenteils auf seinen Untersuchungsgegen- stand - die Kriege zwischen Großmächten vor 1945 - zugeschnitten hat, werde ich mich einer kleinen Modifikation bedienen, welche die Basis seiner ausgewählten Indikatoren ergänzt oder leicht abändert, den Grundgedanken dahinter aber nicht verändert.
Auch wenn dieser Untersuchungsaufbau nur komprimierte Machtfaktoren beinhaltet, welcher niemals eine ausführliche Untersuchung ersetzen kann, so soll das aus der Untersuchung her- vorgegangene rudimentäre Abbild der Mächtekonstellation zwischen den Vereinigten Staaten und China ausreichen, um eine grobe Einordnung der Machtfähigkeiten beider Staaten und deren Veränderung im Zeitraum von 2000-2015 aufzuzeigen, um damit die erste Hypothese zu falsifizieren oder zu verifizieren6. Zuerst muss aber geklärt werden, was unter dem Begriff Macht im Neorealismus verstanden wird, da es unterschiedliche Verwendungen und Definiti- onen des Begriffes gibt.
“The concept of power is central to realist theory, yet there is still little agreement on how it should be conceived and measured. We still lack a firm conceptual foundation on which to base valid measures of national power...“ (Walt 2002: 222).
Macht kann auf unterschiedlichste Weise definiert und verstanden werden, wie z.B. als Ein- fluss oder Kontrolle eines Staates über einen anderen Staat. Dies würde dann aber laut Mears- heimer dazu führen, dass Macht nur an den Ergebnissen, wie ein Staat Macht ausübt, gemes- sen werden kann (Mearsheimer 2014a: 57). In der realistischen Schule dominiert der Ansatz, welcher Macht als Verfügung über materielle Ressourcen zu definieren versucht, wobei mili- tärische Stärke letztlich die entscheidende Machtressource darstellt (Nolte 2006: 10). Mears- heimer definiert Macht allein durch die dem Staate gegebenen Ressourcen, die er dann zum Vergleich mit anderen Staaten heranzieht und so bestimmt, wie viel Macht ein Staat besitzt. “Power, as I define it, represents nothing more than specific assets or material resources that are available to a state” (Mearsheiemer 2014a: 57).
Da Macht immer ein relatives Konzept ist, muss für die Messung der Macht Chinas stets das Verhältnis seiner Machtressourcen zu denen der USA betrachtet werden. In meiner Untersu- chung verwende ich wie Mearsheimer die Indikatoren „latente Macht“ und „effektive Macht“ zur Operationalisierung meiner unabhängigen Variable: „Zunahme der Machtressourcen Chi- nas“.
Mearsheimers Machtbegriff kann folglich anhand zweier Dimensionen unterschieden werden.
[...]
1 FAZ 2014: Philippinischer Präsident über China „Wie Hitlers Griff nach dem Sudetenland“ (05.02.2014), in: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/philippinischer-praesident-ueber-china-wie-hitlers-griff-nach- dem-sudetenland-12785884.html; 4.02.16.
2 German.xinhuanet 2016: Xi Jinping: Rede zur Gedenkfeier des 70. Jahrestags des Sieges des Widerstands- kriegs des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression und des weltweit antifaschistischen Kriegs (03.09.2015), in: http://german.xinhuanet.com/2015-09/03/c_134587396.htm; 02.02.2016.
3 ‘‘I have directed my national security team to make our presence and missions in the Asia-Pacific a top priori- ty. The United States is a pacific power and we are here to stay (…) Let there be no doubt: in the Asia-Pacific of the 21st century, the United States of America is all in. The United States will play a larger and long-term role in shaping this region and its future, by upholding core principles and in close partnership with allies and friends’’. (Obama, 2011)
4 The Gurdian 2015: China warns US it could spark war with 'provocative acts' in South China Sea (30.10.2015), in: http://www.theguardian.com/world/2015/oct/30/us-and-china-agree-to-cooperate-despite-tensions-over- south-china-sea; 11.01.2016.
5 SPON 2005: Anti-Sezessionsgesetz: China verstärkt Druck auf Taiwan (14.03.2005), in: http://www.spiegel.de/politik/ausland/anti-sezessionsgesetz-china-verstaerkt-druck-auf-taiwan-a- 346266.html;14.03.2016
6 Anmerkung: Für eine detaillierte und moderne Ausarbeitung zur Messung von Macht sei hier auf die Arbeit von RAND (Research and Development)2000 hingewiesen: “Measuring National Power in the Postindustrial Age“, in: http://www.rand.org/pubs/monograph_reports/MR1110z1.html; 02.04.2016.
- Arbeit zitieren
- Maximilian Eibel (Autor:in), 2016, Pulverfass Ostasien. Der Konflikt um die Vorherrschaft im Südchinesischen Meer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358671
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