Freizeit als Spannungsfeld der industriellen Arbeit am Beispiel der Geschichte der Arbeiterklasse in Südafrika


Dossier / Travail de Séminaire, 2003

24 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff der Freizeit
2.1 Geschichte des Begriffes
2.2 Probleme der Definition

3. Freizeit in Afrika

4. Freizeit der Arbeiterklasse in Südafrika
4.1 Die Geschichte der Industrialisierung und der Entstehung der Arbeiterklasse
4.2 Freizeitformen der Industriearbeiter

5. Die Freizeit der südafrikanischen Arbeiterklasse als Spannungsfeld der industriellen Arbeit

6. Schlußbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit der Freizeit der Arbeiterklasse unter den industriellen Bedingungen der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Südafrika befassen. Zuerst setze ich mich allgemein theoretisch mit dem Begriff der Freizeit, indem ich auf die Geschichte des Begriffes und dann auf die Probleme der Definition eingehen werde. In diesem Teil der Arbeit möchte ich insbesondere danach fragen, inwieweit Freizeit als Gegenbegriff zu dem Begriff der Arbeit definiert werden kann sowie, welche allgemeingeltenden und charakteristischen Attribute dem Begriff der Freizeit zugeschrieben werden können.

Nach dem Kapitel zur Geschichte der Freizeit in Afrika werde ich die Geschichte der Entstehung der Arbeiterklasse in Südafrika sowie die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Herauskristallisierung der Arbeiteridentität darstellen.

Im Hauptteil dieser Arbeit bespreche ich die Freizeitkultur der südafrikanischen Arbeiter und überlege, wie industrielle Arbeitsbedingungen diese Kultur beeinflußt haben.

In der Schlußbetrachtung werden die wichtigsten Gedanken zusammenfaßt und eigene Ansichten dargelegt.

2. Der Begriff der Freizeit

2.1 Geschichte des Begriffes

Freizeit ist ein relativ junger Begriff, dessen Geschichte auf die Zeit der Entstehung der industriellen Produktionsweise zurückgeht. Zusammen mit der Industrialisierung erfolgte neben der räumlichen Trennung von Arbeits- und Lebensraum die zeitliche Aufteilung des Tages in die Zeit, in der gearbeitet wurde und die Zeit, in der nicht gearbeitet wurde, d.h. die von der Arbeit freie Zeit. In den vorindustriellen agrarischen Gesellschaften gab es zwar ein Bewußtsein für Freizeit, den Tagesverlauf charakterisierte jedoch eine zeitliche Struktur, die nicht in zwei aufeinanderfolgende Phasen von Arbeit und Nicht-Arbeit zerfiel. Man arbeitete nämlich solange wie es die Lichtverhältnisse zuließen oder bis die Aufgabe bewältigt wurde. Die Ausbreitung des Begriffes der Freizeit, historisch gesehen, hängt jedoch nur bedingt mit der sich veränderten Zeitstruktur des Tages zusammen. Der Begriff entstammt der Pädagogik, in der seit dem 17. Jahrhundert die "freye zugt" als Freistunde zu einem Gegenbegriff zur Arbeits- und Unterrichtsstunde wurde. Mit der Industrialisierung erfuhr dieser Terminus über den pädagogischen Bereich hinaus eine weitere Verbreitung. Weil in der Frühphase der Industrialisierung wegen der herrschenden Arbeitsbedingungen (ein zwölf- bis vierzehnstündiger Arbeitstag) noch kaum von Freizeit gesprochen werden konnte, wurde der Freizeitbegriff erst zusammen mit den Bemühungen um die Verkürzung der Arbeitszeit und Ausdehnung der von der Arbeit freien Zeit gebräuchlicher.[1]

In dem französischen und angelsächsischen Sprachbereich wird Freizeit unter einem auf das lateinische "licet" (es steht frei, man darf, man kann) zurückgehenden Wort "loisir" (im Französischen) oder "leisure" bzw. unter dem Begriff "leisure time"(im Englischen und Amerikanischen) behandelt.[2]

2.2. Probleme der Definition

In der Soziologie wird Freizeit heute, laut Adolph Geck[3] und Dieter Hahnart[4], im weitesten Sinne als die nach der Arbeit übriggebliebene Zeit definiert und als Gegensatz zur Arbeitszeit verstanden, bei der es sich um alltägliche erwerbs- oder pflichtgemäße Tätigkeit handelt.

Die beiden Autoren grenzen diese Definition ein und formulieren den Begriff der Freizeit im engen Sinne als die zur freien Verfügung stehende und nicht durch irgendwelche Geschäfte oder Pflichten ausgefüllte Zeit. Geck[5] und Hahnart[6] bemerken dabei, daß dieser Begriff dem alten deutschen Begriff "Muße" gleicht.

Die beiden Auffassungen der Freizeit (im weiten und im engen Sinne) entsprechen der Unterscheidung, die ein anderer Autor, Erich Weber, hinsichtlich der Definition der Freizeit macht: Die Unterscheidung der Freizeit zwischen der Zeit, in der man "frei von" etwas ist (Freizeit im weiten Sinne) und der Zeit, in der man "frei zu" etwas ist (Freizeit im engen Sinne). Weber widmet sich darüber hinaus einer genaueren Bestimmung des Begriffes "Muße", den er ebenfalls im weiten und im engen Sinne definiert. Als "Muße" in weiter Bedeutung bezeichnet er "die Haltung einer spannungslosen und bedürfnislosen Uninteressiertheit an der Umwelt", "Träumen mit offenen Augen" oder "Dösen". Die Muße im engen und echten Sinne bedeutet dagegen, laut Weber, eine starke innere Beteiligung, die "jedoch nicht in der Weise des aktiven Tätigseins, sondern des kontemplativen Sich-ergreifen-Lassens" verstanden werden soll. Eine in dieser Form definierte Muße ist eine Voraussetzung dafür, daß der Mensch neben der Welt der Erwerbsarbeit und des Konsums, neben Erholung und Ruhe, neben freigewähltem Schaffen und Sich-bilden, neben Geselligkeit und Vergnügen, neben Spiel und Sport in seiner Freizeit den letzten und bedeutsamen Fragen der menschlichen Existenz gegenüber aufgeschlossen bleibt und in Bezug zur Transzendenz tritt, um Mensch im vollen Sinne zu bleiben."[7] Damit definiert Weber die höchste Form der Freizeit, die jedoch in dieser Arbeit nicht als grundlegende Definition verwendet werden soll.

Weber weist ferner auf verschieden weite Auffassungen des Freizeitbegriffes hin:

1. Freizeit ist jene Zeit, die zwischen den terminierten Perioden der Erwerbsarbeit liegt.
2. Freizeit ist jene Zeit, die nach Abzug der fremdbestimmten Arbeit, vor allem in der Form der Erwerbsarbeit und der notwendigen Schlafzeit, verbleibt.
3. Freizeit ist jene Zeit, die nach Abzug der in der 2. Definition genannten Freizeit und der sogenannten "arbeitsgebundenen Freizeit" verbleibt, die nicht als echte Freizeit gilt (wie z.B. die Zeit für den Arbeitsweg, Essen oder Körperpflege, Weiterbildung, Berufsversammlungen etc.).
4. Freizeit ist jene Zeit, die nach Abzug der in 1. bis 3. genannten Zeit verbleibt sowie der sämtlichen Erholungs- und Entspannungszeit, und schließlich der Zeit, die in irgendeiner Form Leistungen erfordert.

Weber bemerkt, daß die Übergänge zwischen den einzelnen Auffassungen des Freizeitbegriffes fließend sind.[8]

Neben der Bestimmung der Reichweite wirft die Definition der Freizeit ein weiteres Problem auf, auf welches John Wilson hinweist. Die Auffassung der Freizeit als der nach der Arbeit übriggebliebenen Zeit impliziert nämlich, daß Arbeit primär, Freizeit

hingegen sekundär ist[9], was weiterhin laut Hanhart heißt, daß die Freizeit eine Periode der Nicht-Freizeit voraussetzt, und daß es somit keine Freizeit ohne ausgerichtete Arbeit geben kann. Hahnart meint weiterhin, daß der Begriff der Freizeit nicht als ein eigenständiger Begriff, sondern nur als ein Gegenbegriff zu dem Begriff der Arbeit angesehen werden kann, und daß zwischen den beiden Bereichen ein untrennbarer Zusammenhang bestehe.[10] Wenn es sich so verhielte, konstatiert ein anderer Autor, John T. Haworth, wirft diese klassische Theorie der Freizeit weitere Forschungsfragen auf: Ob Arbeit und Freizeit als komplementäre oder eher oppositionelle Bereiche angesehen werden sollten? In welchem Maße funktionieren Arbeit und Freizeit als eine Fusion und als eine integrale Gesamtheit (Komplementarität) und in welchem Maße teilen die Individuen bzw. Gruppen ihre Zeit in zwei getrennte Bereiche, die der Arbeit und der Freizeit (Polarität)?[11]

Während es in den zeitgenössischen Debatten zu diesem Problem sowohl eine Gruppe von Wissenschaftlern gibt, die sich für die erste Position entscheiden (wie z.B. der von Hahnart erwähnte Dubin), als auch eine andere Gruppe, die Befürworter der zweiten Position sind (wie z.B. die von Hahnart erwähnten Reisman und Blomberg), gibt Haworth den beiden Positionen eine Berechtigung. Arbeit und Freizeit können in manchen Fällen als eine Fusion von zwei komplementären Sphären, in anderen als zwei vollkommen getrennte und sich ausschließende Bereiche existieren. Dieses Verhältnis (komplementär oder oppositionell, bzw. eine Mischung von Beidem) hängt von der jeweiligen einzelnen Situation ab, in der das quantitative und qualitative Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit unterschiedlich ist.[12]

Hinsichtlich dieses Problems nimmt ebenfalls Weber eine Stellung ein, indem er postuliert, den "Freizeitbegriff nicht generell als Gegenbegriff zur Arbeit" zu verwenden, sondern ihn lediglich von der fremdbestimmten, entfremdeten Arbeit abzuheben, weil es durchaus sein kann, daß "in der Freizeit aus eigenem Antrieb heraus Arbeit in echtem Sinne geleistet wird, daß jemand freiwillig, aus Freude an einer Sache sich um ein Werk oder eine Leistung vollendungsbereit und zweckdienlich, auch über Hindernisse und Schwierigkeiten hinweg, bemüht"[13].

Meine eigene Meinung zu diesem Problem werde ich in der Schlußbetrachtung äußern.

Ein weiteres und letztes Problem bei der Definition der Freizeit, auf welches in dieser Arbeit eingegangen wird, ist die Frage danach, wodurch sich die Freizeit auszeichnen soll, damit sie allgemeingeltend als Freizeit qualifiziert werden kann. Wie bereits erwähnt, können Freizeit unterschiedliche Aktivitäten bzw. Nicht-Aktivitäten ausfüllen. Die Frage in der Forschung ist die nach der essentiellen Eigenschaft der Freizeit sowie dem wesenhaften Bestimmungswort des Freizeitbegriffes.

Drei von den hier behandelten Autoren, Hahnhart, Wilson und Weber berühren ebenfalls dieses Problem und nennen als eine notwendige und universelle Eigenschaft aller Freizeitaktivitäten deren Freiwilligkeit. So spricht Hahnart von der Freizeit als der "Gesamtheit der Beschäftigungen, denen sich der einzelne aus eigenem Antrieb widmen kann"[14]. Weber faßt den Freizeitbegriff als den "Inbegriff derjenigen Zeitspannen eines individuellen Lebenslaufes" zusammen, "in denen sich die Person frei von Fremdbestimmungen - vor allem in der Form der Erwerbsarbeit - erlebt"[15]. Schließlich stellt Wilson fest: "None of these `real world` problems with our definition, however, should be allowed to obscure our view of the one essential and universal feature of leisure, that it is autotelic or instrisically motivated."[16]

Wilson bemerkt gleichzeitig, daß die Entscheidungen bezüglich der Freizeitaktivitäten nicht wirklich vollkommen freiwillig sein können: "We can all agree that leisure must be free, but what kind of freedom do we have in mind? We must distinguish between freedom from compulsion (play is hardly something we can be forced to do) from freedom in the broader social and political sense. We can certainly define leisure as free in the first sense but it is not so clear that leisure could ever be free of social or political constraint. Specific leisure activities might be freely chosen, but the choice is always made within social and cultural constraints."[17]

Wilson zieht den Schluß, daß der Begriff der Freizeit ein abstrakter Begriff ist, der jeweils unterschiedlich festgelegt werden kann.

Als eine andere mögliche essentielle Bestimmung des Freizeitbegriffes sieht der von Akyeampong und Ambler behandelte Joan-Luis Marfany Spaß ("fun"), der mit Freizeitaktivitäten immer verbunden war: "though the definition of fun may have changed across time and space, people have always had fun"[18].

[...]


[1] Schlösser, Manfred: Freizeit und Familienleben von Industriearbeitern. Frankfurt/Mein; New York

1981. S. 16f.

[2] Geck, L. H. Adolph: Die Freizeitprobleme in der wissenschaftlichen Christlichen Gesellschaftslehre.

Berlin 1973. S. 12.

[3] Ebd., S. 12.

[4] Hanhart, Dieter: Arbeiter in der Freizeit. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Bern 1964. S. 33.

[5] Geck, A.: Die Freizeitprobleme in der wissenschaftlichen Christlichen Gesellschaftslehre. S. 12.

[6] Hahnart, D.: Arbeiter in der Freizeit. S. 32.

[7] Weber, Erich: Das Freizeitproblem. Anthropologisch-pädagogische Untersuchung. München/Basel

1963. S. 15.

[8] Ebd., S. 16.

[9] Wilson, John: Politics and Leisure. Boston 1988. S. 3.

[10] Hahnart, D.: Arbeiter in der Freizeit. S. 32.

[11] Haworth, John T.: Work, leisure and well-being: London; New York 1997. S.1f.

[12] Ebd., S. 2.

[13] Weber, E.: Das Freizeitproblem. S. 12.

[14] Hahnart, D.: Arbeiter in der Freizeit. S. 34.

[15] Weber, E.: Das Freizeitproblem. S. 15.

[16] Wilson, J.: Work, leisure and well-being: S.2.

[17] Ebd., S. 2.

[18] Akyeampong, Emmanuel und Ambler, Charles: Leisure in African History: an Introduction. In: TheInternational Journal of African Historial Studies. Volume 35. Number 1. Boston 2002. S. 3.

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
Freizeit als Spannungsfeld der industriellen Arbeit am Beispiel der Geschichte der Arbeiterklasse in Südafrika
Université
University of Hamburg  (Historisches Institut)
Cours
Historisches Hauptseminar: "Arbeit in Afrika"
Note
2,3
Auteur
Année
2003
Pages
24
N° de catalogue
V36112
ISBN (ebook)
9783638358378
ISBN (Livre)
9783638653428
Taille d'un fichier
552 KB
Langue
allemand
Mots clés
Freizeit, Spannungsfeld, Arbeit, Beispiel, Geschichte, Arbeiterklasse, Südafrika, Historisches, Hauptseminar, Arbeit, Afrika
Citation du texte
Barbara Piechota-Lutum (Auteur), 2003, Freizeit als Spannungsfeld der industriellen Arbeit am Beispiel der Geschichte der Arbeiterklasse in Südafrika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36112

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