Einleitung und Fragestellung
Ist ein Abgeordneter - zumindest rechtlich - unabhängig in Fragen und Gesetzesvorhaben, die in die Lebensverhältnisse der Bürger eingreifen? Welchen Beeinflussungen und Sanktionen ist er ausgesetzt, und wie weit darf er in seiner Unabhängigkeit gehen? In Erinnerung sind hier in jüngerer Zeit beispielsweise die Fraktionsausschlüsse der Abgeordneten Jürgen W. Möllemann und Martin Homann, aber auch sicherlich die Äußerungen des damaligen Generalsekretärs der SPD, Franz Müntefering, der bei der Abstimmung im Bundestag zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr disziplinierend bis drohend auf die Mitglieder der Bundestagsfraktion der SPD einwirkte, sie sollten loyal zu der von ihnen gestützten Regierung stehen und daher auch für diesen Einsatz stimmen. Dazu stellte er fest, dass die vorliegende Entscheidung keine sei, bei der die Abgeordneten ihr Gewissen bemühen müssten. Schließlich forderte er Sanktionen gegen die von der Fraktionslinie abweichenden Abgeordneten, beispielsweise bei der Nominierung der Kandidaten zur nächsten Bundestagswahl. Bei der Bewertung dieses Sachverhaltes ist vor allem das Verständnis vom Mandat bzw. das Spannungsverhältnis zwischen Art. 21 Abs. 1 GG und dem Art 38 Abs. 1 Satz 2 GG (Artikel 21 Abs. 1 GG als Ausdruck der Parteiendemokratie, Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG als Ausdruck der repräsentativen Demokratie) relevant; aber auch die Rechtsstellung der Abgeordneten sowie die Rechte und Pflichten, in die sie bei ihrer Arbeit eingebunden sind, sind von Bedeutung. Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, u.a. zu untersuchen, welche rechtlichen Schutzschilde Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegen die auf sie einwirkenden Interessen haben und in welchen Rechtsrahmen sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit eingebunden sind. Welche Rechte und Pflichten besitzen die Abgeordneten – sowohl nach der Geschäftsordnung des Bundestages, als auch nach den jeweiligen Fraktionsgeschäftsordnungen bzw. Arbeitsordnungen – und in welchem Umfang werden sie bzw. können sie gegebenenfalls unter Druck gesetzt oder diszipliniert werden.
Neben diesen verfassungsmäßigen und gesetzlichen Rechten stellt die angemessene soziale Absicherung eine bedeutsame Voraussetzung für den Schutz des freien Mandats dar. Hierbei ergibt sich die Frage, ob die Höhe der Entschädigung und der Versorgung ausreichend sind, um eine wirksame Schutzfunktion zu haben ausüben zu können...
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- 1. Einleitung und Fragestellung
- Teil I: Rechtsstellung der Abgeordneten
- 2. Das Wesen des Abgeordnetenmandats
- 2.1 Gleichheit der Abgeordneten
- 2.2 Öffentliche Arbeitsweise der Abgeordneten
- 2.3 Offenheit der Parlamente
- 3. Rechte und Pflichten der Abgeordneten
- 3.1 Rechte nach dem Grundgesetz
- 3.2 Rechte und Pflichten nach der Geschäftsordnung des Bundestages
- 3.3 Pflichten in den Fraktionsgeschäftsordnungen
- 4. Disziplinierungen der Abgeordneten durch die Fraktion
- 4.1 Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin
- 4.1.1 Disziplin durch Parteisozialisation
- 4.1.2 Disziplin durch fachlichen Kompetenzaustausch
- 4.1.3 Disziplin als Arbeitsgrundlage in einer Gruppe
- 4.2 Die Möglichkeit des Fraktionsausschlusses (Fallbeispiel: Jürgen W. Möllemann)
- 4.2.1 Der Sachverhalt
- 4.2.2 Die Rechtsgrundlagen des Ausschlusses
- 4.2.3 Legalität und Legitimität des Fraktionsausschlusses Jürgen W. Möllemanns
- 5. Rechtsstellung fraktionsloser Abgeordneter und parlamentarischer Gruppen
- Teil II: Soziale Sicherung der Abgeordneten
- 6. Unabhängigkeit der Abgeordneten und soziale Sicherheit
- 6.1 Entschädigung der Abgeordneten
- 6.1.1 Entschädigungsanspruch und historische Entwicklung
- 6.1.2 Abgeordnetentätigkeit als Ausübung eines bezahlten Berufs
- 6.2 Angemessenheit der Entschädigung
- 6.3 Zulässigkeit der Differenzierung in der Entschädigung
- 7. Die Problematik der „Entscheidung in eigener Sache“
- 7.1 Die gescheiterte Verfassungsänderung von 1995
- 7.2 Reformmodelle im Festsetzungsverfahren
- 7.2.1 Kopplung der Abgeordnetenentschädigung an die Beamtenbesoldung
- 7.2.2 Regelung oder Beratung durch eine Kommission
- 7.2.3 Die Empfehlungen der Kommission des nordrhein-westfälischen Landtags zur Reform des Abgeordnetenrechts
- 8. Regelungen der Abgeordnetenentschädigung
- 8.1 Funktionszulagen
- 8.2 Amtsausstattung und Kostenpauschale
- 8.3 Anrechung
- 8.4 Verdienstausfallprinzip
- 8.5 Ausgleichszahlungen
- 9. Krankheit und Pflegebedürftigkeit
- 9.1 Beihilferegelungen
- 9.2 Sicherung bei Pflegebedürftigkeit
- 9.3 Entgeltfortzahlung und Krankengeld
- 9.4 Soziale Sicherung der Abgeordneten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen
- 10. Alterssicherung
- 10.1 Historische Entwicklung des Altersversorgungssystems für Abgeordnete
- 10.2 Abgeordnetenpension in Bund und Ländern
- 11. Fazit und Ausblick: Die Zukunft der Alterssicherung und der Entschädigung für Abgeordnete des Deutschen Bundestages
- 11.1 Die Reform der Alterssicherung der Abgeordneten in der politischen Diskussion
- 11.2 Die Reform der Entscheidung in eigener Sache als Schlüssel für eine Neugestaltung der Abgeordnetenentschädigung
- 12. Anhang
- 13. Danksagung
- 14. Literatur- und Quellenverzeichnis
- Rechtsstellung und Unabhängigkeit der Abgeordneten
- Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin
- Soziale Sicherung und Entschädigung der Abgeordneten
- Die Problematik der "Entscheidung in eigener Sache"
- Altersversorgung der Abgeordneten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit der Rechtsstellung und der sozialen Sicherung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie untersucht, wie sich die Rechtsposition der Abgeordneten im Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeit und Disziplin gestaltet und welche sozialen Absicherungsmechanismen für sie gelten. Ziel der Arbeit ist es, die rechtliche und soziale Situation der Abgeordneten zu beleuchten und die Herausforderungen und Debatten im Zusammenhang mit ihrer Entschädigung und Altersversorgung zu analysieren.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Teil I widmet sich der Rechtsstellung der Abgeordneten. Er beleuchtet das Wesen des Abgeordnetenmandats, die Rechte und Pflichten der Abgeordneten sowie die Disziplinierungsmechanismen innerhalb der Fraktionen. Kapitel 4 analysiert dabei das Fallbeispiel des Fraktionsausschlusses von Jürgen W. Möllemann. Abschließend werden die rechtlichen Besonderheiten fraktionsloser Abgeordneter und parlamentarischer Gruppen betrachtet.
Teil II befasst sich mit der sozialen Sicherung der Abgeordneten. Kapitel 6 untersucht die Entschädigung der Abgeordneten und analysiert ihre Angemessenheit und Zulässigkeit. Kapitel 7 thematisiert die Problematik der "Entscheidung in eigener Sache" und stellt verschiedene Reformmodelle vor. Anschließend werden die Regelungen der Abgeordnetenentschädigung, die soziale Sicherung im Krankheitsfall und die Altersversorgung der Abgeordneten detailliert beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit folgenden Schlüsselbegriffen: Abgeordnetenrecht, Abgeordnetenmandat, Fraktionszwang, Fraktionsdisziplin, Entschädigung, Altersversorgung, "Entscheidung in eigener Sache", soziale Sicherung, Unabhängigkeit, Grundgesetz, Geschäftsordnung des Bundestages.
- Quote paper
- Patrick Ehlers (Author), 2005, Rechtsstellung und soziale Sicherung der Bundestagsabgeordneten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36256