Rezension des Buches Emmanuel Todd: Weltmacht USA - Ein Nachruf


Comentarios / Reseña Literaria, 2004

12 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Einleitung

„Die USA beherrschen längst nicht mehr die Welt, sie sind dabei die Kontrolle zu verlieren. Noch vor einem Angriff auf den Irak könnte die Auflösung des amerikanischen Systems beginnen.“[1] schreibt Emmanuel Todd im Vorwort der deutschen Ausgabe seines 2002 veröffentlichten Buchs „Weltmacht USA – Ein Nachruf“. Die Entwicklungen in der US-Außenpolitik der letzten Jahre - die verstärkte militärische Präsenz auf dem gesamten Planeten, der militärischen Konflikte in Afghanistan und Irak, das zunehmend kompromisslose Verhalten gegenüber den Verbündeten – für Todd liegt deren Ursache nicht in einer Übermacht der nunmehr einzig verbliebenen Supermacht USA, sondern in einer strukturellen Schwäche Amerikas. Der französische Historiker und Demograph geht davon aus, dass die einzigartige Machtstellung der USA ihrem Ende entgegen geht. In seinem Essay beschreibt er Amerika als ein untergehendes Imperium, das in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten und als Weltmacht überflüssig geworden, die eigene Position weder ideell legitimieren noch militärisch ausreichend verteidigen kann. Den Krieg gegen den Terror und den Militäreinsatz im Irak sieht der Autor als verzweifelte Machtdemonstration eines de facto weit gehend machtlosen Amerikas, das ein bereits zum Untergang verurteiltes Weltreich zu retten sucht.

In dieser Rezension sollen in einem ersten Teil die zentralen Thesen Todds dargestellt werden. Im Anschluss wird eine Einordnung seines Buches in den zeitgeschichtlichen und wissenschaftlichen Kontext vorgenommen, um dann im dritten Teil Hauptaussagen und Argumentationsweise zu diskutieren und zu bewerten.

I. Inhaltlicher Überblick

Das heutige Amerika ist eine Supermacht im Niedergang, so Emmanuel Todds Eingangsthese. Nicht etwa unbegrenzte Machtfülle, sondern eine Existenz bedrohende Schwäche kennzeichne den Zustand der USA.

Um den Blick auf die von ihm konstatierte strukturelle Schwäche Amerikas freizulegen, macht sich Todd zunächst daran, das Bild der omnipräsenten und omnipotenten USA zu demontieren. Die weltweite Militärpräsenz Amerikas im Zuge des Kriegs gegen den Terror und der gegen den Widerstand zahlreicher Verbündeter und der UNO durchgeführte Irakkrieg sind seiner Ansicht nach kein Beweis der Unabhängigkeit und Stärke Amerikas, sondern Teil eines Konzepts des „theatralischen Militarismus“[2], der die Schwäche Amerikas durch die Demonstration militärischer Macht zu kaschieren sucht. Der weltweite Terrorismus werde als Bedrohung weit übertrieben und instrumentalisiert, um die jüngsten US-Militäreinsätze zu rechtfertigen. Diese, so Todd, richten sich bewusst gegen weit gehend wehrlose Staaten wie Afghanistan oder den Irak, um gefahrlos aber eindrucksvoll militärische Macht zu demonstrieren. Darüber hinaus kann er wenig Sinn in den Kriegseinsätzen entdecken, da sie im Kampf gegen den Terrorismus bisher nur sehr bescheidene Erfolge erbracht hätten. Im Allgemeinen, wie etwa im Fall Afghanistans, gelinge der US-Armee nicht einmal die wirkungsvolle Besetzung und Kontrolle des eroberten Territoriums. Hauptzweck der weltweiten Militärpräsenz und Kriegseinsätze der USA ist für Todd also die Aufrechterhaltung des Eindrucks der Omnipotenz Amerikas. Diese übertriebene Machtdemonstration ist nach Ansicht des Autors geradezu ein panischer Reflex, die Reaktion einer bedrohten Supermacht auf die Erkenntnis ihres fortschreitenden Machtverlusts. In der Folge dieses Verhaltens habe sich Amerika zu einer regelrechten „Raubmacht“[3] entwickelt, die in aller Welt Konflikte schüre.

Die durch ihre weltweiten Militäraktionen so mächtig wirkenden Vereinigten Staaten, so Todd, sind in Wahrheit in mehrfacher, fundamentaler Weise geschwächt: Wirtschaftlich sind sie abhängig vom Rest der Welt, und die daraus erwachsende Notwendigkeit der globalen Dominanz lässt sich weder ideell legitimieren noch durch das unzureichende US-Macht- und Militärpotenzial absichern.

Die strukturelle Schwäche Amerikas findet ihre Ursache zunächst in einer bisher weit gehend unerkannten ökonomischen Krise, so Todds These. Die größte Volkswirtschaft der Erde ist seiner Ansicht nach vollständig in die Abhängigkeit anderer Wirtschaftsmächte geraten. Dies begründet der Autor mit dem Hinweis auf den Rückgang der Produktivität der US-Wirtschaft. Während andere große Volkswirtschaften, wie die der EU und Japans, einen Produktivitätsanstieg zu verzeichnen haben, stellt sich die US-amerikanische Ökonomie bei Todd als weit gehend unproduktives System dar, das vorwiegend Produkte und Dienstleistungen aus dem Rest der Welt konsumiert. Tatsächlich lässt sich in den letzten Jahren ein enormer Anstieg des Außenhandelsbilanzdefizits verzeichnen, der Todd als Indikator für eine derartige Entwicklung dient. Während zu früheren Zeiten die US-Wirtschaft eine unangefochtene Spitzenstellung in der Welt einnahm und von der eigenen Produktivität zehrte, ist sie nunmehr wenig stärker als die Volkswirtschaften Europas und auf Importe angewiesen, deren Kosten sie durch Kredite und einen stetigen Kapitalfluss in die USA ausgleichen muss. Diese Abhängigkeit nun, so Todd, zwingt Amerika geradezu in eine imperiale Machtposition. Allein nicht überlebensfähig, muss es sicherstellen, dass Ressourcen, Waren, Dienstleistungen und Kapital aus aller Welt ihm auch zukünftig zur Verfügung stehen. Doch die Aufgabe, diesen steten Fluss von Geld und Gütern in die Vereinigten Staaten sicherzustellen, könne das heutige Amerika nicht mehr bewerkstelligen.

Die dazu notwendige Weltmachtstellung sei aus zwei Gründen nicht mehr aufrecht zu erhalten: Zunächst sieht Todd die ideologische Legitimation der Weltmacht USA im Verschwinden begriffen. Die seit dem Ende des Kalten Krieges unangefochtenen Supermacht USA kann ihren globalen Herrschaftsanspruch nicht mehr ausreichend begründen. Stand sie früher als Schutzmacht gegen den Kommunismus und als Symbol der Demokratie, so ist sie heute in dieser Funktion überflüssig geworden. Die Demokratie nämlich hat sich, laut Emmanuel Todd, weltweit bereits durchgesetzt. In Anlehnung an die Thesen Francis Fukuyamas[4] zeigt Todd einen weltweiten Trend der Demokratisierung auf, der sich seiner Ansicht nach inzwischen unabhängig von den USA fortsetzt. Mit dem Hinweis auf statistische Daten, sucht der Autor zu belegen, dass früher oder später jedes Land der Erde den Weg zur Demokratie einschlage. Weltweit sei ein Anstieg der Alphabetisierungsquote und ein daraus resultierender Rückgang der Geburtenraten zu verzeichnen, die Todd als zentrale Indikatoren für den Übergang zu demokratischen Gesellschaften sieht. Der gleiche Prozess habe sich bereits vor Jahrhunderten in Europa abgespielt und greife nun auch auf die weniger entwickelten Länder über, während sich in den USA sogar ein deutlicher Rückgang der Demokratie abzeichne. Durch die von ihm prognostizierte weltweite Demokratisierung erwartet Todd eine Befriedung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Ein derartiger Demokratischer Frieden[5] würde die Vereinigten Staaten als weltweit präsente Schutzmacht überflüssig machen.

Zudem sieht Todd die Amerikaner in einer Situation, in der sie die eigene Legitimationsbasis untergraben. Während sich die US-Machtpolitik bis zur Hochphase des Kalten Krieges durch einen starken Universalismus ausgezeichnet habe, wie er für eine erfolgreiche Weltmacht typisch sei, zeichne sich seit dem Ende der Konfrontation mit dem sowjetischen Gegner nun ein deutlicher Rückgang der amerikanischen Bereitschaft ab, fremde Kulturen in ihr ‚Weltreich’ zu integrieren oder zumindest mit Wohlwollen zu behandeln. Die Vereinigten Staaten entwickeln sich laut Todd immer mehr zu einem abgeschlossenen System, das etwa die gesamte arabische Kultur pauschal zu seinem Feind erklärt und selbst den europäischen Verbündeten durch eine herablassende Behandlung wenig Motivation bietet mit den USA zu kooperieren oder dort ihr Geld zu investieren. Folgt man Emmanuel Todds Argumentation, hat Amerika die Legitimation seiner Weltmachtrolle im Wesentlichen eingebüßt.

Ohne eine stabile Legitimationsbasis aber bleibt den USA nur ein Mittel, ihre weltweite Dominanz aufrecht zu erhalten: militärische Macht. Und auch diese sieht Emmanuel Todd bedroht. Die amerikanischen Militärkapazitäten seien bei weitem nicht so omnipotent, wie sie allgemein beschrieben würden. Das amerikanische Nuklearpotenzial beispielsweise, sei in modernen Konflikten unpraktikabel und auf Grund der weiterhin bestehenden, beachtlichen nuklearen Bewaffnung Russlands letztlich nicht als reales Drohmittel tauglich. Im Bereich der konventionellen Kriegführung dagegen, sei man weit gehend auf die Luftstreitkräfte angewiesen, da die Bodentruppen der US-Armee eine effektive Besetzung und Kontrolle eines größeren Territoriums nicht erlaubten. Letzten Endes beschränkten sich die realen Einsatzmöglichkeiten der US-Militärmacht auf bewaffnete Konflikte mit kleinen, militärisch schwachen Nationen. Kriege in einem größeren Rahmen seien kaum vorstellbar.

Laut Emmanuel Todds Analyse finden sich die USA also in einer denkbar unkomfortablen Situation wieder: Auf Grund wirtschaftlicher Abhängigkeit ist man darauf angewiesen, die Weltmachtrolle aufrecht zu erhalten, sieht sich aber letztlich der Mittel beraubt, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Konsequenz hieraus, so sieht es Todd, ist der eingangs erwähnte „theatralische Militarismus“, also der fast schon verzweifelt anmutende Versuch, die Welt mit einer Politik der kleinen militärischen Konflikte von der fortwährenden Präsenz und Stärke der letzten verbliebenen Supermacht zu überzeugen. Diese recht abenteuerlich anmutende Strategie, so unterstreicht es Todd, sei keineswegs Resultat eines rationalen Planungsprozesses. Vielmehr seien die Vereinigten Staaten in ein derartiges Vorgehen geradezu hinein gestolpert, nachdem sie sich aller anderen Optionen beraubt sahen.

[...]


[1] Todd, Emmanuel: Weltmacht USA – Ein Nachruf, Ungekürzte Taschenbuchausgabe, München 2004, S. 10

[2] Todd, S. 38

[3] Todd, S. 18

[4] Der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama stellt in seinem Anfang der 1990er Jahre erschienenen Buch „Das Ende der Geschichte“ die These auf, nach dem Scheitern von Faschismus und Kommunismus zeichne sich nun der endgültige Sieg der liberalen Demokratie ab. Einem teleologischen Geschichtsbild folgend, prognostiziert er den weltweiten Triumph dieser Gesellschaftsform, die sich für ihn als Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit darstellt.

[5] Michael Doyle formulierte 1983 als erster eine Theorie, die, in Anlehnung an die kantische Idee vom ewigen Frieden, kriegerische Auseinandersetzungen zwischen zwei demokratischen Gesellschaften für praktisch unmöglich erklärt. Dabei wird, einer liberalen Argumentation folgend, davon ausgegangen, dass die Mitglieder einer freiheitlichen Gesellschaft sich nur unter Extrembedingungen dazu entschließen würden, die enormen Kosten und Lasten eines Krieges auf sich zu nehmen. In einer ausschließlich von demokratischen Staaten bevölkerten Welt wäre demnach also mit einer vollkommenen Abwesenheit des Krieges zu rechnen.

Final del extracto de 12 páginas

Detalles

Título
Rezension des Buches Emmanuel Todd: Weltmacht USA - Ein Nachruf
Universidad
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Calificación
1,0
Autor
Año
2004
Páginas
12
No. de catálogo
V36273
ISBN (Ebook)
9783638359412
Tamaño de fichero
489 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Rezension, Buches, Emmanuel, Todd, Weltmacht, Nachruf
Citar trabajo
Andreas Schiel (Autor), 2004, Rezension des Buches Emmanuel Todd: Weltmacht USA - Ein Nachruf, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36273

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