Postcolonial Studies und Entwicklungstheorie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

23 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Good Governance
2.1. Weltbank
2.2. UNDP
2.3. Deutschland und EU
2.4. Vergleich

3. Kritik aus Sicht der postcolonial studies
3.1. Power-knowledge
3.2. Eurozentrismus
3.3. Binäre Gegensätze

4. Schluss

5. Literatur

1. Einleitung

Postcolonial theory ist keine Entwicklungstheorie, vielmehr ist sie ein Analyseinstrument aus den Geistes- und Kulturwissenschaften, dass nach der Verbindung zwischen (wissenschaftlich produziertem) Wissen und Machtausübung während und nach Ende der Kolonialzeit fragt.[1] Hierfür bedient sie sich der Methode der Diskursanalyse: es wird gefragt, in wie­weit ein (wissenschaftlicher) Diskurs dazu dient, Machtstrukturen oder eine Weltordnung festzulegen. Wer bestimmt, was (wissenschaftlich) gesicherte Erkenntnisse sind, was richtig und falsch, gut und schlecht ist, der legitimiert bestimmte Formen von Herr­schaft und Ordnung.[2] Dies muss kein bewusster, absichtsvoller Prozess sein und ist er auch historisch nur zum Teil gewesen, er lässt sich aber mit Hilfe der Diskursanalyse aufdecken und untersuchen.

Um der Frage nachzugehen, inwieweit die postcolonial theory im Rahmen der Entwicklungstheorie eine Rolle spielen kann, reicht es daher nicht, einfach nur die Ideen der postcolonial studies darzustellen. Diese sind nicht im entwicklungstheoretischen Kontext entstanden und auch in der politikwissenschaftlichen Diskussion bisher noch nicht gründlich verankert. Aus diesem Grund scheint es sinnvoll, die postcolonial theory auf die Ent­wicklungstheorie anzuwenden: Entwicklungstheorie soll hier im Sinne der postcolonial studies als ein wissenschaftlicher Diskurs verstanden werden. In ihm wird festgelegt, was Entwicklung ist, wie sie vonstatten gehen soll und was die Ziele der Entwicklung sein können. Damit ist sie keine ‚objek­tive’ Beschreibung von Ist-Zustand und möglichen Wegen zu einer Verän­derung, sondern legt im Diskurs selbst fest, was als richtige oder falsche, gute oder schlechte ‚Entwicklung’ zu verstehen ist.[3]

Mit dieser Festlegung wiederum, die sich zentrale Akteure der Entwick­lungspolitik aneignen, werden Realitäten geschaffen, die zu einer Ver­festigung politischer und kultureller Machtverhältnisse in den ‚Entwick­lungsländern’ und den internationalen Beziehungen führt. Aus Sicht der postco­lonial studies soll daher im Folgenden untersucht werden, wie Entwick­lungstheorie auf die politische Realität in den Entwicklungsländern wirkt, indem sie von den Industrieländern im Rahmen der Entwicklungspolitik auf die Entwicklungsländer ‚angewendet’ wird. Als Beispiel für diesen Prozess soll das good governance Konzept von Weltbank, UNDP und BMZ als ent­wicklungspolitischen Akteuren dienen.

Eine umfassende Diskusanalyse würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit deutlich sprengen. Sie müsste den gesamten Diskurs und seine Auswirkungen untersuchen: d.h. es wäre notwendig, verschiedene Standpunkte und De­finitionen zu good governance zu untersuchen und nach deren Wirkungs­weise in der Entwicklungshilfe zu fragen.[4] Dies kann hier aus Platzgründen nicht geleistet werden. Stattdessen sollen die Begriffe des good gover­nance in der Selbstdefinition von Weltbank, UNO und BMZ dargestellt und auf ihre unterschiedlichen Schwerpunkte hin untersucht werden. Die Frage, inwiefern diese Konzepte Wirklichkeit schaffen, kann nur unzurei­chend behandelt werden, da hierfür Fallbeispiele herangezogen werden müssten. Dennoch soll in einem letzten Schritt versucht werden, dies für das Konzept der Weltbank anzudeuten.

Die Literatur für diese Arbeit ist sehr weit gefächert und unterschiedlich. Im Rahmen der Entwicklungstheorie und ihrer Umsetzung in der Entwicklungspolitik wurde das Konzept des good governance diskutiert und ausformuliert.[5] Hier soll in erster Linie auf die Veröffentlichungen der drei untersuchten Akteure Weltbank, UNDP und BMZ zurückgegriffen werden, da es weniger um die Diskussion von good governance in der wissenschaftlichen Debatte gehen soll als um die Bedeutung, die dieses Konzept in der Entwicklungspolitik hatte. Auch zur postcolonial theory ist die Grundlagenliteratur umfangreich.[6] Eine Verbindung von postcolonial studies und Entwicklungstheorie liefern die Arbeiten aus der so genannten post-development Richtung.[7] Dennoch sind die postcolonial studies nach wie vor in erster Linie eine kulturwissenschaftliche Disziplin, die bisher erst wenig Eingang in die politikwissenschaftliche Debatte gefunden hat. Das liegt unter anderem auch in einer strukturellen Abneigung postkolonialer Theoretiker gegen­über Verallgemeinerungen begründet: die Betonung des Einzelfalles und die Verneinung von universal anwendbaren Vorstellungen sind das Kern­element der postcolonial theory.

2. Good Governance

Der Begriff des good governance wird seit den 1990er Jahren in Entwick­lungstheorie und -politik verwendet. Er wird im Allgemeinen als „gute Re­gierungsführung“ übersetzt und bezeichnet die politischen Rahmenbedin­gungen, die in einem Staat nötig sind, um wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen.[8] Damit sind Prozesse der Entscheidungsfindung und deren Implementierung gemeint, für die bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, damit sie als „good“ governance gelten können. Bis zu diesem Punkt stimmen die unterschiedlichen Definitionen verschiedener Organisationen überein. In der konkreten Definition und Auslegung des Begriffs sind dann jedoch große Unterschiede zu erkennen: je nach Herkunftsland oder Ziel­setzungen der Institutionen sind verschiedene Definitionen zu finden.[9]

Grundsätzlich ist es wichtig, die beiden eng verwandten Begriffe gover­nance und government voneinander zu unterscheiden, um Verwechs­lungen auszuschließen. Der Begriff governance beschreibt Regierungs­führung, während government als Regierungsgewalt zu verstehen ist. Mit dem Begriff der Regierungsführung wird vor allem die Effizienz von Insti­tutionen verbunden, während eine Untersuchung von Regierungsgewalt Verfahrensweisen und Prozesse des Regierens betont.[10]

Kompliziert wird die Suche nach Definitionen von good gover­nance, da der Begriff inzwischen auch außerhalb der Entwicklungs­politik für die Beschreibung von Handlungsweisen oder die Organisation des Handelns verwendet wird. So hat sich neben der internationalen und nationalen Ebene des Begriffs eine regionale und lokale Ebene etabliert. Daneben existieren auch Begriffe wie der des „corporate governance“, der Handlungs- und Leitungsprozesse innerhalb von Unternehmen beschreibt.[11] Hier soll nur auf die für die Entwicklungspolitik ausschlaggebenden Defini­tionen von good governance eingegangen werden.

Dafür sollen die Definitionen dreier Akteure der Entwicklungspolitik he­rangezogen werden: Erstens soll der ursprünglich von der Weltbank defi­nierten Begriff, der bis heute als Vergabekriterium für Kredite fungiert und sehr eng auf ökonomische Entwicklung bezogen ist, vorgestellt werden. Ihm soll zweitens die Definition des United Nations Development Programm (UNDP) entgegengestellt werden, die klar die politische Dimension von good governance in den Vordergrund stellt und ebenfalls als Vergabekriterium von Entwicklungsgeldern dient. Als drittes soll dann noch kurz auf das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vertretene deutsche Konzept eingegangen wer­den, das in seiner Betonung der Bedeutung der Menschenrechte beispiel­haft für die Europäische Definition von good governance stehen kann.[12]

2.1. Weltbank

Der Begriff „governance“ wurde zum ersten Mal 1989 in einem Bericht der Weltbank zur Lage in Afrika verwendet. Darin stellte die Weltbank in Afrika eine „crisis of governance“ fest und machte diese als Ursache für die ausbleibende wirtschaftliche Entwicklung aus. Hier wurde der Begriff governance als „the exercise of political power to manage a nation’s af­fairs“ sehr weit gefasst und sowohl für den politischen als auch den wirt­schaftlichen Bereich verwendet. Das wertende „good“ ist nur im Vorwort des damaligen Präsidenten der Weltbank B. Conable zu finden.[13]

Da die Statuten der Weltbank regeln, dass sie sich bei der Vergabe von Krediten nicht von politischen Kriterien leiten lassen darf, hat sich die Weltbank wiederholt bemüht, ihren governance -Begriff klar auf den wirt­schaftlichen Bereich zu konzentrieren. So konkretisierte sie 1994 ihre Definition, nach der governance als „the manner in which power is exer­cised in the management of a country’s economic and social resources for development“[14] beschrieben wird. Damit ist der Bereich der wirtschaftlichen Kriterien sehr weit gefasst und die Grenzen zwischen Wirtschaft und Poli­tik bleiben fließend, besonders dann, wenn die konkreten Forderungen der Weltbank betrachtet werden.[15]

Für die Weltbank-Definition sind vier Bereiche zentral:

- Public Sector Management hat eine gesteigerte Leistung und bes­sere Steuerung des öffentlichen Sektors zum Ziel. Die Forde­rungen der Weltbank umfassen sowohl die Senkung öffentlicher Ausgaben und die Privatisierung staatlicher Unternehmen als auch die Partnerschaft öffentlicher und privater Akteure. Diese sollen über Reformen der Verwaltung und des Finanzwesens erreicht werden.

[...]


[1] Vgl. Bill Ashcroft, Gareth Griffiths, Helen Tiffin: Post-Colonial Studies. The Key Concepts. London 1998. S. 1-3; Ato Quayson: Postcolonialism. Theory, Practice or Process? Cambridge 2000. S. 2-5

[2] Vgl. Robert J.C. Young: Postcolonialism. A Very Short Introduction. Oxford 2003; ders.: Postcolonialism. An Historical Introduction. Oxford 2001; Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient. London 41995; Jürgen Osterhammel: Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen. München 2001.

[3] Vgl. Young: Historical Introduction, S. 46-56; Rita Abrahamsen: African Studies and the Postcolonial Challenge. In: African Affairs 102 (2003), S. 189-210. hier: S. 201-204.

[4] Vgl. Rita Abrahamsen: Disciplining Democracy. Development Discourse and Good Governance in Africa. London 2000, Introduction und S. 1-24.

[5] Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Diskussion zu good governance vgl. Ngaire Woods: Good Governance in International Organizations. In: Global Governance 5 (1999), S. 39-61, hier: S. 40-43.

[6] Für einen Überblick über Forschungsfelder und Debatten vgl. Benita Parry: Directions and Dead Ends in Postcolonial Studies. In: David Theo Goldberg, Ato Quayson (Hg.): Relocating Postcolonialism. Oxford 2002. S. 66-81; für einen Überblick über die Entstehung der Theorie Quayson: Postcolonialism, S. 3-7; Young: Historical Introduction; Young: Short Introduction.

[7] Z.B.: Arturo Escobar: Encountering Development. The Making and Unmaking of the Third World. Princeton 1995; J. Ferguson: The Anti-Politics Machine. ‚Development’, Depoliticization and Bureaucratic Power in Lesotho. Minneapolis 1994; W. Sachs (Hg.): The Development Dictionary. A Guide to Knowledge and Power. London 1992; M. Rahnema, V. Bawtree (Hg.): The Post-Development Reader. Lon­don 1997.

[8] Vgl. Peter Nunnenkamp: What Donors Mean by Good Governance. Heroic Ends, Limited Means, and Traditional Dilemmas of Development Co-operation. In: Nord-Süd aktuell 8 (3/1994), S. 458-463, hier S. 458f

[9] vgl. T. Fuster: Die Furcht der Weltbank vor dem Wörtchen “Politik”. Eine heikle Gratwanderung bei der Forderung nach „good governance“. In: Neue Zürcher Zeitung, 18.09.1999, S. 29.

[10] Vgl. Emma Murphy: Good Governance. Ein universal anwendbares Kon­zept? In: Internationale Politik 57 (8/2002). Zitiert nach: www.dgap.org/IP/ip0208/murphy.html

[11] Vgl. Woods, S. 39.

[12] BMZ: BMZ Spezial. Good Governance. Bonn 2002, S. 14f.

[13] World Bank (Hg.): Sub-Sahara Africa: From Crisis to Sustainable Growth. A long-Term Perspective Study. Washington 1989.

[14] World Bank (Hg.): Governance. The World Bank’s Experience. Washington 1994. S.14.

[15] vgl. T. Fuster, S. 29.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Postcolonial Studies und Entwicklungstheorie
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Sozialwissenschaftliche Entwicklungstheorien
Note
1-
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V36328
ISBN (eBook)
9783638359894
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit werden verschiedene Konzepte von "good governance" vorgestellt, die eine der Grundlagen der Entwicklungspolitik von Weltbank, UNDP (als internationalen Organisationen) sowie Deutschland (als Länderbeispiel) sind. Auf diese Konzepte wird die Kritik der Postcolonial Studies an der etablierten Entwicklungstehorie und -politik angewandt.
Schlagworte
Postcolonial, Studies, Entwicklungstheorie, Hauptseminar, Sozialwissenschaftliche, Entwicklungstheorien
Arbeit zitieren
Helene Heise (Autor:in), 2004, Postcolonial Studies und Entwicklungstheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36328

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