Die so genannte „Fischer-Kontroverse“ gilt als die „Schlüsseldebatte“ in der deutschen Geschichtswissenschaft der frühen 60er-Jahre. Der Hamburger Historiker Fritz Fischer stritt damals mit seinen Kontrahenten über die Kriegsziele des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Entgegen der bis dahin vorherrschenden Forschungsansicht vertrat Fischer die These, Deutschland sei nicht etwa gemeinsam mit den europäischen Großmächten in den Krieg „hineingeschlittert“, sondern habe eine aktive Kriegspolitik betrieben und expansive Kriegsziele während des gesamten Ersten Weltkriegs verfolgt.
Über die fachwissenschaftliche Spezialdebatte hinaus wurde die Fischer- Kontroverse in der breiten Öffentlichkeit als eine Debatte über die Kontinuitäten in der Deutschen Geschichte wahrgenommen. Wenn das Deutsche Reich schon im Ersten Weltkrieg weitreichende Kriegsziele verfolgt hatte, die denen Hitlers im Zweiten Weltkrieg ähnelten, konnte Hitler nicht länger als ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte angesehen werden. Bis zu Fischers Arbeit über den Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Geschichtswissenschaft Hitler und das ‚Dritte Reich’ als außerhalb der Kontinuität der historischen Entwicklung, als eine Art ‚Ausrutscher’, betrachtet. Diese Ansicht war zum Grundkonsens der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 1950er-Jahre geworden, in der das „kommunikative Beschweigen“ der persönlichen Vergangenheit und der deutschen Geschichte einen festen Platz einnahm. Fritz Fischer veröffentlichte sein Buch zu einem Zeitpunkt, als dieser Grundkonsens bereits erste Risse bekommen hatte: Der Eichmann- Prozess in Israel, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse und Diskussionen um verschiedene neu veröffentlichte Bücher zwangen die Deutschen zur Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Derart sensibilisiert für einen kritischeren Umgang mit der eigenen Vergangenheit, traf Fischers Buch – und sein anklagender Ton, der seine These vom gesamtgesellschaftlichen Konsens innerhalb der deutschen Bevölkerung über die expansiven Kriegsziele durchzog – den Nerv seiner Zeitgenossen. Dass genau dies auch seine Absicht gewesen war, betont Fischer in seinem „Begleitwort“ zur Neuauflage von 1977: „[…] vom Kaiserlichen Deutschland [sind] in den gesellschaftlichen Formationen und ideellen Traditionen Linien oder doch Elemente der Kontinuität festzustellen […] hin zum ‚Dritten Reich’, die erst begreiflich machen, wieso dieses möglich war und kein „Betriebsunfall“ der Geschichte, wie so viele es sehen wollen.“
Inhaltsverzeichnis
- Die so genannte „Fischer-Kontroverse“
- Kontinuität in der deutschen Geschichte
- Fritz Fischers Biographie
- Fischer in der NS-Zeit
- Fischer im Krieg
- Fischer in amerikanischer Kriegsgefangenschaft
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit der „Fischer-Kontroverse“, einer Schlüsseldebatte in der deutschen Geschichtswissenschaft der frühen 60er-Jahre. Der Fokus liegt auf der biographischen Dimension der Kontroverse, insbesondere auf der Rolle von Fritz Fischer und seinem Werdegang in der NS-Zeit.
- Die „Fischer-Kontroverse“ als Schlüsseldebatte der deutschen Geschichtswissenschaft der frühen 60er-Jahre
- Fritz Fischers These von der Kontinuität in der deutschen Geschichte
- Die Rolle der NS-Zeit in Fischers Biographie und deren Einfluss auf seine späteren wissenschaftlichen Interessen
- Fischers politische und akademische Karriere im Kontext der NS-Ideologie
- Der gesellschaftliche Bewusstseinswandel in der Bundesrepublik nach 1945 und Fischers „Bekehrung“ in amerikanischer Kriegsgefangenschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Der Text analysiert zunächst die Kontroverse um Fritz Fischers These von der Kontinuität in der deutschen Geschichte, die die bis dahin vorherrschende Ansicht von Hitler als „Betriebsunfall“ in Frage stellte. Anschliessend wird die Biographie Fritz Fischers beleuchtet, wobei insbesondere seine politische Prägung und sein Werdegang in der NS-Zeit im Vordergrund stehen. Dabei werden seine Mitgliedschaften in der SA und NSDAP sowie seine Aktivitäten in der völkischen Jugendbewegung und im Freikorps untersucht. Der Text untersucht auch Fischers akademische Karriere und seine Verbindung zum Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands. Schliesslich beleuchtet der Text Fischers Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und die Veränderung seiner politischen Einstellung in diesem Zusammenhang.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen des Textes sind die „Fischer-Kontroverse“, die Kontinuität in der deutschen Geschichte, Fritz Fischers Biographie, die NS-Zeit, völkische Jugendbewegung, Freikorps, Reichsinitiative für Geschichte des neuen Deutschlands, und Fischers „Bekehrung“ in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
- Arbeit zitieren
- Helene Heise (Autor:in), 2004, "Gewissermaßen schizophren" - Die biographische Dimension der Fischer-Kontroverse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36330