James Burnham. Trotzkist und Theoretiker des Ultraimperialismus


Term Paper, 2014

27 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Übersicht

Einleitung

1. Vorgeschichte

2. Abriss der Burnham'schen Staatsphilosophie
a) Burnhams praktisches Ziel
b) Ideologie
c) Die Manager
d) Die Verlagerung des Sitzes der Souveränität
e) Die Superstaaten
f) Der Kampf um den Planeten

3. Wirkung
a) soziologische und historische Forschung
b) Einfluss auf die CIA
c) Fortleben in der Politik
d) George Orwell

4. Schluss

Literatur

Einleitung

„ Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier! “

(Shakespeare)

Die Welt der Elisabethanischen Tragödien ist vom Willen zur Macht durchdrungen. Ob Held oder Unhold: Jede Figur ist gewaltig und gewalttätig. Ein Zurückstecken gibt es nicht; für Mittelmaß keinen Platz.

Eine Welt ganz nach dem Geschmack von James Burnham (1905-1987). Er, der in Princeton und Oxford studierte, gar von J.R.R. Tolkien im Altenglischen unterrichtet wurde, war zeitlebens ein Freund des Schauspiels. Auch wenn die schöner Literatur später nicht mehr Gegenstand seines Berufes war, da er seine Seminare über Ästhetik aufgab, ist sie in seinem Werk stets präsent. Weniger durch Burnhams Angewohnheit jeder Schrift ein poetisches Zitat voranzustellen. Vielmehr als allgemeiner Gefühlston, der die Dinge zum Gleichklang zwingt und sich derart in seiner Staatsphilosophie objektiviert.

Letztere stützt sich auf das Axiom, dass der Mensch von Natur aus Egoist sei. Werte sind Illusionen. Bloße Projektionsflächen von Machtinteressen, welche die Teleologie historischer Prozesse bestimmen.

Der Gang der Geschichte besteht für Burnham im Entstehen und Vergehen der Eliten. Die Idee der Freiheit betrachtet er als Propaganda, derer sich jede neue Elite bedient um die alte zu stürzen. War daher auf die Vorrangstellung des Adels jene der Unternehmer gefolgt, so werden diese nicht dem Proletariat weichen, sondern den lohnabhängigen Betriebsleitern bzw. Managern, welche das Volk durch die Erfindung einer Vielzahl von „Sozialismen“ foppen.

Burnhams Furcht vor einer totalitären Welt fußt vornehmlich auf seine Theorie von der Revolution der Manager, die George Orwell folgendermaßen zusammenfasst:

„Capitalism is disappearing, but Socialism is not replacing it. What is now arising is a new kind of planned, centralized society which will be neither capitalist nor, in any accepted sense of the word, democratic. The rulers of this new society will be the people who effectively control the means of production: that is, business executives, technicians, bureaucrats and soldiers, lumped together by Burnham, under the name of managers. These people will eliminate the old capitalist class, crush the working class, and so organize society that all power and economic privilege remain in their own hands. Private property rights will be abolished, but common ownership will not be established. The new managerial societies will not consist of a patchwork of small, independent states, but of great super-states grouped round the main industrial centers in Europe, Asia, and America. These super-states will fight among themselves for possession of the remaining uncaptured portions of the earth, but will probably be unable to conquer one another completely. Internally, each society will be hierarchical, with an aristocracy of talent at the top and a mass of semi-slaves at the bottom.“1

Im Rahmen dieser Arbeit soll die Burnham'sche Theorie in ihrer vollentwickelten Gestalt aufbereitet werden, die sie zum Ende der 40er Jahre angenommen hatte, und in welcher Form bis in die Gegenwart wirkt. Hierzu wird 1) die Biografie Burnhams ausgewertet, um ihre Entstehung sowie den ideengeschichtlichen Kontext nachzuzeichnen, darauf folgt 2) eine logisch- philosophische Analyse seines Systems an sich und 3) ein kurzer Abriss ihrer historischen Wirkung.

Als Materialgrundlage für Schritt 1 wurde aus der spärlichen Sekundärliteratur, die allem voran aus dem Umfeld des konservativen Magazins National Review stammt, lediglich Daniel Kelly ausgewählt. Dessen Biografie ist trotz ihrer einseitig positiven Darstellung Burnhams, die sie mit den möglichen Alternativen teilt, sinnvoll auswertbar. Als Quellendienen in diesem Abschnitt während Burnhams kommunistischer Phase verfasste Zeitungsartikel und Briefe, in Edition von Einde O'Callaghan für die Encyclopedia of Trotskyism Online (ETOL). Ferner die in Zusammenarbeit mit Philip Wheelwright verfasste Introduction to philosophical analysis (1932).

Schritt 2 erfolgt übereinstimmend mit den Konventionen der Philosophiegeschichte primär durch Auswertung der jeweiligen Schriften selbst,2 d.h. allem voran The Managerial Revolution (1941), The Machiavellians (1943) und The Struggle for the World (1947). Diese bilden eine Einheit in dem Sinne, dass die Theorie aus The Managerial Revolution durch die beiden folgenden Arbeiten vertieft wird. In The Struggle for the World vollzieht sich dabei ein qualitativer Sprung, da Burnham die Ebene der reinen Beschreibung verlässt und nunmehr selbst die Gründung von Superstaaten propagiert. Vorgriffe auf Burnhams Zukunft sollen die autoritären Tendenzen dieses Gedankenganges aufzeigen.

In Schritt 3 schließlich wird auf vier verschiedene Pfade der Wirkungsgeschichte der Burnham'schen Staatsphilosophie eingegangen. Dies sind die Wissenschaft, sein Werdegang beim Geheimdienst OPC, der Einfluss auf die Konservative Bewegung in den USA, sowie schließlich die eigenartige Verbindung mit dem Spätwerk Orwells, zum Vehikel seiner Gedanken wurde.

Die so gewonnenen Erkenntnisse werden letztlich in einem Fazit zusammengefasst, welches zugleich ihre zeitgeschichtliche Bedeutung hervorheben soll.

1. Vorgeschichte

Für den Zweck unserer Arbeit sind vornehmlich folgende Fragen zu klären:

- Was ist Burnhams sozialer Hintergrund?
- Wie wurde er ausgebildet?
- Welche Traditionen und Einflüsse nimmt er auf?
- Wo ist er politisch zu verorten? Inwiefern war er ein „Trotzkist“?

James Burnham wurde am 22. November 1905 in Chicago geboren. Sein Vater Claude hatte sich keine drei Jahre zuvor bei der örtlichen Eisenbahngesellschaft vom Laufburschen zum Planer hochgearbeitet, und trat spätestens 1910 in den Vorstand des Unternehmens ein. Der self-made man Claude Burnham gehört damit, der späteren Theorie seines Sohnes folgend, zur Klasse der Manager (vgl. 2c). Burnhams Mutter Mary Mae, geborene Gillis, war irisch-katholischer Abstammung. Sie setzte ihre religiösen Vorstellungen bei der Erziehung der Kinder sowie der Auswahl der Schulen gegen ihren protestantischen Ehemann durch. James und seine beiden Brüder David und Philip erfuhren auf diesem Wege eine unwiderrufliche Prägung durch den Neuthomismus, d.h. das durch Papst Leo XIII. angeregte Wiederaufleben der Lehre des Thomas von Aquin.3

1923 verlässt Burnham die Canterbury School in New Milford, Conneticut. Damals eine Kaderschmiede, die junge Katholiken auf das Studium an Elite- Universitäten der Ivy League vorbereiten sollte. Von dort aus gelangt er nach Princeton, wo er einen Bachelor of Arts in Philosophie erwirbt. Zur Abschlussfeier 1927 erscheinen die Eltern in ihrem privaten Eisenbahnwagon. Burnham setzt sein Studium am Balliol College in Oxford fort. Er erreicht jedoch nicht den angestrebten Master, sondern einen zusätzlichen 2-Fach-Bachelor in Anglistik und Mittelalterlicher Philosophie. - Durch das beherzte Eingreifen seines Mentors Philip Wheelwright sollte sich dies jedoch nicht als Hindernis erweisen, so dass Burnham schon 1929 eine Assistenzprofessur an der New York City University antreten konnte.4

Das Denken Burnhams ruht bedingt durch diese Ausbildung auf zwei Säulen. Zum einen dem Empirismus sowie der Logik von Bertrand Russells Principia Mathematica.5 Zum anderen auf einer mittelalterlich-italienischen Traditionslinie von Aristoteles, über den Heiligen Thomas zu den den tre corone Dante, Petrarca und Boccaccio.

Jene zwei Säulen boten jedoch keinen festen Halt. Zu Groß ist der Abstand, als dass man ohne Verrenkungen auf beiden stehen könnte.

Burnham verlor seinen Glauben, trat aus der Kirche aus. Doch zugleich erschien ihm ein rein naturwissenschaftliches Weltbild abgeschmackt. Zusammen mit Wheelwright wettert er in der Introduction to philosophical analysis gegen Gehirnfunktionspostulat und Psychoanalyse.6 Den Marxismus nennt er nicht beim Namen, unterstellt Friedrich Engels jedoch mit Anführungsstrichen einen „ökonomischen Materialismus“ und verwendet diese Position zur Erläuterung einer Art von Fehlschlüssen.7 Das Kapitel über Biologie fragt, ob diese überhaupt als Wissenschaft angesehen werden sollte und vermerkt distanzierend zur Evolutionstheorie:

„The truth is that the hypothesis of evolution is not an exact scientific theory comparable to many theories in physics and chemistry. It is a somewhat vague notion, moderately convincing when left vague, but full of mysteries when we try to make it precise.“8

Wie konnte Burnham unter diesen Voraussetzungen Marxist werden?

Vermutlich gar nicht. Dass er fest im sozialen Milieu des Elternhauses verhaftet blieb, sich im Nobelviertel Sutton Place ansiedelt, dort regelmäßig im Smoking bei Dinnerpartys aufschlägt und schlussendlich seine radikale Kehrtwende in den 40er Jahren legen nahe, dass er allein in der politischen Dimension auf Seiten des Trotzkismus stand.

Doch wie kam er dahin?

Die akademische Tätigkeit von James Burnham konzentrierte sich auf Ästhetik. In seinen Seminaren gab er vornehmlich Einführungen in Literaturkritik, besuchte mit Studenten Galerien und Museen. So kam es, dass ihn schließlich ein ganz besonderes Kunstwerk in seinen Bann zog: L.D. Trotzkis zweibändige Geschichte der russischen Revolution. Die Meistererzählung mit ihrem dramatischen Höhepunkt im Sturm auf das Winterpalais überzeugt und entlockt Burnham eine überaus wohlwollende Rezension. Jahre später wird er sich dessen in Science and Style (1940) erinnern und Trotzki vorwerfen:

„I re-read that review, which I had not done for many years. There, too, I found that I had been compelled to discuss first of all your style, your wonderful style, which in fact I analysed at considerable length. And I saw more clearly than ever before what is, in my eyes, an important truth: that you have a too literary conception of proof, of evidence; that you deceive yourself into treating persuasive rhetoric as logical demonstration, a brilliant metaphor as argument. Here, I believe, is the heart of the mystery of the dialectic, as it appears in your books and articles: the dialectic, for you, is a device of style - the contrasting epithets, the flowing rhythms, the verbal paradoxes which characterise your way of writing.“9

Der Impuls, der von der Faszination für den russischen Revolutionär ausging, stieß zunächst noch auf ein Hindernis. Das war Burnhams Empörung gegen den Materialismus. Sein Fakultätskollege Sidney Hook stieß jenes mit der Schrift Towards the Understanding of Karl Marx (1933) beiseite, das eine auf dem Pragmatismus fußende Marx-Interpretation bot und so die Bindung an eine materialistische Ontologie aufhob.

Burnham suchte nunmehr die Nähe von Studenten der Young Communist League, was die Aufmerksamkeit des KP-Vorsitzenden Earl Browder auf sich zog. Die Chance im intellektuellen New York einen weiteren Multiplikator zu platzieren war durchaus real.

Der umgarnte Professor entschied jedoch anders. Zusammen mit Hook schließt er sich der wesentlich kleineren, erst 1933 gegründeten American Workers Party an. Als letztere von der trotzkistischen Communist League of America ein Angebot zur Vereinigung erhielt, sollten die beiden zu den wichtigsten Fürsprechern dieses Schrittes werden. Nach dessen Vollzug und nunmehr Mitglied der Workers Party of the United States (WPUS) durfte sich Burnham jetzt zu Trotzkis Mannen zählen.

Unter dem Pseudonym John West begann er für die Bewegung zu schreiben. In seinem ersten Artikel in der The New International bespricht Burnham ironischer Weise ein Buch über Gandhis Konzept des gewaltlosen Widerstandes.10 Dem Verfasser wirft er gleich im zweiten Satz mangelnde Schreibkunst vor, da dessen Stil der eines zum YMCA-Schriftführer ernannten Krämers sei. Das Buch selbst kennzeichnet er als Gemenge von Sophistik und schlichtem Gemüt, weshalb er sich auch nicht im Detail mit dessen Argumenten auseinandersetzen will, die andere ohnehin schon weit und breit widerlegt hätten. Besonders ärgert ihn die an Rousseau erinnernde These, dass der Mensch von Natur aus gut sei. Reiner Unfug, meint Burnham, und hebt dagegen die Unüberbrückbarkeit der Klassengegensätze hervor.

Ständig wiederkehrende Themen sind Roosevelts New Deal, den er als „War Deal“ betitelt und für weichgespülten Faschismus hält,11 sowie Bestrebungen eine Labor Party nach britischem Vorbild aufzubauen. Letztere sieht Burnham als Werk reaktionärer Gewerkschaftsfunktionäre.12 Gegen die Volksfrontpolitik der Komintern verfasst er eine Broschüre, welche dieselbe vom Titelblatt an für Betrug erklärt und den Leser zur Revolution aufruft.13

In der gleichen Zeit setzten die Trotzkisten ihre Taktik des French Turn fort, d.h. sich als organisierter Verband anderen Partei anzuschließen um diese zu spalten. Die Workers Party trat 1936 geschlossen in die Socialist Party of America ein, wo sie den Bildungsverein Revolutionary Socialist Educational Society übernahmen. Um das Verbot strömungsgebundener Publikationen zu umgehen erscheint der Socialist Appeal offiziell als Zeitung des New Yorker Ortsvereins. Schon im Jahr darauf nabelt sich die Socialist Workers Party (SWP) ab und nimmt einige hundert Neumitglieder mit. - An ihrer faktischen Bedeutungslosigkeit änderte dies freilich nichts. Doch es schafft einen Sitz im Politbüro („Polcom“) für James Burnham.

Der Bruch vollzieht sich in konsequenter Fortsetzung dieser Praxis. Burnham plagen weder ethische, noch realpolitische Zweifel. Es ist nicht Gewalt, nicht Irrationalität, nicht Phrasendrescherei, nicht der Schwindel der French Turns und auch nicht enttäuschte Hoffnung. Es sollte die Haltung zur Sowjetunion sein, die ihn zum „Abweichler“ werden lässt.

Bereits in einem noch unter dem Decknamen John West veröffentlichten Pamphlet hatte Burnham, ohne diese explizit als solche zu benennen, jene trotzkistische Grundposition angegriffen, die besagt, dass die UdSSR im Falle eines neuerlichen Weltkrieges verteidigt werden müsse.14 Dort unterstellt er sie den Austromarxisten. Ein rhetorischer Kunstgriff, der es ihm erlaubt diese Forderung als Zynismus zu brandmarken ohne dabei Personen aus dem eigenen Lager anzugreifen.

Im selben Jahr nämlich erscheint auch Trotzkis Verratene Revolution, in der er u.a. die Theorie des degenerierten Arbeiterstaates entwickelt. Dieser zu Folge ist das Sowjetsystem in der Übergangsphase vom Kapitalismus zum Sozialismus stecken geblieben, doch seine Planwirtschaft sei fortschrittlich und ermögliche die Vollendung des Überganges in der Zukunft.

Burnhams Genosse Joe Carter sah darin hingegen eine neue Art von Klassenherrschaft durch die Stalin'schen Kader. Die beiden brachten auf dem Gründungsparteitag der SWP Ende 1937 eine Resolution gegen Trotzkis Auffassung ein, der mit 89 zu 4 Stimmen abgeschmettert wurde.

Damit war die Diskussion über die Alternative Theorie des bürokratischen Kollektivismus vorerst beendet. Doch mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges und dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 kehrte der Streit in zugespitzter Form wieder. Als Trotzki von der SWP Unterstützung für die Sowjetunion fordert, verweigert sich Burnham und nimmt seinen alten Standpunkt wieder ein. In ausgearbeiteter Form liegt dieser aber nicht vor. Die Grundlage für die Debatte bildeten vorrangig Yvan Craipeau, den Trotzki in englischer Sprache mit dem Artikel Once again: The USSR and its Defense (1937) kritisiert hatte, sowie die kürzlich erschiene La bureaucratisation du monde Bruno Rizzi

Trotzki ruft Burnham zur Ordnung, und als dieser sich nicht fügt, entschließt er sich im Januar 1940 zu einem offenen Brief.15 Burnham lässt sich die Backpfeife nicht gefallen, antwortet mit dem oben bereits zitierten Artikel Science and Style. Beide beschuldigen sich wechselseitig der Voreingenommenheit und Demagogie. Damit war das Band zerschnitten.

Im April stimmt ein Sonderparteitag über die Frage ab und beschließt mit 55 zu 34 Stimmen in Trotzkis Sinne.16 Es folgt die Abspaltung der Verliererseite als Workers Party (WP). An deren Führung richtet Burnham wenige Tage später sein Letter of Resignation. Darin schreibt er unter anderem:

„I consider that on the basis of the evidence now available to us a new form of exploitive society (what I call managerial society) is not only possible as an alternative to capitalism but is a more probable outcome of the present period than socialism. As you know, I do not believe that Russia can be considered a workers state in any intelligible sense of the term. This opinion, however, is related to far more basic conclusions: for example, that Stalinism must be understood as one manifestation of the same general historical forces of which fascism is another manifestation.“17

2. Abriss der Burnham'schen Staatsphilosophie

Die unmittelbare Motivation The Managerial Revolution zu schreiben bestand zunächst darin, eine eigene Spielart der Theorie des bürokratischen Kollektivismus zu entwickeln. Das Buch liefert so teils die Rechtfertigung nach, die Burnham während der Debatte gefehlt hatte.

Es geht aber weit darüber hinaus. Hatte Burnham im Letter of Resignation noch gezweifelt, ob auch der Leninismus eine totale Ideologie ist,18 erscheint die Frage nun bejaht.19 Den demokratischen Sozialismus erklärt er in trotzkistischer Tradition über Verrat: Das wahre Ziel der Sozialisten sei die Erhaltung des Kapitalismus.20 Der New Deal, d.h. Keynesianismus und Sozialliberalismus, wird zur Managerideologie (vgl. 2c).

Somit ist die Linke als ganzes verdammt.

Erneut angeregt von Sidney Hook, der lange vor Burnham mit dem Marxismus gebrochen hatte, wendet er sich Machiavelli zu. Hook wollte seinen Kollegen zur Vernunft bringen und hierzu mit Autoren bekannt machen, welche die selben Phänomene wie die Marxisten behandeln, aber zu anderen Erklärungen gelangen.21 Erstens dieser Umstand gleicher Phänomenologie, zweitens begünstigende Einflüsse aus Burnhams Studienzeit (vgl. 1), und drittens der neuerliche Impuls durch den Bruch mit Trotzki führen zu einer grundlegenden Ausarbeitung des Stoffes. Burnhams The Machiavellians stellt ein System mit Doppelfunktion dar: Sein „Machiavellismus“ ist zugleich Anti- als auch Ersatzmarxismus. Denn es ersetzt per Paradigmenwechsel den Trotzki'schen Histomat, und erzwingt logisch die Annahme der Gegenposition zu fast allen sozialistischen Prinzipien.

Die inhaltliche Verbindung von The Managerial Revolution und The Machiavellians ist so zu verstehen. Burnham verwendet in der ersten Schrift bereits implizit Prämissen, wie z.B. die Unterscheidung von formalen und wahrem Sinn, die wir in der zweiten explizit ausformuliert vorfinden. Diese Verknüpfung wird schon vorweggenommen, indem er das ältere Werk mit einem Machiavelli-Zitat einleitet.

Die in den beiden Büchern dargelegte Theorie weckt 1944 das Interesse des Office of Strategic Services (OSS), das Burnham beauftragt auf dieser Grundlage eine Analyse über das mögliche Verhalten der Sowjetunion nach dem Kriege zu verfassen.22 Direkt im ersten Satz heißt es dort: „The third world war began in April, 1944.“23 - Ein Kniff, der den logischen Übergang von der Untersuchung zu radikalen Forderungen ermöglicht. Burnham fügt für die Veröffentlichung unter dem Titel The Struggle for the World (1947) drei weitere Kapitel hinzu, die unter der Prämisse, dass der Endkampf bereits begonnen habe, die Utopie eines amerikanischen Weltreiches entfalten.

Die Darstellung von Burnhams politischer Theorie in ihrer vollendeten Form Ende der 40er Jahre, wenn man so will, des „Burnhamismus“, erfolgt nun in sechs Unterpunkten. Zunächst werden wir sein praktisches Ziel (a) betrachten, sowie darauf hin die Begriffe Ideologie (b), Manager (c), Verlagerung des Sitzes der Souveränität (d) und Superstaat (e). Dieselben bilden jene Prämissen, die ihn auf seine Strategie des Kampfes um den Planeten (f) schließen lassen.

a) Burnhams praktisches Ziel

James Burnham ist seinem eigenen Selbstverständnis24 nach nunmehr Machiavellist. Mit dem Zusatz Verteidiger der Freiheit, der entsprechend dem Untertitel zu The Machiavellians hinzugedacht werden muss. Seine praktischen Ziele umfassen:

1. Schutz der Demokratie.
2. Wissenschaftliche Orientierung der Elite.

Beide Ziele lassen sich auch so verbinden, dass der Schutz der Demokratie durch eine wissenschaftliche Orientierung der Elite geleistet werden soll.

Burnham weist Demokratietheorien zurück, die diese als „Selbstverwaltung“ oder „Volksvertretung“ beschrieben. Dies ist logisch zwingend, da er die Herrschaft einer Minorität über die Mehrheit als anthropologische Konstante sieht25 und Robert Michels eisernes Gesetz der Oligarchie anerkennt.26 Er definiert Demokratie alternativ über das Recht zur Opposition.27

Die Unterscheidung zwischen Elite und Nicht-Elite ist eines der 13 Axiome, die sein Paradigma der Sozialwissenschaft bilden.28 Letztere kann die Nicht-Elite, anders als vom Marxismus behauptet, nicht für ihre Zwecke nutzen. Sie kann lediglich mit Einschränkungen von der Elite genutzt werden, so dass diese in ein Stadium bewusster Herrschaft eintritt. Beispiele seien hierfür günstige Zeiten „in der Geschichte Roms, der katholischen Kirche, der Venetianischen Republik und Englands“.29 Die Elite der Demokratie soll, wie Paul Reiwald in

[...]


1 Orwell, George: „James Burnham and the Managerial Revolution“ in: Orwell, Sonia (Hrsg.): „The collected Essays, Journalism, and Letters of George Orwell“, Bd. 4, London 1968, S. 160-161.

2 „Die Quellen sind hier anderer Art als in der politischen Geschichte. […] Bei der Geschichte der Philosophie sind nicht die Geschichtsschreiber die Quelle, sondern die Taten selbst liegen uns vor; das sind die philosophischen Werke selbst; es sind dies die wahrhaften Quellen. Will man Geschichte der Philosophie ernstlich studieren, so muss man an diese Quellen selbst gehen.“ (Hegel, G.W.F.: „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I“, in: „Werke in zwanzig Bänden“, Bd. 18, Frankfurt-am-Main 1975, S. 132.)

3 Kelly, Daniel: „James Burnham and the struggle for the world“, Wilmington DE 2002, S. 1-19.

4 Ebenda, S. 21-39.

5 Kelly hält u.a. fest, dass Burnham die Principia Mathematica in seiner universitären Lehre als Pflichtlektüre vorschrieb. (Ebenda, S. 25-26 und 58.)

6 Wheelwright, Philip / Burnham, James: „Introduction to philosophical analysis“, New York 1932, S. 300ff.

7 Ebenda, S. 192.

8 Ebenda, S. 290-291.

9 Burnham, James: „Science and Style: A Reply to comrade Trotsky“ (1940). Online unter: <http://www.marxists.org/history/etol/writers/burnham/1940/02/style.htm> (20.08.2014)

10 Burnham, James: „Non-Violence“ (1934). Online unter: <http://www.marxists.org/history/etol/writers/burnham/1934/12/non-violence.htm> (20.08.2014)

11 Kelly, Daniel: „James Burnham and the struggle for the world“, Wilmington DE 2002, S. 74.

12 Burnham, James: „The Labor Party: 1938“ (1938). Online unter: <http://www.marxists.org/history/etol/writers/burnham/1938/03/labor.htm> (20.08.2014)

13 Burnham, James: „The People’s Front: The New Betrayal“, New York 1937.

14 Burnham, James [als John West]: „War and the Workers“, New York 1936.

15 Trotzki, L.D.: „Verteidigung des Marxismus“, Essen 2006, S. 85-112.

16 Kelly, Daniel: „James Burnham and the struggle for the world“, Wilmington DE 2002, S. 85.

17 Burnham, James: „Letter of Resignation from the Workers Party“ (1940). Online unter: <http://www.marxists.org/history/etol/writers/burnham/1940/05/resignation.htm> (20.08.2014)

18 Ebenda.

19 Burnham ordnet L.B. Krassin seiner Managerklasse zu und unterstellt, dass dieser „mit Lenin zusammen hinter den Kulissen die bolschewistische Partei beherrschte“. (Burnham, James: „Das Regime der Manager“, Stuttgart 1951, S. 249.)

20 Ebenda, S. 70-7 und 268-271.

21 Kelly, Daniel: „James Burnham and the struggle for the world“, Wilmington DE 2002, S. 107.

22 Ebenda, S. 121

23 Burnham, James: „The Struggle for the World“, New York 1947, S. 1.

24 „Praktisches Ziel“ ist in Burnhams Terminologie ebenfalls ein gesetzter Begriff. Er versteht hierunter nicht-ideologische Zwecksetzungen. (vgl. Burnham, James: „Die Machiavellisten: Verteidiger der Freiheit“, Zürich 1949, S. 61-70.)

25 Ebenda, S. 109-116; und Burnham, James: „Das Regime der Manager“, Stuttgart 1951, S. 76-91.

26 Burnham, James: „Die Machiavellisten: Verteidiger der Freiheit“, Zürich 1949, S. 171-177.

27 Ebenda, S. 245.

28 Ebenda, S. 225-229.

29 Ebenda, S. 269.

Excerpt out of 27 pages

Details

Title
James Burnham. Trotzkist und Theoretiker des Ultraimperialismus
College
University of Cologne  (Historisches Seminar)
Course
Seminar: "Geschichte der kommunistischen Bewegung"
Grade
1,3
Author
Year
2014
Pages
27
Catalog Number
V365453
ISBN (eBook)
9783668448551
ISBN (Book)
9783668448568
File size
616 KB
Language
German
Keywords
Neokonservatismus, Marxismus, George Orwell, Manager, Geheimdienst, Totalitarismus
Quote paper
Stefan Holz (Author), 2014, James Burnham. Trotzkist und Theoretiker des Ultraimperialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/365453

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