Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Psychische Störungsbilder
2.1. Grundlagen von Essstörungen
2.2. Anorexia nervosa
2.3. Bulimia nervosa
3. Therapieansätze
4. Handlungsansätze für Sozialarbeiter
5. Konsequenzen für Sozialarbeiter/innen in der Therapie mit essgestörten Menschen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Unzufriedenheit mit der Figur und dem Gewicht ist bereits ab der Pubertät vor allem bei Frauen ein weit verbreitetes Phänomen und das öffentliche Interesse am Thema Essstörungen ist ungebrochen. Dies mag auch daran liegen, dass die Nahrungsaufnahme, das Essen, einerseits zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehört, andererseits aber auch im Falle einer Essstörung schwerwiegende gesundheitliche, teils sogar tödliche, Folgen haben kann (vgl. Cuntz et al. 2015, S. 6). In unserer westlichen Gesellschaft werden Menschen zunehmend nach ihrer äußeren Erscheinung bewertet und das Selbstwertgefühl der von Essstörungen Betroffenen orientiert sich vornehmlich an einem möglichst attraktiven Körper (vgl. ebd. S. 6). Jede Abweichung des Körpergewichts nach oben ist geeignet, tiefe Selbstzweifel auszulösen. „Die Tatsache, dass Essstörungen vorrangig Frauen betreffen, führt zu einer kritischen Betrachtung der Rollenvorstellungen, mit denen Frauen konfrontiert werden.“ (Cuntz et al. 2015, S. 6).
Zwei Drittel der Frauen im Jugend- und Erwachsenenalter neigen daher dazu Maßnahmen zur Gewichtsregulation, wie zum Beispiel chronische Diäten, durchzuführen (vgl. Jacobi und de Zwaan 2011, S. 1059). „Die Kombination von einem gestörten Körperbild und Diätverhalten führt nicht selten zu einer manifesten Essstörung mit anorektischen und / oder bulimischen Symptomen […]“ (Brunner und Resch 2008, S.9). Die ansteigende Zahl anorektischer und bulimischer Mädchen und auch junger Frauen oder Adipöse männlichen und weiblichen Geschlechts ist erschreckend. Es sind mittlerweile vielerorts Beratungsstellen und Therapiezentren entstanden, die sich ausschließlich mit diesen Krankheitsbildern beschäftigen. (vgl. Reich 2003, S. 5). "Essstörungen haben vielfältige Bezüge zu Substanzmissbrauch und Sucht." (Thomasius & Küstner 2005, S. 107). Insbesondere bei der Bulimie findet sich eine relativ hohe Komorbidität zum Substanzmissbrauch sowohl in den Familien als auch bei den betroffenen Patientinnen selbst (vgl. ebd. S. 107). "Die Entwicklung von Essstörungen ist sehr eng mit familiären Einflussfaktoren verbunden." (Thomasius, Küstner 2005, S. 107). Es wurde schon vor einigen Jahrzenten festgestellt, dass essgestörte Patientinnen besondere oder gestörte Beziehungen zu ihren Familien haben, und hierfür ein charakteristisches bzw. typisches Beziehungsverhältins beschrieben haben (vgl. ebd. S. 207). Etwa ein Fünftel aller Jugendlichen weist Symptome von Essstörungen auf. Häufig ist das gesamte Familiensystem von den Auswirkungen betroffen. Was Essstörungen sind, welche Therapieformen geeignet sind und welchen Beitrag die Soziale Arbeit in einer Therapie mit essgestörten Menschen leisten kann, wird in der vorliegenden Arbeit dargestellt. Zunächst wird beschrieben was psychische Störungsbilder sind. Im Anschluss geht die Autorin dieser Arbeit auf die Grundlagen von Essstörungen ein und konkretisiert die häufigsten Formen, Anorexia nervosa (Anorexie, Magersucht) sowie Bulimia nervosa (Bulimie, Ess-Brechsucht) und beschreibt die Auslöser und mögliche Therapieansätze. Anschließend wird auf Handlungsansätze für Sozialarbeiter/innen eingegangen sowie auf die Konsequenzen für Sozialarbeiter/innen, die mit essgestörten Menschen arbeiten.
2. Psychische Störungsbilder
Die Psychiatrie ist ein Gebiet der Medizin und befasst sich mit der Diagnostik, Therapie und Prävention der seelischen Krankheiten des Menschen einschließlich deren Erforschung und Lehre (vgl. Tölle & Windgassen 2012, S. 2). Weil bei seelischen Krankheiten auch körperliche Störungen auftreten und psychische und soziale sowie somatische Bedingungen an der Entstehung beteiligt sind, muss Psychiatrie sowohl psychologische als auch biologische Vorgehensweisen pflegen (vgl. ebd. S. 2). Ein Teilgebiet der Psychiatrie ist die Psychopathologie, welche sich mit den Veränderungen und Störungen des Befindens, Erlebens und Verhaltens des Menschen im Kontext seiner sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen und der leiblichen Dimension seiner Existenz befasst. Sie fragt nach inneren Zusammenhängen der psychischen Störungen (vgl. ebd. S. 2). Unter pathischem Aspekt wird untersucht, wie ein Patient sich selbst in der Krankheit wahrnimmt und erlebt (vgl. ebd. S. 2). Die Psychopathologie setzt die Psychologie voraus. Sie ist die wissenschaftliche Lehre von den normalen seelischen Vorgängen einschließlich der praktischen Anwendung und ihr liegen mehrere Therapiebereiche zugrunde (vgl. ebd. S. 3). Zu ihnen zählen beispielsweise die Psychotherapie, welche Kranke mit seelischen Mitteln behandelt. Die Soziotherapie befasst sich mit der Beeinflussung der Interaktionen zwischen einem kranken Menschen und seinem sozialen Umfeld, insbesondere der Familie. Ein weiterer Bereich ist die Psychosomatische Medizin, welche die Krankheiten behandelt, die körperlich in Erscheinung treten, aber seelisch bedingt bzw. mitbedingt sind (vgl. ebd. S. 5).
„Psychische Störungen sind nicht grundlagenwissenschaftlich eindeutig definierte, feststehende Entitäten, sondern stellen letztlich nur nach dem aktuellen Stand der Forschung sowie für die Praxis sinnvolle und nützliche Konstrukte dar, auf die sich Forscher und Praktiker als bestmögliche Lösung für eine begrenzte Zeit geeinigt haben. Das bedeutet auch, dass sich die Definition psychischer Störungen oder ganzer Teile eines Klassifikationssystems ändern können, z. B. wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse verfügbar werden, die eine bessere Klassifikation und Nomenklatur ermöglichen.“ (Wittchen & Hoyer 2011, S. 8).
Wenn Verhaltens und psychische Probleme die Fähigkeiten eines Menschen zu oft, zu lange und/oder zu massiv beeinträchtigen, sodass es bei den alltäglichen Anforderungen zu Hause oder bei der Arbeit zu Schwierigkeiten kommt, bzw. wenn psychische oder Verhaltensprobleme die Person daran hindern, gesellschaftliche, normative oder persönliche Ziele zu erreichen oder wenn sie darunter »leiden«, spricht man bei Vorliegen bestimmter Kriterien von psychischen Störungen (vgl. ebd. S. 8).
Bevor eine psychische Erkrankung behandelt wird, erfolgt zunächst die Diagnostik. Dabei wird durch Untersuchung eines Patienten unter verschiedenen Aspekten eine Reihe von Befunden erhoben und eine Krankheit möglichst genau erkannt, identifiziert und somit eine Diagnose erstellt, woraus die Therapieindikationen abgeleitet werden (vgl. Tölle & Windgassen 2012, S. 40). Klassifiziert werden psychische Störungen in dem internationalen Klassifizierungssystem ICD-10 und DSM-V, worin alle Krankheiten und Störungen sowie Anlässe zur Gesundheitsversorgung konzipiert sind (vgl. Wittchen & Hoyer 2011, S. 41). Das Kapitel V (F) im ICD-10 enthält alle psychischen und Verhaltensstörungen (vgl. ebd. S. 41).
Nachfolgend widmet sich die Autorin dem psychischen Störungsbild der Essstörung und beschreibt zunächst deren Grundlagen, um anschließend die beiden häufigsten Formen, Anorexie und Bulimie, zu definieren.
2.1 Grundlagen von Essstörungen
Dieses Kapitel befasst sich zunächst mit dem Begriff der Essstörung und fokussiert die häufigsten Formen „Anorexia nervosa“ (Anorexie) und „Bulimia nervosa“ (Bulimie). Weiterhin wird aufgezeigt, dass in Familien mit Essstörungen häufig ein Konflikt und eine Beziehungsstörung zwischen den Eltern und den Betroffenen herrscht und das eine Ursache der Anorexie und Bulimie sein kann.
Essstörungen sind psychosomatische Erkrankungen. Sie zählen nicht zu Suchterkrankungen obwohl sie einen deutlichen Suchtcharakter aufweisen (vgl. Wunderer 2015, S. 30). Reich bezeichnet Menschen als „essgestört“, für die das Essen eine missbräuchliche Funktion hat, indem sie Probleme, die ansonsten unlösbar erscheinen, auf diese Art bewältigen (vgl. Reich 2003, S. 5).
„Insbesondere bei der Bulimie findet sich zudem eine relativ hohe Komorbidität zum Substanzmissbrauch sowohl in den Familien als auch bei den Patientinnen selbst. Die Essstörung ist sehr eng mit familiären Einflussfaktoren verbunden.“ (Thomasius & Küstner 2005, S. 107). Essstörungen stehen häufig im Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl und dem Selbstbild der betroffenen Personen (vgl. Gasteiger- Klicpera et al. 2008, S. 292). Stahr et al. beschreiben, dass Essstörungen mit einer ausgeprägten Suche nach Identität in Zusammenhang gebracht wird (vgl. Stahr et al. 1995, S. 7).
„Für beide Überlegungen gilt, dass über die Erreichung des vorgenannten Körper- und Schlankheitsideals das Selbstbild verbessert und eine (Schein-) Identität aufgebaut werden kann.“ (Gasteiger-Klicpera et al. 2008, S. 292). Was bedeutet, dass der eigene Wert und die Festigung des Persönlichkeitserlebens, bezogen auf die eigene Person, werden an Äußerlichkeiten und damit verbundene Anstrengungen verknüpft (vgl. Gasteiger-Klicpera 2008, S. 292). Essstörungen stellen komplexe Störungsbilder dar, deren Genese zum einen in der frühen Kindheit ihren Anfang nimmt und zum anderen erst am Ende der Kindheit als manifeste Störung sichtbar wird (vgl. Gasteiger-Klicpera et al. 2008, S. 292). Essstörungen sind hartnäckige Erkrankungen, dauern oft viele Jahre an und werden nur bei einem Teil der Betroffenen geheilt (vgl. Wunderer & Schnebel 2008, S. 75). Häufig finden sich Übergänge von einer Essstörung in die andere, insbesondere von der Anorexie in die Bulimie (vgl. ebd. S. 75). Anorexie und Bulimie unterscheiden sich aber in ihrer Dynamik wie folgt (vgl. Thomasius & Küstner 2005, S. 107).
2.2 Anorexia nervosa
Bei Anorexia nervosa, auch Magersucht genannt, wird ein Störungsbild bezeichnet, bei dem Betroffene durch bewusste extreme Nahrungsreduzierung auf mindestens 15 % unterhalb des Durchschnittsgewichts von Gleichaltrigen abnimmt und zwanghaft bestrebt ist, dieses enorme Untergewicht zu halten oder noch weiter zu reduzieren (vgl. Gasteiger-Klicpera 2008, S. 293). Sie erleben sich, unabhängig vom tatsächlichen Gewicht, als zu dick und können die eigene Figur und ihren Körper nicht mehr realistisch wahrnehmen bzw. darstellen (vgl. Reich 2003, S.8).
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