Chancen und Herausforderungen von Multikulturalität in Kindertagesstätten. Ein kindheitspädagogischer Blick


Bachelor Thesis, 2016

68 Pages, Grade: 1,5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Annäherung an den Diskurs der Kindheitspädagogik

2. Diversität und Multikulturalität als gesellschaftliche Phänomene
2.1 „Diversität“ als grundlegende Erfahrung
2.2 „Multikulturalität“ als aktuelle Herausforderung

3. Chancen und Herausforderungen von Diversität und Multikulturalität in Kindertagesstätten
3.1 Kindheitserfahrungen in einer multikulturellen Gesellschaft
3.2 Kindheitspädagogen_innen als Bildungs- und Erziehungsbegleiterjnnen

4. Perspektiven fürdie kindheitspädagogische Praxis
4.1 Interreligiöse/Interkulturelle Bildung und Erziehung
4.2 Umgang mit Sprachvielfalt
4.3 Kultursensibler Umgang mit Flüchtlingskindern

5. FazitundAusblick

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind keine Randerscheinung in Deutschland. Ein Drittel derunter 15-Jährigen haben einen Migrationshintergrund. Neun von zehn dieserjungen Menschen sind hier geboren und aufgewachsen und sieben von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft“ (DJI 2013, zit. n. Rehklau 2016, S. 110). Kinderwachsen demnach in einer Gesellschaftauf, welche laut Oberhuemer als heterogen und kulturell vielfältig beschrieben werden kann. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass diese Vielfalt inzwischen auch in Kindertagesstätten sichtbar ist. Demnach ist der Aufgabenbereich der pädagogischen Fachkräfte1 umfangreicherund anspruchsvoller geworden. Kinderverschiedenen Alters, Kinder aus deutschen Familien und Familien mit Migrationshintergrund, Einzelkinder oder Kinder mit Geschwistern- all dies sind Beispiele fürVielfältigkeit, welche sich in pädagogischen Einrichtungen vorfinden lassen. Die Vielzahl der Kinder mit Migrationshintergrund in Kindertageseinrichtungen hat dazu geführt, dass der Begriff Multikulturalität an Bedeutung gewonnen hat. Kindergruppen, die multikulturell zusammengesetzt sind, lernen bereits im Kleinkindalter mit Diversität umzugehen, da sie mit den vielfältigen Lebenswelten anderer Kinder täglich in Verbindung stehen (vgl. Oberhuemer 2013, S.10).

All diese Aspekte haben zu der Auswahl meines Titels „Ein kindheitspädagogischer Blick auf die Chancen und Herausforderungen von Multikulturalität in Kindertagesstätten“ beigetragen. Zudem bin ich derAnsicht, dass es sich hierbei um ein sehr präsentes Thema handelt, das in der heutigen multikulturell geprägten Gesellschaft auch im Hinblick aufdie Integration von Zuwandererfamilien in den Fokus rückt und häufig diskutiert wird.

In der vorliegenden Arbeit wird der Forschungsfrage nachgegangen, inwieweit Kindheitspädagogen_innen, welche in Kindertagesstätten tätig sind, aufdas Verhalten von Kindern bezüglich des Umgangs mit Diversität, mit besonderer Aufmerksamkeit auf Multikulturalität, einwirken können. Die Fragestellung steht im Vordergrund dieserArbeit. Daher wird in vielen der nachfolgenden Kapiteln Bezug zu den Aufgaben und Anforderungen von Kindheitspädagogen_innen hergestellt.

Des Weiteren ist dieses Thema für mein zukünftiges Arbeitsfeld als Kindheitspädagogin von besonderer Relevanz, da ich es zu meinen Aufgaben zähle,

Die Bezeichnung „pädagogische Fachkräfte“ bezieht sich im Rahmen dieser Arbeit auf Erzieher_innen und Kindheitspädagogen_innen.

mich mit den neuen Anforderungen, welche die multikulturelle Bevölkerung mit sich bringt, bewusst auseinanderzusetzen. Zusätzlich sehe ich es als Voraussetzung, Wissen über diese Thematik zu besitzen, um professionell in der Praxis handeln zu können. Hinzu kommt, dass ich im Rahmen meiner Mitarbeit in einer Kindertagesstätte in Darmstadt- Kranichstein bereits einige praktische Erfahrungen bezüglich des Themas sammeln konnte. Dies ist daraufzurückzuführen, dass in der Einrichtung eine Vielzahl von Kindern und pädagogischen Fachkräften mit Migrationshintergrund vertreten sind. Außerdem konnte ich während des Studiums sowohl theoretische als auch praktische Erfahrungen diesbezüglich sammeln, welche die Themenauswahl zusätzlich beeinflusst haben. Ziel dieserArbeit ist es, durch die Auseinandersetzung mit der vielfältigen wissenschaftlichen Literatur und der kritischen Gegenüberstellungen verschiedener Theorien, neue Erkenntnisse zu erlangen und mein Hintergrundwissen in Bezug aufden Themenbereich zu erweitern.

Nachdem ich zuvor die Auswahl meines Themas begründet habe, richte ich im Folgenden den Fokus aufden Inhalt dervorliegenden Arbeit. Im ersten Kapitel handelt es sich um eine Annäherung an den Diskurs über die Kindheitspädagogik. Anschließend befasse ich mich mit der Thematik Diversität und Multikulturalität als gesellschaftliche Phänomene. Im ersten Teil geht es um die Diversität als grundlegende Erfahrung, während im zweiten Teil die Multikulturalität als aktuelle Herausforderung betrachtet wird. In Anlehnung daran wird im darauffolgenden Kapitel auf die Chancen und Herausforderungen von Diversität und Multikulturalität in Kindertagesstätten eingegangen. Das dritte Kapitel steht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit, da es im Hinblick aufdie Bearbeitung des Themas und der Forschungsfrage von besonders großer Relevanz ist. Im Rahmen dieses Kapitels werden Kindheitserfahrungen hinsichtlich der multikulturellen Gesellschaft beleuchtet und die Rolle von Kindheitspädagogen_innen als Erziehungs- und Bildungsbegleiter_innen betrachtet. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit drei verschiedenen Perspektiven, welche sich für die kindheitspädagogische Praxis im Zusammenhang mit Multikulturalität ergeben können. Dieses Kapitel beinhaltet die Schwerpunkte interreligiöse/interkulturelle Bildung und Erziehung, Umgang mit Sprachvielfalt und kultursensibler Umgang mit Flüchtlingskindern. Das Fazit fasst die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel zusammen und gibt einen Ausblick.

1. Annäherung an den Diskurs der Kindheitspädagogik

Im Rahmen dieses Kapitels wird der Begriff Kindheitspädagogik zunächst einmal definiert, um eine Verbindung zum kindheitspädagogischen Blick herzuleiten, welcher hinsichtlich des Themenschwerpunkts von großer Bedeutung ist. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten ist in allen Kapiteln vom kindheitspädagogischen Blick die Rede, obwohl dieser individuell verschieden sein kann. Innerhalb dieses Kapitels wird außerdem ein Exkurs zum Bild vom Kind im gesellschaftlichen Wandel erfolgen. Dies stellt einen Bezug zu den veränderten Anforderungen der pädagogischen Fachkräfte her, welcher hinsichtlich des Themas und der Forschungsfrage einen wesentlichen Beitrag zu dieserArbeit leistet. Des Weiteren werden die Qualifizierungsmöglichkeiten von pädagogischen Fachkräften sowie die Profession von Kindheitspädagogik beleuchtet.

Liebscher- Schebiella und Schulze betrachten die Begriffe Erziehung, Bildung und Betreuung, die ein historisch wachsendes Verständnis in Kindertageseinrichtungen repräsentieren und im Bereich der Kindheitspädagogik, welche auch als Frühpädagogik bekannt ist, wiederzufinden sind. Die Autorinnen vertreten die Meinung, dass Eltern ihr Recht bezüglich der Erziehung ihres Kindes aufdie ausgewählte Einrichtung und deren pädagogische Mitarbeiterinnen übertragen, wenn sie sich für ein außerfamiliäres Betreuungsangebot entscheiden. Demnach übernehmen die pädagogischen Fachkräfte während der Betreuung die Verantwortung fürdas Kind, sein Wohlbefinden und seine Bildungs- und Entwicklungsprozesse. Unter Erziehung verstehen Liebscher- Schebiella und Schulze das professionelle Handeln von pädagogischen Fachkräften mit dem Ziel, die Entwicklung eines Kindes zu unterstützen. Von besonderer Bedeutung in der Frühpädagogik ist außerdem der Begriff Bildung, welcher von den Autorinnen als dauerhafter Prozess beschrieben wird, der Selbstgestaltung und Eigenaktivität beinhaltet. Dabei steht die Erweiterung der eigenen Kompetenzen im Vordergrund. Zudem weisen sie daraufhin, dass seit Beginn dieses Jahrhunderts auch Kindertagesstätten zu den Bildungseinrichtungen zählen, sodass Bildung nicht mehr ausschließlich mitdem schulischen Bereich in Verbindung gebracht wird. Nach Liebscher- Schebiella und Schulze gehört die Förderung kindlicher Bildungsprozesse inzwischen zum alltäglichen Aufgabenbereich pädagogischer Fachkräfte (vgl. Liebscher- Schebiella/Schulze 2014, S. 28f.).

Aufdie Bedeutung von Bildung im Bereich der Frühpädagogik wird im weiteren Verlauf näher eingegangen. Welche Aufgaben sich diesbezüglich für pädagogische Fachkräfte ergeben, wird im Kapitel 3.2 thematisiert.

An dieser Stelle erfolgt ein Exkurs welcher aufzeigen soll, wie sich das Bild vom Kind im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wandel verändert hat. Diese Veränderung spiegelt sich in Kindertageseinrichtungen wieder, wodurch eine Verknüpfung zum Umgang mit Diversität hergeleitetwird.

Die Autorin Behrend beschreibt die Phase der Kindheit als Grundlage für alle darauffolgenden Lebensphasen, in der Kinder eine Vielzahl von neuen Entdeckungen, Erkenntnissen und Lernfortschritten machen. Diese relevante Phase hat sich laut Behrend über die Jahre hinweg stetig verändert und somit auch das Bild vom Kind beeinflusst. Die Autorin bemerkt, dass Kinder im Mittelalter lediglich in den ersten sieben bis acht Lebensjahren von Erwachsenen unterschieden wurden und derVerlaufder Kindheitdavon abhängig war, auswelchem Milieu ein Kind stammte. Ausschließlich Kinder aus sozial höher gestellten Schichten hatten die Möglichkeit auf Bildung und Erziehung, welche überwiegend in Klöstern stattfand. Kinder aus sozial schwächer gestellten Schichten galten als Arbeitskräfte und junge Erwachsene. Diese Sichtweise veränderte sich jedoch im Laufe des Mittelalters, wodurch der Anspruch auf Bildung bedeutsamer wurde. Von besonderer Relevanz war der Buchdruck, welcher dazu beigetragen hat, dass Kinder die Möglichkeit erhielten, lesen zu lernen. Demzufolge entstanden erste Bildungseinrichtungen, wie beispielsweise Schulen (vgl. Behrend 2014, S. 160).

Laut Behrend hat außerdem die Französische Revolution im Jahr 1789 dazu beigetragen, dass sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber dem Kind verändert hat. Von hier an war die Erziehung durch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geprägt. Unabhängig davon, aus welchem Milieu ein Kind stammte, wurde verlangt, dass es gleichwertige Kenntnisse mitbrachte. In dieser Zeit hatte das Kind ein Recht auf eine liebevolle Begleitung und Erziehung durch Erwachsene. Außerdem schildert Behrend, dass die Kindheit erst seit Ende des 19. Jahrhunderts als eigenständige Lebensphase galt und seitdem eine strikte Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen herrschte. Ab diesem Zeitpunkt hat sich hinsichtlich des sozialen und pädagogischen Bereichs vieles gewandelt bzw. (weiter-)entwickelt. Es entstanden

Berufsklassifikationen, wie z.B. Erzieher_innen oder Hortner_innen sowie Forschungsräume, wie beispielsweise die Entwicklungspsychologie oder Pädagogik. Außerdem etablierten sich reformpädagogische Ansätze, welche ein neues Bild vom Kind darstellten. Reformpädagogen_innen, wie z.B. Maria Montessori oder Rudolf Steiner, entwickelten einen ressourcenorientieren Blick aufdas Kind und stellten Bildung statt Dressur in den Vordergrund kindlicher Erziehung (vgl. Behrend 2014, S.160f.). Zusammengefasst bedeutet dies, dass sich das Bild vom Kind seit dem 18. Jahrhundert von einem schwachen Wesen zum Kind als Akteur in Bildungs- und Erziehungsprozessen gewandelt hat (vgl. Selzer2015, S. 113). InAnlehnung an Behrend und Selzer vertritt Lutz folgende Ansicht: „Bilder, Vorstellungen und Begriffe von Kindern und Kindheiten sind als kulturelle Entwürfe, sowohl normativ als auch sanktionierend, in gesellschaftlichen Wandlungsprozesse einbezogen und darin gewachsen“ (Lutz 2016, S. 14). Nach Lutz sind die Erwartungen an das Kind von der gesellschaftlichen Situation abhängig. Aufgrund dessen befindet sich die Kindheit ebenso wie die Gesellschaft in einem permanenten Wandlungsprozess, der sich auf die pädagogischen Theorien und Praxen auswirkt (vgl. Lutz 2016, S. 15).

Demnach hat die frühkindliche Bildung, speziell im Hinblick aufdie pädagogische Profession hinsichtlich der diversitätsorientieren Erziehung in Kindertagesstätten, einen höheren Stellenwert eingenommen (vgl. Selzer2015, S.13). Dennoch hat das Arbeitsfeld Kindheitspädagogik nach Cloos in der professionsbezogenen Diskussion bislang keine deutliche Zuordnung erhalten. In ähnlichen Bereichen der Erziehungswissenschaften, wie beispielsweise in der Lehrerschaft oder in der Sozialen Arbeit wird von Profession gesprochen, was im Vergleich zum Bereich Kindheitspädagogik bisher nicht der Fall ist. Dies begründet Cloos zum einen damit, dass sich aufgrund der Reformerwartung der Fokus aufdie Bedingungen der Möglichkeiten einer Optimierung frühpädagogischen Handelns richtet und zum anderen, dass aufgrund des geringen Akademisierungsgrades, von in der frühkindlichen Bildung beschäftigten Fachkräfte im Umgang mit dem Profissionsbegriff, eine gewisse Vorsicht herrscht (vgl. Cloos 2016, S. 27).

„Weiterhin besteht eine sehr niedrige Akademisierungsrate von 4% im Kernarbeitsfeld Kindertageseinrichtungen, bei einem Anteil von 0,3% akademisch ausgebildeten Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen sowie einem Anteil von 22% Akademikerinnen und Akademiker bei den Leitungskräften“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, zit. n. Cloos 2016, S. 28). Dies verdeutlicht nach Cloos, dass diese Berufsklassifikation bisher zu wenig Anerkennung erhalten hat.

Die Professionsentwicklung der Kindheitspädagogik gewinntjedoch an Bedeutung. DerAutor begründet dies damit, dass sich der gesellschaftliche Diskurs im Bereich der Kindertagesbetreuung gewandelt hat, wodurch sich auch das fachliche Profil und die Qualifizierungsstrategien im frühpädagogischen Bereich verändert haben. Aufgrund dessen stellt Cloos fest, dass sich die Professionsentwicklung hinsichtlich der Frühpädagogik im Wandel befindet (vgl. Cloos 2016, S. 28).

Lechner vertritt die selbe Ansicht wie Cloos, in Bezug darauf, dass sich die Kindheitspädagogik noch in den Anfängen befindet. Nach Lechner istjedoch eine sichtbare Zunahme im Hinblick aufdie Forschung der Frühpädagogikfestzustellen. Lechner bemerkt, dass die Profession im Bereich Kindheitspädagogik allerdings eine Erweiterung und Zusammenfassung benötigt, da sie zum jetzigen Zeitpunkt auf Erkenntnisse anderer Professionen, welche von Cloos im vorherigen beschrieben wurden, zurückgreift (vgl. Lechner 2016, S. 93). „Das Feld der Kindertagesbetreuung ist in den letzten beiden Jahrzehnten stark in den Fokus der fachwissenschaftlichen wie auch der öffentlichen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit getreten. Dies führte in Deutschland zu einer deutlichen Steigerung des Platzangebotes in den Kindertageseinrichtungen [...]“ (TAG 2005; KiföG 2008, zit. n. Lechner2016, S.93).

In Bezug auf das Zitat hat diese Entwicklung laut Lechner dazu beigetragen, dass die Bildungs- und Orientierungspläne im Elementarbereich erweitert wurden und seitdem deutlich mehr Beachtung erhielten. Außerdem entwickelte sich ein Diskurs über die berufliche Qualifikation von pädagogischen Fachkräften, die den Bildungsauftrag in der Praxis von diesem Zeitpunkt an verwirklichen sollten. Dieser Diskurs erhält inzwischen Unterstützung von Weiterbildungsinitiativen, wie z.B. WiFF, welche sich unter anderem mit der Professionalisierung von pädagogischen Fachkräften auseinandersetzen und diese weiter erforschen (vgl. Lechner 2016, S. 93).

In Anlehnung daran bemerkt Cloos, dass die frühpädagogische Professionsforschung sich sowohl mit den Berufsgruppen der Frühpädagogik, als auch mit dem gesamten Professionsfeld beschäftigt. Die Forschung hinsichtlich der Professionsangehörigen bezieht sich auf deren berufliche Biografie, Wissen, Erfahrungswerte und Kompetenzen. Im Hinblick aufdas Professionsfeld betrachtet die Organisationsforschung beispielsweise die Zusammensetzung eines vielfältigen Teams (vgl. Cloos 2016, S. 25).

Hinsichtlich der Qualifizierungsmöglichkeiten von pädagogischen Fachkräften stellt die Autorin Schneider fest, dass der Deutsche Bildungsrat das Ausbildungsniveau bereits in den 1970- erJahren kritisierte. Dennoch dauerte es über dreißig Jahre, bis kindheitspädagogische Studiengänge entwickelt und eingeführtwurden. Nach Schneider sind seitdem die Ansprüche hinsichtlich des Ausbildungsniveaus von pädagogischen Fachkräften gestiegen und die akademische Qualifizierung im Elementarbereich hat an Bedeutung gewonnen (vgl. Schneider 2016, S. 64f.).

„In den vergangenen Jahren sind die Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher enorm gestiegen. (...) Um die damit verbundenen Aufgaben bewältigen zu können, bedarf es einer umfassenden Ausbildung der Fachkräfte, die auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen derfrühkindlichen Bildung basieren muss. Inzwischen bestehtweitgehend Konsens darüber, dass die Qualifizierung frühpädagogischer Fachkräfte nicht nur an Fachschulen und Fachakademien erfolgen kann, sondern parallel hierzu auch an Fachhochschulen und Universitäten ihren Platz haben muss“ (Robert Bosch Stiftung 2011, S. 5). DerAnstieg bezüglich der Anforderungen pädagogischen Handelns ist vor allem auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zurückzuführen, welche von Diversität und Multikulturalität geprägt ist. Beide Begriffe werden im Folgenden thematisiert und im gesellschaftlichen Kontext beschrieben.

2. Diversität und Multikulturalität als gesellschaftliche Phänomene

Diversität und Multikulturalität sind Begriffe, welche eng miteinander in Verbindung stehen und in diesem Kapitel fokussiert werden. Inwiefern die Begriffe miteinander verknüpft sind, wird im Verlaufdes Kapitels deutlich.

Im Rahmen dieserArbeit soll dargestelltwerden von welcher Bedeutung Diversität und Multikulturalität in der heutigen Gesellschaft sind- insbesondere im Hinblick auf den Elementarbereich. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik soll ebenso wie die Bearbeitung des ersten Kapitels ein Grundverständnis bezüglich des Themas der vorliegenden Arbeit vermitteln. Im Folgenden wird zuerst auf Diversität als grundlegende Erfahrung eingegangen und anschließend Multikulturalität als aktuelle Herausforderung dargestellt. Der erste Punkt beinhaltet eine Begriffsklärung von Diversität und geht zurück auf den Ursprung des Diversity-Konzepts. Im darauffolgenden richtet sich der Blick auf den gesellschaftlichen Kontext. Des Weiteren wird Diversität in Bezug aufden Bildungsbereich thematisiert und in Verbindung zum Elementarbereich dargelegt. Die Thematik Inklusion wird ebenfalls Bestandteil dieses Kapitels sein, da Verknüpfungspunkte zur Bedeutung von Diversität bestehen. Um Multikulturalitätzu beschreiben, wird im Kapitel 2.2 zuerst einmal der Begriff Kultur in Anlehnung an Interkulturalität definiert. Hinsichtlich dieser Thematik wird außerdem auf Menschen mit Migrationshintergrund eingegangen, um einen Zusammenhang zur multikulturellen Gesellschaft herstellen zu können. Das Kapitel soll außerdem dazu beitragen, die Wurzeln der multikulturellen Pädagogik zu beleuchten. An dieser Stelle wird eine Verbindung zum ersten Kapitel hinsichtlich des gesellschaftlichen Wandels sichtbar. Mit Blick auf das Thema der vorliegenden Arbeit wird Multikulturalität in Bezug aufden aktuellen Diskurs in Kindertagesstätten beschrieben.

2.1 „Diversität“ als grundlegende Erfahrung

Nach Hofmann gewann der Begriff Diversität oder auch Diversity (engl.) genannt ursprünglich in den USA an Bedeutung, im Hinblick aufdie Differenzen in der Arbeitnehmerschaft. Dies waren z.B. Differenzen in Bezug aufdie Hautfarbe, das Alter oder die Ethnizität. Somit sollte mit Hilfe des Diversitätsbegriffs die ökonomische Bedeutung von Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit der Personen für Organisationen verdeutlicht werden. Laut Hofmann ersetzt das Wort Diversität Begriffe wie beispielsweise Unterschiedlichkeit, Verschiedenheit, Vielfalt, Vielfältigkeit oder Ungleichheit (vgl. Hofmann 2012, S. 30f.).

Rehklau richtet ebenso wie Hofmann ihren Blick auf die Wurzeln von Diversität. In Anlehnung an Hofmann fügt die Autorin hinzu, dass Diversität in derVergangenheit insbesondere auf einen professionellen Umgang im Personal- und Organisationsentwicklungskontext mit Vielfältigkeit zielte. Dadurch sollte sich die Effizienz- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen erhöhen. Rehklau geht auf den Ursprung von Diversität ein, welcher in den 1950er bis 1970er Jahren liegt, in denen die sozialen Bewegungen und die Gleichstellungskämpfe im Mittelpunkt standen. Demnach wird Diversität häufig aus einer Menschenrechts- und Antidiskriminierungsperspektive betrachtet, welche darauf zielt, dass die Vielfalt individueller Ressourcen wahrgenommen und als etwas Wertvolles dargestelltwird, um Benachteiligungen entgegenzuwirken und Gleichstellung zu verwirklichen (vgl. Nestvogel 2008, nach Rehklau 2016, S. 109).

„Diversität bedeutetVielfalt im Sinne der Unterschiedlichkeit von Menschen in Bezug auf Lebens- und Arbeitsformen, sowie im Hinblick auf verschiedene Identitätsmerkmale“ (Rehklau 2016, S. 109). In Anlehnung daran betrachtet Rehklau die Kern- und Sekundärdimensionen von Diversität, welche sich aufdas Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beziehen. Mögliche Kerndimensionen können die ethische Herkunft, Religionszugehörigkeit oder sexuelle Identität sein. Zu den Sekundärdimensionen gehören beispielsweise das Einkommen oder der Ausbildungsweg einer Person. Rehklau kommt zu der Erkenntnis, dass diese Merkmale sowohl Vorteile, als auch Nachteile für den Menschen haben können, vor allem im Hinblick auf Machtverhältnisse. Die Auseinandersetzung mit Vielfalt ist diesbezüglich von besonders großer Bedeutung, da Ausgrenzungen nur dort wirksam werden können, wo Machtverhältnisse herrschen (vgl. Rehklau 2016, S. 109). Dobrick beschäftigt sich mit der Bedeutung von Machtverhältnissen und vertritt die Ansicht, dass diese nur in einer Beziehung oder sozialen Gemeinschaft aufkommen können, in der beispielsweise Kinder aufgrund ihrer Mangelbedürfnisse auf andere (Machthaber_innen) angewiesen sind. Dies bedeutet, dass Machtverhältnisse immervon zwei Seiten betrachtet werden müssen: Ein Kind verfügt über Macht, weil es z.B. besser deutsch spricht oder mehr Erfahrungswerte besitzt und das andere Kind akzeptiert und befolgt diese Macht (vgl. Dobrick 2011, S. 63).

Anhand dieses Beispiels werden Differenzen hinsichtlich Diversitätwahrgenommen, womit sich Speck-Hamdan auseinandergesetzt hat. Die Autorin verweist darauf, dass Wahrnehmungen selektiv und subjektiv sind. Jede Person entscheidet demnach selbst, welche Besonderheiten sie wahrnimmt und zur Grundlage der Unterscheidungen macht. Wird die Aufmerksamkeit bewusst auf bestimmte Merkmale gerichtet, dient dies als Mittel, die Komplexität der Gesamtheit aller Differenzen, welche es zwischen Menschen wahrzunehmen gäbe, zu verringern. Nach Speck- Hamdan bestimmt zunächst einmal jede Person auf der Grundlage der eigenen Interpretationsmuster selbst, inwieweit Diversitätvon persönlicher Bedeutung ist. Zusätzlich schreibt die soziale Übereinkunft fest, welchen Stellenwert Differenzen haben. Die Autorin weist an dieser Stelle darauf hin, dass sich jeder Mensch bewusst werden sollte, dass gleiche Rechte für alle gelten und demnach niemand aufgrund von Unterschieden, welche in keinem nachvollziehbaren Verhältnis stehen, benachteiligt werden sollte. Demzufolge dürfen Unterschiede nicht zu ungleichen Chancen und Rechten führen. Hinsichtlich des gesellschaftlichen Kontextes beschreibt Speck-Hamdan Diversität als Folge von Migrationsbewe­gungen und Individualisierungsprozessen. Beides hat ihrer Meinung nach dazu geführt, dass sich die Gesellschaft im Laufe der Zeit ausdifferenziert hat (vgl. Speck- Hamdan 2011, S.14).

Des Weiteren beschäftigt sich Speck- Hamdan mit Diversität in Bezug auf den Bildungsbereich. Dies bedeutet ihrer Ansicht nach vor allem Bildungsgerechtigkeit. Um dasjeweilige Bildungspotenzial der Kinder als Chance zu nutzen, müssen deren individuellen Unterschiede von Frühpädagogen_innen in wahrgenommen werden. Speck-Hamdan behauptet, dass bereits seit Jahrzehnten in der Frühpädagogik die Bildungsgerechtigkeit thematisiert wird, welche darauf zielt, trotz ungleicher Bedingungen die gleichen Möglichkeiten zu erhalten. Die Wichtigkeit von Bildungsgerechtigkeit verdeutlicht die Autorin mit der These, dass sich Unterschiede im Bildungs- und Erziehungskontextaufdie kindliche Entwicklung auswirken. Um professionell mit entwicklungs- und bildungsrelevanten Differenzen umgehen zu können, wird laut Speck-Hamdan ein achtsamer Umgang vorausgesetzt. Unterschiede sollten demnach nicht nur toleriert, sondern als Chance von Vielfalt genutzt werden (vgl. Speck-Hamdan 2011, 15f.).

Die Autorin Prochazka widmet sich der kulturellen Diversität in Bezug auf Kindertagesstätten. Prochazka betrachtet kulturelle und sprachliche Diversität als gesellschaftliche Wirklichkeit, was inzwischen auch in Kindertageeinrichtungen sichtbar geworden ist. Pädagogische Fachkräfte, Kinder und deren Eltern werden dort täglich mit Vielfalt im Hinblick auf Sprache, Weltanschauung und Verhaltensmuster in Verbindung gebracht. Laut Prochazka wird jedes einzelne Kind mit dieserVielfalt konfrontiert, unabhängig davon, ob es einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Als Zielsetzung von Diversität beschreibt die Autorin, die Entwicklung eines ressourcenorientierten Blicks in Bezug auf Unterschiedlichkeit. Prochazka erläutert außerdem die Relevanz einer diversitätsorientierten Konzeption in Kindertageseinrichtungen. Bei der Entwicklung einer solchen Konzeption bedarfes einem Perspektivenwechsel, da sich dadurch die Wahrnehmung der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt verändern kann. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass die Umsetzung dieser Konzeption pädagogische Fachkräfte voraussetzt, welche interkulturelle Kompetenzen aufweisen (vgl. Prochazka 2011, S. 104).

In Anlehnung an Prochazka fügt Farrokhzad hinzu, dass die Diversitätserziehung auf Benachteiligungen zwischen gesellschaftlich unterschiedlichen Gruppen, wie beispielsweise Kinder mit/ohne Migrationshintergrund aufmerksam macht, wodurch Vorurteile und das eigene Denken und Handeln kritisch reflektiert werden sollen. Durch den alltäglichen Umgang mit Diversität in Kindertageseinrichtungen sollen nach Farrokhzad diese Vorurteile und Diskriminierungen abgebautwerden, ein ressourcenorientierter Blick auf die multikulturell zusammengesetzte Kindergruppe gerichtet werden und das gemeinsame Miteinander als Ziel fokussiert werden (vgl. Farrokhzad 2013, S. 75f.).

Haude und Volk befassen sich in ihrem Kapitel mit der Diversität in der Kindheit, in Bezug auf Inklusion. Die Begriffe Diversität und Inklusion sind eng miteinander verknüpft und in der aktuellen bildungspolitischen sowie frühkindlichen Diskussion zentrale Themen. Dies belegen die Autorinnen damit, dass sich in der Inklusionsdebatte Thematiken bezüglich Vielfältigkeit wiederfinden, wodurch eine

Verbindung mit dem Konzeptvon Diversity hergestelltwerden kann. Der Fokus in der aktuellen Debatte liegttrotz allem auf einzelnen Differenzlinien, wie z.B. Kindern mit Beeinträchtigungen. Haude und Volkweisen daraufhin, dass eine Umsetzung der Inklusionsperspektive, welche die gesamte Vielfältigkeit im Hinblick auf die heutige Gesellschaft beinhaltet, bislang zu wenig Beachtung erhalten hat und demnach kaum umgesetztwurde (vgl. Haude/Volk2015, S. 69f.).

Des Weiteren richten Haude und Volk ihren Blick aufdie Qualifizierungsmöglich­keiten der pädagogischen Fachkräfte in Bezug auf die Thematik Diversität und Inklusion und bemerken, dass sich Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bezüglich der inklusiven Fördermöglichkeiten noch in den Anfängen befindet. Ein professioneller Umgang mit Diversität zeichnet sich nach Haude und Volk darin aus, dass kein einzelnes isoliertes Merkmal fokussiert wird, wie beispielsweise die andere Kultur, sondern die gleichzeitige Wirkung von unterschiedlichen Differenzen im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Das Leitbild der Inklusion zielt auf inklusive Einrichtungen für alle Kinder in Deutschland (vgl. Haude/Volk 2015, S. 70).

Im Rahmen dieses Kapitels wird deutlich, dass sich viele Chancen und Herausforderungen im Hinblick auf Diversität in Kindertageseinrichtungen ergeben können. Diese werden im dritten Kapitel dargestellt.

2.2 „Multikulturalität“ als aktuelle Herausforderung

Demorgon und Kordes betrachten die Wurzeln des Begriffs Multikulturalität und gehen aufdessen Bedeutung ein. Die Bezeichnung Multikulturalität hat ihren Ursprung ebenso wie der Begriff Diversität in den USA. Laut Demorgon und Kordes geht die Entstehung dieses Begriffs zurück auf die Beendigung des ersten Weltkriegs. Seitdem zielt Multikulturalität darauf, kulturelle Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang bedeutet dies außerdem, Diskriminierungen und Nationalismus entgegenzuwirken (vgl. Demorgon/Kordes 2006, S. 27-30).

Die Autorinnen Mayer und Vanderheiden richten in Bezug aufdie Multikulturalität zunächst einmal ihren Blick auf den Begriff Kultur. Dabei stellen sie fest, dass dieser sehr vielfältig definiert wird und sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten wesentlich weiterentwickelt hat (vgl. Mayer/Vanderheiden 2014, S. 30). Bezüglich des Themas der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Kultur ausschließlich in Verbindung mit Multikulturalität beschrieben, da dieser Zusammenhang am relevantesten erscheint.

„Multikulturalitätsansätze schauen nach Möglichkeiten derToleranz, der Verständigung, derAkzeptanz und der Konfliktvermeidung zwischen den kulturellen Gruppen, unterstützen den Wunsch nach kulturellerVielfalt und versuchen ein Verständnis zwischen den Gruppen zu schaffen, die das Nebeneinander abbaut und das Miteinander fördert“ (Dünkel 2008, zit. n. Mayer/Vanderheiden 2014, S. 32). Hierauf bezugnehmend weisen Mayer und Vanderheiden darauf hin, dass Multikulturalität das Zusammenleben verschiedener Kulturen in einer Gesellschaft beschreibt (vgl. Mayer/Vanderheiden 2014, S. 32).

Schröer befasst sich ebenfalls mit dem Begriff Kultur in Verbindung mit Multikulturalität. Er stellt die Definition auf, dass es sich diesbezüglich um Veränderungsprozesse von Kulturen im Zuge des gesellschaftlichen Wandels handelt. Nach Schröer ist die heutige multikulturelle Gesellschaft von Vielfalt und Verschiedenheit geprägt, wodurch auch die Arbeit im pädagogischen Bereich interkulturell geworden ist. Interkulturalität wird von Schröerals Schlüsselbegriff gesehen, welcher unter anderem das Thema Multikulturalität beinhaltet (vgl. Schröer 2011, S. 45). Zum allgemeinen Verständnis wird demnach im Folgenden der Begriff Interkulturalität erläutert.

Schröer beschreibt Interkulturalität als weitgefassten Kulturbegriff. Im Hinblick auf die Definition hält erfest, dass „Inter“ aus dem Lateinischen stammt und „zwischen“ bedeutet. Im pädagogischen Kontext bedeutet dies, die Beziehung zwischen Menschen, welche sich in verschiedenen Hinsichten unterscheiden, wie beispielsweise der Hautfarbe, Kultur, Religion oder Sprache. Somit deutet der Begriff Interkulturalität auf Menschen mit Migrationshintergrund und vielfältige Lebensformen hin. Schröer versteht dies als Prozess zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund (vgl. Schröer2011, S. 45ff.).

In Anlehnung an die vorherigen Begriffsklärungen stellt Schröer abschließend Bezug zur Multikulturalität her. Dem Begriff Multikulturalität schreibt er eine deskriptive Bedeutung zu, welche das Zusammenleben verschiedener Individuen, Gruppen und Lebensweisen beschreibt. Außerdem steht Multikulturalität für die Anerkennung und Wertschätzung von kultureller Vielfalt (vgl. Schröer2011, S. 47).

Im Rahmen dieserArbeit ist häufig von Menschen, insbesondere von Kindern, mit Migrationshintergrund die Rede, wodurch eineVerbindung zurThematik Multikulturalität hergeleitetwird. Aufgrund dessen soll im Folgenden Bezug dazu genommen werden. Der Autor Focali beschäftigt sich in seiner Monografie mit dem Migrationsbegriff, welchen er als Wanderungsprozess von Individuen oder Gruppen im sozialen oder geografischen Raum definiert. Da sich Menschen mit Migrationshintergrund in vielen Merkmalen voneinander unterscheiden können, wie beispielsweise hinsichtlich ihrer Religion oder dem Herkunftsland, handelt es sich um keine homogene Gruppe. DerAutor verweist außerdem darauf, dass Migration kein neues Phänomen ist. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verlassen eine Vielzahl von Menschen ihr Heimatland, weshalb sich im Laufe derZeit eine multikulturelle Gesellschaft entwickelte, welche inzwischen auch in Kindertagesstätten sichtbar geworden ist (vgl. Focali 2009, S. 15). Baum vertritt die Ansicht, dass die multikulturelle Pädagogik sogar bis in die 1980er Jahre zurückreicht, in der ein Großteil der sogenannten Gastarbeiter nicht mehr ihr Herkunftsland aufsuchte, sondern stattdessen die Familie nach Deutschland holte. Die Autorin stellt fest, dass sich bereits seit diesem Zeitpunkt in Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft entwickelte, welche von der Mehrheitsbevölkerung als bereichernd empfunden wurde (vgl. Baum 2014, S. 449). An dieser Stelle wird eine Verbindung zum ersten Kapitel deutlich, in dem der historische Hintergrund genauer betrachtet wird.

Die Autoren Neubert, Roth und Yildiz weisen darauf hin, dass Kanada, Australien und die USA als klassische Einwanderungsländer gelten, da dort bereits über viele Jahre multikulturell zusammengelebt wird. Da diese Thematik erst in den 80er Jahren in Deutschland aufkam, besitzen Kanada, Australien und die USA mehr Erfahrungen im Umgang mit Menschen, die einen Migrationshintergrund besitzen. Demnach vertreten die Autoren im Vergleich zu Baum die Ansicht, dass die deutsche

Bevölkerung von den vielfältigen Erfahrungen in anderen Ländern profitieren könnte, um Multikulturalität als Chance für das gemeinsame Miteinander zu sehen (vgl. Neubert/Roth/Yildiz 2002, S. 9).

Oberhuemer beschäftigt sich mit dem Thema Multikulturalität im Hinblick auf den aktuellen Diskurs in Kindertagesstätten. Dabei vertritt sie die Ansicht, dass sowohl Träger als auch pädagogische Mitarbeiterinnen dafürverantwortlich sind, die Rahmenbedingungen von Multikulturalität zu schaffen, welche öffentliche Anerkennung und Wertschätzung als Ziel haben. Die Autorin stelltfest, dass sich aufgrund derweltweiten Wanderungsbewegung die Vielfalt der Herkunfts- und Bezugskulturen um einen Großteil erweitert hat. Oberhuemerführt als Beispiel an, dass eine Befragung in vierzehn unterschiedlichen Kindertagesstätten in München zu dem Ergebnis kam, dass über vierzig Kinder verschiedene Staatszugehörigkeiten besaßen. Dieses Ergebnis verdeutlicht die Vielfalt der Kulturen in Kindertagesstätten. Nach Oberhuemer sollte Multikulturalität in Kindergruppen nicht nur akzeptiert, sondern gleichzeitig von einer anderen Perspektive betrachtet werden, welche die persönliche Einstellung und Handlung kritisch hinterfragt. Dabei bemerkt die Autorin, dass solche Reflexionsprozesse einem hohen fachlichen und persönlichen Anspruch bedürfen. Dies ist nach Oberhuemer die Grundlage für multiperspektivisches Wahrnehmen in kulturell vielfältig zusammengesetzten Kindergruppen. Multiperspektivität meint z.B. die Sprachvielfalt in Kindergruppen als Chance anzuerkennen oder Eltern mit Migrationshintergrund als Experten ihrer Lebenswelt zu sehen und demnach in die pädagogische Arbeit zu integrieren (vgl. Oberhuemer 2013, S. 12f.). Die Perspektiven der Kinder sowie die Anforderungen von Kindheitspädagogen_innen, welche sich aufgrund dergesellschaftlichen Wirklichkeit im Hinblick auf Multikulturalität und Diversität ergeben, sind Bestandteil des folgenden Kapitels.

3. Chancen und Herausforderungen von Diversität und Multikulturalität in Kindertagesstätten

Nachdem im zweiten Kapitel eine Hinführung zur Diversität und Multikulturalität erfolgte, werden nun die Chancen und Herausforderungen diesbezüglich beschrieben. Da das Thema Diversität, mit besonderem Augenmerk auf die Multikulturalität im Hinblick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit einen hohen Stellenwert im Bereich der Elementarpädagogik eingenommen hat, werden die Chancen und Herausforderungen sowohl aus der Perspektive der Kinder, als auch die der pädagogischen Fachkräfte beleuchtet. Außerdem wird im vorherigen Kapitel aufMenschen mit Migrationshintergrund eingegangen, sodass daraufaufbauend im Folgenden deren Umstände dargestelltwerden, um im Anschluss aufdie daraus resultierenden Herausforderungen eingehen zu können.

Gaitanides stelltfest, dass Menschen, die ihr Herkunftsland verlassen, in der Regel auch ihr vertrautes, familiäres, soziales und kulturelles Umfeld hinter sich lassen. Viele dieser Menschen werden aufgrund der „fremden“ Sprache, der anderskulturellen Verhaltensmuster und der unbestimmten Trennungsphase im Hinblick auf zurückgelassene Familienmitglieder vor große Herausforderungen gestellt. Hinzu kommt die Ungewissheit bezüglich der Aufenthaltsdauer, was nach Gaitanides ebenfalls als belastend gedeutet wird. Der Autor beschreibt dies als Migrationsfolgen und betrachtet dabei insbesondere die zweite Generation, welche aufgrund der etappenweisen Familienzusammenführung häufig einen Wechsel der frühkindlichen Bezugsperson erfahren musste. Daraus resultiert oftmals ein unsicheres Bindungsverhalten, welches sich nachteilig aufdie kindliche Entwicklung auswirkt und somit Herausforderungen mit sich bringt- sowohl für das Kind, als auch fürdie pädagogische Fachkraft (vgl. Gaitanides 2011, S. 183). Welche Herausforderungen damit gemeint sind, wird im Verlaufdieses Kapitels deutlich.

Thiersch setzt sich sowohl mit den Chancen, als auch mit den Herausforderungen, die sich hinsichtlich einer vielfältigen Kindergruppe ergeben können, auseinander. Die Autorin betrachtet die Kindertagesstätte als einen Ort, in dem Kinder die Möglichkeit erhalten, Diversität und Multikulturalität zu erleben. Dafür eignen sich ihrer Ansicht nach vor allem interkulturelle Projekte im Hinblick auf Sprache, Religion und Herkunft, da diese für alle Kinder eine Bereicherung darstellen können.

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Excerpt out of 68 pages

Details

Title
Chancen und Herausforderungen von Multikulturalität in Kindertagesstätten. Ein kindheitspädagogischer Blick
College
Protestant University of Applied Sciences Darmstadt
Grade
1,5
Author
Year
2016
Pages
68
Catalog Number
V366391
ISBN (eBook)
9783668468276
ISBN (Book)
9783668468283
File size
552 KB
Language
German
Keywords
Pädagogik, Kinder, Multikulturalität, Kindertagesstätten, Diversität, Gesellschaft
Quote paper
Josephin Scholz (Author), 2016, Chancen und Herausforderungen von Multikulturalität in Kindertagesstätten. Ein kindheitspädagogischer Blick, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366391

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