Vom Nationaltorwart zum Muskelprotz. Die Mediale Stigmatisierung von Tim Wiese


Seminararbeit, 2015

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der „Stigma“-Begriff

3. Tim Wiese - Der Werdegang

4. Exkurs: Das Stigma „Wrestling“ / „Bodybuilding“

5. Die mediale Stigmatisierung Tim Wieses
5.1 Genese und die Rolle der Medien
5.2 Umgang und Folgen

6. Fazit

7. Anhang
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Internetquellen

1. Einleitung

„Transfer-Bombe! Tim Wiese unterschreibt Vertrag als Profi-Wrestler Spektakulärer Wechsel: Tim Wiese, Ex-Torwart von 1899 Hoffenheim, Werder Bremen und dem 1. FC Kaiserslautern, verlässt die Bundesliga und wird Profi-Wrestler in den USA. Der 32-Jährige unterschrieb am Freitag einen Dreijahresvertrag bei World Wrestling Entertainment (WWE).

[…]

„Ich liebe eingeölte Muskeln, Selbstbräuner und hautenge Trikots. Daher wollte ich den nächsten logischen Karriereschritt machen“, so erklärte Wiese seinen überraschenden Abschied aus Deutschland. Der talentierte Trash-Talker wird als „Crazy Goalkeeper“ in den millionenschweren Prügelshows der WWE auftreten. Zu seinen Spezial-Tricks zählt neben dem „Goal Kick“ (Abstoß) und der „Finishing Parade of Glory“ (Glanzparade vom obersten Ringseil) auch das „Extreme Cheek Pumping“ (Extrem-Backen-Aufblasing). Wiese weiß, dass es voraussichtlich der letzte große Vertrag (ca. 5 Mio. Dollar/Jahr) seiner Laufbahn sein wird. Danach will er die Karriere am Autoscooter-Stand auf der Pfingst-Kirmes in Bergisch Gladbach ausklingen lassen.“1

Satire hat bekanntlich viele verschiedene Funktionen, von bissig-subversiver Kritik an der Obrigkeit bis hin zum unangenehmen Stachel der medialen Meinungsfreiheit, im Fleisch einer zunehmend politisch-korrekten Gesellschaft. Eher selten hingegen kommt ihr die Funktion eines prophetischen Orakels zu, die Ereignisse vorwegnimmt, bevor diese überhaupt tatsächlich geschehen sind. Tatsächlich kommt es hier und da vor, dass satirische Beiträge, die auf den ersten Blick vor Absurdität überschäumen, einige Zeit später deutlich näher an der Realität zu sein scheinen, als Anfangs gedacht. Dass sie allerdings derart konkret (erst einmal fiktive) Sachverhalte persiflieren, die wenig später so eintreffen, wie im Fall von Ex- Fußballnationaltorwart Tim Wiese, könnte fast erschrecken, sodass man innerlich nochmal das jung‘sche Synchronizitätsprinzip abhandelt, um eine Erklärung für die korrelierenden Ereignisse zu erhalten2.

Im Januar 2014 schrieb die Sport-Satire-Website Mutti der Libero, dass Tim Wiese einen Vertrag als Pro-Wrestler beim marktführenden US-Unternehmen WWE unterschrieben hätte. Eine Meldung, der die Extrovertiertheit und Exzentrik zu Grunde liegt, die Tim Wiese schon zu aktiven Profisport-Zeiten ein wenig von der Masse seiner Kollegen abhob. Allerdings, zu der Zeit noch, ohne wahren Kern, ein konkretes Fundament oder auf irgendwelchen Meldungen beruhend, die in diese Richtung hätten gehen können. Ein aus der Luft gegriffener Scherz, sozusagen. Wenige Monate später, d.h. Ende Mai 2014, erschienen jedoch tatsächlich Bilder in der Öffentlichkeit, die einen optisch transformierten Tim Wiese zeigten3, der deutlich an Muskelmasse zugenommen hat und dem Erscheinungsbild, welches man gemeinhin mit einem Wrestler in Verbindung bringt, sehr nahe kam. Die Wrestling- Assoziationen häuften sich. Jetzt nicht mehr aus der Luft gegriffen, sondern unmittelbar auf die visuelle Veränderung Wieses zurückzuführen. Doch damit nicht genug: Erneut gingen einige Monate ins Land und im September 2014 kursierten erste Meldungen, dass Tim Wiese tatsächlich über einen Professionswechsel in den Bereich des Wrestlings nachdenke und ein erstes Angebot der Wrestlingliga WWE bereits abgegeben wurde.

In der vorliegenden Seminararbeit soll nun nicht nur die Entwicklung von Tim Wiese nachgezeichnet, sondern auch die damit einhergehende mediale Stigmatisierung analysiert und erklärt werden. Was bedeutet es medial stigmatisiert zu sein? Wie entsteht Medienstigmatisierung allgemein und im speziellen Fall Wiese, d.h. wie verlief die konkrete Genese und wie wurde damit umgegangen? Um diesen Fragen nachzugehen bzw. um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss erst einmal genau definiert werden, was unter Medienstigmatisierung“überhaupt zu verstehen ist. Um dies zu leisten, wird im folgenden Kapitel der Begriff, im Sinne Erving Goffmanns, einführend definiert.

2. Der „Stigma“-Begriff

Der Begriff Stigma stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Stich-, Punkt-, Wund- oder Brandmal“. In den wissenschaftlichen Diskurs erhielt der Begriff 1963 Einzug. Der US-amerikanische Soziologe Erwing Goffman legte in jenem Jahr mit seinem Werk Stigma: Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten nicht nur den Grundstein für die Stigmaforschung, sondern hat damit ein bis heute relevantes Referenzwerk geschaffen. Als „Stigmatisierung“ bezeichnet Goffman, wenn mit einer Person(engruppe) ein negativ konnotiertes Stereotyp assoziiert wird. Es entsteht quasi eine Diskrepanz zwischen der virtualen sozialen Identität, also dem Charakter eines Individuums, basierend auf normativen Erwartungen aufgrund der jeweiligen Personenkategorie und der aktualen sozialen Identität, also den Attributen, die dem jeweiligen Individuum tatsächlich zugeschrieben bzw. nachgewiesen werden können4. Der Soll-Charakter und der Ist- Charakter sind in dem Fall nicht identisch. Das diskreditierende Attribut, welches gegen normative Erwartungen verstößt und somit diese Diskrepanz auslöst, ist das Stigma. Konkrete Stigmatisierungsgründe gibt es zahlreiche, wie Hautfarbe, Herkunft, sozialer Stand, Geschlecht, sexuelle Orientierung, physische Merkmale, Krankheiten, etc. Generell werden jedoch drei Stigma-Typen unterschieden:

1.) physische Stigmata
2.) individuelle Charakterfehler
3.) phylogenetische Stigmata5

Das physische Stigma beruht auf dem äußeren Erscheinungsbild der jeweiligen Person. Dies kann von der Hautfarbe über Missbildungen bis hin zu einem selbst gewählten, alternativen Äußeren führen, bspw. unkonventionelle Tatoowierungen oder ein extravaganter Kleidungsstil.

Individuelle Charakterfehler sind unter Umständen nicht auf den ersten Blick sichtbar, dennoch können auch sie zu einer Stigmatisierung führen. Goffmann zieht hier als Beispiel Sucht oder Homosexualität heran. Grundsätzlich kann gesagt werden: Derjenige, der ein Stigma trägt, „ist in unerwünschter Weise anders, als wir es antizipiert hatten.“6

Phylogenetische Stigmata sind jene, die vererbt werden, d.h. spezielle intrinsische Eigenschaften, die womöglich weder zu verhindern, noch aktiv abzulegen sind, in etwa Nation oder Religion. Weiter unterscheidet Goffman grundsätzlich zwischen dem Individuum, das aufgrund einer Auffälligkeit bereits stigmatisiert wird und das er als Diskreditierte bezeichnet und dem Individuum, das eine Auffälligkeit hat, diese, wenn sie explizi(er)t wird, zu einem Stigmatisierungsgrund werden könnte, dem Diskreditierbaren7.

Ist eine Stigmatisierung erst einmal entstanden bzw. wurde erkannt, können auf dieser Basis weitere negative Eigenschaften addiert werden, die man gemeinhin damit assoziiert oder vermutend unterstellt. Dies kann schließlich zu einer Generalisierung führen, die wiederum zur Folge hat, dass die stigmatisierte Person hauptsächlich via ihres Stigmas beurteilt wird. Hohmeier spricht in dem Fall von einem Stigma als „master status“.8

Dennoch: Stigmatisierungen funktionieren nie pauschal, sondern sind an situativ- gesellschaftliche, variierende Normen gebunden. Was in einer kulturellen Umgebung zu einer Stigmatisierung führt, kann in einer anderen kulturellen Umgebung eventuell zum genauen Gegenteil führen, nämlich zu einer Art Initiationsmerkmal, ein Symbol der Zugehörigkeit. Somit besitzt der Begriff Stigma - aus einem extern- objektiven Blickwinkel heraus und nicht als Teil der der Gesellschaft, die eine Eigenschaft zum Stigma degeneriert - grundsätzlich eher eine deskriptive, als normativ-wertende Funktion.

Wie Stereotype, Klischees und sonstige Vorurteile allgemeiner Art, dient auch das Stigma der Orientierung bzw. Strukturierung innerhalb sozialer Interaktionen. Die vorangestellten Vermutungen bzgl. des Verhaltens des Gegenübers, beeinflusst somit wiederum das eigene Verhalten.9 Darüber hinaus sei noch der identitätsstiftende

[...]


1 URL: http://mutti-der-libero.de/tim-wiese-unterschreibt-vertrag-als-profi-wrestler-bei-wwe/ (Stand: 15.09.2015)

2 Vgl. Jung, C.G. (2001): Synchronizität, Akausalität und Okkultismus. München: dtv

3 Siehe 7.3

4 Vgl. Tröster, Heinrich (1997/2008): Stigma. in: Petersen, Lars-Eric; Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, 3

3 Siehe 7.3

4 Vgl. Tröster, Heinrich (1997/2008): Stigma. in: Petersen, Lars-Eric; Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. Basel: Beltz, S.140

5 Goffman, Erwing (1963/1994): Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, S.12f.

6 Vgl. Ebd. S.13

7 Vgl. Ebd. S.56f.

8 Hohmeier, Jürgen; Manfred Brusten (1975): Stigmatisierung 1, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen, Darmstadt, S.8

9 Vgl. Ebd., S.10

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Vom Nationaltorwart zum Muskelprotz. Die Mediale Stigmatisierung von Tim Wiese
Hochschule
Universität Siegen
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
20
Katalognummer
V366579
ISBN (eBook)
9783668455504
ISBN (Buch)
9783668455511
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mediale Stigmatisierung, Tim Wiese, Wiesling, Wrestling, Sport, WWE
Arbeit zitieren
Lukas Lohmer (Autor:in), 2015, Vom Nationaltorwart zum Muskelprotz. Die Mediale Stigmatisierung von Tim Wiese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366579

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