Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklung ausgewählter ökonomischer Kennzahlen der spanischen Volkswirtschaft
3. Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien
3.1. Dualer Arbeitsmarkt
3.1.1. Entstehung des dualen Arbeitsmarktes in Spanien
3.1.2. Struktur des dualen Arbeitsmarktes in Spanien
3.2. Immobilienkrise 2007
3.2.1. Ursachen der Krise in Spanien
3.2.2. Auswirkungen der Krise auf den spanischen Arbeitsmarkt
4. Arbeitsmarktreformen 2010 und 2012 in Spanien
4.1. Änderungen
4.2. Bisherige Ergebnisse
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Wachstumsrate des realen BIP pro Kopf in Spanien und der EU-28
Abbildung 2: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Spanien und der EU-28
Abbildung 3: Veränderungsrate des BIP und der Beschäftigung in Spanien
Abbildung 4: Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und der EU-28
Abbildung 5: Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der Gesamtarbeitslosigkeit in Spanien und der EU-28
Abbildung 6: Anzahl der Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag in Prozent der Gesamtzahl der Arbeitnehmer in Spanien und der EU-28
Abbildung 7: Entwicklung des 12-Monats-Euribor
Abbildung 8: Entwicklung des Hauspreisindex in Spanien und der EU-15
Abbildung 9: Entwicklung der Anzahl der Arbeiter im Baugewerbe in Spanien 17
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Kampf gegen die Krise – ein Kampf gegen Windmühlen?“1
Dies ist nur eine der Überschriften, die in der Hochphase der letzten globalen Wirtschaftskrise über den spanischen Arbeitsmarkt zu lesen war. Kaum ein anderes Land in der EU hatte so sehr mit den Auswirkungen der Finanzkrise im Jahr 2007 zu kämpfen wie Spanien. So wie der Spanier Don Quijote im Roman von Miguel de Cervantes scheinbar chancenlos den Kampf gegen die Windmühlen aufnahm, so sahen viele Medien und Wirtschaftsexperten auch die Anstrengungen der spanischen Regierung den Wirtschaftsabschwung und seine Folgen zu verhindern.
Obwohl Spanien über mehrere Jahre eine sehr positive ökonomische Entwicklung erlebte, war der Einbruch der spanischen Wirtschaftskraft unvermeidlich. Betroffen von der Krise waren alle Wirtschaftsbereiche, wobei der Arbeitsmarkt besonders hervorsticht. Bis auf Griechenland, kam es in sonst keinem anderen EU-Land zu einem so deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Zwischenzeitlich war jeder vierte Spanier im arbeitsfähigen Alter arbeitslos. Für die Jugendlichen sah es besonders drastisch aus. Jeder zweite Arbeiter unter 25 Jahren fand keinen Arbeitsplatz. Würde man diese Entwicklung jedoch nur auf die letzte Finanzkrise zurückführen, so müssten ähnlich starke negative Entwicklungen ebenfalls auf den Arbeitsmärkten anderer EU-Länder zu sehen sein. Dort zeichnete sich zwar ein negativer Trend ab, doch nie in einem solchen Ausmaß. Hinzu kommt, dass Spanien bereits in der Vergangenheit eine hohe Arbeitslosigkeit aufwies, verglichen mit anderen Ländern in der EU. Selbst in konjunkturell guten Zeiten erreichte die Arbeitslosenquote nicht annähernd solch niedrigen Werte wie z.B. in Deutschland.
Um das Problem der derzeit hohen Arbeitslosigkeit in Spanien zu begründen, reicht es demnach nicht aus, nur die letzte Wirtschaftskrise zu betrachten. Die anhaltend überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und ihr vergleichsweise hoher Anstieg durch die Krise lassen erahnen, dass das Problem im Kern des spanischen Arbeitsmarktes selbst steckt.
Das Ziel dieser Seminararbeit ist es, die Ursachen für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Spanien zu beleuchten und zu erklären. Dazu werden zu Beginn einige ausgewählte ökonomische Kennzahlen der spanischen Volkswirtschaft und ihre Entwicklung im Zeitverlauf betrachtet. Im darauf folgenden Kapitel werden die wichtigsten Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit analysiert, wobei zuerst der duale Arbeitsmarkt und im nächsten Abschnitt die Finanz- und Immobilienkrise 2007 thematisiert werden. Der Fokus liegt hierbei auf dem Immobilienmarkt, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu überschreiten. Anschließend werden die letzten Arbeitsmarktreformen und ihre bisherigen Ergebnisse betrachtet. Zum Abschluss gibt es ein kurzes Fazit, das die wichtigsten Punkte zusammenfasst und schlussendlich die Frage der Ursachen der anhaltenden Arbeitslosigkeit versucht zu klären.
2. Entwicklung ausgewählter ökonomischer Kennzahlen der spanischen Volkswirtschaft
Die spanische Volkswirtschaft erlebte ab Mitte der 90er Jahre eine lange Periode des wirtschaftlichen Wachstums (Abbildung 1). Dieser Aufschwung wurde besonders durch ein deutliches Absinken der Realzinsen und eines daraus resultierenden starken Ansteigens der Binnennachfrage angetrieben. Der Grund für das Absinken des Realzinses war das höhere Vertrauen in die spanische Wirtschaft aufgrund der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung. Dadurch erschien das Investitionsrisiko für Investoren geringer und Risikoaufschläge bei der Investitionsvergabe wurden reduziert.2 Darüber hinaus kam es während des Aufschwungs zu einem Anstieg des Immigrationsflusses. Diese neuen Arbeitskräfte wurden hauptsächlich in arbeitsintensiven Sektoren eingesetzt, wie z.B. in der Bauwirtschaft oder in der Tourismusbranche, da dort die Nachfrage nach neuen Arbeitern groß war.3 So konnten über eine Dekade hinweg jährliche Wachstumsraten zwischen 1,2% und 4,8% erzielt werden. Dabei lag die Wachstumsrate des BIP in Spanien in vielen Jahren über dem EU-28-Durchschnitt. Diese Entwicklung wurde erst durch den Ausbrauch der Finanz- und Immobilienkrise im Jahr 2007 unterbrochen. Es kam zu einem signifikanten Absinken der Nachfrage nach spanischen Exportgütern.4 Ein starker Einbruch der Wirtschaftskraft in den nächsten Jahren war die Folge. Gleichzeitig wurden makroökonomische Ungleichgewichte erkennbar, die sich während des Aufschwungs in Spanien aufbauten.5 Das BIP sank im Höhepunkt um bis zu 4,4%. Während sich das durchschnittliche jährliche BIP in der EU-28 bereits verbesserte, war Spanien wesentlich länger von den negativen Folgen der Krise betroffen. Erst im Jahr 2014 ist erneut ein positives Wachstum des BIP vorhanden.6
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Wachstumsrate des realen BIP pro Kopf in Spanien und der EU-28
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich auf dem spanischen Arbeitsmarkt ab (Abbildung 2). Dieser erlebte in den letzten 30 Jahren häufiger deutliche Schwankungen der Arbeitslosenquote.7 Die Arbeitslosenquote ist definiert als der Anteil der Bevölkerung, der zu dem betrachteten Zeitpunkt keine Arbeit hat, aber aktiv nach einer Stelle sucht und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.8 In den 80er Jahren lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote in Spanien noch bei über 16%.9 Dabei war die Arbeitslosenquote nicht zu jedem Zeitpunkt die höchste in den EU-28-Staaten. Doch selbst innerhalb des langen Aufschwungs seit 1994 bis zur Krise 2007 konnte Spanien die Arbeitslosigkeit im Land nicht unter den EU-28-Durchschnitt bewegen. Dies deutet auf ein strukturelles Problem auf dem Arbeitsmarkt hin.10 Auch hier kam es nach Ausbruch der Finanz- und Immobilienkrise zu einer signifikant negativen Entwicklung. Nachdem die Arbeitslosenquote 2007 bei nur 8,2% lag, verdreifachte sie sich bis 2013 auf 26,1%, was einer der stärksten Anstiege der Arbeitslosenquoten in der EU-28 darstellte.11
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Spanien und der EU-28
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Vergleicht man die Veränderungsraten des BIP und der Beschäftigung in Spanien, so werden dort ebenso Ungleichgewichte sichtbar, die sich über die Jahre aufgebaut haben (Abbildung 3).12 Zwar sind während des Aufschwungs beide ökonomische Kennzahlen angestiegen, jedoch in einem unterschiedlichen Verhältnis. Die Beschäftigung ist in keinem Jahr prozentual um den gleichen Wert gestiegen wie das BIP. Dies kann ein Zeichen für eine geringe Produktivität sein, die nun entsprechend der zu hohen Beschäftigung in den Jahren zuvor aufholt. Ähnlich sieht es in der Abschwungphase nach Ausbruch der Krise 2007 aus. In dieser Zeit sank die Beschäftigung weit stärker als das BIP, dessen Absinken erst um 1 Jahr verzögert folgte.13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Veränderungsrate des BIP und der Beschäftigung in Spanien
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Besonders negativ im Zusammenhang mit der spanischen Arbeitslosigkeit wird oft die Jugendarbeitslosigkeit herausausgestellt. Für die Quote der Jugendarbeitslosigkeit entscheidend sind alle Erwerbspersonen zwischen 15 und 24 Jahren.14 Betrachtet man den Wert im Zeitverlauf, so lässt sich eine anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit bestätigen (Abbildung 4). Besonders drastisch ist der Anstieg seit Beginn der Wirtschaftskrise 2007.15 In dessen Verlauf stieg die Zahl der Jugendarbeitslosigkeit von etwa 18% auf bis zu 55% hinauf. Diese Werte dürfen jedoch nicht zu negativ gesehen werden. In die Berechnung fallen ebenfalls alle jene Jugendliche hinein, die sich noch in der Schule, im Studium oder in einer anderen Form der Weiterbildung befinden. Rechnet man diese nicht mit ein, so entsteht ein wesentlich positiveres Bild der Jugendarbeitslosenquote in Spanien. Auch dort hat sich die Quote von 10,9% im Jahr 2007 bis ins Jahr 2009 auf 18,6% erhöht, doch ist dieser Wert noch weit unter den oft genannten 55,5%. Im Vergleich mit der EU-28 ist Spaniens Jugendarbeitslosigkeit dennoch sehr hoch.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und der EU-28
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Darüber hinaus ist der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit ein wichtiger Faktor zur Bewertung der Lage des Arbeitsmarktes. Die Langzeitarbeitslosenquote wird definiert als „Der Anteil der seit mindestens 12 Monaten erwerbslosen Personen an der Gesamtzahl der Erwerbslosen, ausgedrückt als Prozentsatz.".16 Mitte der 90er Jahre lag dieser Wert in Spanien noch bei über 55% (Abbildung 5). Somit war jeder zweite Erwerbslose zu diesem Zeitpunkt länger als ein Jahr erwerbslos. Mit dem darauf folgenden Konjunkturaufschwung sank dieser Wert bis 2008 auf 18%, wodurch Spanien über viele Jahre hinweg weit unter dem EU-28-Durchschnitt lag. Mit der Wirtschaftskrise 2007 stieg dieser Wert drastisch an und überstieg 2012 den EU-28-Durchschnitt. Im Jahr 2014 erreichte er 49,5%. Der Einfluss der Krise auf die Langzeitarbeitslosigkeit ist daher sehr drastisch.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der Gesamtarbeitslosigkeit in Spanien und der EU-28
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeitslosenquote in Spanien in den letzten drei Dekaden großen Schwankungen unterlag. Nach einer Phase des ökonomischen Aufschwungs, Mitte der 90er Jahre bis zum Jahr 2007, aus der eine sehr positive Entwicklung aller Bereiche des Arbeitsmarktes resultierte, kam es mit Ausbruch der Finanz- und Immobilienkrise 2007 zu einer enormen Verschlechterung der Erwerbszahlen auf dem Arbeitsmarkt.17 Gleichzeitig muss hingegen festgehalten werden, dass sowohl in schlechten als auch in guten Phasen der Konjunktur die Arbeitslosenquote in Spanien einen relativ schlechten Wert, verglichen mit anderen EU-28-Ländern, aufwies. Die Probleme scheinen also nicht allein durch die konjunkturelle Entwicklung auf dem Weltmarkt erklärbar zu sein, sondern liegen zusätzlich auf struktureller Ebene des spanischen Arbeitsmarktes vor.18 Um dies beweisen, werden im folgenden Kapitel die Ursachen für die bisherige Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Spanien näher beleuchtet.
3. Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien
Spaniens Arbeitslosigkeit bewegt sich bis heute auf einem hohen Niveau.19 Um die aktuelle Lage des Arbeitsmarktes zu verstehen, werden die beiden wichtigsten Einflussfaktoren näher erörtert. Dabei wird zuerst der „Duale Arbeitsmarkt“ als wesentlichstes andauerndes Problem analysiert. Darüber hinaus wird die Finanz- du Immobilienkrise seit 2007 betrachtet, da sie einen wichtigen temporären Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren hatte.
3.1. Dualer Arbeitsmarkt
Das Modell des dualen Arbeitsmarktes setzt sich aus zwei Segmenten zusammen. Das erste Segment besteht aus Arbeitskräften, die sich in einem unbefristeten Vollzeit-Arbeitsverhältnis befinden. Andere Merkmale dieses Segments sind häufig ein relativ hohes Lohnniveau, günstige Aufstiegsmöglichkeiten, gute Arbeitsbedingungen und eine hohe Sicherheit des Arbeitsplatzes.20 Diese Arbeitskräfte werden als „Insider“ bezeichnet. Dem gegenüber stehen die sogenannten „Outsider“, die das zweite Segment bilden. Sie sind nur mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet und besonders durch ein relativ geringes Lohnniveau und einem sehr unsicheren Arbeitsplatz gekennzeichnet.21 Ein weiterer wichtiger Faktor in diesem Modell ist, dass zwischen den beiden Segmenten nur eine sehr geringe Mobilität herrscht. Der Wechsel einer Arbeitskraft von der Outsider-Position in eine Insider-Position und anders herum ist demnach kaum möglich.22 Der Grund dafür ist, dass in der Theorie die Insider ihre Lohnansprüche exakt in der Höhe festlegen, in der keine Nachfrage nach neuen Arbeitern durch die Arbeitgeber entsteht. Dies ist dann der Fall, wenn der durch den Outsider verlangte Lohn, der geringer ist als der Lohn eines Insiders, einschließlich der Kosten für die Einarbeitung größer sind als der gewünschte Lohn des Insiders.23
Nachdem die Theorie des dualen Arbeitsmarktes dargelegt wurde, wird dieses Modell im weiteren Verlauf am Beispiel Spaniens näher analysiert.
3.1.1. Entstehung des dualen Arbeitsmarktes in Spanien
Der Grundstein für die Entstehung des dualen Arbeitsmarktes in Spanien wurde bereits zur Herrschaftszeit des spanischen Diktators Francisco Franco in der Zeit zwischen 1936 und 1975 gelegt. Gewerkschaften und Streiks waren dort gesetzlich unterbunden, eine Tarifautonomie war nicht möglich. Es wurde eine autoritäre Arbeitsverfassung durch das Regime geschaffen.24 Um dennoch die Unterstützung des Volkes zu haben, wurde der Kündigungsschutz so weit ausgebaut, dass die Arbeiter quasi nicht kündbar waren. Nachdem Franco im Jahr 1975 verstarb, begann die Demokratisierung in Spanien.
Im Jahre 1978 wurde das Land dann mit der Verabschiedung einer Verfassung zu einer parlamentarischen Monarchie. Der Arbeitsmarkt befand sich mit dem Ende des Franco Regimes in einer schwierigen Ausgangslage. Der Kündigungsschutz war aufgrund sehr großer Abfindungsleistungen hoch, die Arbeitslosenversicherung war nur begrenzt vorhanden und eine Tarifautonomie gab es nicht.25 Die Ölkrisen in den 70er Jahren erhöhten die Inflationsrate enorm und führten zu deutlichen Einbrüchen der Beschäftigtenzahlen. Diesem Abbau der Beschäftigung entgegnete die Regierung Ende der 70er Jahre auf zwei Wegen. Zum einem verstärkte sie den ohnehin schon strikten Kündigungsschutz noch weiter. Zusätzlich wurden die ersten zeitlich befristeten Verträge eingeführt, um eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu erreichen. Diese sollten vorerst nur in Bereichen mit saisonaler Arbeit eingesetzt werden.26 Mit Einführung der befristeten Verträge begann der Dualismus des Arbeitsmarktes.
Im Jahre 1980 verfasste die spanische Regierung neue Regelungen für den Arbeitsmarkt. Unter Beibehaltung des existierenden Kündigungsschutzes, führte sie Tarifverhandlungen und längere Zeiten der Arbeitsversicherung ein.27 Zum ersten großen Unterschied im Kündigungsschutz zwischen befristeten und unbefristeten Verträgen kam es im Jahr 1984, als die Regierung die befristeten Verträge liberalisierte.28 Zum einen konnten befristete Verträge nun für jede Art von Arbeit mit einer Dauer zwischen 6 Monaten und 3 Jahren eingesetzt werden, zum anderen reduzierte sich die Höhe der Abfindungen bei einer Kündigung im Vergleich drastisch.29 Pro Jahr der Betriebszugehörigkeit stand einem Arbeiter mit befristetem Vertrag bei einer Kündigung der Lohn von 12 Tagen zu. Bei einer gerechtfertigten Kündigung eines unbefristeten Vertrages waren es dagegen bereits 20 Tageslöhne pro Jahr der Betriebszugehörigkeit bis zu einem Maximum von 12 Monatslöhnen. Im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung waren es sogar 45 Tageslöhne pro Jahr der Betriebszugehörigkeit bis zu einem Maximum von 42 Monatslöhnen.30 Somit war die Einstellung von Arbeitern mit befristeten Verträgen weitaus vorteilhafter, da bei einer notwendigen Kündigung die Abfindungskosten weit geringer waren und die Unternehmen dadurch viel flexibler auf die Marktbedingungen reagieren konnten. Dies führte dazu, dass nach Umsetzung der Reform ein Großteil der Neueinstellungen unter befristeten Verträgen stattgefunden hat. Bereits in den frühen 90er Jahren waren etwa 30% der Arbeiter in einem befristeten Arbeitsverhältnis angestellt.31 In den darauffolgenden Jahren wurden zwar immer wieder neue Reformen verabschiedet, die die Einstellung neuer Mitarbeiter in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis attraktiver machen sollten, wie z.B. Verringerung der Abfindungszahlungen oder steuerliche Vorteile, diese zeigten jedoch oft wenig Wirkung.32 Damit war der duale Arbeitsmarkt langfristig etabliert.
3.1.2. Struktur des dualen Arbeitsmarktes in Spanien
Der spanische Arbeitsmarkt stellt ein Extrembeispiel für einen dualen Arbeitsmarkt dar. Die zwei wichtigsten Gründe dafür sind der starke Kündigungsschutz der unbefristeten Arbeiter und die zentralisierten Tarifverhandlungen, da diese für alle Firmen der jeweiligen Branche gelten, unabhängig ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Lage.33
Spanien hat eines der höchsten Niveaus im Bereich Kündigungsschutz in der EU-28.34 Dadurch ist es für Firmen sehr kostenintensiv Mitarbeiter zu entlassen, um auf sich ändernde Marktanforderungen zu reagieren.35 Um dennoch eine gewisse Flexibilität zu haben, greifen sie vermehrt auf befristete Verträge zurück. So können sie während eines wirtschaftlichen Abschwungs relativ kostengünstig Arbeitskräfte abbauen.36 Dies führte seit ihrer Einführung zu einem drastischen Anstieg an befristeten Arbeitskräften. Allein zwischen 1998 und 2007 waren fast 90% der neu abgeschlossenen Verträge unbefristet. Der Gesamtanteil an unbefristeten Verträgen lag in diesem Zeitraum bei etwa 33%.37 Damit betrug der Wert in Spanien zwischen 2002 und 2006 fast das Dreifache des EU-28-Durchschnitts (Abbildung 6). Besonders jungen Arbeitern zwischen 15 und 24 Jahren werden fast ausschließlich befristete Verträge angeboten. Bei ihnen lag der Anteil befristeter Verträge an der Gesamtzahl der Verträge im gleichen Zeitraum bei über 60%. Der Grund hierfür liegt in der geringen Arbeitserfahrung dieser Leute. Sie stellen ein höheres Risiko und einen höheren Kostenaufwand für mögliche Arbeitgeber da.38
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Anzahl der Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag in Prozent der Gesamtzahl der Arbeitnehmer in Spanien und der EU-28
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung.
Dies bewirkte einen enormen Unterschied in der Anzahl der Kündigungen von Insidern und Outsidern. Während nur wenige Insider innerhalb des Zeitverlaufs ihren Job verloren haben, müssen die Outsider immer wieder nach Ablauf der befristeten Anstellung nach neuen Jobs suchen. Diese werden in Phasen des Aufschwungs eingestellt und können innerhalb eines Abschwungs relativ einfach entlassen werden.39 Die Flexibilität herrscht nur innerhalb der Outsider. Gleichzeitig macht die hohe Flexibilität im Outsider-Segment eine Senkung der Löhne im Insider-Segment nicht notwendig. Bevor die Löhne sinken, reagiert der Arbeitsmarkt über eine Verringerung der Arbeitsnachfrage. Und dadurch über Entlassungen von Outsidern.40 Der hohe Anteil an Outsidern verstärkt somit die Rigidität der Löhne der Insider selbst in schlechten konjunkturellen Phasen.41
[...]
1 Graça Peters (2010).
2 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2015).
3 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 3.
4 Vgl. ebd., S. 4 f.
5 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2015).
6 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2015).
7 Vgl. Jaumotte (2011), S. 3.
8 Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development (2012), S. 24.
9 Vgl. Jaumotte (2011), S. 4.
10 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 3.
11 Vgl. Horwitz/Myant (2015), S. 13.
12 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2015).
13 Vgl. Horwitz/Myant (2015), S. 13.
14 Vgl. EuroStat (2013), S. 1.
15 Vgl. García (2011), S. 3.
16 Europäische Kommission (2012), S. 5.
17 Vgl. Jaumotte (2011), S. 3.
18 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 3.
19 Vgl. Horwitz/Myant (2015), S. 5.
20 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 11.
21 Vgl. Agnese/Hromcová (2015), S. 7.
22 Vgl. Lärm (1982), S. 166 f.
23 Vgl. Lindbeck/Snower (1985), S. 47 ff.
24 Vgl. Kohte (2005), S. 21.
25 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 7.
26 Vgl. Cahuc/Postel-Vinay (2002), S. 1 f.
27 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 7.
28 Vgl. ebd., S. 7.
29 Vgl. Bentolila et al. (1994), S. 12 f.
30 Vgl. Jaumotte (2011), S. 9 f.
31 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 7.
32 Vgl. ebd., S. 8.
33 Vgl. ebd., S. 11.
34 Vgl. Ministerio de Empleo y Seguridad Social (2013), S. 5.
35 Vgl. Jaumotte (2011), S. 9.
36 Vgl. Boeri (2011), S. 27 f.
37 Vgl. Bentolila et al. (2012a), S. 5.
38 Vgl. García (2011), S. 9.
39 Vgl. Bentolila et al. (2012b), S. 3.
40 Vgl. Horwitz/Myant (2015), S. 17.
41 Vgl. Jaumotte (2011), S. 6.