Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Gedanke
1.1 Das logische Denken
1.2 Das logische Bild
2. Der Satz
2.1 Der sinnvolle Satz
2.2 Der sinnlose Satz
2.3 Der unsinnige Satz
3. Die Welt
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Thema dieser Hausarbeit ist das Verhältnis der Begriffe Gedanke, Satz und Welt in Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus[1]. Dabei gehe ich mit Verena Mayer davon aus, dass Wittgenstein in seinem Tractatus ein System entwirft, in dem die Begriffe wie Gedanke, Satz, Welt, Bild, Tatsache usw. als Termini im Sinne einer Terminologie verwendet werden. Mayer spricht in diesem Zusammenhang von ,,Quasidefinitionen“, die ,,für den Tractatus verbindliche Bedeutungs-festlegungen [liefern] und […] Substitution salva significatione “ ermöglichen.[2] Von dieser Grund-annahme ausgehend können wir also z. B. mit den Hauptsätzen 3 und 4
3 Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
4 Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.
sagen: Das logische Bild der Tatsachen ist der sinnvolle Satz.
Der Begriff des logischen Bildes der Tatsachen ist hier bedeutungsgleich mit dem des Gedanken und deshalb kann letzterer durch ersteren ersetzt werden ohne, dass sich an der Bedeutung der Begriffe etwas ändert.
Die Begriffe Gedanke, Satz und Welt bilden das Gerüst des Tractatus, weshalb ich sie für das Verständnis der Abhandlung für wesentlich halte. Zudem werden diese Begriffe von Wittgenstein immer wieder aufeinander bezogen. So drückt sich im sinnvollen Satz als Gedanke, auf sinnlich wahrnehmbare Weise das Bestehen oder Nichtbestehen von Sachverhalten in der Welt aus.
Um die Bedeutung des Verhältnisses dieser Begriffe unter einander zu analysieren, befasse ich mich in Kapitel 1 mit der Frage nach dem logischen Denken und der nach dem logischen Bild, um zu klären, was Wittgenstein zufolge unter einem Gedanken zu verstehen ist.
In Kapitel 2 geht es um die Unterscheidung von sinnvollen, sinnlosen und unsinnigen Sätzen und darum, warum nur sinnvolle Sätze eine Beschreibung der Welt liefern können. Interessanterweise bezeichnet Wittgenstein seine eigenen Sätze, d. h. die des Tractatus, als unsinnige Sätze. Daher soll in Kapitel 3 die Frage danach beantwortet werden, was der Fall sein muss, damit wir diese als unsinnige Sätze erkennen können. Eine weitere Frage, die sich daraus ergibt, ist, ob wir diese Sätze überhaupt verstehen können.
1. Der Gedanke
Dem dritten Hauptsatz des Tractatus zufolge ist der Gedanke ein ,,logische[s] Bild der Tatsachen".
3 Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
(Dass diese Definition auch umgekehrt gilt, d. h. dass der Begriff Gedanke nicht beispielsweise als Unter- oder Oberbegriff zu dem Begriff des logischen Bildes der Tatsachen angesehen werden kann, geht meiner Ansicht nach aus dem folgenden Satz hervor: 3.01 Die Gesamtheit der wahren Gedanken sind ein Bild der Welt.) Was heißt hier nun logisches Bild der Tatsachen ? Eine Tatsache ist gemäß Hauptsatz 2 etwas, das ,,der Fall ist" und damit ,,das Bestehen von Sachverhalten".
2 Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
Ein Gedanke ist also, so können wir zunächst festhalten, das logische Bild von bestehenden Sachverhalten. Worum es sich bei einem Bild handelt, geht am klarsten aus Satz 2.12 hervor:
2.12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.
Ein Gedanke ist somit ein logisches Modell der Wirklichkeit, das bestehende Sachverhalte darstellt. Inwiefern kann nun ein solches Bild (als Modell der Wirklichkeit) logisch sein, bzw. was bedeutet hier in diesem Zusammenhang logisch ?
Was abgebildet wird, ist gemäß 2.12 etwas der Wirklichkeit entsprechendes. Da Gedanken, die wiederum ein logisches Bild der Tatsachen sind (vgl.: Hauptsatz 3), gedacht werden und wir, wie Wittgenstein in 3.03 ausführt (3.03 Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müßten.), nicht unlogisch denken können, kann das, was gedacht wird, als Bild der Tatsachen, nur ein logisches Bild sein. Darüber hinaus führt Wittgenstein in Bemerkung 2.182 an:
2.182 Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist z. B. nicht jedes Bild ein räumliches.)
Somit hat jedes Bild die Eigenschaft, ein logisches Bild zu sein. Ein Gedanke ist also als ein logisches Bild der Tatsachen ein der Wirklichkeit entsprechendes Modell.
Hieraus ergeben sich nun weitere Fragen: (1) Welche Konzeption von Logik liegt dem Begriff des logischen Bildes und damit auch dem des logischen Denkens zugrunde? (2) Was macht ein Bild zu einem logischen Bild?
1.1 Das logische Denken
In Wittgensteins Logik-Konzeption besteht die Logik unabhängig von Erfahrung. Diese Apriorität der Logik bestehe gemäß der Bemerkung 5.4731 darin, ,,daß nicht unlogisch gedacht werden kann“. Bemerkung 6.13 zufolge ist die Logik ebenfalls ,,transcendental“, womit Wittgenstein sich gegen eine Logik-Konzeption ausspricht, derzufolge es sich bei der Logik um eine Lehre handeln könne. Die Logik kann jedoch nicht gelehrt werden, vielmehr basiert alles das, was als Wissenschaft oder Lehre gelehrt werden kann, auf der Logik. Ebenso wie Frege, Russell und Whitehead vertritt Wittgenstein damit eine antipsychologistische Position.
Zudem unterscheidet er hinsichtlich des Begriffs der Logik eine alte von einer neuen Logik. Die alte Logik[3] geht, wie zu vermuten ist, auf Aristoteles zurück. Unter der neuen Logik versteht Wittgenstein offenbar eine formale Logik im Ausgang der Arbeiten von Frege (Begriffsschrift, Grundgesetze der Arithmetik) sowie Russell und Whitehead (Principia Mathematica). Mögliche Erfahrungen und somit auch Gedanken als logische Bilder von Tatsachen basieren somit auf dem, was Wittgenstein unter Logik versteht, denn da wir nicht unlogisch denken können, ist somit jedes Denken logisches Denken und da nach Hauptsatz 3 ein Gedanke ein logisches Bild der Tatsachen ist, kann es nur logische Gedanken geben. Jeder Gedanke ist also ein logischer Gedanke.
Zum Verhältnis der Philosophie der Logik zur Philosophie der Psychologie äußert sich Wittgenstein in der folgenden Bemerkung:
4.1121 […] Entspricht nicht mein Studium der Zeichensprache dem Studium der Denkprozesse, welches die Philosophen für die Philosophie der Logik für so wesentlich hielten? Nur verwickelten sie sich meistens in unwesentliche psychologische Untersuchungen und eine analoge Gefahr gibt es auch bei meiner Methode.
Wittgenstein unterscheidet hier zwischen einem ,,Studium der Zeichensprache“, das er mit einem ,,Studium der Denkprozesse“ gleichsetzt und ,,psychologischen[n] Untersuchungen“. Die Verwicklung in solche ,,unwesentliche[n] psychologische[n] Untersuchungen“ bezeichnet er hier als ,,Gefahr“. Es wird damit deutlich, dass eine Verbindung von Logik und Psychologie seiner Ansicht nach abzulehnen ist. Das ,,Studium der Denkprozesse“ und somit auch das der ,,Zeichensprache“ wird also der Philosophie der Logik zugeordnet und nicht der Philosophie der Psychologie.
Warum kann er hier in dieser Bemerkung das ,,Studium der Denkprozesse“ mit dem der ,,Zeichensprache“ gleichsetzen? Der Grund dafür besteht darin, dass sich Gedanken sprachlich äußern, wie in Bemerkung 3.12 (,,Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken, nenne ich das Satzzeichen. […]“) behauptet wird. Gedanken werden also in Form von Satzzeichen zum Ausdruck gebracht. Somit können Denkprozesse untersucht werden, indem das analysiert wird, was in Gestalt von Zeichen, d. h. in schriftlicher oder mündlicher Form, artikuliert wird. Dies ist möglich, weil einem sinnvollen Satz liegt ein logischer Gedanke zugrunde liegt.[4]
Zudem wird die Psychologie von Wittgenstein den empirischen Naturwissenschaften zugeordnet (4.1121 Die Psychologie ist der Philosophie nicht verwandter als irgendeine andere Naturwissenschaft [...].). Würde er eine psychologistische Logik vertreten, könnte er zudem nicht behaupten, dass sie als ,,transcendental“ und ,,a priori“ aufzufassen sei. Was hier unter ,,psychologische[n] Untersuchungen“ zu verstehen ist, wird nicht weiter erläutert. Es ist durchaus naheliegend, anzunehmen, dass sich diese Bemerkung gegen Benno Erdmanns psychologistische Logik richtet, gegen die sich auch Frege im Vorwort zu den Grundgesetzen der Arithmetik wendet.[5]
1.2 Das logische Bild
Wie oben bereits ausgeführt, ist jedes Bild ein logisches Bild und bei einem Gedanken handelt es sich Wittgenstein zufolge um ein logisches Bild der Tatsachen. Was ist nun unter einem logischen Bild zu verstehen? Was ein Bild zu einem logischen Bild macht, geht aus Bemerkung 2.181 hervor:
2.181 Ist die Form der Abbildung die logische Form, so heißt das Bild das logische Bild.
Wie kommt Wittgenstein zu dieser Behauptung? Um diese Frage beantworten zu können, möchte ich zunächst die vier Begriffe der Bemerkung unterscheiden und deren Bedeutung herausstellen. (1) die Form der Abbildung, (2) die logische Form, (3) das Bild und (4) das logische Bild.
(1) In 2.17 heißt es zur Form der Abbildung:
2.17 Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.
Die Form der Abbildung ist hier das, was Bild und Wirklichkeit miteinander gemeinsam haben müssen, damit gesagt werden kann, dass das Bild eine wahre oder falsche Abbildung der Wirklichkeit ist. In Bemerkung 2.161 weist Wittgenstein darauf hin, dass die Beziehung zwischen Bild und dem, was das Bild abbildet (das abgebildete Objekt) eine Beziehung der Identität sein muss.
2.161 In Bild und Abgebildetem muß etwas identisch sein, damit das eine überhaupt ein Bild des anderen sein kann.
Etwas zwischen dem Bild und dem Abgebildeten muss miteinander identisch sein, damit das Bild als ein Bild dessen, was es darstellt, identifiziert werden kann. In der folgenden Bemerkung geht Wittgenstein darauf ein, inwiefern sich ein Bild auf das Abgebildete bezieht.
2.15 Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten.
Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.
Die Relationen der Elemente des Bildes zu einander sagen also etwas darüber aus, in welcher Relation die ,,Sachen“ sich zu einander verhalten. Als Struktur wird hier zudem definiert, wie sich die Elemente des Bildes zu einander verhalten, bzw. in welcher Weise sie sich auf einander beziehen. Die Form der Abbildung wird dabei als die Möglichkeit der genannten Struktur, d. h. die Möglichkeit der Beziehung auf einander, definiert. Dieser Punkt der Bemerkung wird in der folgenden Bemerkung genauer erläutert:
2.151 Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.
Meiner Interpretation nach ist ,,Möglichkeit“ in einem modalen Sinne zu verstehen. D. h. die Elemente des Bildes können sich so verhalten, bzw. auf einander beziehen, wie die Dinge in der Welt sich zu einander verhalten; das Bild kann demnach wahr oder falsch sein und dies eben aufgrund der Form der Abbildung. Mit Rekurs auf Bemerkung 2.17 können wir nun feststellen, dass das, was als Form der Abbildung dem Bild und der Wirklichkeit gemeinsam sein muss, die Möglichkeit der Wahrheit oder Falschheit eines Bildes ist.
Zu (2), dem Begriff der logischen Form, äußert Wittgenstein sich u. a. in Bemerkung 2.18:
2.18 Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.
[...]
[1] Ludwig Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Hg. v. McGuinness, Brian/ Schulte, Joachim. 2. Aufl. Frankfurt. 2001.
[2] Verena Mayer: ,Der Tractatus als System." In: Hg.: Vossenkuhl, Wilhelm: Ludwig Wittgenstein. Tractatus logico-philosophicus. Berlin. 2001. S. 11-34. S. 12.
[3] Dieser Ausdruck erscheint u. a. in Bemerkung 6.125.
[4] Vgl. Hauptsatz 4 Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.
[5] Vgl.: Gottlob Frege: Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet. 2. unveränderte Auflage. Hildesheim.1962. S. XIVff.