Kommt statt dem Ausstieg der Zenit der Atomkraftnutzung in Deutschland? Unter Einbeziehung der GAU-Gefahr, der Rolle von Anti-Atom-Bewegung und der Endlagerproblematik


Seminararbeit, 2001

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einstieg

Eckpunkte beim „Atomkonsens“

Das bleibende Atom-Gefahrenpotential

Bevölkerung und Atomkonsens

Der Faktor Atom-Widerstand

Ist ein „marktwirtschaftlicher“ Ausstieg möglich?

Warum setzt Rot-Grün auf Nicht-Politik?

Die Endlagerung: Der Ausstieg nach dem Ausstieg

Kurzes Resümee

Einstieg

So billig, daß man die Stromzähler abbauen kann, ist der Atomstrom nie geworden - im Gegenteil: keine bisherige Form der Energieerzeugung, wenn man alle Kosten einbezieht, ist so teuer wie die atomare. Alles mögliche wollte man in der Technik­euphorie der 50er und 60er Jahre mit der damals neuen Energie antreiben. Diese Traumtänzerei ist gründlich daneben gegangen, jedoch die Altlasten werden uns für unvorstellbar lange Zeiträume begleiten. Spätestens nach dem Atomunglück von Tschernobyl wurde weltweit klar, das kleingeredete Restrisiko ist sehr viel größer, als bis dahin offiziell eingeräumt wurde. Am 5. Mai 1986 reichten die Ausläufer der radioaktiven Wolke des Unglücksreaktors schon von Kanada bis Spanien, Iran und Workuta sowie bis hin zum Amur, wie ein unförmiges Kreuz mit einem Kopf über Sibirien.[i]

In der vorliegenden Arbeit soll zur Debatte gestellt werden, inwiefern der Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland wirklich ein Ausstieg ist oder nur ein Manöver zur Sicherung der Arbeit bestehender Kernkraftwerke und inwiefern eine solche Option sicherheitstechnisch verantwortbar ist. Darüber hinaus ist zu fragen, ob es sich bei dem Verhandlungsergebnis zum Atomausstieg wirklich um einen Konsens handelt bzw. ob man in diesem Fall überhaupt auf einen Konsens hätte setzen dürfen, also auf einen zwischen Energiekonzernen und Regierung. Weiter ist zu betrachten, warum es sinnvoll schien die Anti-Atom-Bewegung aus den Verhandlungen auszuschließen und damit eine Befriedung des politischen Konfliktstoffes der Atomtransporte und analoger Probleme unmöglich zu machen. Darüber hinaus soll einbezogen werden, inwiefern der Atomausstieg auch mit einer sicheren Endlagerung verknüpft ist oder ob er an diesem Verfahrensschritt ausgesetzt bleibt. Ist eine sichere Endlagerung überhaupt möglich?

Eckpunkte beim „Atomkonsens“

Den Atomkraftbetreibern, vier große Unternehmen sitzen am Tisch, wird zugestanden, noch einmal soviel Atomstrom in Deutschland produzieren zu können, wie von den deutschen AKW bisher in die Netze geschickt wurde. Dann erlischt die Betriebsgenehmigung. Stichtag ist der 1. Januar 2000. Alle AKW dürfen zusammen noch 2623,3 Milliarden Kilowattstunden einspeisen und werden dabei etwa 7000 Tonnen hochradioaktiven Müll produzieren. Laufzeiten von im Durchschnitt mindestens 32 Jahren ab Inbetriebnahme wurden den Betreibern der Atomkraftwerke zugesichert, Greenpeace schätzt, daß sie sogar bis zu 35 Jahre am Netz bleiben können. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die ausgehandelten Kontingente an Strom von älteren auf neuere Anlagen übertragen werden dürfen und so Reaktorlaufzeiten von bis zu 40 Jahren möglich werden. Ein Enddatum für den endgültigen Ausstieg wurde nicht festgelegt.[ii]

Es kann jährlich soviel Strom produziert werden in jedem AKW, wie im Durchschnitt der fünf höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 erzeugt wurde. Dazurechnen muß man noch mal einen Aufschlag von 5,5%, der mit Hinweis auf technische Innovationen, Kapazitätssteigerungen der Anlagen und Reservepflicht zur Netzstabilisierung begründet wird. Als zusätzliche Beigabe wurde festgelegt, daß 107 Milliarden Kilowattstunden vom kaum in Betrieb gewesenen Kraftwerk Mühlheim-Kärlich auf andere AKWs übertragen werden können, im Gegenzug zieht der Stromerzeuger RWE den Genehmigungsantrag für das Kernkraftwerk zurück und stellt keine Schadensersatzansprüche. Allerdings ist fraglich, ob RWE mit solchen Ansprüchen durchgekommen wäre, so die grüne Fraktionschefin Ise Thomas im rheinland-pfälzischen Landtag. Das neue Gutachten zur Erdbebensicherheit, würde da für den Konzern kaum Spielraum mehr lassen.[iii]

Der Neubau von Atomkraftwerken ist mit der neuen Atom-Vereinbarung untersagt, allerdings kam es in den letzten 20 Jahren auch nicht mehr zu Neuaufträgen in Deutschland. Die Atomkraft soll nicht mehr als förderungswürdig anerkannt werden. Die Bundesregierung verpflichtet sich allerdings auch, die Sicherheitsanforderungen an die Meiler nicht zu verschärfen. Prüfungen finden nur alle 10 Jahre statt, soweit die Anlage nicht innerhalb der nächsten 3 Jahre vom Netz geht. Pikant nur, im Koalitionsvertrag wird noch von einer jährlichen Sicherheitsprüfung ausgegangen. Zwar wird die Haftpflicht-Deckungsvorsorge für schwere Störfälle von 500 Millionen auf 5 Milliarden DM erhöht, allerdings können auch damit nur 0,1 % der zu erwartenden Schäden bei einem GAU abgedeckt werden.[iv]

Eine Diskriminierung der Kernkraft findet nicht statt, dazu verpflichtet sich die Bundesregierung. Das gilt insbesondere auch für Steuerlasten im Zusammenhang mit der Kernkraft.[v] Hermann Scheer weist jedoch darauf hin, eine neue Steuer auf Kernbrennstoffe sei nach wie vor möglich, denn die Abschaffung der bisherigen Steuerfreiheit bedeute keine „Diskriminierung“ sondern sei eine Abschaffung von „Privilegien“.[vi]

Hatte sich Jürgen Trittin in den Anfangsmonaten der Koalition noch dafür stark gemacht, die Wiederaufarbeitung von abgebranntem Kernbrennstoff zu verbieten, so sieht dies in dem Konsenspapier gänzlich anders aus. Erst 2005 werden die Transporte beendet, wohlgemerkt dürfen aber angelieferte Abfälle noch aufgearbeitet werden. Die Betreiber von La Hague schätzen daher ein, die Fabrik könne damit noch 15 Jahre deutsche Abfälle aufarbeiten.[vii]

Nicht Bestandteil des Atomkonsenses ist, aber dennoch ein sehr interessantes Faktum: 60 % aller Forschungsgelder im Energiebereich bei der Großforschung werden nach wie vor für die Kernenergie eingesetzt, nur 10 % für die erneuerbaren Energien. Insbesondere die Gelder für die Kernfusion zahlt man weiter,[viii] eine Technologie, die nicht minder gefährlich ist, aber frühestens 2050 praktisch einsetzbar, wenn überhaupt.

Das bleibende Atom-Gefahrenpotential

Welche hochgradigen Gefahren bestehen beim Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Deutschland? Selbst in einem Werbeblatt der Bündnisgrünen wird davon ausgegangen, daß der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft 2021 noch nicht vollzogen sein wird.[ix] Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg, hält die Nutzung der Atomkraft in Deutschland für die nächsten 25 Jahre für absehbar.[x] Angela Merkel kündigte sogar an, bei einem Sieg ihrer Partei zu den Bundestagswahlen 2002, den Atomkonsens rückgängig zu machen.[xi] So kann sich der Ausstieg je nach der regierungsverantwortlichen Partei noch um weitere Jahre hinauszögern, wenn den Betreibern dies ökonomisch sinnvoll erscheint. Klar feststellen muß man auch, die noch ausgehandelten Betriebsjahre für die AKW werden auf einem geringeren Sicherheitslevel ablaufen als der bisherige Betrieb. Die Anlagen werden älter, und in Folge dessen tauchen Verschleißerscheinungen in höherem Maße unvermeidlich auf, die dann auch Auslöser für Störfälle werden können.

Die Folgen eines Reaktorunglücks würden in Deutschland mit denen vergleichbar sein, die in Tschernobyl zu Tage gekommen sind, die unterschiedliche Reaktorkonstruktion hat dabei keine maßgebliche Bedeutung. Jedoch wären mehr Menschen in Deutschland bei einer Kernschmelze betroffen, weil die Bevölkerungsdichte hierzulande höher ist als in der Ukraine und Weißrußland, in den am stärksten verstrahlten Gebieten. Ein GAU (größter anzunehmender Unfall) kostet nach Berechnungen des (nicht als atomfeindlich bekannten) Prognos-Instituts bis zu 10 Billionen DM, eine andere aktuelle Studie geht von 5 bis 12 Billionen aus. Das Prognos-Institut rechnet mit bis zu 15.000 Soforttoten und bis zu 4,8 Millionen Krebstoten.[xii]

Zwar ist ein Unfallablauf wie in Tschernobyl in deutschen AKW nicht möglich, weil die deutschen Atomreaktoren die konstruktiven Mängel der sowjetischen RMBK-Reaktoren nicht aufweisen. Doch gibt es auch für die deutschen Leichtwasserreaktoren zahlreiche Hinweise darauf, daß die Möglichkeit zu größten anzunehmenden Unfällen besteht. Ein solcher kann zum Beispiel hervorgerufen werden durch eine heftige Explosion von Wasserstoffgas, wie es frühzeitig im Verlauf einer Kernschmelze entsteht. Schlagartige Freisetzungen sind möglich durch Dampfexplosionen oder das Durchschmelzen des Reaktorkessels bei hohem Innendruck. In diesen Fällen bietet auch der stählerne Sicherheitsbehälter mit der umgebenden Stahlbetonhülle keinen Schutz.[xiii]

Große radioaktive Freisetzungen sind auch möglich innerhalb weniger Stunden, wenn der Sicherheitsbehälter nicht dicht ist. Eine Schwachstelle sind die zahlreichen Rohrleitungen, die ihn durchdringen. Auch wenn der Sicherheitsbehälter zunächst standhält, kann der Innendruck nach einigen Tagen so hoch werden, daß er zerstört wird oder gezielt eine Freisetzung durchgeführt wird, um den Druck abzubauen.[xiv]

Auch vor Tschernobyl hatte es schon Atomunfälle gegeben: In den fünfziger Jahren im englischen Sellafield, danach in Tscheljabinsk im Ural und Harrisburg in den USA. Franz Alt kommentiert, nicht alle 10000 Jahre hatte es einen Atomunfall gegeben, wie die Experten meinten, sondern alle 10 Jahre hatte es einen gegeben. So stellte sich heraus, das „Restrisiko“ ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann.[xv]

Auch in Deutschland wäre es 1987 beinahe zu einem schweren Unfall gekommen, bei dem der Sicherheitsbehälter wirkungslos geblieben wäre. Im AKW Biblis blieb ein wichtiges Ventil beim Hochfahren des Reaktors versehentlich offen und ließ sich nicht schließen. Die Operateure spielten ein waghalsiges Spiel: Durch Öffnen eines zweiten Ventils sollte das Klemmen des anderen beseitigt werden. Damit war der Beginn eines „Super-GAU“ eingeleitet, Kühlmittel strömte aus dem Reaktor heraus. Reines Glück war es, daß das klemmende Ventil sich sieben Sekunden nach diesem Schritt löste.[xvi] Anderenfalls bräuchte man wahrscheinlich heute nicht mehr über die Auslaufzeit der Reaktoren in Deutschland verhandeln.

[...]


[i] Wladimir M. Tschernousenko; Tschernobyl: Die Wahrheit, Hamburg, 1992, S.232

[ii] In der Regel sind die Atomkraftwerke 32 Kalenderjahre am Netz. Die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen, Frankfurter Rundschau, 16.6.2000; Ewald B. Schulte; Stromwirtschaft sieht Reaktorlaufzeiten von bis zu 40 Jahren, Berliner Zeitung, 16.6.2000; Reimar Paul; Ausstieg ohne Garantie, Neues Deutschland, 12.6.2001

[iii] 10 Jahre Laufzeit zu verschenken, tageszeitung, 10.6.2000

[iv] Reimar Paul; Atomgesetznovelle von der Wirtschaftslobby diktiert, Neues Deutschland, 7.8.2001

[v] In der Regel sind die Atomkraftwerke 32 Kalenderjahre am Netz. Die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen, Frankfurter Rundschau, 16.6.2000; Ewald B. Schulte; Stromwirtschaft sieht Reaktorlaufzeiten von bis zu 40 Jahren, Berliner Zeitung, 16.6.2000; Reimar Paul; Ausstieg ohne Garantie, Neues Deutschland, 12.6.2001

[vi] Hannes Koch; Kurz vor dem Konsens, tageszeitung, 10.6.2000

[vii] Reimar Paul; Ausstieg ohne Garantie, Neues Deutschland, 12.6.2001

[viii] Carl Amery, Hermann Scheer; Klimawechsel. Von der fossilen zur solaren Kultur, München, 2001, S.26

[ix] Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Grüne; Der Atomausstieg ist da!, Stand: Juni 2001

[x] Wolfgang Ehmke; Schleichender Ausstieg. Die Atomkraft hat keine Zukunft, in: Atomenergie. Warum wir dagegen sind! Argumente gegen die Atomenergie, Zur Sache Nr.7, Dezember 2000, S.30

[xi] Christian Schwägerl; Schröder erklärt den Konflikt um die Kernkraft für beendet, Berliner Zeitung, 30.6.2000

[xii] Reimar Paul; Atomgesetznovelle von der Wirtschaftslobby diktiert, Neues Deutschland, 7.8.2001 Ilka Schröder;

[xiii] Dr. Helmut Hirsch; Der Super-GAU ist möglich – auch in Deutschland, und immer grenzenlos!, anti atom aktuell, Nr.113, 9/2000

[xiv] ebenda

[xv] Franz Alt; Unser Haus – unser Wintergarten – unsere Solaranlage, http://www.sonnenseite.com, 6.8.2001

[xvi] Dr. Helmut Hirsch; Der Super-GAU ist möglich – auch in Deutschland, und immer grenzenlos!, anti atom aktuell, Nr.113, 9/2000

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kommt statt dem Ausstieg der Zenit der Atomkraftnutzung in Deutschland? Unter Einbeziehung der GAU-Gefahr, der Rolle von Anti-Atom-Bewegung und der Endlagerproblematik
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
Proseminar: Der rot-grüne Staat - neue Handlungsspielräume?
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
22
Katalognummer
V3674
ISBN (eBook)
9783638122689
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vom Autor Marko Ferst ist erschienen: Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem (zus. mit Franz Alt, Rudolf Bahro) Juni 2002.
Schlagworte
Energiepolitik, Atomausstieg, Atomwiderstand, Endlagerung von Atommüll, Thema GAU
Arbeit zitieren
Marko Ferst (Autor:in), 2001, Kommt statt dem Ausstieg der Zenit der Atomkraftnutzung in Deutschland? Unter Einbeziehung der GAU-Gefahr, der Rolle von Anti-Atom-Bewegung und der Endlagerproblematik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3674

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