Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hintergründe der Qualitätsdebatte im Rechtskreis SGB VIII
3. Die DIN EN ISO 9001 im Vergleich zu anderen QM-Modellen
4. Fachliche und ökonomische Steuerungsmöglichkeiten auf Grundlage der DIN EN ISO 9001
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Ausarbeitung widmet sich dem Qualitätsmanagement (QM) in der Kinder- und Jugendhilfe. Für diesen Bereich der Sozialen Arbeit werden Chancen und Risiken bzw. Grenzen mit Blick auf das Qualitätsmanagement-Modell DIN EN ISO 9001 dargestellt und diskutiert. Dabei werden sowohl Möglichkeiten der ökonomischen, als auch der fachlichen Steuerung betrachtet.
Zunächst wird die Entwicklung der Qualitätsdebatte in den vergangenen Jahren in groben Schritten angesprochen. Die fachliche Ausrichtung erfolgt auf das Feld der Kinder- und Jugendhilfe. Hier werden bereits grundlegende Schwierigkeiten und Reibungspunkte angesprochen.
Im zweiten Schritt wird dann der Fokus auf das QM-System nach DIN EN ISO 9001 gerichtet. Dessen grundlegende Kriterien und die Steuerungslogik werden dargestellt und mit anderen Modellen verglichen. Dabei geht es jedoch nicht um eine detaillierte Vorstellung und Beschreibung des DIN EN ISO 9001 Modells.
Auf Grundlage der ersten beiden Kapitel werden dann Steuerungsmöglichkeiten aus ökonomischer und fachlicher Sicht hinterfragt, die sich aus der Anwendung des DIN EN ISO 9001 Modells ergeben können.
Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der Ausarbeitung in einem kurzen Fazit zusammengefasst.
2. Hintergründe der Qualitätsdebatte im Rechtskreis SGB VIII
Zu Beginn soll als Einordnung in den Gesamtkontext und als Hinführung zum Thema aufgezeigt werden, wie sich der Begriff „Qualität“ in der Sozialen Arbeit (speziell in der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII) in den vergangenen Jahren entwickelt und verändert hat.
Bis Anfang der 1990er Jahre stand in der Sozialen Arbeit der Begriff der Professionalität im Zentrum, die durch die wissenschaftliche Ausbildung der Fachkräfte begründet war. Aus dieser Perspektive hatte die Soziale Arbeit ein hohes Maß an Handlungs- und Entscheidungsautonomie. Sie erstellte und begründete selber (aus ihrer Professionalität heraus) die Bestimmungen für den fachlich angemessenen Umgang mit Klienten und definierte auf dieser Basis die Qualität der Arbeit. Die leistungserbringenden Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wurden mit der Begründung belegt und finanziert, dass die Fachkräfte ihre Qualifikation durch eine entsprechende Ausbildung erlangt haben. Nach Qualität, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit wurde darüber hinaus kaum gefragt. Otto bezeichnet in seiner „What Works?“ Expertise diese Haltung, bei der nur die Professionalität (sprich: Ausbildung) der Leistungserbringer eine Rolle spielt, als „ Hemmschuh einer […] Erhöhung von Effizienz und Effektivität “ (Otto 2007, S. 28). Seit Anfang der 1990er Jahre wird daher Qualität in der Sozialen Arbeit kontrovers diskutiert und unter die Lupe genommen. Als „neues Steuerungsmodell“ wurde das Konzept des New Public Management (NPM) eingeführt. Bei der manageriellen Steuerungsform des NPM bedient man sich diverser Elemente der Betriebswirtschaft mit dem Ziel, Kostensteigerungen einzudämmen, Transparenz zu schaffen und Wettbewerb zu fördern. Diese Steuerung erfolgt mit Hilfe von Leistungsvereinbarungen und Controlling. Die Leistungsvereinbarungen sollen neben Aussagen zu den Kosten auch Angaben zur Qualität der Angebote beinhalten. Dahme, Schütter und Wohlfahrt formulieren zur Zielsetzung des NPM: „ es muss ein System geschaffen werden, das mehr leistet und weniger kostet und dabei bürgernäher agiert “ (Dahme/Schütter/Wohlfahrt 2008, S. 12; Merchel 2006, S. 195). Zur Beschreibung von Qualität und zur Unterteilung in verschiedene Qualitätsdimensionen wird seitdem weitgehend auf das Modell von Donabedian Bezug genommen. Darin wird der Überbegriff „Qualität“ in eine Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gegliedert. Die Strukturqualität im Sinne relativ konstanter Rahmenbedingungen lässt sich recht klar beschreiben. Eine gute Strukturqualität alleine führt aber nicht automatisch zu qualitativ guten Ergebnissen. Dafür spielt die Prozessqualität eine Hauptrolle, deren Aspekte sich jedoch sehr schwer generalisieren lassen, da sie sehr einzelfallbezogen sind. Die drei verschiedenen Qualitätsdimensionen lassen sich in folgendem Schaubild darstellen, welches das Modell von Donabedian aufgreift und an die Jugendhilfe anpasst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(aus: Hermsen/Macsenaere 2007, S. 192)
Das stark ökonomisch ausgerichtete NPM orientiert sich vorrangig am Output einer Leistung. Dabei geht es darum, dass ein Angebot erbracht wird. Die Frage, wie es durchgeführt wird und welche (Ergebnis-) Qualität bzw. welche Wirkung es hat, ist hier zunächst eher nachrangig. Bei vielen anderen Dienstleistungen wird der Nutzen des Outputs sofort sichtbar (z.B. bei einem Frisörbesuch). In der Sozialen Arbeit hingegen tritt dieser sichtbare Nutzen oft erst mit großer zeitlicher Verzögerung ein, da z.B. Hilfen zur Erziehung (HzE) als Investition in die Zukunft der Kinder und Jugendlichen zu betrachten sind, was die Messbarkeit der Dienstleistung erschwert. Dieses Ergebnis im Sinne der Wirkung einer Intervention wird als „Outcome“ bezeichnet (Arnold/Maelicke 2009, S. 438 ff.). Durch die oben beschriebenen Ökonomisierungstendenzen in der Sozialen Arbeit wurde ein Kosten- und Qualitätswettbewerb zwischen den Leistungserbringern angestoßen, die sich nun in einem Konkurrenzverhältnis auf einem pluralisierten, marktähnlichen Feld befinden. Elemente der Betriebswirtschaft und des (Qualitäts-) Managements halten Einzug in alle Sektoren Sozialer Arbeit und in das professionelle Handeln der Akteure. Diese müssen nun dafür Sorge tragen, dass die Einrichtungen dem Wettbewerbsdruck standhalten und nicht vom Markt verdrängt werden. Durch Benchmarking-Prozesse werden Vergleiche zwischen ähnlich gelagerten sozialen Einrichtungen hergestellt (z.B. innerhalb der stationären Heimunterbringung). Dabei soll das eigene Wissen und die eigene Leistungsfähigkeit einer Einrichtung auf Basis von systematischer Informationsgewinnung und offenem Erfahrungsaustausch unter vergleichbaren Organisationen gesteigert werden. (Hermsen/Macsenaere 2007, S. 225 ff., Nüsken/Seidenstücker 2008, S. 142; Otto 2007, S. 28; Dahme/Schütter/Wohlfahrt 2008, S. 10 ff.).
Im Bereich des SGB VIII ist die Anwendung eines QM-System (z.B. DIN EN ISO 9001) und eine entsprechende Zertifizierung bislang nicht für die Träger und Einrichtungen verpflichtend, wie es demgegenüber z.B. in den Bereichen der Grundsicherung und der Arbeitsförderung (SGB II und III) der Fall ist. Ein zentraler Meilenstein für QM im SGB VIII war die Einführung der §§ 78a ff. in das Kinder- und Jugendhilfegesetz im Jahr 1999. Diese Änderung in der Gesetzgebung forciert eine Weiterentwicklung bezüglich der Qualität und der Finanzierung im Segment der teilstationären und stationären Hilfen. Damit werden im Wesentlichen drei Ziele verfolgt:
- Dämpfung der Kostenentwicklung
- Mehr Transparenz bzgl. Kosten und Leistungen
- Verbesserung der Effizienz
Durch diese Gesetzesänderung wurde der Wechsel vom Selbstkostendeckungsprinzip hin zur Wettbewerbsorientierung und der prospektiven Finanzierung nun auch gesetzlich verankert. Die §§ 78 a ff. SGB VIII sehen vor, dass Kostenträger und Leistungserbringer Vereinbarungen über Leistungen, Qualität und Entgelte der Maßnahmen treffen (auch kurz LEQ-Vereinbarungen genannt). Dazu zählen z.B. Inhalt und Umfang des Leistungsangebotes, sachliche und personelle Ausstattung der Einrichtung, Qualifikationen der Mitarbeiter und Bezahlung nach Leistungsbeschreibungen (vgl. Sozialgesetzbuch VIII 2015, §§ 78 a-g).
Hieraus resultierte nun die Notwendigkeit, sich über das, was als Qualität in der Kinder- und Jugendhilfe gelten soll, zu verständigen und zu klären, wie diese vergütet wird. Der § 78b SGB VIII formuliert, dass Absprachen über „ Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität der Leistungsangebote sowie über geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung “ (Sozialgesetzbuch VIII 2015, § 78b) getroffen werden sollen. Dies führt in der Praxis zu großen Herausforderungen und Schwierigkeiten, da es in den Hilfen zur Erziehung nach wie vor keine generalisierte und einvernehmliche Bestimmung dazu gibt, was unter Qualität zu verstehen ist, weil die entsprechende Definition dessen im Prozess mit jedem Klienten individuell entwickelt wird (z.B. im Hilfeplangespräch). Dabei ist gedanklich zu berücksichtigen, dass Soziale Arbeit in vielschichtigen Settings mit unterschiedlichsten Einflussfaktoren erfolgt. Es kann nicht von Kausalzusammenhängen zwischen Intervention und Wirkung/Erfolg gesprochen werden, da man nicht eindeutig belegen kann, dass ein Erfolg nur aufgrund der Erziehungshilfe eingetreten ist und ohne diese Maßnahme nicht entstanden wäre - andernfalls würde man den Einfluss der individuellen Rahmenbedingungen verleugnen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Aussagen zum Bereich Qualität in LEQ-Vereinbarungen nur im notwendigsten Umfang angesprochen werden und sehr vage formuliert sind (vgl. Nüsken/Seidenstücker 2008, S. 144; Frey 2008, S. 38). Die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den §§ 78a ff. SGB VIII und die Mängel in der Umsetzung gipfelten darin, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Verbände der Leistungserbringer die entsprechenden Rahmenverträge im Gebiet des Landschaftsverbands Rheinland zum 31.12.2012 kündigten. Seitdem konnten bis dato noch keine neuen Regelungen zur Ausgestaltung dieser gesetzlichen Vorgabe im Bereich des SGB VIII entwickelt werden.
3. Die DIN EN ISO 9001 im Vergleich zu anderen QM-Modellen
Nach dem Blick auf die Entwicklungslinien der vergangenen Jahre wird deutlich, dass sich das Thema Qualitätsmanagement im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe derzeit in einer Art Schwebezustand befindet. Es gibt für Einrichtungen und Träger keine klaren gesetzlichen Vorgaben (z.B. Pflicht zur Zertifizierung) und die entwickelten überregionalen Rahmenverträge im Bereich des Landschaftsverbands Rheinland wurden außer Kraft gesetzt. Unstrittig ist hingegen, dass die einzelnen kommunalen Jugendämter mit den örtlichen Einrichtungen und Trägern Vereinbarungen abschließen, über deren Inhalt sie sich gemeinsam verständigen. Übergreifende Standards und handlungsleitende Regelungen gibt es jedoch nicht (vgl. Vomberg 2010, S. 39). Im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes wurde inzwischen innerhalb des SGB VIII in den §§ 79 und 79a festgelegt, dass die örtlichen Jugendämter seit dem 01.01.2012 eine Gesamtverantwortung für die Aufgabenerfüllung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe haben und eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung gewährleisten müssen (vgl. Sozialgesetzbuch VIII 2015, §§ 79, 79a). Wie dies in der Praxis umgesetzt werden soll, ist dort aber nicht näher geregelt. Im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe ist der Begriff Qualitätsentwicklung geläufiger als der Begriff Qualitätsmanagement, da dieser den prozesshaften Charakter und die stetige Überprüfung und Verbesserung zutreffender beschreibt. Dieser Denkansatz sollte im Hinterkopf behalten werden, auch wenn im Folgenden die Begrifflichkeiten z.T. synonym verwendet werden.
Ein mögliches System zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe ist das QM-Modell DIN EN ISO 9001, das nachfolgend in den Blick genommen wird. Aktuell befindet sich dieses System in einer Revisionsphase und im Herbst 2015 soll eine neue, überarbeite Fassung in Kraft treten. Da dies zum Verfassungszeitpunkt dieser Ausarbeitung jedoch noch nicht der Fall ist, wird auf die bisherige und momentan gültige Version aus dem Jahr 2008 Bezug genommen. Die DIN EN ISO 9001 ist ein europaweit gültiges System, das aus der gewerblichen Wirtschaft kommt und auch in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit zur Beschreibung und grundlegenden Ausrichtung der Managementsysteme Anwendung findet. Viele soziale Einrichtungen verwenden dieses Modell für ihre Qualitätsentwicklung. Wie auch bei anderen Konzepten zum QM beinhaltet die DIN EN ISO 9001 jedoch keine konkreten inhaltlichen Aussagen oder Vorgaben zu Ausgestaltungen der Leistungsbringung und des Managements, sondern die Norm und ihre Kriterien sind sehr allgemein und branchenübergreifend formuliert. Es wird davon ausgegangen, dass zu Beginn eines QE-Prozesses die Bedingungen und Prozessabläufe identifiziert und beschrieben werden müssen, die für eine qualitativ gute Leistungserbringung erforderlich sind. Dazu werden zunächst Kernprozesse, unterstützende Prozesse und Managementprozesse ermittelt und beschrieben, um dann die dafür notwendigen Verhaltensanforderungen festzulegen. Im nächsten Schritt geht es darum, dies in einem Qualitätshandbuch zu dokumentieren und Vorgehensweisen zu entwickeln, mit denen die Einhaltung der Verhaltensanforderungen strukturiert überprüft werden kann. Das Konzept der DIN EN ISO 9001 ist dabei so ausgerichtet, dass anhand dieser Modellstruktur die notwendigen Qualitäts-Mindeststandards im Rahmen des Managements der jeweiligen Einrichtung entwickelt werden (Merchel 2013, S. 79; Vomberg 2010, S. 73, 77, 78.). Dies ist ein zentraler Unterschied im Vergleich zu anderen QM-Modellen, wie z.B. dem EFQM, welches an möglichst exzellenten Qualitätszielen ausgerichtet ist, die es anzustreben gilt. Bildlich gesprochen lässt sich die DIN EN ISO 9001 mit der TÜV-Plakette am Auto vergleichen, welche bestätigt, dass bei einem KFZ die notwendigen Mindestvoraussetzungen zur Verkehrssicherheit vorliegen. Dieser Logik folgend führt der TÜV auch entsprechende QM-Zertifizierungen auf Grundlage des DIN-Modells durch. Ein autobegeisterter Oldtimer-Liebhaber hingegen, der über die reine Verkehrstauglichkeit seines Wagens hinaus stets um einen optimalen Pflegezustand und Werterhalt bemüht ist, wäre das metaphorische Pendant zum EFQM Modell. Grob dargestellt beinhaltet die DIN EN ISO 9001 acht Grundprinzipien (Anforderungsbereiche), die auf verschiedene Bereiche eines Unternehmens ausgerichtet sind. Leitziel hierbei ist die Zufriedenheit der Kunden und die Erfüllung ihrer Anforderungen. Dazu würde eine reine Qualitätskontrolle der hervorgebrachten Produkte oder Dienstleistungen jedoch nicht ausreichen, sondern notwendige Qualitätsaspekte müssen bereits bei den Rahmenbedingungen und Prozessabläufen der Leistungs- bzw. Produkterstellung beachtet werden. Diese acht Grundprinzipien lassen sich zu den folgenden vier Qualitätsbereichen bündeln: Verantwortung der Leitung, Ressourcenmanagement, Realisierung der Dienstleistung und Messung, Analyse, Verbesserung. Dabei strebt das DIN-Modell nach einer ständigen Verbesserung des QM-Systems (vgl. Vomberg 2010, S. 75-78, Merchel 2013, S. 80). Die Systematik der DIN EN ISO 9001 wird in der Originalbeschreibung der Norm mit folgendem Schaubild visualisiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(aus: DIN EN ISO 9001 : 2008)
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