Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Deutsche im Ausland nach dem 1. Weltkrieg
2.1 Versailles und das deutsche Kolonialreich
2.2.Volkstumspolitik, Versailles und die Auslandsdeutschen
3. Die Auslandsorganisation der NSDAP
3.1 Aus der Geschichte der Auslandsorganisation
3.2. Die NSDAP AO in Tanganyika und der Deutsche Bund
4. Vermutungen und Reaktionen der Briten
5. Tanganyika und das Sudetenland
6. Die Auslandsorganisation und ihre Landsleute
6.1 Evangelische Mission, die Schulen und der Deutsche Bund
6.2. Missionar und Parteifunktionär, ein „afrikanischer“ Antisemitismus
6.3. Katholische Mission und die NSDAP
6.4. Devisenbewirtschaftung
7. Spionage
8. Fazit
9. Abkürzungen
10. Quellen
11. Literatur
1. Einleitung
Die Auslandsorganisation (AO) der NSDAP war in fast allen Ländern der Welt aktiv, ihr Interesse am jeweiligen Land, der Umfang, die Wirksamkeit und die längerfristigen Folgen ihrer Tätigkeiten waren jedoch sehr unterschiedlich. Die Größe der einzelnen deutschen Bevölkerungsteile und die räumliche Nähe zum Reich waren dafür entscheidend. Die Nachbarländer Deutschlands mit einer großen deutschen Minderheit, besonders wenn diese erst durch die Gebietsabtretungen nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, lagen im Zentrum des Interesses. Deutsche, die in Polen lebten, waren 1937 zu rund 20 % NSDAP – Mitglieder, wie McKale[1] feststellt. Und so befasst sich die Forschung zur AO stark mit diesen Ländern. Auch Volker Koop[2], dessen Arbeit hier Verwendung findet, setzt dort einen Schwerpunkt, und seine These von “der fünften Kolonne Hitlers“ ist dort am ehesten begründbar. Schließlich fanden die AO und ihre Netzwerke in Südamerika das Interesse der Historiker, da hier viele Nationalsozialisten nach dem zweiten Weltkrieg untertauchen konnten.
Die periphere Lage Afrikas südlich der Sahara lag auch im peripheren Interesse der AO, und damit der Forschung. Z.B. veröffentlichte Martin Eberhardt[3] erst 2007 eine Arbeit über die Deutschen in Südwestafrika, die auch die AO berücksichtigt.
In dieser Arbeit möchte ich mich mit dem eher vernachlässigten Tanganyika beschäftigen, dem größten Teil des ehemaligen Deutschostafrikas. Zeitlich wird die Arbeit durch den Kriegsbeginn 1939 begrenzt, als fast alle Deutschen ausgewiesen oder interniert wurden. Da nur wenig Literatur zum Thema zur Verfügung stand, habe ich vermehrt Quellen genutzt. Darunter war eine Sammlung von Berichten, die der amerikanische Konsul in Nairobi regelmäßig ans Außenministerium in den USA schickte. Sie beinhalten weniger belastbare Fakten, als vielmehr Stimmungsbilder aus der Sicht der Briten. Das Archiv der Vereinigten Evangelischen Mission lieferte hauptsächlich Briefwechsel zwischen der deutschen Schule im Norden des Landes und der Zentrale in Bethel. Einige der Briefe wurden auch veröffentlicht, und dienten dazu Spenden einzuwerben. Andere sind aber als vertraulich gekennzeichnet, so dass man davon ausgehen kann, dass sie die Fakten und die jeweiligen Einschätzungen der Schreiber zuverlässig wiedergeben. Die verwendeten Quellen aus dem Bundesarchiv in Berlin bestehen aus Zeitungsausschnitten, Rundschreiben der AO in Berlin und Berichten aus den Ortsgruppen, aber es fanden sich auch zwei private Briefe von Siedlerinnen an Freunde oder Verwandte in Deutschland, die ins Archiv der NSDAP gelangten. Obwohl diese Quellen sehr lückenhaft sind und unsystematisch über viele Akten verstreut vorliegen, ermöglichen sie doch einen Einblick in die Vorstellungen der AO und ihre Arbeitsweise.
Diese Arbeit befasst sich mit einem Thema in Afrika. Trotzdem kommen Afrikaner so gut wie nicht darin vor. Der Grund dafür ist, dass die ca. 5 Mio. Afrikaner auch in den verwendeten Quellen nirgendwo als handelnde Personen oder Gruppe erscheinen. Es gibt sie als gute oder zu bestrafende Schüler, dankbare Hilfslehrer und Diakone in den Missionen oder als Gefahr für die Reinheit der Rasse. Sowohl Deutsche als auch Briten begründen ihr Recht auf die Kolonie außerdem damit, dass die ‚Eingeborenen‘ lieber von der einen oder anderen Seite regiert werden wollten.
Die NS- Auslandsorganisation hat eine Vorgeschichte in der Volkstumspolitik der Weimarer Republik in der Folge der Versailler Verträge. Deshalb wird diese im ersten Abschnitt kurz skizziert. Am Ende soll eine Einschätzung gegeben werden, welche realen Möglichkeiten die AO hatte, unter den gegebenen Umständen ihre Vorhaben zu realisieren.
2. Deutsche im Ausland nach dem 1. Weltkrieg
2.1 Versailles und das deutsche Kolonialreich
„Deutschland verzichtet zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen.“[4] Mit diesem etwas lapidaren Satz endete das deutsche Kolonialreich nach dem 1. Weltkrieg. Der neugegründete Völkerbund[5] übernahm unter anderem das Mandat über die ehemaligen deutschen Kolonien und setzte andere Staaten als Treuhänder ein. Den größten Teil Deutschostafrikas verwaltete Großbritannien unter dem Namen Tanganyika. Die Begründung der Alliierten, die Deutschen hätten sich als kolonialunfähig erwiesen und deshalb müssten ihnen die Kolonien zum Schutze der ‚Eingeborenen‘ genommen werden, gleichsam ein ‚kolonialer Führerscheinentzug‘, wurde als besondere Schmach empfunden. Nur der Artikel 231[6], der die alleinige Kriegsschuld bei Deutschland feststellte, mag als ein noch größerer Angriff auf das deutsche Ehrgefühl empfunden worden sein.
Eine große Anzahl von Vereinen und Verbänden, deren größter die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) war, wurden während der frühen 1920er Jahre gegründet. Sie forderten die Rückgabe der Kolonien und propagierten den Kolonialgedanken mit allen erdenklichen Mitteln. Schulen wurden mit Material zum Thema versorgt, Ausstellungen organisiert und Zeitschriften und andere Publikationen herausgegeben. Beispielsweise erschien jährlich ein Kolonialadressbuch, [7] eine Sammlung von kolonialpolitischen Artikeln, Statistiken und den Namen, Berufen und Adressen nicht nur aller Deutscher, die in den ehemaligen Kolonien lebten, sondern aller Personen, die irgendwann einmal Kontakt zu einer Kolonie hatten. Die Ausgabe von 1926-27, dem Jahr als sich erstmals wieder Deutsche in Tanganyika niederlassen durften, nennt derer 246 Personen.
2.2.Volkstumspolitik, Versailles und die Auslandsdeutschen
Eine zweite Regelung der Versailler Verträge, die Revisionsforderungen entstehen ließen, waren die Gebietsabtretungen an die Nachbarländer. Damit erhielten ca. 3 bis 4 Mio. Deutsche aus dem Reich und ca. 6 Mio. aus der ehemaligen Habsburger Monarchie eine neue Staatsangehörigkeit.[8] Schon im 19.Jhdt gründeten sich Vereine, die sich im Zuge des wachsenden Nationalismus um Deutsche im Ausland kümmerten. Zielgruppen waren einerseits die alten deutschen Siedlungen in Osteuropa (Donauschwaben, Wolgadeutsche) und zum anderen Auswanderer nach Nord- und Südamerika, Australien usw.[9] Hauptsächlich ging es um eine kulturelle Förderung der Auslandsdeutschen und der Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls aller Deutschen. Es waren Vereine von Honoratioren und Akademiker ohne große Wirkung auf Politik und Gesellschaft. Das änderte sich nach dem ersten Weltkrieg. Die Pflege des Volkstums und die Unterstützung der Deutschen im benachbarten Ausland wurde bedeutsam für die aktuelle Politik. Eine Rückgabeforderung der abgetretenen Gebiete konnte auf Dauer nur mit einer nennenswerten deutschen Bevölkerung begründet werden. Kulturelle und finanzielle Unterstützung sollte eine zunehmende Abwanderung Deutscher verhindern, wobei private Vereine wie z.B. der Verein für das Deutschtum im Ausland offiziell als Förderer auftraten.[10]
Eine deutsche Besiedlung war auch für die Kolonialrevisionsforderung hilfreich. Aber außer nach Südwestafrika war zunächst keine dauerhafte Einwanderung Deutscher in ihre ehemaligen Kolonien möglich. Erst eine neue Politik unter dem Außenminister Gustav Stresemann, die auf Ausgleich mit den Siegermächten setzte, eröffnete neue Möglichkeiten. Im Abkommen von Locarno von 1925 wurde zunächst die deutsche Westgrenze mit den Gebietsabtretungen an Frankreich und Belgien anerkannt.[11] In der Folge trat Deutschland dem Völkerbund bei. Damit gab es für Großbritannien als Mandatsmacht Tanganyikas keinen Grund mehr, die Einwanderung Deutscher dorthin zu verweigern.
3. Die Auslandsorganisation der NSDAP
3.1 Aus der Geschichte der Auslandsorganisation
Den ersten Stützpunkt der NSDAP im Ausland gründete ein deutscher Arzt in Brasilien bereits 1928. Diese Privatinitiative eines Einzelnen wurde schnell von der Partei aufgegriffen. Eine Dienststelle sollte sich um alle Parteimitglieder kümmern, die im Ausland lebten oder zur See fuhren. Sie hieß zunächst Auslandsabteilung der Reichsleitung der NSDAP [12] und versorgte ihre Mitglieder mit den „Vertrauliche[n] Nationalsozialistische[n] Auslandsbriefe[n].“[13] Dort wurde auch das Ziel der Organisation als Appell an die Auslandsdeutschen formuliert: „Ausbau der Weltorganisation der größten deutschen Volksbewegung“[14]. Nach der ‚Machtergreifung‘ intensivierte die Auslandsabteilung die Gründungen von Ortsgruppen.
Seit Mai 1933 wurde die Auslandsabteilung, die direkt Rudolf Hess unterstellt war, von Ernst Wilhelm Bohle geleitet und erhielt 1934 ihre endgültige Bezeichnung Auslandsorganisation der NSDAP (NSDAP AO). [15] Im April 1935 wurde die Abteilung zu einem selbständigen Gau mit den Untergliederungen Landesgruppe, Landeskreis, Ortsgruppe, Stützpunkt und Zelle befördert. Außerdem wurde eine Auslandsabteilung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in die AO eingegliedert.[16] Im Dezember 1938 gab es „über 580 Ortsgruppen in 82 Ländern“.[17]
Nach außen erschien das offizielle Programm der AO als eine Mischung aus NS-Propaganda und Sozialbetreuung. Propaganda fand in Form von Versendung von Filmen, Büchern, Schulmaterial und der Auftritt von Rednern statt, soziale Betreuung durch die DAF in Form von Arbeitsvermittlung, Lehrgängen zur Berufsausbildung, Unterstützung von Bedürftigen und einer Krankenversicherung.[18] Mit der Gründung von Parteibüros war es aber nicht getan, wollte man eine ‚Weltorganisation‘ aufbauen. Deshalb bemühte man sich darum, den Einfluss in den bestehenden deutschen Vereinen zu vergrößern, oder besser noch die Vorstände dieser Vereine mit Nationalsozialisten zu besetzen und alle Mitglieder zum Parteieintritt zu bewegen. Das forsche, teilweise aggressive Vorgehen dabei fand nicht überall Zustimmung. Die alte und oft angesehene Vereinsführung, wie z.B. der Vorstand eines Turnerbundes in Brasilien, verwahrte sich gegen die Bevormundung durch die AO Ortsgruppe.[19] Auch in Südwestafrika zog sich dieser Konflikt über Jahre hin.[20]
3.2. Die NSDAP AO in Tanganyika und der Deutsche Bund
Erst seit 1926 konnten Deutsche sich wieder als Pflanzer, Händler und Gewerbetreibende in Tanganyika niederlassen. 1938 waren 3055 Deutsche, einschließlich Österreicher im Land.[21] Damit waren sie die zahlenmäßig größte europäische Gruppe nach den Briten oder, wie es die Ostafrikawarte in ihrer Oktoberausgabe 1938 berechnete, „an erster Stelle, wenn man die englische Beamtenschaft nebst Angehörigen in Abzug bringt.“[22]
Anders als in Südwestafrika, wo ein großer Teil der Deutschen im Land bleiben durfte, gab es hier keine ununterbrochene Tradition der Besiedlung. Ein Deutscher Wirtschaftsverband vertrat während der ersten Jahre hauptsächlich die Interessen der Sisal- und Kaffeepflanzer. Seit 1930 gab er die Monatszeitschrift Das Hochland heraus, die praktische Lebenshilfe und Nachrichten bot. Im Juli 1933 löste er sich zugunsten eines neugegründeten Verbandes auf: der Deutsche[r] Bund (DB) für Ostafrika, der auch Das Hochland übernahm. Der DB „verstand sich […] als einzig berechtigter Träger der deutschen Kultur“[23] in Tanganyika. Im Hochland wurde die Mitgliedschaft im DB zur Pflicht eines jeden Deutschen erklärt.[24] 1937 stellte die Publikation ihr Erscheinen ein.[25] An ihre Stelle als einzige deutschsprachige Zeitschrift trat die Ostafrikawarte, Zeitschrift für die Deutschen in Ostafrika (OAW), die in Nairobi von Karl Wilhelm Hub und Werner Lehmann (laut Impressum) herausgegeben wurde.[26] Auch ohne offizielles Parteiorgan zu sein, vertrat die Zeitschrift uneingeschränkt die nationalsozialistische Weltsicht. Neben etwas Unterhaltung und praktischen Ratschlägen erschienen Meldungen aus Deutschland und aus den NSDAP Ortsgruppen in Kenia und Tanganyika.
Berichte von lang andauernden Konflikten zwischen alten Volkstumsverbänden und den neu auf den Plan tretenden NSDAP Ortsgruppen sind aus Tanganyika nicht bekannt. Es gab schlicht keine alteingesessenen Vereine. Jedoch ist ein Konflikt anderer Art überliefert. Laut Crozier war der Führer des Deutschen Bundes, Kapitän W. Schönfeld, ein Hitzkopf und Aufwiegler[27], der zwar NSDAP Mitglied war und auch von der NSDAP in Berlin in seinem Amt bestätigt wurde, dort aber durch seine provokativ vorgebrachten Ansprüche bald in Ungnade fiel. So sollten alle Deutschen automatisch Mitglieder des DB sein, wenn sie nicht ausdrücklich ihren Austritt erklärten, alle Streitigkeiten unter Deutschen sollten zuerst vor ein Schiedsgericht des Bundes gebracht werden, bevor britische Gerichte angerufen werden konnten.[28] Der spätere Landesgruppenführer der NSDAP, Ernst Troost, wurde von Berlin beauftragt, alle Aktionen Schönfelds, die die Briten verärgern würden, zu unterbinden und den DB unter die Befehlsgewalt der NSDAP zu stellen. Ende 1934 musste Schönfeld zurücktreten. Anders als in Südwestafrika übernahm hier die NSDAP eine vermittelnde und befriedende Rolle und legte großen Wert auf ein gutes Deutsch-Britisches Verhältnis. Der Deutsche Bund betonte in der Folge bei allen Veranstaltungen seinen ausschließlich kulturpflegerischen Charakter. Auch die NSDAP-Gruppen traten in der Öffentlichkeit ähnlich auf. In der OAW wurde auf deren unpolitisches und gesetzestreues Verhalten hingewiesen, zum Beispiel in einem Artikel vom August 1938, der den Werdegang der Auslandsorganisation beschrieb. Ausdrücklich wurde das „selbstverständliche Recht des Deutschen Reiches seine Staatsbürger im Auslande zu erfassen und sie einheitlich […] zu führen“[29], betont. Die Berichte aus den Ortsgruppen beschrieben eingehend den geselligen Teil der Veranstaltungen („Kuchenberge“, „Eintopfessen“)[30], nachdem die Ansprachen der Gruppenleiter im offiziellen Teil aufgezählt und ein Lob auf die nationalsozialistische Bewegung ausgesprochen worden war. Oft wurden die Ergebnisse der Sammlungen für das Winterhilfswerk erwähnt, was sowohl die ‚Volksgemeinschaft‘ stärken, als auch Nachweis für das soziale und caritative Wesen der Parteiarbeit sein sollte.[31] Tanganyika und die Britische Verwaltung wurden nur erwähnt, wenn man sich gegen vermeintlich ungerechtfertigte Angriffe und Unterstellungen wehren zu müssen glaubte.[32] In diesem Artikel wird auch die Stellungnahme des Gauleiters Bohle zitiert, der die disziplinierende Wirkung der AO -Gruppen auf die deutschen Siedler hervorhob, die den fremden Regierungen die Gewähr dafür böte, dass „unsere Volksgenossen im Ausland den Grundsatz der Nichtbefassung mit anderen als reichsdeutschen Angelegenheiten strengstens beachten.“[33]
Im Gegensatz zu diesem veröffentlichten Bild der NSDAP-Gruppen stand ein durchaus provokativ zu nennendes Auftreten. Offensichtlich sollten dabei auch Grenzen ausgetestet werden. Anlässlich der Feiern am 1. Mai oder an Hitlers Geburtstag wurden z.B. an Gebäuden Hakenkreuzfahnen aufgehängt oder man zeigte sich in uniformähnlicher Kleidung, obwohl Ausländern das Tragen militärischer Uniformen verboten war. Beides war wohl gerade noch zulässig, wie zum einen der empörte Kommentar im East Africa and Rhodesia vom 14.7.38 zeigt: Die zu den Feiern anlässlich des königlichen Geburtstags geladenen Mitglieder der Ortsgruppe der NSDAP in Moshi traten dort quasimilitärisch gekleidet auf und zeigten beim Abspielen der englischen Nationalhymne den Hitlergruß.[34] Zum anderen waren Hakenkreuzfahnen für Manche in Tanganyika eine Provokation, nicht jedoch für die Britische Verwaltung. Unbekannte hatten solche Fahnen an Privathäusern einiger Deutscher in Dar es Salaam abgerissen und zerstört, worauf die Polizei Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufnahm. Ein isolierter Vorgang, der die Öffentlichkeit und die Behörden verstört habe, wie die Times schrieb.[35] Es ist schwer einzuschätzen, welches Ausmaß diese Art der öffentlichen Auftritte hatte. Sie scheinen aber weniger gegen die britischen Behörden gerichtet gewesen zu sein, als viel mehr eine Demonstration der Stärke den eigenen Landsleuten gegenüber. Gauleiter Bohle schrieb in einem als streng vertraulich gekennzeichneten Rundschreiben „dass die Auslandsorganisation der absolut massgebende [sic!] Faktor in der Betreuung des Auslandsdeutschtums werden muss, weil auch im Ausland die Totalität der Partei durchgeführt werden soll.“[36]
4. Vermutungen und Reaktionen der Briten
Wie erfolgreich war die NSDAP bei dieser Erfassung der Deutschen in Tanganyika? Bei Donald McKale finden sich Zahlen aus dem Jahr 1937 zu den Parteimitgliedern im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Deutschen in verschiedenen Ländern.[37] Danach waren rund 30% der Deutschen Parteimitglieder (688 von 2140). Verglichen mit den Zahlen aus Südwestafrika oder Argentinien, wo die Mitgliedschaft kaum 10 % bzw. 4 % erreichte, war dies ein sehr großer Anteil, der bis 1939 wahrscheinlich noch stieg. Es ist durchaus vorstellbar, dass die einzelnen Ortsgruppen in der Lage waren, spürbaren Druck auf die Deutschen auszuüben. Darüber berichtete der amerikanische Konsul in Nairobi, Talbot Smith, zwischen Mai 1938 und Juli 1939 an das amerikanische Außenministerium.[38] Im Februar 1939 vermutete er, dass nur noch ein sehr kleiner Prozentsatz der Deutschen nicht Mitglied der NSDAP sei.[39] Propaganda, Überwachung, Einschüchterung, Boykottdrohung und die Angst um Verwandte in Deutschland seien die Mittel der Wahl.[40] Auch der Deutsche Bund, der sich als Kulturverein gäbe, sei ohne Frage ein Vehikel subversiver NS Aktivitäten.[41] Es sei schwer zu entscheiden, wer überzeugter Nazi und wer nur dabei sei, weil es opportun erscheine. „All agreed that the German men of property, the sisal and coffee estate owners, […] were very luke warm in their adherence to the Nazi party.”[42] Talbot Smith sammelte seine Informationen in Gesprächen mit Verwaltungsbeamten, leitenden Polizeibeamten und britischen, deutschen und indischen Geschäftsleuten auf Rundreisen durch Tanganyika.[43] Im Ergebnis geben seine Berichte weniger harte Fakten, als vielmehr Stimmungsbilder wieder. Das gilt auch für die Berichte zu Gerüchten über deutschen Waffenschmuggel.[44] Britische Behörden glaubten zwar nicht, dass Waffen über Dar es Salaam oder Tanga geschmuggelt würden, hielten es aber für möglich, dass kleinere deutsche Schiffe in unbeachteten Buchten landen und Waffen ins Land bringen könnten, die auf deutschen Farmen versteckt würden.[45] Keines dieser Gerüchte über geheime Waffenlager oder die Lieferung von Maschinengewehren konnte letztlich bestätigt werden.[46]
5. Tanganyika und das Sudetenland
Die angespannte Lage in Tanganyika in den späten 1930er Jahren, die auch in einer zunehmenden gesellschaftlichen und geschäftlichen Selbstabkapselung der deutschen Gemeinde gegenüber den Briten ihren Ausdruck fand[47], hatte ihre Ursache in Ereignissen in Europa: dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 und Hitlers Besetzung des Sudetenlands. Iim Münchner Abkommen vom 30.9.1938 nahmen Großbritannien, Italien und Frankreich diese Annexion in der Hoffnung auf Friedenserhalt hin.Die Tschechoslowakei wurde nicht gefragt.[48] Dazu kam, dass Premierminister Chamberlain während der Parlamentssitzung am 14.11.38 keine eindeutige Aussage über das Verbleiben Tanganyikas bei Großbritannien machte.[49] Der Amerikanische Konsul deutete dessen Worte so, dass in der Regierung über eine Rückgabe an Deutschland nachgedacht wurde. Für die Deutschen in Tanganyika war es damit ausgemacht, dass die Kolonie in den nächsten Monaten wieder an Deutschland zurückfallen würde.[50] Die Briten fürchteten, dass ihr Premierminister sie genauso wie die Tschechoslowakei aufgeben würde. Talbot Smith stellte fest, dass die allgemeine Unsicherheit die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonie hemme; nur deutsche Firmen würden expandieren.[51] Die Tanganyika League, ein Zusammenschluss britischer und indischer Geschäftsleute mit dem Ziel, eine Union der drei britischen Gebiete in Ostafrika, Uganda, Kenia und Tanganyika, zu bilden, wehrte sich gegen die drohende Rückgabe Tanganyikas an Deutschland. Dadurch entstünde eine strategische Gefahr für Kenia, könnte doch eine deutsche U-Bootbasis Mombasa bedrohen. Es sei Verrat an den jüdischen Flüchtlingen im Land und bewaffneter Widerstand sei nicht ausgeschlossen.[52] Vorsichtshalber wurden Truppen in die vorwiegend von Deutschen bewohnten Gebiete verlegt.[53] Diese Maßnahmen waren letztlich unnötig, „as the behavior of the Germans was most examplary [sic!].“[54]
Die Ereignisse in Europa 1938, das oft martialische Auftreten der NS Ortsgruppen und letztlich die Unübersichtlichkeit des großen und nur dürftig erschlossenen Landes ließen Gerüchte gedeihen. Tatsächlich waren die Deutschen in Tanganyika zu keiner Zeit willens und in der Lage die Rückgabe der Kolonie gewaltsam herbeizuführen. Nach Einschätzung vieler Zeitgenossen, wie dem amerikanischen Konsul Smith, wollten die meisten Deutschen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen. In einem Leserbrief an den Spectator schrieb ein T.F.Carter aus Arusha, der lange als Vermesser in von Deutschen bewohnten Gebieten gearbeitet hätte, dass „95%“ der deutschen Siedler ohne Zögern das Leben unter dem „Union Jack“ einer gewaltsamen Rückkehr Tanganyikas an Deutschland vorzögen.[55] Schließlich war es die offizielle deutsche Position, dass über den Status Tanganyikas in London und Berlin zu verhandeln wäre und nicht in der Kolonie selbst.[56]
[...]
[1] McKale, Donald: The Swastika Outside Germany, Kent, Ohio 1977, S. 121.
[2] Koop, Volker: Hitlers fünfte. Kolonne, Die Auslandsorganisation der NSDAP, Berlin 2009.
[3] Eberhardt, Martin: Zwischen Nationalsozialismus und Apartheid, Berlin 2007.
[4] Friedensvertrag von Versailles. Artikel 119. Deutsche Rechte und Interessen außerhalb Deutschlands (28. Juni 1919), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/wr/vv04.html, Stand: 22.1.17.
[5] Friedensvertrag von Versailles, Teil I, Völkerbundsatzung, in DocumentArchiv.de http://www.documentArchiv.de/wr/vv01.html, Stand 22.1.17.
[6] Friedensvertrag von Versailles. Artikel 231, in: documentArchiv.de. http://www.documentArchiv.de/wr/vv04.html, Stand 22.1.17.
[7] Koloniales Hand- und Adressbuch, Hrg. Kolonialkriegerdank e.V. Berlin. 1926.
[8] Vgl. Luther, Tammo: Volkstumspolitik des Deutschen Reiches, S. 26f.
[9] Vgl. ebd. S. 23ff.
[10] Vgl. ebd. S. 30.
[11] Vgl. ebd. S. 34.
[12] Vgl. Koop, Volker: Hitlers fünfte. Kolonne, Berlin 2009, S. 11.
[13] Ebd. S. 13.
[14] Ebd. S. 13.
[15] Ebd. S. 16.
[16] Vgl. ebd. S. 17.
[17] Ebd. S.17.
[18] Vgl. ebd. S.20ff.
[19] Vgl. ebd. S. 33f.
[20] Vgl. Eberhardt, Martin: Zwischen Nationalsozialismus und Apartheid, Berlin 2007, S. 243-438.
[21] Ostafrikawarte, Dez. 1938, VEM Akte OAW: 1-5984.
[22] Ostafrikawarte, Okt. 1938, S. 17, VEM Akte OAW: 1-5984.
[23] Menzel, Gustav: Die Bethel-Mission, Neukirchen-Vlyn 1986, S. 354.
[24] Das Hochland, 3.Jahr, Sept. 1933, VEM.
[25] Sturmer, Martin: The media history of Tanzania, Salzburg 1998, S.52, https://de.scribd.com/doc/57827947/The-Media-History-of-Tanzania. Stand 29.1.17.
[26] Laut Sturmer wurde die Zeitschrift von der deutschen Botschaft in Nairobi herausgegeben. Sturmer: S.94.
[27] Vgl. Crozier, S. 72: “Schoenfeld was something of a firebrand”.
[28] Vgl. ebd. S. 75.
[29] Ostafrikawarte, August 1938, S. 13, VEM Akte OAW: 1-5984.
[30] Ostafrikawarte, April 1939, BArch NS 5/VI 20443, Bl. 16.
[31] Z.B. OAW, Juni 1939, S. 20, VEM Akte OAW: 1-5984.
[32] Vgl. OAW, Juni 1939, „Keine unnütze Animosität“, BArch NS 5/VI 20443 Bl. 12.
[33] Ebd.
[34] Vgl. East Africa and Rhodesia 14.7.38 „More German Truculence in Tangayika“, BArch NS 5/VI 20443 Bl. 26.
[35] The Times 25.4.39: „Swastika flags torn up in Tanganyika”, BArch NS 5/VI 20443, Bl. 15.
[36] Rundschreiben: alle Vereine im Ausland unterstehen der AO, ohne Datum, BArch NS 9/94 nicht nummerierte Blätter.
[37] McKale, Donald: S. 121.
[38] Barron, Smythe (Hg.): Lost Documents On The Third Reich, Vol. 111, Salisbury 1978.
[39] Vgl. ebd. S. 142.
[40] Vgl. ebd. S. 147.
[41] Ebd. S. 141, „It appears innocent enough, but that it is or can be used as another vehicle for subversive Nazi activities is beyond question.”
[42] Ebd. S. 112.
[43] Vgl. ebd.
[44] Vgl. Ebd. S. 66.
[45] Vgl. ebd. S. 90.
[46] Vgl. ebd. S. 66, „rumor of hidden ammunition stores […] proved pure fabrication. Auch: BArch: R 1001/ 937, Telegrammwechsel zwischen Auswärtigem Amt und Konsulat vom Dez. 1937, ohne Nummerierung.
[47] Vgl. ebd. S. 114.
[48] Vgl. z.B. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/aussenpolitik/muenchner-abkommen-1938.html, Stand: 11.2.17.
[49] Vgl. Barron, Smythe: S. 134.
[50] Vgl. ebd. S. 117.
[51] Vgl. Barron, Smythe: S. 118.
[52] Vgl. ebd. S. 115.
[53] Vgl. ebd. S.117.
[54] Ebd. S. 117.
[55] Vgl. Germans in Tanganyika, 6.3.1936, The Spectator Archive, S. 18, http://archive.spectator.co.uk/article/6th-march-1936/18/germans-in-tanganyika
Stand 12.2.17.
[56] Vgl. z.B. Delfs-Fritz, W. (Landesgruppenleiter Tanganyika) Die Deutschen in Deutschostafrika, Deutsche Kolonialzeitung 1.11.39, BArch NS 5/VI 20443, Blatt 4. Auch: Crozier, Andrew: S. 74.