Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Trennung und Scheidung aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen
1.1 Mögliche Reaktionen und Folgen
1.2 Scheidungsbezogene Aufgaben
2. Trennung und Scheidung aus der Perspektive der Eltern
2.1 Mögliche Reaktionen und Folgen
2.2 Scheidungsbezogene Aufgaben
3. Fazit und Ausblick
4. Literaturverzeichnis
0. Einleitung
Jährlich sind fast 150.000 Kinder in Deutschland von einer Scheidung betroffen; 1,7 Millionen Kinder leben mit nur einem Elternteil zusammen (cf. ). Für die Kinder bedeutet das, Übergänge von einer Familienform in eine andere bewältigen zu müssen, die mit weitreichenden Veränderungen in ihrem Leben verbunden sind. Für die Eltern stellt die Trennung bzw. Scheidung oftmals die Lösung ihrer Partnerprobleme dar und eröffnet neue Perspektiven der Lebensgestaltung. Im Folgenden soll die Frage erörtert werden, wie sich eine Familientrennung als kritisches Lebensereignis auf die einzelnen Familienmitglieder auswirken kann und welche Aufgaben mit ihr verbunden sind. Dabei sollen sowohl die Perspektive der Kinder und Jugendlichen als auch die der Eltern berücksichtigt und die jeweiligen Reaktionen, positiven und negativen, kurzfristigen und langfristigen Folgen sowie die jeweiligen scheidungsbezogenen Entwicklungsaufgaben dargestellt werden. Hierbei werden aktuelle Forschungen zur Entwicklungs- und Familienpsychologie verschiedener Autoren herangezogen, wie von Renate Niesel, Wilfried Griebel, Wassilios E. Fthenakis, Peter Strunk, Gerd Oberndorfer und Sabine Walper. Abschließend sollen die Ergebnisse resümiert und ein Ausblick auch hinsichtlich der Hilfemöglichkeiten in Trennungs- und Scheidungssituationen gegeben werden.
1. Trennung und Scheidung aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen
1.1 Mögliche Reaktionen und Folgen
Schon vor der eigentlichen Scheidung befinden sich die Kinder in einer Situation der Verunsicherung, weil ihnen selten erklärt wird, worum es eigentlich geht beim elterlichen Konflikt. Sie fühlen sich in ihren Bedürfnisse unbeachtet und gerade zu Beginn der Scheidung vernachlässigt, wenn die Eltern mit den finanziellen und rechtlichen Regelungen beschäftigt sind (cf. Walper 52002, 819). Kinder erleben eine Scheidung immer zunächst als Zusammenbruch der Familie und zeigen auf diese Trennung altersspezifische auffällige Reaktionen (cf. Oberndorfer 1996, 35ff.):
- Klein- und Vorschulalter (2 bis 6 Jahre): Die Kinder haben vor allem Angst, im Stich gelassen zu werden. Wegen ihrer Abhängigkeit, ihrer Ängste, ihrem begrenzten Verständnis für familiäre Veränderungen und ihrer Unfähigkeit sich selbst zu trösten, reagieren Kinder im Vorschulalter am heftigsten: auffällige Rückschritte in der Sauberkeitserziehung, Daumenlutschen, verstärkte Irritiertheit, Weinen, akute Trennungsängste, gesteigerte Aggressivität und Trotz, aber auch Angst vor Aggressionen der Erwachsenen. Ältere Vorschulkinder (5 bis 6 Jahre) äußern stärker ihre Gefühle der Trauer und Wünsche nach Rückkehr des Vaters;
- Erste Schuljahre (7 und 8 Jahre): Kinder dieser Altersgruppe entwickeln starke Gefühle des Verlustes und fühlen sich zurückgewiesen. Sie weinen und sind launisch, fühlen sich innerlich leer und können sich schlecht konzentrieren. Bei fast der Hälfte kommt es vorübergehend zu einem Abfallen der schulischen Leistungen. Da die Kinder in diesem Alter die Scheidung als Kampf empfinden, fühlen sie sich für die Trennung verantwortlich und zur Parteinahme verpflichtet, was Loyalitätskonflikte zur Folge hat;
- Spätere Schuljahre (9 bis 12 Jahre): In diesem Alter zeigt sich oft Wut auf die Eltern, aber die Kinder machen sich auch Sorgen. Sie scheinen nach außen hin mutiger, aktiver und gelassener. Es entstehen aber oft Überforderungen, die sich auch in körperlichen Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen niederschlagen;
- Jugendliche (13 bis 18 Jahre): Sie erleben ihre Eltern eher als unabhängige Persönlichkeiten und können ihre Beziehung von der ihrer Eltern trennen. Doch auch sie drücken deutlich Zorn und Trauer aus ebenso wie Schmerz- und Schamgefühle. Sie können sich verlassen und betrogen fühlen und Ängste äußern, die Fehler der Eltern zu wiederholen. Die Angst, Beziehungen einzugehen, kann bis ins Erwachsenenalter hineinreichen.
Insgesamt zeigt sich also, dass Scheidungskinder im Vergleich zu Kindern aus Kernfamilien ein erhöhtes Risiko für emotionale Belastungen (z.B. schlechteres Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit, Depressionen), gesundheitliche Beeinträchtigungen (z.B. Entwicklungshemmungen, Schlafstörungen), Problemverhalten (z.B. Aggressivität, Delinquenz) und soziale Schwierigkeiten (z.B. im Umgang mit Gleichaltrigen, geringe Beliebtheit und Kooperativität, Einsamkeit) tragen (cf. Strunk 1997, 142). Andererseits kann eine Trennung bzw. Scheidung der Eltern auch durchaus positive Auswirkungen für die Kinder haben, wie z.B. den Abbau von Belastungen aus der Vorscheidungszeit, die Entwicklung einer engen, positiven Beziehung zum alleinerziehenden Elternteil oder den Erwerb und die Einübung neuer Rollen und Kompetenzen (z.B. Fürsorge, prosoziales Verhalten, stabile Freundschaften, Verantwortungsbewusstsein) (cf. Walper 52002, 823). Des Weiteren sind die Reaktionen und Auswirkungen geschlechtsspezifisch zu differenzieren, denn während sich bei Jungen eher externalisierte Belastungen (z.B. Aggressionen, Schulschwierigkeiten, Konflikte mit den Eltern) vor allem im Vor- und Grundschulalter zeigten, äußerten sich diese bei Mädchen eher in internalisierter Form (z.B. überehrgeiziges Schulverhalten, Ängstlichkeit, Konflikte mit den Eltern) besonders im Jugendalter (cf. ebd., 821).
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