Leseprobe
Inhalt:
1. Einleitung
2. Bedeutung des Wunders im Mittelalter
2.1. Bedeutung von Hunden im Mittelalter
2.2. Bedeutung der Farben Petitcreius
3. Semantische Unterbrechung im Tristan-Roman
3.1. Bedeutung des Wunderhündchens für die Handlung
3.2. Warum verschwindet das Wunderhündchen Petitcreiu aus der Handlung?
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In vielen mittelhochdeutschen Romanen tauchten Tiere und Fabelwesen auf. Diese hatten bestimmte Eigenschaften, die in der mittelalterlichen Zeit von Bedeutung waren. Auch spielten Farben im Mittelalter eine große Rolle, die in Verbindung mit Tieren zu wichtigen Deutungsmerkmalen für einige Romanhandlungen werden konnten.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit diesen Themen am Beispiel des Wunderhündchens Petitcreiu im Tristan Gottfrieds von Straßburg. Das Interessante ist, herauszufinden, warum und inwieweit der Hund für die Handlung wichtig ist und warum er plötzlich aus der Handlung verschwindet.
Dazu wird zunächst der Wunderbegriff bzw. das Wunderverständnis des Mittelalters geklärt und mit Petitcreiu in Verbindung gebracht. Mit der Farbendeutung Petitcreius kommt eine weitere wichtige Eigenschaft des Mittelalters hinzu, sowie die Frage, was der Hund im Mittelalter für Bedeutungen hatte und wie diese sich im Hündchen Petitcreiu wiederspiegeln. Außerdem spielt die semantische Unterbrechung im Roman eine große Rolle. Dabei stellt sich die Frage, wie sich diese Unterbrechung äußert. Gibt es weitere Unterbrechungen im Roman? Welche Funktion kann eine semantische Unterbrechung bewirken? Welche Bedeutung hat das Wunderhündchen durch diese Unterbrechung und warum verschwindet es plötzlich?
In der abschließenden Zusammenfassung werden alle Ergebnisse kurz aufgegriffen und erläutert.
2. Bedeutung des Wunders im Mittelalter
Um die Besonderheit des Wunderhündchens Petitcreiu verstehen zu können, muss man zunächst das Wunderverständnis des Mittelalters kennen. Auf Grund der mangelnden technischen Möglichkeiten der Menschen im Mittelalter, war es ihnen nicht möglich Entdeckungen zu machen, die wir als Naturgesetze kennen und somit als „normal“ ansehen, während man es im Mittelalter als ein Wunder wahrnahm. Dieser große Verständnisunterschied lässt bereits erahnen, wie oft Wunder im Mittelalter geschahen.
Als Wunder bezeichnete man das, „was sich gegen den gewohnten Lauf der Natur (contra solitum cursum naturae) ereignet[e] […]“,1 so der Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach im 13. Jahrhundert. Es wurde durch Gott mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion hervorgerufen, die nicht immer sichtbar war und somit „dem Betrachter verborgen und zunächst unerforschlich blieb.“2 Eines der Wunderformen war die Heilung, auf die noch in Bezug auf Petitcreiu eingegangen wird.3
Im Tristan Gottfrieds von Straßburg taucht ein solches Wunder in Form eines Wundertieres auf - des Wunderhündchens Petitcreiu. In Verbindung mit einer Glocke am Hals ist Petitcreiu imstande das Leid und die Sorgen eines Menschen zu verdrängen.
Durch den Erhalt des Hündchens von einer Göttin aus Avalon „durch liebe und durch minne“4, ist Herzog Gilan bemächtigt das Wunder bzw. die Fähigkeiten des Hundes jeder Zeit zu instrumentalisieren.
Mit der Tatsache, dass Petitcreiu einen göttlichen Ursprung hat, erfährt man schon am Anfang der Petitcreiu-Szene, dass das Hündchen ein Wunder ist, ohne auch nur auf seine Fähigkeit und die verschiedenen Farben eingegangen zu sein. Die folgende Textpassage lässt den mittelalterlichen Wunderbegriff noch einmal deutlich werden:
ein purper edel unde rîch, vremede unde wunderlîch al nâch des tisches mâze breit wart vür in ûf den tisch geleit, ein hundelîn dar ûf getragen. daz was gefeinet, hôrte ich sagen, und wart dem herzogen gesant ûz Avalûn, der feinen lant, von einer gottinne durch liebe und durch minne. daz was mit solher wîsheit an den zwein dingen ûf geleit, an der varwe und an der craft, daz zunge nie sô redehaft noch herze nie sô wîse wart, daz sîne schoene und sîn art kunde beschrîben oder gesagen.5 (VV. 15801-15817)
Die Art und das Aussehen Petitcreius übersteigen die Weisheit aller, sodass der Grund oder die Funktion von Petitcreius Dasein zunächst ungeklärt ist, und er somit als Wunderhündchen erscheint.
2.1. Bedeutung von Hunden im Mittelalter
Generell wurden Tiere im Mittelalter als „Eigentum“, „Statussymbol“ und Machtsymbol gesehen und vorwiegend als „Nutztiere“ gehalten6. Dadurch, dass sie von göttlichem Ursprung sind, dienen sie zur „Orientierung über die moralische Qualität menschlichen Handelns“.7 Das heißt, dass Menschen durch Tiere verholfen wurde richtig zu handeln, bzw. so zu handeln, wie Gott es wollte.
Speziell der Hund, der das erste für den Menschen dienende Tier war, konnte mehrere Funktionen haben - zu helfen, zu heilen und zu retten.8 Er konnte „als Hirten- oder Wachhund, aber auch als Jagdhund“9 dienen. Außerdem kamen „Schoßhunde“10 hinzu, die auf dem Hof gehalten wurden und oft das Leitbild für Liebe waren.11 Zusätzlich galt der Hund, bzw. die Hundezunge als heilend, da sich die Hunde selbst die Wunden lecken und diese heilen.12
In der Tierdichtung dienten Tiere „als Spiegel der menschlichen Gesellschaft“13, da sie oft die Rolle eines Menschen spielten und ihnen menschenähnliche Charakterzüge verliehen wurden, sodass sie unentbehrlich für „die Deutung der Werke“14 wurden. Gnädinger bestätigt ebenfalls die „Menschenähnlichkeit und Menschenfreundlichkeit des Hundes“15 durch die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Da der Hund damals, wie heute als ‚bester Freund‘ des Menschen gilt, steht er „für Treue und Wachsamkeit“16, sowie der „Bestätigung der Minnebeziehung“, wie in Hadlaubs Autorbild im Codex Manesse.17
Auf die Parallelen aus dem Tristan-Roman und Petitcreiu wird später noch eingegangen.
2.2. Bedeutung der Farben Petitcreius
Wie in dem obigen Zitat über die Farben Petitcreius bereits angedeutet, übersteigt Petitcreius Erscheinungsbild die Weisheit aller und so wird das „Staunen und Bewundern ausgeweitet auf die gesamte höfische Welt […]“18. Bei der Beschreibung seiner Fellfarben, werden die meisten mit einer markanten Farbe aus der Natur verglichen.
Um zu veranschaulichen, wie weiß seine Brust sei, wird diese mit Schnee assoziiert.19 Weiß war, und ist heute immer noch eine Farbe der Reinheit und Unschuld.20
Das Grün der Lenden Petitcreius sei „grüener danne clê“21 und steht für Vegetation, Wachstum und Frühling22, was somit auch Hoffnung bedeuten kann. Die eine Seite seines Körpers habe einen stärkeren Farbton, als die scharlachrote Farbe.23 Diese repräsentiert Macht, Liebe und Schönheit, während die andere Seite „gelwer dan safrân“24 sei, also eine Farbe, die im Mittelalter sehr aufwendig und kostspielig war. Mit diesen Farben kam ein „exotischer Zauber in den gewohnten Lebensbereich“25, sodass man durchaus die Kostbarkeit Petitcreius wahrnahm.
Genannt, aber nicht mit einer Naturerscheinung o.Ä. verglichen, wird die Farbe tiefblau,26 die, wie die rote Farbe, die Farbe der Könige und der Macht war. Das Besondere an Petitcreius Erscheinungsbild seien die ineinander übergehenden Farben, die niemand benennen könnte.27
Doch abschließend wird das Wunderhündchen als „purperbrûn“28 beschrieben. Die purpurrote Farbe wird jedoch schon am Anfang der Petitcreiu-Szene im Purpurtuch erwähnt und bedeutet höchste Macht, da die Herstellung dieser Farbe sehr aufwendig war und sich nur der Adel diese teure Farbe leisten konnte.29 Sein Fell ist glänzend und seidig, was wieder auf etwas Teures und Wertvolles hinweist.
Mit dem Hinzukommen des goldenen Glöckchens an seinem Halskettchen, das allen Kummer und all das Leid vergessen lässt, ist die Beschreibung vollendet. Denn auch Gold ist heute noch ein teures Edelmetall.
3. Semantische Unterbrechung im Tristan-Roman
Im Tristan-Roman geht es hauptsächlich um die Liebe zwischen Tristan und Isolde30, die immer wieder auf die Probe gestellt wird.
Viele Forscher sind der Meinung, dass schon vor Tristans und Isoldes Trinken vom Liebestrank, die Zuneigung existiert habe und durch den Liebestrank nur noch verstärkt wurde.31 Während andere Forscher der Meinung sind, dass die Liebe erst mit dem Liebestrank begonnen habe, so in Reiner Dietz‘ Arbeit „Probleme der Forschung“ im Tristan Gottfrieds von Straßburg.
[...]
1 Fern-Universität Hagen: Uta Kleine: Wunder im Mittelalter. Christliche Weltdeutung und Glaubenspraxis. S.1
2 Ebd. S.4
3 Ebd. S.2
4 Gottfried von Straßburg: Friedrich Ranke, Tristan. Mhd./Nhd. Hrsg. Mit Übers., Stellenkommentar und Nachw. Von Rüdiger Krohn. 9. Auflage Stuttgart 2007
5 Ebd. V.15801-15817
6 Obermaier, Sabine: Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S.4
7 Ebd. S.15
8 Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue. Stuttgart 2007, S.135
9 Obermaier, Sabine: Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S.4
10 Ebd. S.4
11 Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue. Stuttgart 2007, S.134
12 Rapp, Andrea: Ir bîzzen was so zartlich, wîblich, fîn. Zur Deutung des Hundes in Hadlaubs Autorbild im Codex Manesse. In: Sabine Obermeier(Hrsg.):Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S.228
13 Obermaier, Sabine: Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S.18
14 Ebd. S.20
15 Gnädinger, Louise: Hiudan und Petitcreiu. Gestalt und Figur des Hundes in der 3 mittelalterlichen Tristandichtung. Zürich 1971, S.12
16 Rapp, Andrea: Ir bîzzen was so zartlich, wîblich, fîn. Zur Deutung des Hundes in Hadlaubs Autorbild im Codex Manesse. In: Sabine Obermeier(Hrsg.):Tiere und Fabelwesen im Mittelalter. Berlin 2009, S.228
17 Ebd. S226
18 Wittmann, Viola: Bunte Hunde. Zur narrativen Funktion tierischer Farbexoten im höfischen Roman. In: Ingrid Bennewitz, Andrea Schindler (Hg.), Farbe im Mittelalter. Materialität - Medialität - Semantik. Band 2, Berlin 2011, S.509
19 Gottfried von Straßburg: Friedrich Ranke, Tristan. Mhd./Nhd. Hrsg. Mit Übers., Stellenkommentar und Nachw. Von Rüdiger Krohn. 9. Auflage Stuttgart 2007, V.15825
20 Linares, Marina: Kunst und Kultur im Mittelalter. Farbschemata und Farbsymbole. In: Ingrid Bennewitz, Andrea Schindler (Hg.), Farbe im Mittelalter. Materialität - Medialität - Semantik. Band 1, Berlin 2011, S.305
21 Gottfried von Straßburg: Friedrich Ranke, Tristan. V.15826
22 Linares, Marina: Kunst und Kultur im Mittelalter. Farbschemata und Farbsymbole. In: Ingrid Bennewitz, Andrea Schindler (Hg.), Farbe im Mittelalter. Materialität - Medialität - Semantik. Band 1, Berlin 2011, S.305
23 Gottfried von Straßburg: Friedrich Ranke, Tristan. V.15827
24 Ebd. V.15828
25 Gnädinger, Louise: Huidan und Petitcreiu. S.36
26 Gottfried von Straßburg: Friedrich Ranke, Tristan. V.15829
27 Ebd. V.15841
28 Ebd. V.15837
29 Linares, Marina: Kunst und Kultur im Mittelalter. Farbschemata und Farbsymbole. In: Ingrid Bennewitz, Andrea Schindler (Hg.), Farbe im Mittelalter. Materialität - Medialität - Semantik. Band 1, Berlin 2011, S.298
30 Dietz, Reiner: Der ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg. Probleme der Forschung (1902-1970). Göppingen 1974, S.89
31 Ebd. S.90