Kontrafaktische Aussagen über Objekte mit mehreren Namen

Eine Untersuchung von Paradoxien starrer Designatoren


Hausarbeit, 2017

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kripkes Argumentation für Namen als starre Designatoren

3. Kontrafaktische Situationen
3.1 Deskriptivistische Zugeständnisse?
3.2 Relativierung von Identität?

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bertrand Russell behauptet in On Denoting, dass logische Theorien getestet werden sollten, indem man überprüft, ob sie enigmatische Fragen auflösen können. Wenn man über die Logik nachdenke, solle man sich möglichst viele solcher Rätsel vergegenwärtigen, da ihre Funktion der von Experimenten in den Naturwissenschaften ähnlich sei.[1] In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern Saul Kripkes Konzeption starrer Designatoren, die er in seiner Vortragsreihe Name und Notwendigkeit darlegt, eine bestimmte Art solcher Fragen lösen kann. Kripke vertritt die Meinung, dass Eigennamen insofern starre Designatoren sind, als dass sie „in allen möglichen Welten denselben Gegenstand bezeichnen“,[2] dass also keine Umstände denkbar sind, in denen ein Eigenname etwas anderes bezeichnet als das, was er tatsächlich bezeichnet. Daraus folgt, dass Identitätsbeziehungen zwischen zwei Ob­jekten, wenn sie bestehen, notwendigerweise bestehen.[3] In unserer Sprache lassen sich je­doch Sätze bilden, die intuitiv als sinnvoll und vielleicht sogar als wahr verstanden werden können und die gleichzeitig die Kontingenz einer Identitätsbeziehung zu behaupten schei­nen. Die gemeinten Sätze haben die Form ,X hätte nicht Y werden müssen‘ gemeinsam, wobei die Eigennamen X und Y auf denselben Gegenstand referieren. Es drängt sich die Frage auf, inwiefern sich aus Sätzen dieser Art Widersprüche in Kripkes Konzeption star­rer Bezeichnungsausdrücke konstruieren lassen und ob entstehende Paradoxien aufgelöst werden können, ohne dass sein Konzept von Eigennamen als starren Designatoren relati­viert oder aufgegeben werden muss.

Um sich einer Beantwortung dieser Frage zu nähern, wird in einem ersten Schritt Kripkes Argumentation gegen deskriptivistische Theorien der Analyse von Bezeichnungs­ausdrücken in der Tradition Gottlob Freges und Russels dargestellt, aus welcher er seine Konzeption von Eigennamen als starren Designatoren ableitet. In einem zweiten Schritt werden mögliche Einwände gegen Kripkes Auffassung formuliert. Dazu müssen zunächst die Bedeutungsdimensionen von Sätzen der Form ,X hätte nicht Y werden müssen‘ geklärt werden. Weiterhin muss geprüft werden, ob sich dabei angemessene Interpretationen der Sätze finden, die in irgendeiner Weise tatsächlich Kripkes Konzeption von Eigennamen als starren Designatoren und notwendiger Identität widersprechen. In Fällen, in denen solche problematischen Ergebnisse aus der Analyse der Sätze folgen, werden zwei Strategien zur Auflösung der Probleme auf die Probe gestellt. Zunächst wird betrachtet, ob solche prob­lematischen Interpretationen Zugeständnisse an den Deskriptivismus erfordern, gegen den Kripke argumentiert. Anschließend wird eruiert, ob eine Relativierung des Begriffs der Identität mögliche Widersprüche aufheben kann. Dazu werden zum einen Peter Geachs Überlegungen hinsichtlich sortalrelativer Identität und zum anderen George Myros Kon­zept von temporaler Identität in den Blick genommen. Diese beiden Auffassungen sollen ausschließlich daraufhin untersucht werden, ob sie akzeptable Lösungen für die behandel­ten Probleme bereitstellen.

2. Kripkes Argumentation für Namen als starre Designatoren

Kripke argumentiert in seinen Vorträgen gegen die von Deskriptivisten vertretenen sprachphilosophischen Thesen. Der Deskriptivismus wurde in den Schriften von Russell und Frege begründet und in deren Nachfolge von verschiedenen Autoren überarbeitet und vertreten, allerdings in der Zeit bis zu Kripkes Kritik nicht in seinen Grundsätzen revi­diert.[4] Die deskriptivistische Analyse von Eigennamen basiert darauf, dass Namen nicht, wie in John Stuart Mills Theorie, als reine Bezeichnungsausdrücke ohne Konnotation ver­standen werden,[5] sondern als Abkürzungen für bestimmte Kennzeichnungen oder als Trä­ger eines Sinnes, der auf das Referenzobjekt verweist und einen ähnlichen Inhalt wie eine bestimmte Kennzeichnung hat.[6] Eine bestimmte Kennzeichnung ist irgendein Prädikat, das nur auf einen Gegenstand und auf keinen anderen zutrifft. Dieses Prädikat gibt die Krite­rien an, die einen einzigen Gegenstand eindeutig von allen anderen unterscheidbar machen, wodurch eine ambiguitätsfreie Referenz ermöglicht wird. Der Auffassung der Deskriptivis­ten folgend, ist beispielsweise der Name Mount Everest eine Abkürzung für die bestimmte Kennzeichnung ,der höchste Berg der Erde‘.[7] John Searle modifizierte diese Kennzeich­nungstheorie dahingehend, dass er Eigennamen nicht mehr als Stellvertreter für einzelne Eigenschaften verstand, sondern als Abkürzungen für Bündel von Eigenschaften.[8] Diese Revision hielt er für nötig, um die Referenz eines Eigennamens auch in kontrafaktischen Situationen aufrechterhalten zu können.[9] Wenn etwa die Referenz des Namens Mount Eve­rest durch die bestimmte Kennzeichnung ,der höchste Berg der Erde‘ fixiert wäre und sich herausstellte, dass er diese Bedingung nicht erfüllt, sondern eigentlich der K2 der höchste Berg der Erde ist, so würde der Name Mount Everest tatsächlich auf den Berg referieren, den wir K2 nennen. Der Referent des Eigennamens muss in Searles Spielart des Deskriptivis­mus nicht eine bestimmte Eigenschaft besitzen, sondern stattdessen eine hinreichende, nicht näher definierte Menge der Eigenschaften besitzen, die für gewöhnlich mit dem Na­men verbunden werden.[10] Die Referenz des Eigennamens Mount Everest könnte also durch ein aus den Eigenschaften ,höchster Berg der Erde‘, ,8848m hoher Berg im Himalaya1‘, ,erstmals durch Sir Edmund Hilary und Tenzing Norgay bestiegener Berg‘ und unbestimmt vielen anderen Eigenschaften bestehendes Bündel definiert sein.[11] Erweist sich eine Eigen­schaft aus dem Bündel oder eine unbestimmte Menge der Eigenschaften als falsch, wird auf die restlichen verwiesen, welche in diesem Fall die Referenz weiterhin bestimmen sol- len.[12]

Kripke fasst die Position des Deskriptivismus in sechs Thesen zusammen, die er so­dann widerlegen will: Erstens entspreche jeder Name X einem Bündel von Eigenschaften, von denen der Sprecher glaubt, dass der Gegenstand, auf den er mit dem Namen referieren will, sie besitzt. Zweitens glaube der Sprecher, dass dieses Bündel einem einzigen Gegen­stand zukomme. Drittens sei ein Gegenstand α der Referent des Namens X, wenn nur die­ser Gegenstand „die meisten oder eine ausschlaggebende Menge“[13] der vom Bündel defi­nierten Kriterien erfüllt. Viertens referiere der Name X nicht, wenn mit diesem Verfahren nicht genau ein Gegenstand ermittelt werden kann. Daraus folge fünftens, dass der Spre­cher a priori wissen kann, dass wenn X existiert, X die meisten oder eine ausschlaggebende Zahl der Eigenschaften des Bündels hat. Weiterhin resultiere sechstens aus den ersten vier Thesen, dass die Aussage ,wenn X existiert, hat es die meisten oder eine ausschlaggebende Zahl der Eigenschaften des Bündels‘ eine notwendige Wahrheit ist.[14]

Diese Auffassung intendiert Kripke mit drei Argumenten zu widerlegen: einem Moda­largument, einem epistemischen Argument und einem semantischen Argument. Das Moda­largument führt die Überlegungen, die Searle zu seiner Modifikation des Deskriptivismus bewegten, weiter.[15] Während Searle nur soweit ging zu sagen, dass es nicht notwendiger­weise wahr sei, dass ein Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft beziehungsweise mehrere bestimmte Eigenschaften besitze, mit der beziehungsweise mit denen dieser für gewöhnlich definiert werde,[16] hält Kripke die sechste These des Deskriptivismus insofern für falsch, als dass es in keiner Weise notwendig sei, dass ein Gegenstand irgendeine der Eigenschaften habe, die ihm vom Sprecher zugeschreiben werden.[17] Wäre die Spitze des Mount Everest zum Beispiel gesprengt worden, wäre er möglicherweise weder der höchste Berg der Erde noch 8848m hoch und wären Hilary und Norgay, bei ihrem Versuch den Berg zu bestei­gen, gescheitert, hätte möglicherweise jemand anderes den Berg zuerst bestiegen. So ließe sich für jede der Eigenschaften, die einem Gegenstand zugeschrieben werden, eine mehr oder weniger glaubwürdige, aber jedenfalls mögliche Situation konstruieren, in der er diese Eigenschaft nicht besitzt. Auf diese Weise lässt sich zeigen, dass es keineswegs notwendig ist, dass der Mount Everest irgendeine dieser Eigenschaften, die ihm für gewöhnlich zuge­schrieben werden, besitzt. Kripke will dabei nicht behaupten, dass kein Gegenstand ir­gendwelche notwendigen Eigenschaften hat. Er nennt als Beispiele für notwendige Eigen­schaften von Lebewesen deren Abstammung und als notwendige Eigenschaft anderer Ob­jekte deren materielle Konstitution.[18] So sei es nicht richtig, dass ein Mensch andere biolo­gische Eltern haben könnte, als er tatsächlich hat, ohne ein anderer Mensch zu sein, oder dass ein bestimmter Tisch aus einem anderen Material bestehen könnte als aus dem, aus welchem er tatsächlich besteht, ohne ein anderer Tisch zu sein.[19] Diese Eigenschaften sind jedoch für gewöhnlich nicht diejenigen, mit denen ein Sprecher einen bestimmten Gegen­stand herausgreift.

Kripkes epistemisches Argument richtet sich gegen die zweite These des Deskriptivis­mus, welche besagt, dass der Sprecher davon überzeugt sein muss, dass das Eigenschaften­bündel, welches er mit dem geäußerten Namen verbindet, diesem Gegenstand allein zu­kommt und ihn so aus der Menge der Objekte herausgreift. Dies setzt voraus, dass jeder fähige Sprecher für jeden Namen, den er verwendet, Kriterien angeben kann, die den Refe­renten des Namens hinreichend definieren.[20] Als Gegenbeispiel nennt Kripke den Namen Cicero, der als derjenige römische Redner definiert werden könnte, welcher erstmals Catilina öffentlich denunzierte. Diese Eigenschaft trifft nur auf Cicero zu und fixiert dadurch die Referenz des Namens Cicero eindeutig auf die Person Cicero. Dabei müsste sichergestellt sein, dass der Sprecher den Namen Catilina definieren kann, ohne dabei den Namen Cicero zu verwenden. Ansonsten würde sich ein Kreisschluss ergeben, der die Definition wertlos macht. Den Namen Cicero erfolgreich zu verwenden, setzt tatsächlich jedoch nicht voraus zu wissen, dass Cicero als erster Catilina denunzierte. Der Sprecher kann mit dem Namen Cicero die Beschreibung ,irgendein berühmter römischer Redner‘ verbinden, die keineswegs auf einen einzigen Menschen zutrifft, und sich mit seinen Aussagen trotzdem auf Cicero selbst beziehen.[21] Die zweite These des Deskriptivismus scheint also ebenfalls falsch zu sein.

Kripkes semantisches Argument unterminiert die dritte These des Deskriptivismus, die behauptet, dass ein Gegenstand α genau dann der Referent eines Namens X ist, wenn die­ser Gegenstand die meisten oder den ausschlaggebenden Teil der Eigenschaften besitzt, die für gewöhnlich mit dem Namen X verbunden werden. Wenn sich aber zum Beispiel her­ausstellen würde, dass verschiedene Vermessungen von Bergen des Himalayas fehlerhaft waren und in Wahrheit der K2 8849m hoch und damit anstatt des Mount Everests der höchste Berg der Erde ist, träfen die Eigenschaften, die für gewöhnlich dem Mount Eve­rest zugeschrieben werden, auf den K2 zu. Aus der dritten These des Deskriptivismus würde dann folgen, dass alle Aussagen, die verschiedenste Sprecher über den Mount Eve­rest tätigen wollten, in dem Glauben, dieser sei mit einer Höhe von 8848m der höchste Berg der Erde, sich tatsächlich auf den K2 bezogen. Dem ist jedoch nicht so: Die Sätze, die den Namen Mount Everest enthielten, bezogen sich auf den Mount Everest, ob dieser Berg nun wahrhaftig der höchste der Erde war oder nicht, weshalb auch die dritte These zu ver­werfen ist.[22] Die vierte These, welche die Eindeutigkeit der Beschreibung fordert, kann mit einem ähnlichen Beispiel entkräftet werden. Wenn sich herausstellen würde, dass sowohl der Mount Everest als auch der K2 genau 8848m hoch sind, würde aus der vierten These folgen, dass sich das Referenzobjekt von Aussagen, welche den Namen Mount Everest ent­hielten, nicht klar ermitteln lässt.[23] Die Namen würden dann überhaupt nicht mehr auf einen einzelnen Gegenstand referieren. Somit muss auch die vierte These aufgegeben wer­den, da sie zu unakzeptablen Konsequenzen führt.

[...]


[1] Vgl. Russell, Bertrand: On Denoting, in: Mind, Oktober 1905, S. 479-493. S. 484 f.

[2] Kripke, Saul A.: Name und Notwendigkeit, Frankfurt am Main 1981 (=Theorie), (künftig: N&N). S. 59.

[3] Vgl. ebd. S. 125.

[4] Vgl. Fitch, G. W.: Saul Kripke, Chesham 2004 (Philosophy Now). S. 32

[5] Vgl. Mill, John Stuart: A System Of Logic, Ratiocinative And Inductive, Being A Connected View Of The Principles Of Evidence, And The Methods Of Scientific Investigation. New York 18828 (künftig: A System of Logic). S. 40.

[6] Vgl. Russell: On Denoting, a.a.O. (Fn. 1), S. 482. Vgl. Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung, in: Zeit­schrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 100, 1892, S. 25-50. S. 26 f.

[7] Vgl. Russell, a.a.O. (Fn. 1), S. 488.

[8] Vgl. Searle, John: Proper Names, in: Mind, April 1958, S. 166-173. S. 171.

[9] Vgl. ebd. S. 167.

[10] Vgl. ebd. S. 171.

[11] Vgl. Kripke: N&N, a.a.O. (Fn. 2), S. 41.

[12] Vgl. Searle, a.a.O. (Fn. 8), S. 171.

[13] Kripke: N&N, a.a.O. (Fn. 2), S. 85.

[14] Vgl. ebd. S. 85.

[15] Vgl. ebd. S. 88.

[16] Vgl. Searle, a.a.O. (Fn. 8), S. 171.

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. Kripke: N&N, a.a.O. (Fn. 2), S. 129-131.

[19] Vgl. ebd. S. 130.

[20] Vgl. ebd. S. 95 f.

[21] Vgl. Kripke: N&N, a.a.O. (Fn. 2), S. 96.

[22] Vgl. ebd. S. 99.

[23] Vgl. ebd. S. 101.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Kontrafaktische Aussagen über Objekte mit mehreren Namen
Untertitel
Eine Untersuchung von Paradoxien starrer Designatoren
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V369353
ISBN (eBook)
9783668480223
ISBN (Buch)
9783668480230
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kripke, rigid designator, Namen, Notwendigkeit, Metaphysik, Logik, Analytische Philosophie, Sprachphilosophie
Arbeit zitieren
Julian Dressler (Autor:in), 2017, Kontrafaktische Aussagen über Objekte mit mehreren Namen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369353

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