Die nationalsozialistische Politik missbrauchte von Beginn an Medizin und Wissenschaft zur Umsetzung ihrer Ideologie eines "gesunden Volkskörpers". Dabei wurde die Gesundheit des Einzelnen immer weiter verdrängt und es entstand ein weitläufig organisierter und gut strukturierter Apparat, welcher darauf abzielte, eine rassische Auslese im ganzen Land vorzunehmen.
Dieser Apparat bestand aus dem gesamten Gesundheitswesen Deutschlands, sowohl der Ärzteschaft als auch Einrichtungen des Gesundheitswesens, allen voran der Gesundheitsämter. Letztere wurden am 1. April 1935 mit Hilfe des „Gesetz(es) über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" (GVG) vom 3. Juli 1934 erstmals auf staatlicher Ebene eingerichtet.
Doch wie kam es zum Vereinheitlichungsgesetz und weshalb legte man scheinbar plötzlich besonderen Wert auf die Gründung staatlicher Gesundheitsämter, anstatt bei den kommunalen zu verbleiben?
Um die Umformung des Gesundheitswesens nachvollziehen zu können, muss man sich erst mit der nationalsozialistischen Ideologie beschäftigen. Diese setzte voraus, dass man eine sogenannte „völkische Gesundheitspolitik" schafft und nun nicht mehr beim Wohl des Einzelnen verbleibt. Dieses Gedankengut wird oftmals mit der Intellektfeindlichkeit der Nazis erklärt, da stets das Physische betont wurde, weshalb das medizinische Grundprinzip im Dritten Reich als organizistisch und biologistisch bezeichnet wird. Die Seuchenpolitik wurde verstärkt, Müttern und Kindern schenkte man mehr Beachtung, um den gesunden Nachwuchs zu fördern und um das ganze Prozedere abzurunden, wurden sowohl psychisch wie auch physisch kranke Menschen durch die Gesundheitsämter ermittelt, um sie anschließend- auf der Basis des vorher geschaffenen "Gesetz(es) zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" (GzVeN) unfruchtbar machen zu können.
Dieses sogenannte Sterilisationsgesetz, das am 14. Juli 1933 verabschiedet wurde und am 1. Januar 1934 in Kraft trat, erlaubte es, dass Menschen mit gewissen Krankheitsbildern zwangssterilisiert wurden, sofern ein amtsärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand der betroffenen Person vorlag. Das bedeutet also, dass Menschen zur Sterilisierung gezwungen werden konnten. Die Vorgehensweise der Untersuchungen und Gutachtenausstellung für die Eingriffe wird in dieser Arbeit anhand eines konkreten Fallbeispiels über eine Zwangssterilisation aus dem Landeshauptarchiv Koblenz näher analysiert.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Das Gesundheitsamt
- Motive der Verstaatlichung
- Rechte und Pflichten des Gesundheitsamtes
- Rolle der Amtsärzte
- Stellung des Gesundheitsamtes in der Erb- und Rassenpflege
- Umgang mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses"
- Fallbeispiel der E.G.
- Fazit
- Beteiligung der Gesundheitsämter an den rassenpolitischen Maßnahmen
- Beurteilung des Beitrages
- Internationale medizinische Atmosphäre
- Verwendung nicht- medizinischer Indikatoren
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle des Gesundheitsamtes im Nationalsozialismus und beleuchtet, wie diese Institution zur Umsetzung der nationalsozialistischen Erb- und Rassenpflege instrumentalisiert wurde. Im Fokus steht dabei die Frage, inwiefern Gesundheitsämter an der Durchführung von Zwangssterilisationen beteiligt waren und wie sich die Amtsärzte in diesen Prozess einordneten.
- Die Entstehung und Entwicklung des Gesundheitsamtes im Nationalsozialismus
- Die Verstaatlichung des Gesundheitswesens und die Rolle des Gesundheitsamtes in der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik
- Die Umsetzung des "Gesetz(es) zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" durch Gesundheitsämter und die Durchführung von Zwangssterilisationen
- Die Rolle der Amtsärzte bei der Durchführung von Zwangssterilisationen und ihre Verantwortung im Kontext der nationalsozialistischen Rassenhygiene
- Die Analyse und Bewertung der Gesundheitsämter und Amtsärzte im Hinblick auf den damaligen Wissensstand und die wissenschaftlichen Standards
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die nationalsozialistische Gesundheitspolitik und beleuchtet die zentrale Rolle des Gesundheitsamtes in diesem Kontext. Anschließend wird die Entstehung des Gesundheitsamtes im Nationalsozialismus detailliert dargestellt, wobei die Motive der Verstaatlichung, die Rechte und Pflichten des Gesundheitsamtes und die Rolle der Amtsärzte im Mittelpunkt stehen. Im dritten Kapitel wird die Stellung des Gesundheitsamtes in der Erb- und Rassenpflege untersucht, wobei der Umgang mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und ein Fallbeispiel einer Zwangssterilisation im Vordergrund stehen. Das Fazit befasst sich mit der Beteiligung der Gesundheitsämter an den rassenpolitischen Maßnahmen und bewertet den Beitrag des Gesundheitsamtes im Kontext der damaligen internationalen medizinischen Atmosphäre und den verwendeten nicht-medizinischen Indikatoren.
Schlüsselwörter
Gesundheitsamt, Nationalsozialismus, Erb- und Rassenpflege, Zwangssterilisation, Amtsärzte, "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", Rassenhygiene, Eugenik, Medizinische Ideologie, Gesundheitspolitik, Organizismus, Biologismus, "Volkskörper"
- Citar trabajo
- Shabnam Ahmadshahi (Autor), 2016, Medizin im Nationalsozialismus. Die Rolle der Gesundheitsämter bei der Erb- und Rassenpflege, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369622