Wolfgang Mattheuer. Menschenbilder zwischen sozialistischer Utopie und politischer Realität


Masterarbeit, 2013

102 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Spaltung der Ost- und Westkunst nach dem 2. Weltkrieg
2.1 Entwicklung in Westdeutschland
2.2 Hinwendung zum Sozialistischen Menschenbild in Ostdeutschland .
2.2.1 Formalismus-Debatte
2.2.2 Über das marxistisch geprägte Menschenbild
2.2.3 Sozialistischer Realismus

3. Leipziger Schule als künstlerischer Kontext
3.1 Funktion der Leipziger Schule
3.2 Mattheuers Anspruch an die Kunstproduktion

4. Mattheuers Menschenbilder
4.1 Arbeiterbilder
4.1.1 Die Ausgezeichnete
4.1.2 Alter Genosse am Zaun
4.1.3 Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier
4.1.4 Sisyphos
4.2 Ausbruchs- und Panikbilder
4.2.1 Ikarus
4.2.2 Geh aus deinem Kasten
4.2.3 Eingeschneite Aktion
4.3 Resignation
4.3.1 Das tragische Ende eines Unerkannten
4.3.2 Was nun? / Schwebendes Liebespaar
4.4 Verbindung zum Expressionismus und Neuer Sachlichkeit

5. Zwischen Anpassung und Zerrissenheit

6. Fazit

7. Literatur- und Abbildungsverzeichnis

8. Bildteil

9. Anhang

„Die spannungsvolle Reibung zwischen Übereinstimmung und Protest, zwischen Ja und Nein, stimuliert zu realistischer Kunst und schärft den Blick für Wahrheiten.“[1]

1. Einleitung

Die Kunst hat sich in der DDR unter ziemlich einmaligen Bedingungen entwickelt. Ab der Stunde ihrer Gründung wurde der DDR von außen ein Kunstmodell übergestülpt, wodurch die Künstler äußerst einschränkenden Forderungen gegenüber standen.

In der DDR gab es entgegen vieler Vorurteile jedoch nicht nur Auftragskunst. Der in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende Künstler Wolfgang Mattheuer beispielsweise hat sich prinzipiell gegen Aufträge gewehrt. Mattheuer war ein in der DDR anerkannter Künstler, dessen künstlerischen Positionen dennoch etwas offenbaren, was seine teils oppositionelle Haltung zu staatlichen Forderungen auszudrücken vermag. Mattheuers Bilder implizieren generell zwei wesentliche Bildmotive: Er malt Landschaften und Menschen. In dieser Arbeit soll vor allem die Darstellung des Menschen in seinem künstlerischen Werk im Mittelpunkt des Interesses stehen. Hierbei werden insbesondere seine Menschenbilder der 70er und 80er Jahre näher untersucht, wobei ich angesichts der Fülle seines Schaffens den Fokus vor allem auf seine Malerei legen möchte. Der Arbeitstitel „Menschenbilder" wurde bewusst gewählt, da es bei Mattheuer nicht nur das eine gültige Menschenbild gibt, sondern verschiedene Facetten des Menschen präsentiert werden. Zunächst möchte ich in einem ersten Schritt eine geschichtliche Einordnung vornehmen, um die gesellschaftliche Situation der 70er Jahre sowie die Entwicklung hin zur „Weite und Vielfalt" besser verstehen zu können. Die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland nach Kriegsende interessieren mich dabei gleichermaßen. In diesem Zusammenhang erfolgt eine nähere Betrachtung des 1. Darmstädter Gesprächs, durch das in der „Stunde Null" nach dem Zweiten Weltkrieg überaus wichtige Weichen für die Entwicklung zur Abstraktion in Westdeutschland und im Osten als Kontrapart zum westlichen Kulturkonzept gelegt worden sind.

In vertiefter Auseinandersetzung geht es anschließend um das Menschenbild an sich und dabei insbesondere um das marxistisch geprägte, von der SED-Führung angestrebte Menschenbild in der DDR- Kunst. Was macht das sozialistische Menschenbild ganz konkret aus und welchen Inhalt transportiert die in diesem Rahmen geführte und das westliche Kulturkonzept angreifende Formalismus-Debatte?

Wolfgang Mattheuer gehört mit zu den Hauptakteuren der sich zur Hochburg des Sozialistischen Realismus entwickelnden Leipziger Schule. Funktion und Zielsetzungen dieser Schule sollen anschließend näher besprochen werden, bevor es schließlich um Mattheuers eigene künstlerische Position gehen soll. Ausgehend vom Sozialistischen Realismus soll anhand von Mattheuers der Frage nachgegangen werden, inwiefern der Künstler die Vorstellungen der offiziellen Kulturpolitik darüber, wie die im Sozialismus existierende Kunst auszusehen hat, unterwandert hat? An welchen Stellen offenbart sich in Mattheuers Menschenbildern jene in der Literatur häufig artikulierte, subtile Kritik am sozialistischen System? In diesem Rahmen sind die Verwendung von Mythen, Gefühlsregungen, Irritationen und Störungen in den Bilderwelten des Künstlers näher zu untersuchen.

2. Spaltung der Ost- und Westkunst nach dem 2. Weltkrieg 2.1 Entwicklung in Westdeutschland

Das Jahr 1945 wird aus der heutigen Perspektive als Nullpunkt in der deutschen Geschichte beschrieben. Die gesamte Infrastruktur Deutschlands muss nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgebaut werden. Vor 1933 existiert noch ein freieres Experimentieren der verschiedenen Kunststile, vom Expressionismus über das Bauhaus bis hin zur Neuen Sachlichkeit. Die ungehinderte Äußerung jener Stile verschwindet während der Zeit des Nationalsozialismus, in der allein eine „Kunst mit gegenständlichen Formen"[2] von den damaligen Machthabern eingefordert worden ist. In dieser Zeit werden alle fortschrittlich denkenden und arbeitenden Künstler Deutschlands in ihrer Arbeit behindert, sodass es kriegsbedingt und mit den damit einhergehenden Repressionen in der Kunstpolitik zu einem tiefen „kulturellen Bruch"[3] kommt.

Der Krieg hinterlässt allgemeine Unsicherheit, die sich durch die unklaren Ost-West-Verhältnisse im Zuge der Aufteilung unter den Siegermächten zusätzlich verstärkt. Nach dem Ende des Krieges erlangen die Künstler in Westeuropa die Möglichkeit zurück, wieder „frei zu arbeiten, ohne ideologische Zwänge und Bevormundung durch politische Machthaber."[4] [5] Speziell für deutsche Künstler stellt sich ein Neubeginn im Vergleich zu den Nachbarstaaten jedoch als sehr viel schwieriger dar aufgrund der geschichtlichen Ereignisse zu jener Zeit.

In dieser Situation lebt in der Sphäre der Kunst die Diskussion um die Frage auf, „ob gegenständliche oder ungegenständliche Kunst die angemessene künstlerische Ausdrucksform sei, um die Probleme der Zeit adäquat darzustellen. Die allgemeine Funktion der Kunst und die daraus abzuleitende künstlerische Ausdrucksform rücken damit immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Während die gegenständliche Kunst im Westen Deutschlands als „Synonym für das Weiterführen bewährter Traditionen"[6] verstanden wird, begreift man die ungegenständliche Kunst als Symbol für eine wiedererlangte Freiheit nach der nationalsozialistischen Festlegung auf die figürliche Kunst.[7]

In Westdeutschland kommt es nach Kriegsende somit immer offenkundiger zu Auseinandersetzungen um die ungegenständlichen Entwicklungstendenzen in der Bildenden Kunst. Für die figürliche Malerei setzt sich insbesondere der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr ein, während der Künstler Willi Baumeister als Exponent der ungegenständlichen Kunst anzusehen ist.[8]

Im Protokoll des „Ersten Darmstädter Gespräches" von 1950, das im Rahmen der Ausstellung „Das Menschenbild unserer Zeit" stattfindet und das bereits aufgrund des Ausstellungstitels für die vorliegende Arbeit interessant erscheint, lässt sich diese konfliktreiche Diskussion gut nachzeichnen. Es folgen zunächst Verweise auf das von Sedlmayr im Jahre 1948 veröffentlichte, kulturphilosophische Buch „Verlust der Mitte", in dem die Kunst generell als Symptom der Zeit aufgefasst wird und das moderne Menschenbild wie folgt beschrieben werden muss:

„Seit den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts breitet sich mehr und mehr das Nichts um den Menschen und in ihm aus, am Beginn des 20. Jahrhunderts erscheinen Richtungen, die ein unentstelltes Menschenbild gar nicht mehr geben können oder wollen."[9]

Sedlmayr, der seine Professur auf dem Wiener Lehrstuhl nach Kriegsende wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP verloren hat, konzentriert sich in seinem Beitrag auf die eklatanten Gefahren, die von der modernen Kunst ausgehen.[10] Im „Ersten Darmstädter Gespräch" unterstreicht er die Gefahr bzg[11]. der Frage, „ob die Einbindung der Kunst in die Gemeinschaft nicht in unserer Zeit eine mehr als problematische geworden ist [,..].“ Die Vergangenheit zeige schließlich, wohin es führen kann, wenn die Kunst zum „schlechthin höchsten Wert erklärt wird“'[12], ohne jegliche Anerkennung über ihr stehender, ethischer oder auch kosmischer Werte. Der Kunsthistoriker betrachtet die Kunst als Seismograph für den Zustand des Menschen. Er stellt in dem Zusammenhang folgende Frage: [13] „Wie weit spiegeln sich spezifische Gefährdungen des Menschenbildes in unserer Zeit im Medium der Kunst wider?

Sedlmayr unterscheidet zwischen einem optimistischen und pessi­mistischen Menschenbild in der Kunst und betont in dem Zusammenhang, dass insbesondere das optimistische Bild des Menschen mit seinem Fokus auf die Möglichkeiten des Fortschritts und ein „säkularisiertes Paradies hier auf Erden“[14] als wichtigster Motor gesellschaftlicher Revolutionen des Jahrhunderts gegolten habe.

Gleichzeitig sei in Bezug auf die Gegenwart, wobei er gleichzeitig diagnostisch das Verhalten der Menschen als „ein teilnahmsloses Beobachten und in weitestem Sinn Fühllosigkeit“[15] implizierend beschreibt, von einem zunehmend pessimistischen Menschenbild auszugehen, das sich als Antwort darauf und im Kontrast dazu fast schon wie selbstverständlich ausbilde. Ebenso würde dem „ganz kollektivierten Menschen [nun] der anarchistische Mensch“[16] antworten. Sich von dem „Bild des heiligen und des Gottmenschen“ weg bewegend, nehme schlussendlich die Darstellung des Dämonischen im Menschen immer mehr zu. Sedlmayrs Perspektive erweist sich durchaus als interessant für Mattheuers Umgang mit dem Menschen in seiner Kunst, wie zu zeigen sein wird.[17]

Der vordergründig abstrakt arbeitende Künstler Willi Baumeister andererseits nun entfernt sich komplett von der figürlichen Malerei und verweist auf internationale Tendenzen zu jener Zeit, die ein anderes Ziel als das von Sedlmayr theoretisch Angeführte verfolgen:

„Während wir unsere Referate sprechen, geht die Kunstproduktion in der Welt unentwegt weiter, und zwar mit mächtigem Elan ins Abstrakte. Diese Bewegung, die in Deutschland nachhinkt, ist durch theoretische Überlegungen nicht aufzuhalten.“[18]

Baumeister stellt die Entwicklung in die Abstraktion im internationalen Vergleich als vollkommen zeitgemäß dar. In seinem Bemühen um geistige Universalität stellt er den Kreis bzw. die Kugel als „die Urform aller Formen“'[19] heraus: „Nach allen Seiten gleichmäßig Kräfte austeilend, sogar ohne Oben und Unten [...] Die schwebende Kraft ist höchste Form.“[20] Hinsichtlich gegenständlicher Darstellungen kritisiert er „Erdenschwere“[21] ' und damit unfreie, unlebendige Statik.

Haben die Befürworter gegenständlicher Kunst demnach einfach Angst vor einem Kontrollverlust? Mit einer „dramatisch kulturkritische[n] Geste“[22] perhorresziert Sedlmayr ein „konfliktträchtiges Problem [...], nämlich die Entgrenzung der Kunstgattungen und die Angst vor dem Chaos eines Schaffens, das durch humanistische Leitideen nicht mehr gezügelt wäre M“[23]

Ebendiese Schwierigkeit lässt sich auch in Ostdeutschland beobachten. Abstrakte Tendenzen werden hier anfangs noch toleriert: Die von den Nazis verdrängte non-figurative Kunst erlebt während des antifaschistischen Beginns im Jahre 1946 bei der Ersten Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung in Dresden eine kurze Rehabilitierung. Auch abstrakte Arbeiten von Willi Baumeister sind hier zu sehen. Jedoch bleibt die öffentliche Zustimmung eines größeren Publikums, „das sicher auchandere Sorgen hatte"[24], aus. In der Folge wird für den erzwungenen Umschwung der Kulturpolitik das „Drohwort von der 'Volksferne'"[25] gerechtfertigt, sodass der Anschein einer kulturellen Offenheit innerhalb der sowjetischen Besatzungszone ziemlich schnell wieder verloren geht und im Osten Deutschland andere Ziele verfolgt werden.

2.2 Hinwendung zum Sozialistischen Menschenbild in Ostdeutschland

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht des nationalsozialistischen deutschen Staates hängt die zukünftige Struktur Deutschlands von den Siegermächten ab.[26] Während in der Bundesrepublik insbesondere auch vor dem Hintergrund des US- amerikanischen Einflusses der Schwerpunkt also angesichts eines kritischen Blickes auf die figurative Malerei zunehmend auf abstrakter Kunst liegt, wird in der sich etablierenden DDR in Ostdeutschland davon ausgegangen, dass die Kunst politisch und realistisch und dabei ganz im Sinne der Volksnähe zu sein habe.[27]

Die Künstler sollen den kulturpolitischen Funktionären zufolge ihren Blick no stets optimistisch in die Zukunft richten.[28] Walter Ulbricht, von 1950 bis 1971 an der Spitze des Zentralkomitees der SED stehend, fordert in diesem Zusammenhang Folgendes:

„Im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens muß der neue Mensch stehen, der Kämpfer für ein einheitliches, demokratisches Deutschland. Indem der Künstler dieses Neue, dieses Fortschrittliche in der Entwicklung der Menschen gestaltet, hilft er mit, Millionen zu fortschrittlichen Menschen zu erziehen."[29]

In der DDR entstehen folglich insbesondere Bilder mit Szenen aus der Arbeitswelt, in denen die Arbeiter als „überlegen, selbstbewußt, optimistisch und als aktive Kämpfer dargestellt werden. Ferner rücken Kollektiv- und Familienbilder, die Familie wird als kleinste sozialistische Zelle des Kommunismus betrachtet, immer mehr in den Fokus bei der künstlerischen Produktion. Der Abstraktion wird in Ostdeutschland hingegen der Kampf angesagt.

Im Hinblick auf die politischen Entwicklungen jener Zeit sei an dieser Stelle anzuführen, dass zum Wesen des Politischen gehört, Abgrenzungen zum Anderen zu ziehen, Freund-Feind-Konzepte aufzustellen, um die eigene politische Gemeinschaft zu konsolidieren.[30] [31] Ebendiese Entwicklung vollzieht sich auch im kulturpolitischen Bereich und zeigt die enge Verzahnung von Kunst und Politik. Der trennende Blick wird eingesetzt, um ganz im Sinne des Soziologen Max Webers den Idealtypus einer homogenen Volksgemeinschaft zu etablieren. Der Idealtypus ist dabei zu verstehen als „einheitliche[32] ] Gedankenbilde“ [33], wobei dieses Gedankenbild in seiner begrifflichen Reinheit eine Utopie ist, dass „nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar ist.

Dem muss hinzugefügt werden, dass die „vereinfachende Aufteilung“[34] in eine (freiheitliche) und eine (zwanghafte) gegenständliche Kunstwelt einer „kulturell bi-polar aufgeteilten Welt des 'Kalten Krieges'“[35] entspricht. Die Bildenden Künste spielen bei dem „Zukunftsentwurf einer gesellschaftlichen Erneuerung“[36] eine außerordentliche Rolle. Gerade auch in der Anfangszeit des Bestehens der DDR kommt ihnen in diesem Rahmen eine überaus bedeutende Erziehungsfunktion zu.

In Ostdeutschland etabliert sich vor dem Hintergrund der Sowjetischen Besatzungsmacht zunehmend der Wunsch nach einem Sozialistischen Menschenbild und in dem Zusammenhang auf der kulturellen Ebene das

Streben nach dem Sozialistischen Realismus. So bemüht sich die KPD und ab 1946 die SED einzig und allein darum, „ihr Kulturprogramm als 07 Leitlinie durchzusetzen.“[37]

Anfänglich kann man noch eine gewisse Liberalität und Offenheit in der Sowjetischen Besatzungszone feststellen. Wilhelm Pieck, Vorsitzender der KPD zu jener Zeit, postuliert in einer Rede die uneingeschränkt geltende Freiheit im künstlerischen Schaffen.[38]

Schnell zeigt sich jedoch, dass die eigentliche Funktion der Kunst eine politische sein sollte, nämlich in der Hinsicht, ein neues, sozialistisch geprägtes Bewusstsein zu stärken. Um ein allgemeines Verständnis hierfür zu fördern, sieht die politische Führung keine andere Alternative zu der angestrebten Ausdrucksform des Sozialistischen Realismus.[39] In der Folge werden „ästhetische[...] Normierungsdebatten“[40] geführt, was gleichzeitig und zwangsläufig zu Konflikten mit den Künstlern und ihrem eigenen Verständnis von Kunst führen muss.

2.2.1 Formalismus-Debatte

Anfang der 50er Jahre wird in der DDR eine Kulturdebatte geführt, die eine klare Abgrenzung der DDR-Kunst zum Ziel hat und die in der Folge die Freiheiten der Künstler der DDR erheblich einschränkt.[41] Vor der Volkskammer der DDR unterstreicht Walter Ulbricht im Jahr 1951 in scharfem Ton:

„Wir wollen in unseren Kunstschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen [...] Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niederganges ist, steht in schroffstem Widerspruch zum neuen Leben in der Deutschen Demokratischen Republik.“[42]

Der Angriff gilt der formalistischen Ausrichtung in der Kunst; diese wird seitens der DDR-Machthaber als Zeichen des kulturellen Verfalls gewertet.[43] Als formalistisch gelten der Impressionismus sowie der Formalismus, der sich vor allem im Kubismus, Expressionismus, Futurismus, der Neuen Sachlichkeit und dem Surrealismus zu zeigen vermag.[44]

Hier wird bereits die besondere Einstellung zum Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und Surrealismus deutlich, die im Laufe der DDR-Zeit jedoch einigen Änderungen unterworfen ist. Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 kommt es in der DDR bereits wieder zu leichten Lockerungen in der Kultursphäre: Dadurch wird der Expressionismus beispielsweise kunsthistorisch anerkannt, auch wenn er dennoch nicht als kulturelles Vorbild anzusehen war.[45] Lediglich abstrakte und experimentelle Kunst werden weiterhin als „bürgerlich dekadent" bezeichnet und damit abgelehnt.[46]

Insbesondere durch den russischen Kunstfunktionär Major Alexander Dymschitz initiiert, entbrennt in Ostdeutschland die so genannte Formalismus-Debatte. Nach Dymschitz seien die beobachteten formalistischen, gegen-figürlichen Tendenzen der Nachkriegszeit ein „typischer Ausdruck der bürgerlichen Dekadenz"[47], welche eine fortschreitende Entwicklung des Individualismus impliziere, alles andere als volksverbunden sei und eine sich selbst auflösende Kunst zur Folge AQ haben müsse.[48] Schließlich verlöre der nach schöpferischer Freiheit strebende Künstler jeglichen Kontakt zum Kollektiv, dessen Interessen der Künstler zu dienen habe.[49]

„Wir müssen uns mit ihnen [diejenigen, die nach Dymschitz den falschen Weg gehen; Anm. d. Rede] auseinandersetzen, um sie auf den Weg der Freiheit, auf den Weg einer demokratischen und realistischen Kunst zurückzuführen.“[50]

Der Druck der Partei wird zu dieser Zeit immer stärker, im Sinne des Sozialistischen Realismus und nur dafür künstlerisch tätig zu sein. Jegliche Negierung des Realismus führe demgegenüber „zu grenzenloser СЛ Verarmung des künstlerischen Schaffens.

Auf Dymschitz' Aufsatz reagierend, betont der SED-Kulturfunktionär Stefan Heymann in dem Zusammenhang, dass es in den Unsicherheiten der Nachkriegszeit normal sei, dass die Menschen nach einem Halt suchten.[51] Kritisch merkt aber auch er zum Formalismus an:

„Die einen gehen in die Kirche, die anderen schließen sich irgendwelchen wundergläubigen Sekten an. Im Bereich der Kunst entwickelt sich ein Formalismus. Künstler, Wissenschaftler, Ärzte und Juristen klammern sich oft an leere Formen, weil sie keinen lebendigen Inhalt gestalten können.“[52]

Als Basis des Formalismus, dieser laut Heymann inhaltslosen, leeren Formen, betrachtet er die l'art pour l'art - Bewegung, weil dadurch eine Schließung der einzelnen Bereiche ohne Überschneidungen und ohne gegenseitige Unterstützungen erfolgt sei. Die Künstler arbeiteten in diesem Kontext nur für sich, „das eigene Gebiet erscheint als das co Entscheidende, und alles andere ist nebensächlich.“[53] Der Realismus sei auf der anderen Seite „die einzig mögliche, aber auch die wirklich objektive - weil gesellschaftlich bedingte - Ästhetik.“54 Er existiere eben nicht losgelöst von der Gesellschaft und sei damit auch für die Arbeiterklasse verständlich.55

2.2.2 Über das marxistisch geprägte Menschenbild

Bevor es im Folgenden konkret um das durch den Marxismus-Leninismus geprägte und für die Etablierung des Sozialistischen Realismus so grundlegende Menschenbild gehen soll, steht zunächst die Frage nach der Bedeutung des Menschenbildes an sich im Zentrum der Analyse. Bei diesem Topos handelt es sich ganz allgemein um eine soziale Konstruktion, die der Reduktion von Komplexität (und damit erneut der Errichtung eines Idealtypus) dienlich ist.[54]

Das Menschenbild ermöglicht gleichermaßen die „Legitimation normativer C-7 Neu- und Sollbestimmungen des Menschen"[55], womit auf die mächtige Wirkung gesellschaftlicher Kommunikation verwiesen wird. Es impliziert normative Vorstellungen darüber, welchen Werten der Mensch folgen solle - wobei, so wird sich zeigen, deren Wandel nicht ausgeschlossen wird.

„Unter einem Menschenbild verstehen wir alle Vorstellungen, die sich Menschen, einzelne oder Gruppen, über sich selbst, über andere, über ihre gegenseitigen Beziehungen und über ihre Stellung in der Welt machen."[56]

Mit der Hilfe von Menschenbildern definieren Menschen sich selbst bzw. ihre Mitmenschen und sozialen Beziehungen zueinander.[57] Das Menschenbild dient der Abgrenzung von anderen Gruppen und ist damit auch für die DDR-Führung sehr dienlich. Der Philosoph Ernst Cassirer vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass der Mensch weniger in einer natürlichen, sondern vielmehr in einer „durch Symbole selbstgeschaffenen kultürlichen Umwelt"[58] lebt. Vorstellungen von der Welt und den darin lebenden Menschen sind dabei wichtiger als die Dinge an sich.

Der Mensch lebt demnach in einer symbolischen Welt, er kann diese nur noch mittels Symbolen und dadurch lediglich indirekt erfahren. Der Kunst kommt dabei bei der Vermittlung von Vorstellungen, in dieser Hinsicht bei der Vermittlung eines anzustrebenden Menschenbildes, eine heraus­ragende Rolle zu.

In welchem Ausmaß können erwünschte Menschenbilder über die gesellschaftliche Wirklichkeit gestülpt werden, sodass die „oktroyierte Bilderwelt als wirkliche Wirklichkeit erscheinen"[59] kann? Die Wirkung der Darstellung des Menschen führt zu verschiedenen Meinungen. Die Produktion von einem Menschenbild impliziert nach dem Anthropologen Arnold Gehlen in der Kunst einige Probleme.[60]

Die „politische Effektivität der Malerei [sei] mit der der Dichtung oder gar der Wissenschaft nicht [zu] vergleichen."[61] Weiter heißt es: „Über den Menschen dieser Zeit kann man sich beim Soziologen, beim Politiker, Arzt, Psychologen unterrichten, nicht beim Künstler."[62] Gehlen spricht der Kunst damit nicht die Macht zu, politische Wirksamkeit zu unterstützen. Gleichzeitig sei jedoch anzumerken, dass Gehlens Perspektive auf das Verhältnis von Kunst und Politik auf das der Bundesrepublik konzentriert ist, in der den Künstlern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eben „kein autoritativer Auftrag"[63] seitens der politischen Machthaber erteilt worden ist. Die politischen und ästhetischen Voraussetzungen, so konnte bereits verdeutlicht werden, sind in der DDR gänzlich andere als in Westdeutschland: Wenn überhaupt Menschliches, wird in West­ deutschland vor allem das deformierte, entstellte Menschliche in der Kunst gezeigt.

Der politische Auftrag, der an die Kunst geknüpft ist, ist in Ostdeutschland sehr viel stärker ausgeprägt, sodass hier auch der Wirkungsmacht bzw. politischen Effektivität der Malerei völlig andere Dimensionen zugeschrieben werden müssen.

In dieser Arbeit steht das sozialistische Menschenbild im Zentrum der Analyse. Aus marxistischer Sicht gelingt der Zugang zu einer wissenschaftlichen Persönlichkeitstheorie, wenn man sich näher mit den "materiellen Existenzbedingungen"[64] der Individuen beschäftigt. Im sozialistischen Staat werden die theoretischen Überlegungen von einem „[...] dialektischen Materialismus zu einer regelrechten Ästhetik ausgebaut.“[65]

Die marxistisch-leninistische Theorie glaubt dabei im Besitz wesentlicher historischer Gesetze zu sein.[66] Die 6. These über Feuerbach, von Marx im Jahre 1845 aufgegriffen, liefert einen entscheidenden Anhaltspunkt für ein tieferes Verständnis des materialistischen Persönlichkeitsbegriffes und damit des marxistischen Menschenbildes:

"Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse."[67]

Ausgegangen wird beim marxistisch geprägten Menschenbild vom Menschen als "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse."[68] Auch im Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Basisstudium der DDR von 1974 wird die bereits erwähnte Feuerbach-These als Basis für den Begriff der Persönlichkeit angeführt.

Marx und Engels benutzen für die Beschreibung des Verhältnisses der Menschen in der kapitalistisch geprägten Gesellschaft den von Hegel und Feuerbach verwendeten Begriff der Entfremdung, den sie als „ökonomische Tatsache"[69] definieren:

„[I]ndem der Arbeiter seine Arbeitskraft an den Kapitalisten verkauft, wird er seiner eigenen Tätigkeit, deren Produkt, der Natur und seinen Mitmenschen sowie der ganzen Gesellschaft entfremdet."[70]

Der Mensch sei danach kein aktives, gesellschaftliche Veränderungen evozierendes Wesen, sondern im Sinne der kapitalistischen Produktionsweise passiv im Produktionsprozess und misstrauisch gegenüber den ihn umgebenden, fremden Menschen. Dies wird an dieser Stelle in solcher Ausführlichkeit erläutert, weil, so wird man später sehen, Mattheuer mit jenem Gegensatz zwischen Aktivität und Passivität des Menschen in seinem künstlerischen Oeuvre zu spielen vermag.

Die Entwicklung des Menschen ist aus marxistisch geprägter Sicht ergo gesellschaftlich und damit von außen determiniert, was zwangsläufig eine soziologische Reduzierung des Menschen bedeutet. Indem die Gesellschaft und insbesondere das Kollektiv als die Menschen zusammenhaltendes Element in den Mittelpunkt gerückt wird, erfolgt gleichzeitig eine Verdrängung des Individuums, seiner „Natur, [...] Gefühle, [...] Unter- und Unbewußtes."[71]

Im Sinne des Marxismus-Leninismus und der „brüderlich vereinte[n] Menschengesellschaft"[72] soll der Mensch in der Folge zur Überwindung der Entfremdung von der Gesellschaft die Bedürfnisse der Gesellschaft zu seinen eigenen machen, was die Verdrängung des Individuums und seiner eigenen Bedürfnisse und Wünsche noch zusätzlich unterstreicht.

Ein Satz von Grundnormen, wie bereits erwähnt eine überaus wichtige Basis für die Etablierung eines Menschenbildes in einer Gesellschaft, impliziert das marxistische Menschenbild[73], welche die Soll­Bestimmungen des Menschen ausdrücken: Die moralisch-politische Wertsphäre bildet in der Hinsicht den zentralen Teil des sozialistischen Menschenbildes und verdeutlicht den enormen Anpassungsdruck, dem die Menschen in der DDR unterworfen werden.

Zu den vier grundlegenden, normativen Grundprinzipien gehört das schon angedeutete Prinzip des Kollektivismus: Die sozialistische Gesellschaft kenne keinen Individualismus, dieser sei vielmehr Basis der egoistischen Bourgeoisie.[74] Daneben ist beim Prinzip des sozialistischen Humanismus erklärtes Ziel, dass die Menschen ihre Fähigkeiten stets zum Allgemein­wohl einsetzen sollten.

Durch das Prinzip des sozialistischen Internationalismus und Patriotismus wird ferner die politische Herrschaft der Sowjetunion zu einem „moralische[n] Muß"[75] für die DDR-Bürger. Der Patriotismus ist dabei wiederum als moralische Aufforderung zu verstehen; die politische Forderung, die DDR zu unterstützen, wird zur moralischen Norm und verdeutlicht insgesamt das eng geschnürte, die Menschen zur Einhaltung der Norm zwingende Parteiprogramm der SED.

Schließlich wird das Prinzip der sozialistischen Einstellung zur Arbeit angestrebt. Dabei handelt es sich um das „Herzstück"[76] des sozialistischen Menschenbildes. Moralische Werte wie soziales Verantwortungsgefühl und Diszipliniertheit werden gleichermaßen an politische Forderungen geknüpft: Es gehe dabei maßgeblich darum, sozialistisch zu arbeiten, um am Aufbau des Sozialismus entscheidend mitzuwirken.

Im SED-Programm von 1963 werden darüber hinaus die so genannten zehn Gebote der sozialistischen Ethik und Moral als Soll-Bestimmungen etabliert, welche zur offiziellen Basis des sozialistisch ausgerichteten Menschenbildes avancieren.[77] 2.2.3 Sozialistischer Realismus

Wie sieht die Kunst aus, die ein solches soeben erläutertes, sozialistisches Menschenbild unterstützt und jene Entwicklung in diese Richtung vorantreibt? Die künstlerische Tendenz wandert in der DDR hin zum Sozialistischen Realismus und damit zu „narrativer Gegenständlichkeit."[78]

Der Begriff des Sozialistischen Realismus taucht erstmalig 1932 in einer Moskauer Literaturzeitschrift auf. Anlässlich des ersten Kongresses der Schriftsteller wird er zwei Jahre später auch inhaltlich konkretisiert: Andrei Schdanow, Stalins wichtigster Kunstideologe zu jener Zeit, ruft in diesem Rahmen die Schriftsteller auf, sich allein zu sozialistischen Themen zu bekennen: „Wenn der Künstler das Leben richtig darstellen will, muss er QH zwangsläufig die Entwicklung zum Sozialismus sehen und aufzeigen."[79] Die Darstellung des Menschen steht in der Ideologie des Sozialistischen Realismus ergo im Zentrum: Die Kunstwerke sollen dabei im Sinne der Volksverbundenheit stets puren Optimismus und Fortschrittsglauben ausstrahlen

„Der Sozialistische Realismus [...] orientiert sich an etwas, das noch nicht ist, aber geschaffen werden soll, und insofern ist der der Erbe der Avantgarde, für die das Politische und das " oo Ästhetische ebenfalls zusammenfallen. Nach Boris Groys ist der Sozialistische Realismus sogar nichts anderes als „die konsequente, radikale Fortsetzung der Avantgarde mit anderen О A Mitteln."84 Beide Phänomene, auch wenn sich die Russische Avantgarde eher an abstrakten Tendenzen jener Zeit orientiert, implizieren den Wunsch nach einer Weltneuerschaffung und einer schöpferischen Umgestaltung des Menschen.

Bei dem Sozialistischen Realismus handelt es sich um eine künstlerische Methode, die sich eng an den Zielen der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion orientiert.86 Diese Form der Gestaltung verdrängt 1928 schließlich die Russische Avantgarde und richtet ihre künstlerische bzw. theoretische Leitlinie ab 1932 an der Widerspiegelungstheorie Lenins aus.87 Nach der Lehre marxistischer Klassiker sich auf dem Weg zum Kommunismus als Endziel befindend, wird seitens der parteigemäßen Kunsttheorie immer wieder gefordert, in der bildnerischen Darstellung den Fokus insbesondere auf die "Zukunftsperspektive der vollständigen Aus Lenins Widerspiegelungstheorie lassen sich ganz konkrete Inhalte für die sozialistische Kunst ableiten. Jegliche Form der Kunstproduktion entspringt hiernach aus der Abhängigkeit von sozialen und ökonomischen Entwicklungen einer Gesellschaft, wobei hier wiederum die Determination von außen überaus stark betont wird:

"[D]ie Widerspiegelung der Wirklichkeit im Bewusstsein (des Künstlers) hänge letztlich von einer Klassenposition innerhalb der jeweiligen historischen Gesellschaft ab; die entsprechende Kunst sei Klassenkunst und politisch-ideologisch funktionell.”[80]

Lenins Widerspiegelungstheorie zufolge sei die Erkenntnis der Umwelt nicht nur mit der Abbildung der Erscheinung, der „Oberfläche der Wirklichkeit"[81], sondern stets mit einer gedanklichen Tätigkeit verbunden, worin die Erkenntniskraft mittels der Kunst liege.[82] Idealerweise gelingt den Künstlern ebendieses „anschauliche[...] Widerspiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse"[83]: „'Realismus' und 'Widerspiegelung' wurden vielmehr auf die gesellschaftlich-historische 'Wahrheit' bezogen. Unterhalb der Erscheinungsebene bahne sich, weithin noch unbemerkt, das gesellschaftlich Neue an."[84]

Es sollte ergo nicht die äußere, sichtbare Wirklichkeit, sondern das Wesen der Dinge, die innere Wirklichkeit dargestellt werden: Dies impliziert die „Fähigkeit, sich innerlich mit dem Willen der Partei und Stalins zu identifizieren"[85], wobei aus dieser inneren Symbiose heraus „ein Modell jener Wirklichkeit [geschaffen werden sollte], auf deren Errichtung der Wille gerichtet ist."[86]

Der Sozialistische Realismus möge demnach eine “zukunftsorientierte, gesellschafts- und parteifunktionale Programmierung erhalten.”[87] Als Teil des Überbaus wird die Kunst dadurch als “Waffe im Klassenkampf des sozialistischen Systems gegen den Kapitalismus”[88] zur ideologischen Erziehung instrumentalisiert. Von den Künstlern wird erwartet, in den Kunstwerken die gesellschaftliche Realität, allerdings ganz im Sinne der Partei darzustellen.[89]

Unter Stalins Führung erleben die Genres der Portrait-, Historien-, Landschaftsmalerei und Stilleben eine Renaissance. Neben der Aufgabe, den Personenkult zu unterstützen, sollen sich die Künstler insbesondere auch auf die Darstellung des typischen sozialistischen Menschenbildes - „d. h. das schöne, harmonische“[90] - konzentrieren. Die Kunst bekommt die Funktion zugeschrieben, die ästhetischen Bedürfnisse der Masse durch Bilder von einer scheinbar heilen Welt zu befriedigen.[91] Konfliktfreie Normalität dominiert die Bilderwelt des Sozialistischen Realismus. Allgemeine Verständlichkeit erhält die oberste Priorität: „Der einfache Mensch und das einfache Leben werden mit verständlichen, sozusagen selbstverständlichen Mitteln zum bevorzugten Gegenstand der Kunst.“[92]

Kunstwerke, die das offiziell gezeichnete Bild der Wirklichkeit bzw. die das herrschende System kritisch durchleuchten, werden ergo aus der Sphäre der Öffentlichkeit verbannt. Normen werden etabliert, um das oktroyierte Bild des Menschen zu stabilisieren. Die Kunsthistorikerin Karin Thomas bringt jene Entwicklung treffend auf den Punkt:

„Doch gerade diese Erwartung resultiert aus der Kluft zwischen gesellschaftlichem Sein und behauptetem Sollen, aus der geleugneten Differenz zwischen erlebter Realität und verkündetem Anspruch. Bestünde dieser Widerspruch nicht, dann bedürfte es auch nicht der Normierung."[93]

Als Kunstbegriff aus der Stalinzeit bleibt der Sozialistische Realismus stets eine sehr widersprüchliche Erscheinung: Die insbesondere in den 30er und 40er Jahren verwendeten heroischen, monumentalen Bildmotive haben mit der alltäglichen Realität offensichtlich so gar nichts zu tun.[94] Die durch den Sozialistischen Realismus transportierten Bildinhalte erfahren erst nach Stalins Tod leichte Transformationen; die Bilder verlieren in der Folge immer mehr an „beschönigende] Leichtigkeit und scheinen in den Ernst des Alltags einzukehren."[95] in seiner fortschreitenden Entwicklung setzt sich zunehmend der Eklektizismus durch, „als eine Zeit ohne stilistische Einheit in der Malerei"[96], in der kritische Künstler immer mehr Aufmerksamkeit zugesprochen bekommen.

Künstlerische Folgen des Sozialistischen Realismus zeigen sich, wie bereits angedeutet, insbesondere auch außerhalb Russlands. Die 3. Deutsche Kunstausstellung von 1953 gilt als außerordentlich wichtiges Ereignis auf dem Weg zum Sozialistischen Realismus in der DDR.[97] Der Großteil der dort ausgestellten Werke zeigt das „Typische" hinsichtlich der Forderungen des Sozialistischen Realismus, was den Schwerpunkt des Sozialistischen Realismus zu Beginn der 50er Jahre ausmacht. Im Hinblick auf das „Typische" tritt wieder die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung zutage: Das Wesen, also das „Sein-Sollende[98] " werde dabei mithilfe der Kunst nach außen, an die Oberfläche der Erscheinungen gebracht.

[...]


[1] Mattheuer, Wolfgang: Tagebuch-Eintrag, Juni 1975. Zit. nach: Schönemann, Heinz: Wolfgang Mattheuer. Leipzig 1988, S. 280.

[2] Evers, Hans G.: Das Menschenbild in unserer Zeit. 1. Darmstädter Gespräch. Darmstadt 1950, S. 29.

[3] Fath, Manfred (Hrsg.): Menschenbilder. Figur in Zeiten der Abstraktion (1945 - 1955). Städtische Kunsthalle Mannheim. Ostfildern 1998, S. 9.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Fath, Manfred 1998, S. 10.

[7] Vgl. ebd.

[8] Vgl. ebd.

[9] Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. West-Berlin 1956, S. 123.

[10] Vgl. Evers, Hans 1950, S. 48 ff.

[11] Evers, Hans 1950, S. 52.

[12] Ebd., S. 54.

[13] Ebd., S. 49.

[14] Ebd.

[15] Ebd., S. 14.

[16] Ebd., S. 50.

[17] Sedlmayr, Hans 1956, S. 122.

[18] Evers, Hans 1950, S. 146.

[19] Ebd., S. 152.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul (Hrsg.): Abstraktion im Staatssozialismus. Weimar 2003, S. 50.

[23] Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S.58.

[24] Ebd.

[25] Vgl. Pohl, Edda: Die ungehorsamen Maler. Über die Unterdrückung unliebsamer bildender Kunst in der DDR 1945 - 1965. Berlin 1978, S. 15.

[26] Vgl. Pohl, Edda 1978, S. 16.

[27] Vgl. ebd.

[28] Ulbricht, Walter, Zitat aus Braasch, Helmut: Walter Ulbricht zum 60. Geburtstag, Bildende Kunst 1953, H. 3, S. 5. Zit. nach: Pohl, Edda 1978, S. 16/17.

[29] Pohl, Edda 1978, S. 17.

[30] Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S. 16.

[31] Müller, Hans-Peter: Max Weber. Eine Einführung in sein Werk. Köln 2007, S. 64.

[32] Ebd.

[33] Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S. 21.

[34] Ebd.

[35] Ebd., S. 17.

[36] Vgl. Fath, Manfred 1998, S. 15.

[37] Vgl. ebd.

[38] Vgl. ebd.

[39] Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S. 17.

[40] Vgl. Fath, Manfred 1998, S. 10.

[41] Ulbricht, Walter: Neues Deutschland vom 01.11.1951. Zit. nach: Rehberg, Karl-Siegbert 2003, S. 48.

[42] Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S. 28.

[43] Vgl. Pohl, Edda 1978, S. 24.

[44] Vgl. ebd.

[45] Vgl. ebd.

[46] Dymschitz, Alexander: Über die formalistische Richtung in der deutschen Malerei. Tägliche Rundschau vom 19. und 24.12. 1948. In: Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S.269.

[47] Vgl. ebd., S. 270.

[48] Dymschitz, Alexander: Über die formalistische Richtung in der deutschen Malerei. Tägliche Rundschau vom 19. und 24.12. 1948. In: Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S.269.

[49] Ebd., S. 271.

[50] Heymann, Stefan: Die Gefahr des Formalismus. Einheit, 4 (1949), H. 4, S. 341-350. In: Rehberg, Karl-Siegbert / Kaiser, Paul 2003, S. 277.

[51] Ebd.

[52] ebd., S. 278.

[53] Ebd.

[54] Vgl. ebd., S 280.

[55] Vgl. Rollka, Bodo / Schultz, Friederike: Kommunikationsinstrument Menschenbild. Zur Verwendung von Menschenbildern in gesellschaftlichen Diskursen. Wiesbaden 2011, S. 8.

[56] Ebd.

[57] Erpenbeck, John / Weinberg, Johannes (Hrsg.): Menschenbild und Menschenbildung. Bildungstheoretische Konsequenzen der unterschiedlichen Menschenbilder in der ehemaligen DDR und in der heutigen Bundesrepublik. Münster/New York 1993, S. 19.

[58] Rollka, Bodo / Schultz, Friederike 2011, S. 11.

[59] Ebd., S. 16.

[60] Rollka, Bodo / Schultz, Friederike 2011, S. 14.

[61] Gehlen, Arnold: Das Menschenbild und die darstellenden Künste. In: Krimmel, Bernd (Hrsg.): Menschenbilder. 10. Darmstädter Gespräch. Ausstellungskatalog Kunsthalle Darmstadt. Darmstadt 1968, S. 9.

[62] Ebd.

[63] Ebd., S. 10.

[64] Ebd., S. 9.

[65] Brenner, Hans-Peter: Marxistische Persönlichkeitstheorie und die bio-psychosoziale Einheit Mensch. Studie zur Entwicklung des Menschenbildes in der DDR. Bonn 2002, S. 221.

[66] Pfisterer, Ulrich (Hrsg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. 2. Aufl. Stuttgart 2011, S. 444.

[67] Erpenbeck, John / Weinberg, Johannes 1993, S. 17.

[68] MEW 3, S. 534. Zit. nach Brenner, Hans-Peter 2002, S. 221.

[69] Ebd.

[70] Hiebsch, Hans / Vorwerg, Manfred: Einführung in die marxistische Sozialpsychologie. 7. Auflage. DDR 1972, S. 45.

[71] Ebd.

[72] Erpenbeck, John / Weinberg, Johannes 1993, S. 40.

[73] Hiebsch, Hans / Vorwerg, Manfred 1972, S. 52.

[74] Erpenbeck, John / Weinberg, Johannes 1993, S. 18.

[75] Vgl. ebd., S. 24.

[76] Ebd., S. 25.

[77] Ebd., S. 26.

[78] „1. Du sollst Dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. 2. Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. 3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. 4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. 5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. 6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. 7. Du sollst stets nach Verbesserung Deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen. 8. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten. 10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale r Befreiung kämpfenden und ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben. Zit. nach: Erpenbeck, John / Weinberg, Johannes 1993, S. 31.

[79] Butin, Hubertus: DDR-Malerei und ihre westdeutsche Rezeption. In: Butin, Hubertus (Hrsg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Köln 2006, S. 60.

[80] Angebliches Zitat Stalins am 26.10. 1932 anlässlich eines geheimen Treffens von Autoren. Zit. nach: Christ, Thomas: Der Sozialistische Realismus. Betrachtungen zum Sozialistischen Realismus in der Sowjetzeit. Basel 1999, S. 24.

[81] Vgl. Christ, Thomas 1999 S. 24.

[82]Groys, Bons: Gesamtkünstwerk Stalin: die gespaltene Kultur ¡? der Sowjetunion. München 1996, ?. 58.

[83] Ebd.

[84] Ebd.

[85] Vgl. Thomas, Karin (Hrsg.): DuMonts Kunstlexikon des 20. Jahrhunderts - Künstler, Stile und Begriffe. Köln 2000, ?. 383.

[86] Vgl. ebd.

[87] Ebd., ?. 384.

[88] Ebd.

[89] Thomas, Karin 2000, S. 383.

[90] Damus, Martin: Malerei der DDR. Funktionen der bildenden Kunst im Realen Sozialismus. Hamburg 1991, S. 104.

[91] Groys, Boris 1996, S. 61.

[92] Butin, Hubertus: DDR-Malerei und ihre westdeutsche Rezeption. In: Butin, Hubertus 2006, S. 60.

[93] Damus, Martin 1991, S. 104.

[94] Groys, Boris 1996, S. 59.

[95] Ebd.

[96] Thomas, Karin 2000, S. 383.

[97] Ebd., S. 384.

[98] Vgl. Damus, Martin: Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1981, S. 8.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Wolfgang Mattheuer. Menschenbilder zwischen sozialistischer Utopie und politischer Realität
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Kunst)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
102
Katalognummer
V369865
ISBN (eBook)
9783668480346
ISBN (Buch)
9783668480353
Dateigröße
3382 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
DDR Malerei Mattheuer Sozialismus Systemkritik, DDR, Malerei, Mattheuer, Wolfgang Mattheuer, Sozialismus, Systemkritik
Arbeit zitieren
M.A. Katrin Moscariello (Autor:in), 2013, Wolfgang Mattheuer. Menschenbilder zwischen sozialistischer Utopie und politischer Realität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369865

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Wolfgang Mattheuer. Menschenbilder zwischen sozialistischer Utopie und politischer Realität



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden