Outdoor Education an Schulen in Dänemark, Schottland und Deutschland

Kompetenzorientierte und kontextspezifische Einflüsse auf Intentionen und Handlungen von erfahrenen Outdoor Education-Lehrpersonen


Doktorarbeit / Dissertation, 2016

182 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Theoretischer Rahmen
2.1 Outdoor Education
2.1.1 Outdoor Education in Dänemark
2.1.2 Outdoor Education in Schottland
2.1.3 Outdoor Education in Deutschland
2.1.4 Ableitung einer Arbeitsdefinition
2.1.5 Zusammenfassung
2.2 Motivations- und handlungspsychologische Grundlagen
2.2.1 Allgemeine motivations- und handlungspsychologische Ansätze
2.2.1.1 Konstitutive Unterscheidungen
2.2.1.2 Konstitutive Ansätze
2.2.2 Motivations- und handlungspsychologische Grundlagen in der Outdoor Education-Forschung
2.2.2.1 Distale Antezedentien
2.2.2.2 Proximale Antezedentien
2.2.3 Zusammenfassung
2.3 Kontextspezifische Einflüsse auf Outdoor Education
2.3.1 Allgemeine kontextspezifische Einflüsse bei innovativen Projekten
2.3.1.1 Kontextspezifische Einflüsse innerhalb der Innovationsforschung.
2.3.1.2 Kontextspezifische Einflüsse innerhalb der Schulentwicklungsforschung
2.3.2 Ergebnisse aus der Outdoor Education-Forschung
2.3.2.1 Hinderliche kontextspezifische Einflüsse.
2.3.2.2 Förderliche kontextspezifische Einflüsse.
2.3.3 Zusammenfassung
2.4 Kompetenzorientierte Einflüsse
2.4.1 Kompetenzorientierte Ansätze aus der Lehrerprofessions- und Lehrerprofessionalisierungsforschung
2.4.1.1 Subjektive Theorien
2.4.1.2 Motivationale Orientierungen
2.4.1.3 Biographische und persönlichkeitsorientierte Ansätze
2.4.2 Kompetenzorientierte Ansätze in der Outdoor Education-Forschung.
2.4.2.1 Motivationale Orientierungen in der Outdoor Education-Forschung.
2.4.2.2 Subjektive Orientierungen in der Outdoor Education-Forschung
2.4.3 Zusammenfassung

3. Ableitung der Forschungsfragen

4. Methoden
4.1 Datenerhebungsverfahren - Vorgehen und Begründung
4.2 Auswahl der Länder und Schulen.
4.3 Auswahl der interviewten Personen
4.4 Ablauf der Interviews
4.5 Datenaufbereitungsverfahren
4.6 Ethische Aspekte
4.7 Datenauswertungsverfahren

5. Ergebnisse und Diskussion
5.1 Kontextspezifische Einflüsse.
5.1.1 Länderübergreifende kontextspezifische Einflüsse
5.1.2 Individuelle und landestypische Besonderheiten.
5.1.3 Zusammenfassung
5.2 Kompetenzorientierte Einflüsse
5.2.1 Charakteristische Gemeinsamkeiten
5.2.1.1 Subjektive Theorien
5.2.1.2 Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
5.2.1.3 Motive
5.2.1.4 Biographische Merkmale
5.2.1.5 Persönlichkeitsorientierte Merkmale
5.2.2 Interindividuelle und landestypische Besonderheiten.
5.2.3 Zusammenfassung
5.3 Förderliche kontextspezifische Einflüsse in Schottland und Dänemark
5.3.1 Förderliche kontextspezifische Einflüsse in Schottland
5.3.1.1 Förderliche strukturelle Einflüsse
5.3.1.2 Förderliche schulorganisatorische Einflüsse
5.3.2 Förderliche kontextspezifische Einflüsse in Dänemark
5.3.2.1 Förderliche strukturelle Einflüsse
5.3.2.2 Förderliche schulorganisatorische Einflüsse
5.3.3 Zusammenfassung

6. Diskussion
6.1 Methoden.
6.1.1 Auswahl und Durchführung
6.1.2 Aufbereitung und Auswertung
6.1.3 Gütekriterien
6.2 Ergebnisse
6.2.1 Literaturvergleich
6.2.2 Anwendbarkeit
6.2.3 Fazit

7. Gesamtzusammenfassung.

8. Literatur

Appendix..

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN

Abb. 1: Outdoor Education Kategorialmodell

Abb. 2: Theory of Planned Behavior

Abb. 3: Distale und proximale Antezedentien am Beispiel der Erklärung aggressiven Handelns

Abb. 4: Modell der Bedingungen des Lehrerhandelns

Abb. 5: Entscheidungsbeispiel "Bestimmungsarbeit auf dem Schulgelände"

Abb. 6: Determinants of Action

Abb. 7: Determinanten-Modell

Abb. 8: Modell der professionellen Handlungskompetenz

Abb. 9: Forschungsdesign für die vorliegende Studie

Abb.10: „Thematic Network-Darstellung“ von häufigen Wahrnehmungsmustern bezüglich Einflüssen auf Outdoor Education

Abb.11: Wahrnehmung der Einflüsse in Abhängigkeit von der Funktion an der Bildungseinrichtung

Abb.12: Prägnante Ausprägungsformen von subjektiven Theorien

Abb.13: Prägnante Ausprägungsformen persönlichkeitsorientierter Merkmale

Abb.14: Subgruppen innerhalb der motivationalen Orientierungen von Outdoor Education - Lehrpersonen

Abb.15: Prägnante distale und proximale Antezedentien

Abb.16: Charakteristisches Pädagogisches Selbstkonzept von Outdoor Education-Lehrpersonen

Tab. 1: Interviewpartnerinnen und -partner und Institutionen

Tab. 2: Explizierte Einflüsse auf Outdoor Education

Tab. 3: Auswertungsbeispiel im Bereich Subjektiver Theorien

Abstract:

The background for this work was the weak implementation of Outdoor Education (frequent lessons outside the classroom) in Germany compared to Scotland and Denmark. The question was raised about how Outdoor Education could be fostered in Germany, especially amongst 10-15 year old children. Examples of good practice in Scotland, Denmark and Germany were studied and experienced Outdoor Education practitioners were interviewed in order to better understand the motives and actions of teachers working the field. One important finding was that context related influences on Outdoor Education (both structural and organisational) were perceived quite similarly by Scottish, Danish and German teachers. At the same time competence related influences such as motivational orientation and subjective theories were found to be comparable amongst Scottish, Danish and German teachers. Furthermore, no indications were found that there are fewer teachers in Germany who demonstrate the characteristics required for Outdoor Education identified in the course of this work. The results support the assumption that differences between countries concerning the implementation of Outdoor Education exist primarily due to context related influences and can therefore be positively altered from outside. Both competence related and context related influences were found through interviews, observations and document research (curricula and guiding principles). The most relevant positive context related influences in Scotland and Denmark were allocated to structural and school organisational areas.

Keywords:

Outdoor Education, Learning outside the classroom, international, teaching skills, motives, subjective theories, self-efficacy expectation, biography and personality related characteristics, context-related influences

Kurzfassung:

Hintergrund für diese Arbeit bildete die schwache Implementation von Outdoor Education beziehungsweise regelmäßigem Unterricht außerhalb des Klassenzimmers in Deutschland im Vergleich mit Schottland und Dänemark. Daraus resultierte die Überlegung, wie Outdoor Education in Deutschland vorwiegend im unteren Sekundarschulbereich I gefördert werden kann. Um Einflüsse auf Motive und Handlungen von Lehrpersonen bezüglich Outdoor-Education besser zu verstehen, wurden good-practice-Beispiele in Schottland, Dänemark und Deutschland untersucht und erfahrene Outdoor Education-Lehrpersonen befragt. Ein wichtiges Ergebnis war, dass kontextspezifische Einflüsse im organisatorischen und strukturellen Bereich auf den Unterricht außerhalb des Klassenzimmers von Lehrpersonen in Schottland, Dänemark und Deutschland ähnlich eingeschätzt wurden. Auch kompetenzorientierte Einflüsse wie motivationale Orientierungen und subjektive Theorien waren bei Lehrpersonen der unterschiedlichen Länder vergleichbar. Des Weiteren wurden keine Indizien dafür gefunden, dass es in Deutschland weniger Lehrpersonen als in den beiden anderen Ländern gibt, welche die für Outdoor Education als förderlich identifizierten persönlichkeitsorientierten Merkmale aufweisen. Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass die Unterschiede bei der Implementation von Outdoor Education zwischen den Ländern primär auf äußere Einflüsse zurückgeführt und deshalb von außen positiv beeinflusst werden können. Ein Großteil der durch Interviews, Beobachtungen und Dokumentenanalysen als förderlich identifizierten kontextspezifischen Einflüsse in Schottland und Dänemark wurde dem strukturellen und dem schul- organisatorischen Bereich zugeordnet und detailliert analysiert.

Schlagworte:

Outdoor Education, Unterricht außerhalb des Klassenzimmers, international, Lehrerkompetenzen, Motive, subjektive Theorien, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, biographische und persönlichkeitsorientierte Merkmale, kontextspezifische Einflüsse

1. Einleitung

In den letzten Jahren ist in vielen Ländern ein wachsendes Interesse an Outdoor Education1 festzustellen. Zu diesen Ländern gehören beispielsweise Dänemark (Bentsen 2016), Schottland (Telford, Beames & Christie 2016), Schweden (Fägerstam 2012), Norwegen (Jordet 2009), England (Waite 2011), Australien (Brookes 2002) und Neuseeland (Zink & Boyes 2006). Das wachsende Interesse äußert sich unter anderem in einer zunehmenden Verbreitung von Outdoor Education an Schulen (Bentsen et al. 2010), in einer verstärkten Förderung durch Bildungsministerien und damit einhergehend einer zunehmenden Erwähnung und Betonung in Schulcurricula (Nicol et al. 2006a) sowie durch einen wachsenden Forschungsaufwand im Bereich der Outdoor Education-Forschung (TEACHOUT 2013-2017; TrygFondens Udeskole Research Project).

Die Argumente für Outdoor Education sind vielfältig. Sie können vereinfachend in lehr- und lerntheoretische, sozialisationstheoretische und entwicklungstheoretische Argumentations- linien unterteilt werden. Eine wichtige Grundlage für Argumente im lehr- und lerntheoretischen Bereich bilden Gedächtnisspeichermodelle, beispielsweise das Dreispeichermodell oder das Modell multipler Gedächtnissysteme (Meyer 2008). Aus dem Dreispeichermodell kann abgeleitet werden, dass eine positive Lernatmosphäre und eine ansprechende Lernumgebung wichtig sind, damit Informationen im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können (ebd. S. 185). Auf dem Modell multipler Gedächtnissysteme basieren unter anderem Forderungen nach konkreten Erfahrungen als Grundlage für den Aufbau neuen Wissens und vielfältige, vernetzende Aktivierung im Unterricht (ebd. S. 188). Aus weiteren Modellen, wie zum Beispiel dem Modell der verschiedenen Arten mentaler Repräsentation, kann die Forderung nach multisensorischem - das heißt mehrere Sinne zugleich ansprechendem - Unterricht abgeleitet werden. Viele Studien in der Outdoor Education-Forschung kommen zu dem Ergebnis, dass Outdoor Education die Forderungen nach multisensorischem Unterricht, konkreten Erfahrungen, vielfältigen Aktivierungen, positiver Lernatmosphäre und ansprechender Lernumgebung erfüllt und in vielen Bereichen zu besseren Lernerfolgen als konventioneller Klassenzimmerunterricht führt (Rickinson et al. 2004). Bessere Lernerfolge werden in der vorliegenden Arbeit im Sinne von langzeitgespeicherten, anwendbaren Kenntnissen und im weiteren Sinne von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Interessen und Motiven verstanden, die zu einer erfolgreichen Aufgabenbewältigung beitragen.

Häufig wird mit der Forderung nach mehr Vielfalt im Schulunterricht für Outdoor Education argumentiert. Vielfältige Lernmethoden und -umgebungen im Rahmen von Outdoor Education wirken sich nicht nur positiv auf die Lernmotivation vieler Schülerinnen und Schüler aus, sondern fördern auch bestimmte Intelligenz- und Lerntypen. Laut Gardner & Hatch (1989) werden bestimmte Intelligenztypen beziehungsweise Lerntypen (Dunn 1984) in der Schule weniger gefördert als andere. Scheller (1981, in Meyer 2008) stimmt damit überein und hält darüber hinaus fest, dass die Aneignungsprozesse im Schulunterricht überwiegend sprachlich bestimmt seien und die sinnlich-praktische Aneignung dadurch zu kurz komme. Diese Annahmen werden teilweise durch Ergebnisse aus der Outdoor Education-Forschung gestützt. Besonders leistungsschwächere Kinder und Jugendliche, die im Klassenzimmer auch verhaltensauffällig sein können, scheinen von Outdoor Education zu profitieren. Im Rahmen des „Heidelberger Outdoor Education Projekts“ stellten Dettweiler & Becker (2016) fest, dass „eine durchschnittlich höhere Aktivierung zum selbstregulierten Lernen bei schwach eigenmotivierten Kindern“ bei zwei fünften Klassen der Interventionsgruppe im Vergleich zu zwei Kontrollklassen vorliegt (ebd. S. 101). Insgesamt lagen die Werte des selbstbestimmten Lernens bei der Interventionsgruppe über den Werten der Kontrollgruppe. Darüber hinaus konnten viele Schülerinnen und Schüler der Interventionsgruppe die Lernergebnisse ausführlicher schildern, vermehrt in ganzen Sätzen antworten, emotionale Bezüge herstellen, Lernzusammenhänge besser ausführen und Transferleistungen erbringen (ebd. S. 103f).

Outdoor Education fördert und motiviert laut Studienergebnissen jedoch nicht nur lernschwächere Kinder und Jugendliche. Uito (2006, in Jeronen & Jeronen 2012) führte beispielsweise eine groß angelegte Studie mit 3626 Schülerinnen und Schülern an Sekundarschulen in Finnland durch. Unterricht außerhalb des Klassenzimmers war laut der Studie der wichtigste Faktor, der mit Lerninteresse im Bereich Biologie korrelierte, unabhängig vom Leistungs- und Wissensstand. Finnland, im Rahmen der Ergebnisse der PISA-Studien häufig für ein vorbildliches Bildungssystem gerühmt, schenkt dem Thema Outdoor Education ohnehin viel Aufmerksamkeit. Oft wird die Bedeutung von Outdoor Education für den Wissensaufbau in der Schule betont (Jeronen & Jeronen 2012). Auf eine gesteigerte Lernmotivation, insbesondere bei schwächer lernmotivierten Schülerinnen und Schülern, weisen auch die Ergebnisse einer Studie von Dettweiler et al. (2015) hin. Die gesteigerte Lernmotivation durch Outdoor Education wird vor allem auf erhöhtes Kompetenzerleben, die praktische Anwendung von Lerninhalten und die höhere Bewegungsaktivität im Vergleich zu Klassenzimmerunterricht zurückgeführt.

In vielen Arbeiten dient die gegenüber Indoor Education erhöhte Bewegungsaktivität als Grundlage einer Argumentation für Outdoor Education. Dass Outdoor Education die Bewegungsaktivität von Schülerinnen und Schüler tatsächlich erhöht, legen Studien- ergebnisse von Mygind (2007; 2009) nahe. Bewegungsintensive Aktivitäten an der Schule können neben Verbesserungen der koordinativ-konditionellen Leistungsfähigkeit, der Gesundheit und des Wohlbefindens von Schülerinnen und Schülern laut einer Studie von Biddle & Asare (2011) vor allem auch zu positiven Auswirkungen beim Verhalten im Klassenzimmer, Kreativität, IQ und der allgemeinen Schulleistung führen. In einer Untersuchung von Dettweiler & Becker (2016) im Rahmen des „Heidelberger Outdoor Education Projekts“ konnte gezeigt werden, dass sich die Schülerinnen und Schüler an einem Draußenschultag deutlich mehr bewegen als die Kinder der Kontrollklassen, „[…] und dies bei gleichzeitiger Vermittlung derselben Lehrplaninhalte in einem schülerzentrierten und handlungsorientierten Unterricht.“ (ebd. S. 105)

Die bislang umfangreichste Meta-Analyse zu Ergebnissen von Outdoor Education führten Rickinson et al. (2004) durch. Rickinson et al. (2004) analysierten die Ergebnisse von 150 Einzelstudien innerhalb der Outdoor Education-Forschung. Die Autoren differenzierten bei der Ergebnisauswertung zwischen Exkursionen, „abenteuerintensiven“ Aktivitäten und schulnahen Outdoor-Aktivitäten. Für die vorliegende Arbeit sind die Ergebnisse der dritten Kategorie besonders relevant, weil diese der vorliegenden Definition von Outdoor Education am nächsten stehen (vergleiche Kapitel 2.1). Laut der Meta-Analyse können schulnahe Outdoor-Aktivitäten in allen Fachbereichen zu positiven Lernergebnissen führen. Hervor- gehoben werden positive Ergebnisse im Bereich der Naturwissenschaften, des Design und der Technologie. Die wichtigsten Auswirkungen von Outdoor Education sind stärkere Lern- motivation, gesteigertes Verantwortungsgefühl und erhöhtes Selbstvertrauen. Weitere wichtige Auswirkungen finden sich im sozialen Kompetenzbereich:

There is significant evidence that social development and greater community involvement can result from engagement in school grounds projects. Students develop more positive relationships between themselves, their teachers and the wider community through participating in school grounds improvements. There is also evidence that such projects result in more positive parental participation in their children’s learning (Rickinson et al. 2004, S. 41)

Mögliche negative Auswirkungen von Outdoor Education, beispielsweise Konzentrations-verluste oder verstärkte Ausgrenzungen einzelner Kinder beim Unterrichten außerhalb des Klassenzimmers, werden in keiner der zitierten Studien diskutiert.

Neben den wissenschaftlichen Ergebnissen zu den Auswirkungen von Outdoor Education spielen oftmals auch die Meinungen der Eltern und der Schülerinnen und Schüler selbst bei der Argumentation für Outdoor Education eine wichtige Rolle. Harring, Sahrakhiz & Schenk (2015) befragten Eltern, deren Kinder an einem großen Draußenschulprojekt an verschieden Grundschulen beteiligt waren, zu ihrer Meinung bezüglich Outdoor Education. Die Eltern hatten einerseits hohe Leistungserwartungen, andererseits standen sie den wöchentlichen Draußentagen aber sehr aufgeschlossen gegenüber. Nur ein ganz geringer Teil der Befragten äußerte sich dem Projekt gegenüber skeptisch. Laut den Autoren ging die Zustimmung der Eltern so weit, dass „der überwiegende Teil der Eltern eine Verstetigung des Konzeptes an der Schule ihrer Kinder befürwortet und eine solche Form von Schule bereits für sich persönlich gewünscht hätte.“ (ebd. S. 30). Werden Schülerinnen und Schüler selbst zu ihren Erfahrungen mit Outdoor Education befragt, so zeigen sich ebenfalls häufig positive Einstellungen gegenüber dem Unterricht außerhalb des Klassenzimmers. Bei einer Befragung von Fünftklässlern wurden besonders die vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten und das Lernen an der frischen Luft mit originären Begegnungen als förderlich wahrgenommen (Dettweiler & Becker 2016). In einer Studie mit Grundschülerinnen und -schülern wurden unter anderem die veränderte Lehrer-Schüler-Beziehung und die ausgleichende und stressreduzierende Wirkung von Outdoor Education als angenehm von den Kindern empfunden (Witte 2015). Diese Studien stützen die Annahme, dass sich sowohl Eltern als auch Kinder mehr Outdoor Education wünschen.

Neben lehr- und lerntheoretischen Argumenten können auch sozialisationstheoretische Argumente zur Begründung von Outdoor Education aufgeführt werden. Die Kinder- und Jugendforschung konstatiert schon seit vielen Jahren einen Wandel der Sozialisationsbedingungen bei Heranwachsenden (Rolff & Zimmermann 2001). Besonders relevant für den Schulunterricht sind unter anderem der zunehmende Medienkonsum und damit einhergehend ein Rückgang von originären Erfahrungen (Edel 2008), die „Reduktion der Möglichkeiten zu sinnerfüllter, selbstverantworteter 'Eigentätigkeit'“ (Meyer 2008, S. 323) und der zunehmende Mangel an Bewegung. In Deutschland unterstreichen beispielsweise die Ergebnisse aus KIGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland), aus MoMo (Motorik-Modul aus KIGGS), aus KIM (Basisuntersuchung zum Medienumgang 6-13-Jähriger in Deutschland) und aus dem Kinder- und Jugendsportbericht diese besorgniserregenden Entwicklungen (von Au 2016). Die veränderten Sozialisations-bedingungen werden unter anderem für zunehmende Konzentrationsschwächen, Unruhe, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität, Egozentrismus, Lehrerfixiertheit und Vereinzelung unter Schülerinnen und Schülern verantwortlich gemacht (Meyer 2008). Insgesamt nimmt dadurch auch die Heterogenität an Schulen zu. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind der Meinung, dass Outdoor Education diesen sozialisationsbedingten Störfaktoren im Unterricht entgegenwirken kann und dem Lernen die notwendige Kontextualität verleiht (Jordet 2009). Die Ergebnisse zahlreicher Studien weisen darauf hin, dass besonders personale, soziale und auf Bewegungsmangel zurückführbare Herausforderungen im Unterricht durch Outdoor Education besser als durch Indoor Education begegnet werden kann (Rickinson et al. 2004).

Auch aus entwicklungstheoretischer Perspektive kann für Outdoor Education argumentiert werden. Piaget (1926/1988) und Aebli (1994) nahmen an, dass konkrete Handlungen und Erfahrungen die Grundlage für geistige Operationen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Besonders im frühen Sekundarschulalter sind konkrete Operationen essentiell, weil sich die Abstraktionsfähigkeit noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet. Dies ist einer der Gründe, warum vielen Grundschulkindern der Übergang zu Sekundarschulen schwer fällt. In Schottland wird deshalb beispielsweise häufig mit positiven Lernergebnissen in der Sekundarstufe 1-3, das heißt mit Kindern zwischen 11 und 14 Jahren, regelmäßig außerhalb des Klassenzimmers unterrichtet (Telford, Beames & Christie 2016). Die Transferforschung in Deutschland knüpft an die Feststellungen von Piaget und Aebli an und fordert die Betonung von lebensnahen und realen Problemen im Schulunterricht. Die Bearbeitung lebensnaher Probleme sollte sich dabei bestenfalls im „wahren Leben“ abspielen, weil dadurch die „Kontextbindung an die Schule deutlicher [ge] löst“ wird als beispielsweise bei der Bearbeitung authentischer Probleme am Computer und dadurch träges Wissen vermieden werden kann (Bovet 2008, S 221).

Für eine naturnahe und naturwissenschaftlich orientierte Form von Outdoor Education spricht unter anderem der entwicklungstheoretische Ansatz von Gebhard (2009). Der Autor führt zahlreiche Hinweise aus verschiedenen Studien auf, die auf den wichtigen Stellenwert von Naturerfahrungen für die kindliche Entwicklung hinweisen. Besonders für die psychische Entwicklung seien Naturerfahrungen essentiell und würden unter anderem Aufmerksamkeitsstörungen, Ärger- und Frustrationsgefühle reduzieren. Allerdings nehmen Aktivitäten in der Natur im kindlichen Alltag ab (Lude 2006). Auch im Schulalltag verringert sich der Kontakt der Schülerinnen und Schüler zur Natur seit langem (Göpfert 1994). Viele Studien zeigen, dass Outdoor Education diesen Mangel kompensieren und zu positiven Ergebnissen insbesondere im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung führen kann (Rickinson et al. 2004).

Aus diesen und anderen Gründen ist auch in vielen deutschen Bundesländern die Tendenz festzustellen, dass Unterricht außerhalb des Klassenzimmers wieder etwas häufiger in Bildungsplänen im Primar- und Sekundarschulbereich gefordert wird. In der Neufassung des Bildungsplans für weiterführende Schulen in Baden-Württemberg, der 2016 landesweit eingeführt wurde, ist beispielsweise die Forderung aufgeführt, dass „schulnahe Lebensräume, Umweltzentren und […] Naturkundemuseen“ im Biologieunterricht besucht werden (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg; Bildungsplan des Gymnasiums; Biologie[2016] S. 9). Vier von fünf eingeführten allgemeinen Leitprinzipien in diesem Bildungsplan eröffnen Outdoor Education viele Umsetzungsmöglichkeiten: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Prävention und Gesundheitsförderung, berufliche Orientierung und Verbraucherbildung. Auch in Bayern finden sich zum Beispiel Formulierungen wie „Kontaktaufnahme zu außerschulischen Experten, Einrichtungen und Organisationen, Durchführung von Erkundungen (zum Beispiel einer sozialen Einrichtung)“ (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung Bayern 2010, S. 48), die den politischen Willen einer Öffnung von Unterricht beziehungsweise im weiteren Sinne einer Implementation von Outdoor Education widerspiegeln.

Allerdings kann unter anderem durch die Ergebnisse kleinerer Studien, beispielsweise von Klaes & Welzel (2006), mit einiger Sicherheit angenommen werden, dass in Deutschland vergleichsweise selten außerhalb des Klassenzimmers unterrichtet wird. Anders als in Schottland und Dänemark gibt es keine eindeutigen Hinweise, dass diese Unterrichtsform in bestimmten Bundesländern oder an bestimmten Schulformen in den letzten Jahren zugenommen hat. Insgesamt ist der Forschungsstand zu regelmäßigem Unterricht außerhalb des Klassenzimmers in Deutschland in vielen Bereichen vergleichsweise schwach. Einige Untersuchungen zu Outdoor Education (nach der Definition in Kapitel 2.1) in Deutschland wurden im Rahmen des „Heidelberger Outdoor Education Projekts“ an einem Gymnasium in Heidelberg (Dettweiler & Becker 2016) durchgeführt. In spezifischen Feldern von Outdoor Education, beispielsweise innerhalb von Schulgartenarbeit, von Umweltbildung und von Besuchen außerschulischer Lernlabore, ist der Forschungsstand hingegen vergleichsweise gut (zum Beispiel Guderian 2007; Alisch 2008; Bogner 2011; Lindemann-Matthies & Knecht 2011).

In Deutschland wird häufig kritisiert, dass Outdoor Education einen hohen Ressourcen- und Organisationsaufwand mit sich bringt. Dagegen zeigen Beispiele in Schottland und Dänemark, dass bestimmte Formen von Outdoor Education den Zusatzaufwand stark verringern. Schulnaher Unterricht außerhalb des Klassenzimmers, der von den Lehrpersonen selbst ausgeführt wird und nicht auf „abenteuerliche Aktivitäten“ abzielt, ist kaum aufwändiger als konventioneller Klassenzimmerunterricht (Telford, Beames & Christie 2016, S. 59). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Beteiligte der beiden deutschen Outdoor Education-Modellprojekte in Erlangen (Weiß 2016) und Heidelberg (Gade 2016). Auch schulrechtlichen Bedenken gegenüber Outdoor Education in Deutschland kann durch eine sorgfältige Planung begegnet werden (Kiefer 2016).

Wie könnte man demnach den von vielen Akteuren im Bereich der Bildungspolitik, der Bildungsforschung und der Schulpraxis geäußerten Forderungen nach mehr Unterricht außerhalb des Klassenzimmers in Deutschland nachkommen? Warum ist Outdoor Education in Deutschland im Vergleich mit Ländern wie Schottland und Dänemark nur selten in den Schulalltag integriert und wie ließen sich die Implementierungsunterschiede verringern? In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass Lehrpersonen bei der Umsetzung von regelmäßigem Unterricht außerhalb des Klassenzimmers eine zentrale Rolle spielen. Diese Annahme wird durch zahlreiche Ergebnisse grundlegender Arbeiten in der Lehrer- und Unterrichtsforschung gestützt. Lipowsky (2006) und Hattie (2008) fanden beispielsweise viele Indizien dafür, dass die Qualität von Unterricht im Wesentlichen von der Lehrperson abhängt. Auch in der Innovations- (Mönig 2013) und Outdoor Education-Forschung (Bentsen 2016) herrscht weitgehend Einigkeit, dass Lehrpersonen bei der Implementation von innovativen Unterrichtsprojekten einen entscheidenden Faktor darstellen. Innerhalb der Outdoor Education-Forschung wird in verschiedenen Arbeiten immer wieder auf eine starke nationale Fokussierung von Untersuchungen hingewiesen und eine internationale Ausrichtung gefordert. Brookes (2002) kritisierte das Forschungsfeld zum Beispiel für überwiegend national geprägte Interpretationen und Waite & Pleasants (2011) forderten international vergleichende Untersuchungen von Outdoor Education. Aus diesem Grund stellt die vorliegende Studie Perspektiven aus verschiedenen Ländern dar und es werden nicht nur Lehrpersonen aus Deutschland, sondern auch Lehrpersonen und Forscher aus Dänemark und Schottland befragt. Die Untersuchung orientiert sich an verschiedenen „good practice-Beispielen“ in diesen Ländern, wie für das Outdoor Education-Forschungsfeld häufig gefordert (Thorburn & Allison 2013).

Weiterhin wird in der vorliegenden Arbeit grundlegend davon ausgegangen, dass die Wahrnehmung von inneren und äußeren Einflüssen und die daraus resultierenden subjektiven Theorien und motivationalen Orientierungen eine wichtige Rolle für das Handeln von Lehrpersonen spielen. Diese Annahme basiert auf den Ansätzen zahlreicher Motivations- und Handlungspsychologen (Mees 2004). Einflüsse durch Lehrpersonen wurden bei der Umsetzung von regelmäßigem Unterricht außerhalb des Klassenzimmers auf nationaler Ebene beispielsweise in Schottland (Higgins, Nicol & Ross 2006), Dänemark (Bentsen et al. 2010) und Schweden (Fägerstam 2012) bereits untersucht. In Deutschland liegen hingegen keine Studien vor, die die Einflüsse auf Lehrpersonen bei der Umsetzung von Outdoor Education untersuchen. Dieses Forschungsdefizit wird im nationalen Kontext von Meyer (2016) und im internationalen Kontext unter anderem von Hattie (2008) kritisch angemerkt.

Die vorliegende Arbeit ist wie folgt strukturiert: das Kapitel 2.1 beschäftigt sich im weiteren Sinne mit der Frage „Was ist Outdoor Education?“. Hierfür werden Outdoor Education- Ansätze und deren Implementation in der Praxis in Schottland, Dänemark und Deutschland vorgestellt. Daraufhin werden länderübergreifende Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Interpretation von Outdoor Education analysiert. Aufbauend auf diesen Gemeinsamkeiten wird eine Arbeitsdefinition für die vorliegende Arbeit entwickelt, die als Grundlage für die Auswahl der „good practice-Beispiele“ dient und durch Beobachtungen und Befragungen überprüft wird.

Das Kapitel 2.2 beschreibt die motivations- und handlungspsychologische Fundierung und Positionierung der vorliegenden Arbeit. Zunächst werden relevante Begriffe und Ansätze aus der allgemeinen Psychologie erläutert und die Unterscheidung zwischen externalen beziehungsweise kontextspezifischen Einflüssen und internalen beziehungsweise kompetenzorientierten Einflüssen begründet. Im Anschluss werden ausgewählte Studien aus der Outdoor Education-Forschung vorgestellt, deren theoretische Rahmung und deren empirisches Vorgehen den favorisierten Ansätzen ähnelt.

In Kapitel 2.3 werden kontextspezifische Einflüsse auf Lehrpersonen thematisiert. Als erstes werden hierfür Ergebnisse aus der Innovations- und Schulentwicklungsforschung sowohl im Hinblick auf die Relevanz von innovativen Unterrichtsprojekten als auch im Hinblick auf die förderlichen und hinderlichen Einflüsse diesbezüglich dargestellt. Ergebnisse aus der Outdoor Education hinsichtlich hinderlichen kontextspezifischen Einflüssen und Ergebnisse hinsichtlich förderlichen Einflüssen schließen sich an.

Kapitel 2.4 gibt einen Überblick über kompetenzorientierte Einflüsse auf Lehrpersonen und deren Unterrichtsentscheidungen. Mit einer Darstellung eines allgemein anerkannten Lehrerkompetenzmodells beginnt dieser Teil. Orientiert an diesem Modell werden Ansätze zu subjektiven Theorien und motivationalen Theorien näher beschrieben. Anschließend erfolgt eine Zusammenstellung ausgewählter Ergebnisse - differenziert nach subjektiven Theorien und motivationalen Orientierungen - innerhalb der Outdoor Education-Forschung.

In Kapitel 3 werden aus dem theoretischen Teil der Arbeit die Forschungsfragen abgeleitet, bevor in Kapitel 4 das methodische Vorgehen erläutert wird. Kapitel 4 beginnt mit den Beschreibungen und Begründungen der empirischen Untersuchung. Danach werden in Unterkapiteln die Auswahl der Länder und Schulen, die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner, das Vorgehen bei den Interviews, das Datenaufbereitungsverfahren, ethische Aspekte und das Datenauswertungsverfahren beschrieben und erklärt.

Das 5. Kapitel stellt die Ergebnisse der Untersuchung dar. Die Gliederung der Darstellung orientiert sich an den Forschungsfragen: zuerst werden kontextspezifische Einflüsse, dann kompetenzorientierte Einflüsse und abschließend förderliche Einflüsse auf Outdoor Education in Dänemark beziehungsweise Schottland beschrieben. Orientiert an den Theoriekapiteln wird dabei unter anderem zwischen distalen und proximalen, organisatorischen und strukturellen und ausgewählten weiteren Einflussgruppen differenziert.

Der Fokus des 6. Kapitels liegt auf der Diskussion der Methoden und der Ergebnisse. Hinsichtlich der Methoden werden wesentliche Gütekriterien qualitativer Forschung anhand der vorliegenden Studie reflektiert und mögliche beeinflussende Aspekte wie persönliche Hintergründe und Befragungssituationen diskutiert. In der Ergebnisdiskussion werden vorwiegend Ergebnisse aus anderen Arbeiten vergleichend herangezogen, die Anwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse diskutiert und weiterführende Forschungsfragen aufgeworfen.

2. Theoretischer Rahmen

2.1 Outdoor Education

In unterschiedlichen Ländern werden unterschiedliche Begriffe im Feld der Outdoor Education-Forschung verwendet. In den skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen sind die Begriffe udeskole, utomhuspedagogik respektive uteskole für Schulunterricht außerhalb des Klassenzimmers gebräuchlich. In englischsprachigen Ländern wie Schottland, England und Neuseeland werden die Begriffe Outdoor Teaching, Learning Outside the Classroom (LOtC) respektive Education Outside the Classroom (EOtC) zumeist gleichbedeutend mit Outdoor Education verwendet. Weitere verwandte und länderübergreifend verwendete Begriffe sind beispielsweise Experiential Learning (Kolb 1984) und Place-based Education (Gruenewald 2003). Der in diesem jungen, inter- disziplinären Forschungsfeld am häufigsten gebrauchte und in allen Ländern verstandene Begriff ist jedoch Outdoor Education, weshalb in der vorliegenden Arbeit ausschließlich dieser Begriff verwendet wird.

Outdoor Education ist ein „umbrella term“ (Regenschirm-Begriff), weil versucht wird, verschiedene Ideen und Konzepte unter einem Terminus zusammenzufassen (Bisson 1996). Alle als Outdoor Education bezeichneten Konzepte gehen auf ähnliche historische Ansätze zurück, haben sich in den letzten Jahrzehnten durch intensivierte Arbeit in Forschung und Praxis jedoch diversifiziert. Daraus resultiert eine begriffliche Verwirrung2, die intra- und internationale Darstellungen des Forschungsstandes erschwert. Um für die vorliegende Arbeit eine trennscharfe Arbeitsdefinition zu entwickeln, findet eine Orientierung an verschiedenen internationalen Outdoor Education-Ansätzen statt. Im Folgenden werden Interpretation, Forschungsstand und Implementation von Outdoor Education an Schulen in ausgewählten Ländern dargestellt und gemeinsame Kriterien herausgearbeitet. Interpretation und Implementation von Outdoor Education werden dabei in einigen Formulierungen im nationalen Kontext der Einfachheit halber pauschalisiert, obwohl intranationale Unterschiede häufig größer sind als internationale Unterschiede.

2.1.1 Outdoor Education in Dänemark

Dänemark zählt zu den Ländern, in denen das Thema Outdoor Education im schulischen Kontext die größte Aufmerksamkeit erfährt. Indizien hierfür sind der gute Forschungsstand und die weite Verbreitung von Outdoor Education an Schulen. Die Interpretation von Outdoor Education in Dänemark wird von verschiedenen Ansätzen geprägt.

Die Grundlage für die Interpretation von Outdoor Education an Schulen in Dänemark bilden unter anderem Ansätze von Pädagogen wie Rousseau, Pestalozzi, Dewey, Vygotsky und Kolb. In Dänemark wird in den letzten Jahrzehnten verstärkt versucht, sowohl kognitive als auch physische, praktische, ästhetische und ethische Perspektiven im Lernprozess an Schulen zu vereinen. Entsprechend diesem „Trend“ betont die neue dänische Schulreform 2014 die Bedeutung von außerschulischem Lernen, körperlicher Aktivität und Bewegung (Gräfe & Bentsen 2015).

Das Verständnis von Outdoor Education wurde in neueren Forschungsarbeiten stark von Jordet und Bentsen geprägt. Jordet interpretiert Outdoor Education wie folgt:

„Outdoor learning is a working method where parts of the everyday life in school is moved out of the classroom - into the local environment. Outdoor learning implies frequent and purposedriven activities outside the classroom. The working method gives the pupils the opportunity to use their bodies and senses in learning activities in the real world in order to obtain personal and concrete experiences. Outdoor learning allows room for academic activities, communication, social interaction, experience, spontaneity, play, curiosity and fantasy. Outdoor learning is about activating all the school subjects in an integrated training where activities out-of-doors and indoors are closely linked together. The pupils learn in an authentic context: that is, they learn about nature in nature, about society in the society and about the local environment in the local environment.“ (Jordet 1998 in Jordet 2009)

Diese Interpretation bildet auch die Grundlage der 2008 ausgegebenen Definition des udeskole Netzwerks Dänemark3:

Udeskole ist ein pädagogischer Ansatz, bei dem Unterricht regelmäßig außerhalb der Klassenzimmerwände stattfindet und der Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Einstellungen in umliegender Natur und kulturellen Einrichtungen [in Verbindung mit dem Klassenzimmerunterricht] im Vordergrund steht (frei übersetzt nach www.udeskole.dk).

Bentsen führt ausgehend von Definitionen unter anderem von Jordet (2009), Szczepanski (2006) und Mygind (2007) detaillierte Definitionskriterien für Outdoor Education in Dänemark auf. Outdoor Education findet demnach mindestens wöchentlich oder zweiwöchentlich für Kinder zwischen sieben und 16 Jahren statt. Es handelt sich um obligatorischen Unterricht außerhalb des Schulgebäudes, sowohl an naturgeprägten Orten wie Wäldern und Parkanlagen als auch an kulturgeprägten Orten wie in Fabriken und Galerien4 (Bentsen 2016). Diese Definition bildet die Grundlage für viele aktuelle Forschungsarbeiten im Bereich Outdoor Education in Dänemark.

Ausschlaggebend für den guten Forschungsstand bezüglich Outdoor Education in Dänemark ist eine Forschergruppe in Kopenhagen um Mygind und Bentsen. Die Forschungsarbeiten dieser Gruppe untersuchen viele verschiedene Bereiche innerhalb von Outdoor Education an Schulen. Eines der ersten bedeutenden Forschungsprojekte zur Udeskole waren die Studien an der Roskilde-Schule in Kopenhagen. Vom Jahr 2000 bis 2003 wurden innerhalb der Studie zwei Lehrer begleitet, die ihre Klassen einmal pro Woche außerhalb des Klassenzimmers unterrichteten. Untersucht wurden die Auswirkungen des Outdoor-Unterrichts auf beteiligte Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer. Ein wichtiges Ergebnis der Studien war, dass sich die körperliche Aktivität der Schülerinnen und Schüler durch Outdoor Education signifikant erhöhte (Mygind 2007). Außerdem verbesserten sich die sozialen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern und zwischen Schülern untereinander und das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler stieg an (Mygind 2009). Weitere gut untersuchte Bereiche im Forschungsfeld der Outdoor Education in Dänemark sind sowohl die Entwicklung und Ausbreitung von Outdoor Education an Schulen (Bentsen et al. 2010) als auch die Präferenz und Nutzungsweise außerschulischer Lernorte durch Lehrpersonen (Bentsen, Schipperijn & Jensen 2012).

Das aktuellste und europaweit wahrscheinlich größte Outdoor Education-Forschungsprojekt in Dänemark heißt TEACHOUT (2013-2017). Im Rahmen von TEACHOUT untersucht ein großes Forschungsteam den Unterricht außerhalb des Klassenzimmers an 40 Schulen. Begründet wird der hohe Forschungsaufwand mit den positiven Ergebnissen von Outdoor Education. Es wird beispielsweise mit einer Korrelation zwischen körperlicher Aktivität und Kreativität, Schülerverhalten und allgemeiner Schulleistung argumentiert (zum Beispiel Biddle & Asare 2011). Das Projekt untersucht vorrangig körperliche Aktivität, Lernen und soziale Beziehungen. TrygFondens fördert das Projekt mit ca. 1,3 Millionen Euro (Bentsen 2016, S. 58). Das dänische Bildungsministerium und das dänische Umweltministerium haben außerdem entschieden, Outdoor Education in Form des Demonstrationsprojektes „Udvikling af Udeskole“ („Entwicklung der Udeskole“) über drei Jahre mit ca. 1,6 Millionen Euro zu fördern (ebd.).

Die Implementation von Outdoor Education an Schulen ist in Dänemark im Vergleich zu anderen Ländern in Europa weit fortgeschritten:

[…] Udeskole [ist] mittlerweile eine etablierte und weit verbreitete Praxis außerschulischen Lernens in Dänemark. Als Basisbewegung hat sie sich zunächst durch einzelne Lehrer(innen), Schulen und NGOs verbreitet (vergleiche Bentsen et al. 2009) und ist später durch die politische Unterstützung auf kommunaler und ministerieller Ebene weiter gewachsen. Gegenwärtig ist die Udeskole Teil einer staatlichen Schulreform im öffentlichen Schulwesen. (Gräfe & Bentsten 2015).

Auch der Forschungsstand zur Verbreitung von Outdoor Education an Schulen ist in Dänemark vergleichsweise gut. Bentsen et al. führten 2010 eine Studie durch, in der es vorrangig um die Fragen ging, wie weit udeskole an dänischen Schulen verbreitet ist, wie sich udeskole an Schulen ausbreitete und welches die Haupthindernisse für die Ausführung von udeskole sind. Die Rücklaufquote der 2082 durch elektronische Fragebögen befragten Schulen betrug 52 Prozent. 28 Prozent der Antworten waren positiv, das heißt es wurde angegeben, dass Lehrer an der jeweiligen Schule udeskole ausübten. 15 Prozent der Schulen planten, udeskole innerhalb der nächsten drei Jahre einzuführen. Die Autorinnen und Autoren schlossen daraus, dass das Angebot von Unterricht außerhalb des Klassenzimmers voraussichtlich in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Ausschlaggebend hierfür sei die weit verbreitete Besorgnis um Kindergesundheit, Umwelt und naturnahen wissen- schaftlichen Unterricht.

Die weit verbreitete Implementation von Outdoor Education an Schulen in Dänemark ist laut Rea & Waite (2009, in Bentsen et al. 2010) auf größere Lehrerautonomie in Skandinavien, verglichen beispielsweise mit England und den USA, zurückzuführen. Witte und Gräfe (2010 in ebd. S. 22) weisen jedoch darauf hin, dass „im Kampf um gute Platzierungen auf der [Bildungsstudien-] Rangliste“ die Gefahr bestehe, dass „die Draußenschule für schulische Belange im Sinne einer Leistungsorientierung instrumentalisiert wird.“

2.1.2 Outdoor Education in Schottland

Schottland ist bezüglich der Outdoor Education-Forschung5 im schulischen Kontext unter den führenden Nationen in Europa. Der gute Forschungsstand ist hauptsächlich auf eine Forschergruppe in Edinburgh um Higgins, Nicol und Beames zurückzuführen. Schottland besitzt an der University of Edinburgh am Moray House School of Education den einzigen Lehrstuhl für Outdoor Education in Europa und eine „anwachsende Forschungsgemeinschaft“ (Telford, Beames & Christie 2016, S. 45).

Der Fokus der Outdoor Education-Forschung in Schottland ist auf die Praxis und auf den Ausbau von Outdoor Education gerichtet. Zahlreiche Studien kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass ein Mangel an Selbstbewusstsein unter den Lehrpersonen eines der Haupthindernisse bezüglich Outdoor Education darstellt (zum Beispiel Mannion, Fenwich & Lynch 2013 in Telford, Beames & Christie 2016).

Im letzten Jahrzehnt konzentrierte sich die Forschung auf Outdoor Education in Vorschulen und Grundschulen. Vor einigen Jahren wurden die Möglichkeiten für Outdoor Education jedoch auch im Sekundarbereich durch die Einführung des Curriculum for Excellence (CfE) verbessert:

Historisch war die Sekundarstufe nur schwer zu erreichen durch die Problematik der starren Abgrenzungen von Schulfächern, von festen Stundenplänen und dem Hinarbeiten auf Klausuren, welche insgesamt die Möglichkeiten von Outdoor Learning stark limitierten. Die Einführung der „Broad General Educational Phase“, einem zentralen Element des CfE, das die Altersstufen von 3-14 einschließt, bietet jedoch größere Flexibilität sowohl innerhalb der Fachgrenzen als auch zwischen den Fächern selbst. Deshalb sind in Schottland der Rahmen und die Möglichkeiten für Outdoor Learning in der Sekundarstufe, vor allem in der S1-S3 Phase (etwa 11-14- Jährige), günstig und jüngste Studien haben gezeigt, dass es auch ein großes Interesse unter den Lehrern an einer solchen Entwicklung gibt. (Christie et al. 2014 in ebd. S.44)

Bedeutende Untersuchungen für das heutige Verständnis und die Implementation von Outdoor Education an Schulen in Schottland wurden innerhalb eines großen Forschungsprojekts von Nicol et al. (2006a), Nicol et al. (2006b), Mannion et al. (2007), McKendrick (2005) und Ross et al. (2006) veröffentlicht. Finanziert durch Learning and Teaching Scotland und Scottish Natural Heritage wurden innerhalb des Projekts verschiedene Studien durchgeführt und unter anderem Fragebögen verteilt sowie Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern und außerschulischen Anbieterinnen und Anbietern von Outdoor Education geführt.

Ein wichtiges Ergebnis dieser Studien ist, dass es große Unterstützung von Seiten der Regierung für Outdoor Education in Schottland gibt, besonders um personale, soziale, umweltbildnerische und gesundheitliche Aspekte zu fördern. Die Inhalte müssen jedoch sorgfältig ausgewählt werden. Häufig wird Outdoor Education noch als eine Ergänzung des Curriculums und nicht als ein fester Bestandteil gesehen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass es weitreichende Unterstützung für Outdoor Education seitens öffentlicher, privater und gemeinnütziger Institutionen gibt. Eine gelingende Zusammenarbeit zwischen diesen Institutionen verbessert die Akzeptanz von Outdoor Education in Schottland (Higgins, Nicol & Ross 2006).

Outdoor Education wurde in Schottland im Laufe der letzten Jahrzehnte unterschiedlich interpretiert. In den 1960er bis 1980er-Jahren verbreitete sich Outdoor Education schnell an vielen Schulen. Daraufhin war ein Rückgang durch eine Verringerung des Bildungsetats und mangelnde Wertschätzung durch die Bildungspolitik festzustellen. In den frühen 2000er- Jahren nahm Outdoor Education an Schulen eine exklusive Randposition ein und wurde als kurzweilige Abenteueraktivität interpretiert (Telford, Beames & Christie 2016). Erst ab 2004 nahm Outdoor Education wieder zu und wurde zunehmend als ruhige, dem Curriculum nahe, in den Schulalltag integrierte Aktivität verstanden.

Eine wichtige Rolle für das heutige Verständnis von Outdoor Education in Schottland spielte Mackenzie. Er betonte die Bedeutung personaler Kompetenzen innerhalb von Schulbildung und favorisierte die Abschaffung von Notensystemen. Eine strenge Trennung der Schulfächer sah er als kontraproduktiv an (vergleiche Christie et al. 2014). Daran anknüpfend interpretieren heute viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Lehrpersonen in Schottland Outdoor Education als eine Unterrichtsform, die Gesundheit, Wohlergehen, Umwelt- und Gesellschaftsverständnis fördern soll (vergleiche Telford, Beames & Christie 2016).

In Schottland gibt es keine trennscharfe Definition von Outdoor Education. In neueren Arbeiten wird allerdings häufig das Spektrenmodell von Beames, Higgins & Nicol (2011, in Telford, Beames & Christie 2016) zitiert. Dieses Modell differenziert vier unterschiedliche Formen von Outdoor Education. Für jede Form, wie beispielsweise das „school ground spectrum“, werden der Lernort und die Lernzeit näher definiert. Als eine Form von Outdoor Education werden laut diesem Modell auch mehrtägige Schulausflüge aufgefasst.

Die Implementation von Outdoor Education an Schulen in Schottland wurde durch mehrere Schritte vorangetrieben. Ein wichtiger Schritt war die Einführung des 2004 komplett neu konzipierten Lehrplans, des „Curriculum for Excellence“ (CfE), der durch die vier Zielbereiche Outdoor Education für alle Schülerinnen und Schüler zwischen drei und 18 Jahren viele Möglichkeiten einräumt:

[Der CfE] soll durch einen flexibleren und interdisziplinären Lehrplan einen stärker schülerzentrierten, ganzheitlichen Ansatz von Lernen und Lehren unterstützen. Das Herzstück dieses Lehrplans ist die Intention, vier Bereiche zu stärken: erfolgreiche Lernende, selbstbewusste Individuen, verantwortungsbewusste Bürger und effektive Mitgestaltende (Scottish Government 2004 in Telford, Beames & Christie 2016, 42).

2010 wurde mit dem „Curriculum for Excellence through Outdoor Learning“ ein für Outdoor Education in Schottland wegweisendes Dokument veröffentlicht. Das „Curriculum for Excellence through outdoor lerarning“ ist eine Erweiterung des CfE und wurde ab 2011 an Schulen implementiert. (Curriculum for Excellence through Outdoor Learning 2010). In den weiterführenden „Curriculum for Excellence Principle and Practice“ (CfEPP) - Dokumenten zu den einzelnen Fächern finden sich beispielsweise folgende Formulierungen, die Outdoor Education ausdrücklich fordern:

[…] encouraging and capitalising on the potential to experience learning and new challenges in the outdoor environment’ (CfEPP Health and Wellbeing)

[…] as children and young people progress in their learning of the sciences, teachers can take advantage of opportunities for study in the local, natural and built environments (CfEPP Sciences)

[…] learning outdoors, field trips, visits and input by external contributors’ (CfEPP Social studies)

Im Curriculum for Excellence through Outdoor Learning (Learning and Teaching Scotland 2010) wird ausgeführt, wie Outdoor Education zu Lernerfolgen in verschiedenen Bereichen beitragen kann: „[Outdoor Learning contributes to] smarter, healthier, safer and stronger, greener, wealthier and fairer children“ (ebd. S. 5).

Aktuelle Studien aus der Implementationsforschung zeigen, dass das „Curriculum for Excellence through Outdoor Learning“ zu einer Förderung und Ausbreitung von Outdoor Education an Schulen in Schottland beitrug. Laut Thorburn & Allison (2013) waren die Möglichkeiten für Outdoor-Unterricht in Schottland selten besser und viele Schulleitungen scheinen Outdoor Education zu unterstützen. Christie et al. (2014) kommen zu dem Ergebnis, dass viele Sekundarschulen Outdoor Education fördern wollen und dafür noch mehr Unterstützung brauchen. Allerdings variiert die Implementation von Outdoor Education an Schulen innerhalb Schottlands stark und viele Gemeindebehörden können keine genauen Angaben zur Gesamtzahl des Angebotes von Outdoor Education geben (Nicol et al. 2006a). Um die Implementation von Outdoor Education in Zukunft weiter voranzutreiben und den hohen Kosten als einem der Haupthindernisse zu begegnen, argumentiert Beames, Atencio & Ross (2009) für fächerübergreifende, ortsnahe und kostengünstige Outdoor-Projekte.

2.1.3 Outdoor Education in Deutschland

In Deutschland wird der Begriff Outdoor Education bisher selten verwendet. Aus Ermangelung eines deutschen Begriffspendants wurde das Verständnis von Outdoor Education in der Schulpädagogik in der Vergangenheit oft eng an andere pädagogische Ansätze gekoppelt, beispielsweise an außerschulisches Lernen oder an Erlebnispädagogik. Diese Ansätze beschreiben jedoch meist exklusive Schulveranstaltungen, die nicht regelmäßig in den normalen Schulalltag integriert sind6. Darüber hinaus gibt es weitere verwandte Ansätze in Deutschland, bei denen der Begriff Outdoor Education jedoch keine Erwähnung findet (von Au 2016).

In neueren Forschungsarbeiten in Deutschland werden die Begriffe Udeskole oder Draußenschule (Gräfe et al. 2016; Weiß 2016) beziehungsweise Outdoor Education (Lindner, Lindau & Finger 2016) immer häufiger übernommen. In Bildungsplänen werden allerdings anstelle von Outdoor Education Formulierungen wie „Kontaktaufnahme zu außerschulischen Experten, Einrichtungen und Organisationen“ oder „Durchführung von Erkundungen“ (Bayern) oder Umschreibungen wie „[Besuch] schulnaher Lebensräume, Umweltzentren und […] Naturkundemuseen“ (Baden-Württemberg, vergleiche Kapitel 1). In Deutschland existiert demnach noch kein einheitlich verwendeter Begriff. Folglich variiert auch das Verständnis von Outdoor Education stark.

In der Forschung wird dem Thema Outdoor Education oder ähnlich bezeichneten Ansätzen in Deutschland vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Allerdings sind in den letzten Jahren einige „Forschungszentren“ für Outdoor Education entstanden:

An der TU in München gibt es beispielsweise eine Forschungsgruppe um Ulrich Dettweiler, die sich nur mit dem Thema Outdoor Education beschäftigt. Die TUM School of Education bietet seit dem Wintersemester 2014 sogar an, Outdoor Education als Zusatzqualifikation zum Sportstudium in zwei Semestern zu studieren. An der Gutenberg Universität in Mainz sind einige Forscher unter der Leitung von Matthias D. Witte und Marius Harring dabei, Draußenschulprojekte in Anlehnung an die norwegische uteskole beziehungsweise die dänische udeskole zu untersuchen [...]. An der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg spielt Outdoor Education For- schung eine wichtige Rolle. Hier wird unter der Leitung von Martin Lindner besonders eng mit Gymnasien in Halle und Lehramtsstudenten naturwissenschaftlicher Fächer zusammengearbeitet [...]. Die Universität Vechta begibt sich als Teil des Erasmus- Projekts ACE Wild (Alternative Curriculum Education out of the Wild) gemeinsam mit Instituten und Schulen in den Niederlanden, in England und in Barnstorf auf vielversprechende neue "Outdoor"-Wege. Und auch die Pädagogische Hochschule Heidelberg ist bekannt für viele wissenschaftlich begleitete Projekte von Unterricht außerhalb des Klassenzimmers. Im Bereich Biologie liegt der Schwerpunkt unter der Leitung von Lissy Jäkel auf Schulgartenarbeit, in der Geographie unter Alexander Siegmund auf der Arbeit mit modernen Geomedien außerhalb des Klassenzimmers […] (von Au 2016, S. 19)

In der Forschung zu außerschulischem Lernen und außerschulischen Lernorten gab es in den letzten Jahren in Deutschland einige Arbeiten, die die Relevanz von Lernen außerhalb des Klassenzimmers unterstreichen (zum Beispiel Guderian 2007; Karpa, Lübbecke & Adam 2015). Grundsätzlich werden die Ergebnisse von Lernen außerhalb des Klassenzimmers als positiv bewertet, sofern der Unterricht gut geplant und ausreichend vor und nachbereitet wird. Die Implementation von Outdoor Education an Schulen in Deutschland ist vergleichsweise schwach. Kontinuierliche Projekte, vergleichbar mit Ansätzen aus Dänemark oder Schottland, sind in der Literatur kaum beschrieben. Wenn Unterricht außerhalb des Klassenzimmers in regelmäßigem Umfang stattfindet, dann hauptsächlich im Primarschulbereich. Ein Beispiel ist die Udeskole an der Pestalozzi-Grundschule in Erlangen. Hier ist Outdoor Education fest im Jahresplan der Schule integriert. Mindestens einen halben Tag lernen Schülerinnen und Schüler wöchentlich oder zweiwöchentlich fächerübergreifend außerhalb des Schulgebäudes (Weiß 2016). Ebenfalls wöchentlich verlassen Schülerinnen und Schüler beim Projekt Draußenschule unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Mainz das Klassen- zimmer:

Einmal pro Woche verlassen vorwiegend jüngere Schulklassen im gesamten Schuljahr den Klassenraum, um regionale Kultur- und Naturräume aufzusuchen. Als Teil der Unterrichtsarbeit verfolgen die Draußentage neben fachlichen auch soziale Lernziele. Die Schüler/innen begeben sich in unterschiedliche Sozialräume, die in der Regel nicht für das schulische Lernen präpariert sind und dadurch einen geringeren Grad an Standardisierung aufweisen. (Gräfe et al. 2016, S. 71)

Im Sekundarschulbereich ist bisher nur das Heidelberger Outdoor Education-Projekt ausführlich in der Literatur beschrieben. Einmal wöchentlich gehen drei fünfte Klassen des privaten Gymnasiums Englisches Institut einen halben Tag in ein schulnahes naturlandschaftlich geprägtes Gebiet. Der Unterricht der Fächer Geographie, Biologie und Naturphänomene findet dadurch ausschließlich außerhalb des Klassenzimmers statt. In den Wintermonaten werden bevorzugt Lernorte wie Museen oder Zooschulen aufgesucht. Das Projekt findet in enger Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule, dem Umweltamt, dem Verein Ökostadt Rhein-Neckar e.V. und vielen weiteren staatlichen, privaten und gemeinnützigen Organisationen statt. Außerdem wird das Projekt wissenschaftlich von der Outdoor-Forschungsgruppe der School of Education in München, dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim und der Sportmedizin der Universität Mainz betreut (vergleiche von Au & Gade 2016). Durch Outdoor Education wird in diesem Fall nicht nur Unterricht vor die Klassenzimmertüre verlagert, sondern auch Unterricht und die Institution Schule nach außen geöffnet.

Im letzten Jahrzehnt wurden die Möglichkeiten des Lernens außerhalb des Klassenzimmers in Deutschland besonders im Sekundarschulbereich vergleichsweise selten genutzt. Dies belegt eine Studie von Klaes & Welzel (2006). Die schriftliche Befragung an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien im Rhein - Neckar - Kreis (n = 88) zeigte, dass Lehrkräfte in drei Jahren durchschnittlich nur vier außerschulische Lernorte besuchten. Verantwortlich für die seltene Nutzung von Lernorten außerhalb des Klassenzimmers sind überwiegend Hindernisse, die nur von wenigen Lehrpersonen überwunden werden. Im Rahmen einer Lehrerfortbildung im Fach Biologie wurden von Hampl (2000) Lehrkräfte an Realschulen in Bayern zu Hindernissen befragt. Die am häufigsten aufgezählten Hindernisse waren Zeitmangel, Klassengröße, Erfahrungsmangel, große Distanz von möglichen außerschulischen Lernorten und eingeschränkte Möglichkeiten durch den Lehrplan. Die Regelmäßigkeit beim Unterrichten außerhalb des Klassenzimmers ist jedoch beispielsweise in Lerngärten (Jäkel 2016) oder Lernlaboren (Guderian 2007) entscheidend für den Lernerfolg.

In einer Studie von Weusmann (2013) wurden 66 Biologie- beziehungsweise SachunterrichtGrundschullehrpersonen zu Freilandunterricht befragt. 22% der Sachunterrichtslehrenden sind viermal oder häufiger pro Jahr im Freiland, bei den Biologielehrenden sind es nur unter 10%, die viermal pro Jahr das Freiland für den regulären Schulunterricht nutzen. Dabei wurde in einer Studie von Lude (2006) deutlich, dass Unterricht außerhalb des Klassenzimmers und damit einhergehende Naturerfahrungen in niedrigeren Klassen deutlich häufiger stattfindet als in höheren Klassen. Dieses Ergebnis deckt sich mit Studienergebnissen aus Dänemark und Schottland (Bentsen et al. 2010; Higgins, Nicol & Ross 2006).

In neueren Bildungs- und Lehrplänen der Bundesländer eröffnen sich Outdoor Education weit reichende Möglichkeiten. In Baden-Württemberg stehen beispielsweise die vier neuen Leitprinzipien „Berufliche Orientierung“, „Prävention und Gesundheitsförderung“, „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“ und „Verbraucherbildung“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg; vergleiche Kapitel 1) eng mit Unterricht außerhalb des Klassenzimmers in Verbindung. Aktuelle Forschungsarbeiten zur Verbreitung von Outdoor Education und vergleichbaren Ansätzen in Deutschland und Möglichkeiten zur Förderung von Outdoor Education an Schulen in Deutschland liegen jedoch nicht vor.

2.1.4 Ableitung einer Arbeitsdefinition von Outdoor Education

Die Entwicklung einer Arbeitsdefinition von Outdoor Education für die vorliegende Arbeit erfolgt durch den Vergleich von Outdoor Education-Ansätzen in verschiedenen Ländern. Durch den Vergleich lassen sich gemeinsame, elementare Merkmale von Outdoor Education ableiten, welche die Grundlage für die Definitionskriterien in dieser Arbeit darstellen.

Für den Vergleich werden außer den Ansätzen aus Dänemark und Schottland weitere Ansätze aus Ländern herangezogen, die an bedeutenden Forschungsnetzwerken und -konferenzen im Bereich Outdoor Education beteiligt sind. Dies sind Schweden (Szczepanski 2006; Fägerstam 2012; Wilhelmsson, Ottander & Lidestav 2012), Norwegen (Jordet 2009; Aadland et al. 2009), England (Waite 2011; Amos & Reiss 2012); Australien (Lugg & Martin 2001, Brookes 2002) und Neuseeland (Zink & Boyes 2006). In allen genannten Ländern sind Forschungsstand und Implementation von Outdoor Education an Schulen vergleichsweise gut. Länderübergreifende Merkmale werden nachfolgend mittels häufig gebrauchter Adjektive identifiziert.

Trotz einiger Ungenauigkeiten, unter anderem durch terminologische Unschärfen (von Au 2016), kann durch dieses Vorgehen ein vergleichsweise trennscharfes Kategorialmodell (vergleiche Abb. 1, S.22) für Outdoor Education entworfen werden. Die Grundlage für dieses Modell bilden die zehn am häufigsten genannten Adjektive bezüglich Outdoor Education in den untersuchten Quellen: activity-based, authentic, creative, explorative, holistic, illustrative, interdisciplinary, motivation, problem-based, sustainable.

Dieses Kategorialmodell besitzt für die vorliegende Arbeit insofern Gültigkeit, da Unterricht in dieser Untersuchung nur als Outdoor Education bezeichnet wird, wenn alle genannten Aspekte im Unterricht eine Rolle spielen. Welcher Kategorie beziehungsweise Form von Outdoor Education der Unterricht durch die Betonung einzelner Aspekte entspricht, spielt bei der Untersuchung keine Rolle. Durch Umrahmungen werden die vier am häufigsten genannten Kategorien hervorgehoben. Die Fragezeichen symbolisieren, dass zusätzliche Kategorien nicht ausgeschlossen sind. Mit dem Modell wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

Zusätzlich zu diesen Merkmalen werden folgende fünf Definitionskriterien, orientiert an den Ansätzen von Bentsen (2016) und Beames, Higgins & Nicol (2011, in Telford, Beames & Christie 2016) hinzugefügt:

1. Outdoor Education findet außerhalb des Klassenzimmers auf dem Schulgelände oder in schulnaher Umgebung (im Umkreis von ca. 10 Kilometern) statt.
2. Outdoor Education erfolgt während der regulären Unterrichtszeit, ist für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend und dauert mindestens eine Unterrichtsstunde.
3. Outdoor Education hat Themen des Curriculum zum Inhalt und steht in Wechselbeziehung zum Klassenzimmerunterricht.
4. Der Lernort steht in Zusammenhang mit dem Lerngegenstand und ermöglicht einen Lerngewinn im Vergleich zum Klassenzimmer als Lernort.
5. Outdoor Education findet kontinuierlich (mehr als einmal monatlich) und aufeinander aufbauend statt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Outdoor Education Kategorialmodell (von Au 2016) 22

Beispiele für Outdoor Education:

− Die Geographielehrerin besucht mit ihrer Klasse im Rahmen des Bildungsplanthemas „Gesteine“ in vier aufeinanderfolgenden Doppelstunden das geologische Museum und erstellt für die Kinder eine Museumsrallye zum Thema „Steine und ihre Entstehung“.
− Im Mathematikunterricht wenden die Schülerinnen und Schüler die theoretischen Grundlagen immer wieder außerhalb des Klassenzimmers an, beispielsweise durch die Vermessung des Stammvolumens der Bäume auf dem Schulhof und die Errechnung des forstwirtschaftlichen Werts.

Unterrichtsbeispiele, die gemäß der im vorliegenden Kapitel entwickelten Arbeitsdefinition nicht zu Outdoor Education gehören:

− Eine Lehrerin unterrichtet Geschichte montags lieber im grünen Klassenzimmer auf dem Schulhof, weil es dort ruhiger ist und den Schülerinnen und Schülern frische Luft gut tut.
− Am Schulwandertag besucht die Klasse einen Hochseilgarten und löst gemeinsam erlebnispädagogische Aufgaben.

2.1.5 Zusammenfassung

Outdoor Education ist ein junges, interdisziplinäres, internationales Forschungsfeld, dem in vielen Ländern in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet wird. Begriffliche Unschärfen tragen zur Komplexität des Forschungsfelds bei. Um eine Arbeitsdefinition zu entwickeln, wurden verschiedene Interpretationen von Outdoor Education in unterschiedlichen Ländern miteinander verglichen. Die abgeleitete Definition lässt sich zusammenfassend wie folgt formulieren:

Outdoor Education ist eine regelmäßig stattfindende Form von Unterricht außerhalb des Klassenzimmers, die während der regulären Schulzeit im Lehrplan vorgeschriebene Themen zum Inhalt hat und den Inhalt authentisch, bewegungsorientiert, multisensorisch und anschaulich vermittelt.

In Deutschland ist Outdoor Education - insbesondere im Sekundarschulbereich - im Vergleich mit Dänemark und Schottland nur sporadisch an Schulen implementiert. In den letzten Jahren haben sich jedoch einige Modellprojekte, zum Beispiel in Heidelberg und Erlangen, etabliert und werden mit wachsendem Forschungsaufwand wissenschaftlich begleitet.

Deutschland ist an der internationalen Outdoor Education-Forschung bisher kaum beteiligt. Der Forschungsstand ist besonders im Vergleich mit Dänemark und Schottland gering. Dies steht in Wechselwirkung mit der marginalen Verbreitung von Outdoor Education an Schulen. Besonders groß ist das Forschungsdefizit bezüglich international vergleichender Studien und bezüglich Förderungsmöglichkeiten für Outdoor Education in Deutschland. Keine vorliegende deutsche Studie untersucht differenziert die Einflüsse auf das Verhalten von Lehrpersonen, die häufig außerhalb des Klassenzimmers unterrichten.

2.2 Motivations- und handlungspsychologische Grundlagen

Um das Handeln von Lehrpersonen, die häufig außerhalb des Klassenzimmers unterrichten, besser verstehen zu können, müssen die Einflüsse auf ihr Handeln untersucht werden. Die Frage nach den Gründen für das Handeln ist eine zentrale Frage innerhalb der Motivations- und Handlungspsychologie und dient als Ausgangspunkt für die Folgefrage nach den Möglichkeiten der Beeinflussung von Handlungen. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden in der Psychologie zahlreiche Ansätze und Konzepte entwickelt. Ziel dieses Kapitels ist es, eine Positionierung innerhalb der Motivations- und Handlungspsychologie vorzunehmen und einige Ansätze, die eine wichtige Grundlage für die vorliegende Arbeit bilden, zu skizzieren. Im Folgenden werden zunächst einige konstitutive, allgemeinpsychologische Begriffe und Unterscheidungen vorgestellt. Darauf aufbauend erfolgt die Darstellung ausgewählter Ansätze und Konzepte aus der allgemeinen Motivations- und Handlungspsychologie. Nach dieser allgemeinen Einführung werden Studien aus der Outdoor Education-Forschung skizziert, die eine ähnliche psychologische Fundierung aufweisen. Die Arbeiten werden dabei unterteilt in Studien, die eher distale Antezedentien (entfernte Einflüsse) und proximale Antezedentien (nahe Einflüsse) als zentralen Forschungsgegenstand untersuchten.

2.2.1 Allgemeine motivations- und handlungspsychologische Ansätze

2.2.1.1 Konstitutive Unterscheidungen

Grundsätzlich wird in der allgemeinen Psychologie häufig zwischen zwei unterschiedliche Kulturen der wissenschaftlichen Erforschung des Menschen unterschieden. Auf der einen Seite existiert die Objektpsychologie, der ein mechanistisches Menschenbild zugrunde liegt, und auf der anderen Seite existiert die Subjektpsychologie, die von Bildern und Erfahrungen, die wir mit uns selbst machen, geprägt wird (Kaiser & Werbik 2012). Geht man von dieser Unterscheidung aus, so ist die vorliegende Arbeit der subjektpsychologischen Kultur zuzuordnen.

Eine weitere fundamentale Unterscheidung innerhalb der allgemeinen Psychologie wird zwischen den systematischen Verfahren der Erkenntnisbildung vorgenommen. Oft wird im Bereich der Subjektpsychologie zwischen vier induktiven Ansätzen unterschieden: dem naiven Empirismus, dem logischen Empirismus, dem kritischen Rationalismus und dem Konstruktivismus. Ansätze innerhalb des Konstruktivismus gehen - genau wie innerhalb des logischen Empirismus - davon aus, dass vor der Generierung von Daten eine Theorie besteht.

Es existiert demnach keine Wirklichkeit an sich, sondern nur eine durch theoretische Konstruktion vorgeprägte Wirklichkeit. Anders als beim kritischen Rationalismus gilt eine Theorie nicht durch einen falsifizierenden Fall als widerlegt, denn auch für widersprechende Fälle gibt es Erklärungsmöglichkeiten (Kaiser & Werbik 2012). Die vorliegende Arbeit ist von Ansätzen des methodischen Konstruktivismus geprägt.

Zentraler Gegenstand der Motivations- und Handlungspsychologie ist die Erklärung von menschlichem Handeln:

Die psychologische Motivationsforschung beschäftigt sich mit dem „Warum“, das heißt den äußeren und inneren Bedingungen und Gründen menschlichen Verhaltens beziehungsweise Handelns. (Mees 2004, S. 8)

Die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Gründen findet sich in vielen Arbeiten zur Motivations- und Handlungspsychologie. Diese Unterscheidung wird in der vorliegenden Arbeit übernommen, wobei äußere Gründe als „kontextspezifische Einflüsse“ (vergleiche Kapitel 2.3) und innere Gründe als „kompetenzorientierte Einflüsse“ (vergleiche Kapitel 2.4) bezeichnet werden. Auf die Schwierigkeit einer Abgrenzung und die Interdependenz dieser Einflüsse wird in den folgenden Kapiteln weiter eingegangen.

Im Folgenden wird anstelle des Begriffs „Ursache“ der Begriff „Grund“ verwendet. „Ursache“ bezieht sich insbesondere auf mechanisch-deterministische Ursachen von menschlichem Verhalten, während „Grund“ vor allem die psychische Veranlassung von menschlichem Erleben und Handeln beschreibt (Mees 2004) und die Subjektivität der Einflüsse stärker betont. Außerdem wird anstelle des Begriffs „Verhalten“ der auf menschliche Tätigkeit beschränkte Begriff des „Handelns“ verwendet. Gemeinhin wird ein Verhalten als Handlung bezeichnet, wenn es zielgerichtet ist. Ziele beziehungsweise Intentionen und deren Ursachen sind allerdings kaum beobachtbar (Kaiser & Werbik 2012) und teilweise implizit, weshalb die Intentionen von Outdoor Education-Lehrpersonen rekonstruiert werden müssen. In der vorliegenden Arbeit werden jedoch nicht nur die Intentionen selbst, beispielsweise in Form von einzelnen Motiven, sondern auch beeinflussende Merkmale wie subjektive Theorien, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, biographische und persönlichkeitsorientierte Merkmale untersucht (vergleiche Kapitel 2.3 ff). Generell kann auch zwischen verschiedenen Kennzeichen motivierten Handelns unterschieden werden. Es gibt Handlungsweisen, die durch bestimmte Motive und Bedingungen erst ausgelöst werden. Andere Handlungsweisen werden lediglich stärker ausgeprägt oder in ihrer Gerichtetheit verändert (Mees 2004). Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der Auslösung der Aktivität des Handelns von Outdoor Education- Lehrpersonen, weniger auf der Intensität, der Persistenz, der Ausdauer oder der Konstanz (in der Innovationsforschung häufig als Volition bezeichnet, vergleiche Kapitel 2.3.1.1).

Des Weiteren wird in der Motivations- und Handlungspsychologie meist zwischen der Beobachtung von außen und der Perspektive des Handelnden unterschieden. Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit ist die beobachtbare Handlung von Outdoor-Unterricht. Untersuchungsgegenstand ist jedoch die Erklärung des Antriebs, der Lehrpersonen außerhalb des Klassenzimmers unterrichten lässt. Zwei wichtige Grundlagen für die Erklärung dieses Antriebs liefern einerseits die Wahrnehmung und Einschätzung der kontextspezifischen Einflüsse durch die Handelnden selbst, andererseits die Einflüsse durch subjektive Theorien und motivationale Orientierungen der Untersuchungspersonen, die vom Forscher rekonstruiert werden müssen (vergleiche Kapitel 2.3 und 2.4). Die Komplexität der Erklärung von Handlungsweisen kommt unter anderem durch die Annahme zustande, dass eine „allseitige Interdependenz von Wille, Wissen, Können, Mittel [und] Handeln“ berücksichtigt werden muss (Bender 2004, S. 250).

Die Unterscheidung zwischen „weil“-Handlungen und „um zu“-Handlungen innerhalb der teleologischen Erklärung von Handlungen spielt für die vorliegende Arbeit insofern eine Rolle, als dass kontextspezifisch beeinflusste Handlungen eher als „weil“-Handlungen, kompetenzorientierte Handlungen eher als „um zu“-Handlungen gelten können. Einen großen Einfluss auf die vorliegende Arbeit hatte auch die dreiteilige Struktur der Handlungserklärung gemäß der „Common-Sense-Psychologie“: Erstens wird von einer bestimmten Absicht einer Person ausgegangen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Zweitens von einer Überzeugung der Person, dass eine bestimmte Handlung am besten zu diesem Ziel führt und drittens von einer Überzeugung dieser Person, dass sie die Fähigkeit, die Mittel und die Gelegenheit hat, diese Handlung auch auszuführen (Mees 2004, S. 17). Sowohl Absichten als auch Überzeugungen werden in der vorliegenden Arbeit den kompetenzorientierten Einflüssen zugeordnet.

In der Motivations- und Handlungspsychologie wird zwischen Motiv und Motivation unterschieden. Ein Motiv ist nach Heckhausen (1989) die Disposition, nach einem wertgeladenen Zielzustand innerhalb eines Person-Umwelt-Bezugs zu streben. Motive werden in der vorliegenden Arbeit als relativ stabile Antriebskräfte gesehen, mit denen unter anderem interindividuelle Unterschiede erklärt werden können. Motive gelten in der Persönlichkeitsforschung als Ausgangspunkt für das Handeln. Roth (2009) bezeichnet Handeln deshalb als motivdeterminiert. Die Motivation erklärt dagegen eher intraindividuelle Unterschiede und ist situationsabhängig (Mees 2004). Für die vorliegende Arbeit spielen vorwiegend die Motive von Lehrpersonen für das regelmäßige Unterrichten außerhalb des Klassenzimmers eine Rolle.

Obwohl die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Einflüssen auf das menschliche Handeln weitestgehend anerkannt ist, gibt es unterschiedliche Haltungen zur Intensität beider Einflüsse. Mees (2004) fasst den aktuellen Forschungsstand, der auch den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit bildet, wie folgt zusammen:

[…] die Wechselwirkung (Interaktion) zwischen Person und Situation [wird heute] berücksichtigt. Denn Personen agieren immer in bestimmten Situationen, und eine Situation ist ohne in ihr handelnde Personen gar nicht denkbar. Das Verhalten ist also eine Funktion sowohl der Person als auch der Umwelt beziehungsweise Situation. (ebd. S. 23)

2.2.1.2 Konstitutive Ansätze

In vielen Arbeiten wird zwischen vier verschiedenen handlungspsychologischen Theoriefamilien unterschieden: den motivations- und volitionspsychologischen Ansätzen, den systemtheoretischen Ansätzen, den strukturalistischen Ansätzen und den sozialkonstruktivistischen und tätigkeitsorientierten Ansätzen (Hiemisch 2009). Für die vorliegende Arbeit sind primär motivations- und volitionspsychologische Ansätze von Bedeutung. Das Hauptinteresse psychologischer Motivationstheorien lag bis in die 80er Jahre auf der Erklärung der Zielwahl von Handlungen. Fragen der Zielrealisierung wurden bis dahin kaum thematisiert. Erst mit Heckhausen wurde dieses „Handlungsloch“ durch das Rubikonmodell der Handlungsphasen geschlossen (Hiemisch 2009, S. 3). Für die vorliegende Arbeit sind sowohl Einflüsse auf die Zielwahl als auch auf die Zielrealisierung von OutdoorEducation durch Lehrpersonen relevant.

Das Rubikonmodell von Heckhausen hat die Entwicklung der deutschen Handlungs- pychologie nachhaltig geprägt (Hiemisch 2009). In dem Modell werden motivations-, volitions- und kognitionspsychologische Konzepte integriert. Zur Erreichung eines Ziels werden die notwendigen Aktivitätssequenzen in vier unterschiedliche Phasen eingeteilt. In jeder Phase müssen bestimmte Aufgaben bewältigt werden. In der prädezisionalen Phase muss ein Wunsch unter mehreren ausgewählt und in eine Intention umgewandelt werden.

[...]


1 Outdoor Education wird hier im weiteren Sinne als regelmäßiger Schulunterricht außerhalb des Klassenzimmers definiert. Eine ausführliche Erläuterung findet sich in Kapitel 2.1

2 Die begriffliche Verwirrung wird zusätzlich durch den Sachverhalt verstärkt, dass besonders in Ländern des amerikanischen Kontinents häufig auch von Schulunterricht unabhängige Aktivitäten als Outdoor Education bezeichnet werden.

3 Das udeskole Netzwerk Dänemark dient der Forschung zu Theorie und Praxis der udeskole und anderer internationaler Outdoor Education - Konzepte. Über die Internetseite www.udeskole.dk besteht Zugriff auf verschiedene Artikel von international führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Finanziert wird udeskole.dk unter anderem vom dänischen Bildungsministerium und von dänischen Forstvereinen.

4 Im Gegensatz zu Unterrichtsformen in Deutschland, die oft als „Unterricht an außerschulischen Lernorten“ bezeichnet werden, findet die beschriebene Unterrichtsform in Dänemark vergleichsweise häufig an pädagogisch nicht vorstrukturierten Lernorten statt.

5 In Schottland seit 2004 offiziell als „Outdoor Learning Research“ bezeichnet. In dieser Arbeit wird der Einfachheit halber weiter der Begriff Outdoor Education verwendet.

6 Eine Ausnahme stellt die Schulgartenarbeit dar, die an manchen Schulen fest im Schulcurriculum verankert ist und kontinuierlich stattfindet.

Ende der Leseprobe aus 182 Seiten

Details

Titel
Outdoor Education an Schulen in Dänemark, Schottland und Deutschland
Untertitel
Kompetenzorientierte und kontextspezifische Einflüsse auf Intentionen und Handlungen von erfahrenen Outdoor Education-Lehrpersonen
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
182
Katalognummer
V370002
ISBN (eBook)
9783668470187
ISBN (Buch)
9783668470194
Dateigröße
2461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Outdoor Education, Unterricht außerhalb des Klassenzimmers, international, Lehrerkompetenzen, Motive
Arbeit zitieren
Jakob von Au (Autor:in), 2016, Outdoor Education an Schulen in Dänemark, Schottland und Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370002

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