Spricht das Libet-Experiment gegen die menschliche Willensfreiheit? Zu den neurowissenschaftlichen Experimenten von Libet sowie Haggard und Eimer


Thèse de Bachelor, 2015

46 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Was Freiheit bedeutet
1.1 Willensfreiheit und Handlungsfreiheit - eine Unterscheidung
1.2 Der Determinismus, eine Bedrohung für die Freiheit?
1.3 Das libertarische Freiheitsverständnis
1.4 Zusammenfassung - die Freiheit und ihre Implikationen

2. Neurowissenschaftliche Experimente zur Willensfreiheit
2.1 Das Libet-Experiment
2.2 Das Folge-Experiment von Haggard und Eimer
2.3 Zusammenfassung der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse

3. Eine kritische Prüfung der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse
3.1 Die inhaltliche Kritik am Libet-Experiment
3.2 Gefährdet eine kausale Verursachung unsere Willensfreiheit?
3.3 Die Freiheit, über die wir verfügen - ein Ausblick

4. Schluss

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Verfügt der Mensch über einen freien Willen? Über Jahrhunderte hinweg war die Frage nach dem freien Willen eine rein philosophische. Bereits Aristoteles diskutiert in seiner Nikomachischen Ethik, ob der Mensch seine Entscheidungen frei treffen kann. Verantwortung, ebenso wie Lob und Tadel kann es laut Aristoteles nur da ge- ben, wo Handlungen willentlich geschehen (vgl. Aristoteles, NE, III 1, 1110a 1-20). Auch bei Kant ist die Freiheit des Menschen ausschlaggebend für seine Moralität. Ohne die Fähigkeit, Entscheidungen frei und autonom zu treffen, könne es nach Kant keine Moralität geben (vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS) B: 447). Die Bedeutung der Willensfreiheit für unser menschliches Selbstbild ist daher fundamental. In unserem Alltag ist es gängige Praxis, unsere Mitmenschen zu kriti- sieren und zu loben, weil wir davon ausgehen, dass sie sich auch anders hätten ver- halten können. Auch unser heutiges Rechtssystem fußt auf dieser Tradition und ver- deutlicht hierdurch den Stellenwert der Willensfreiheit. Es wäre mehr als merkwür- dig, wollte man einen Täter verurteilen, der gar nicht in der Lage war, sich einen anderen Willen zu bilden und anders zu handeln. Unsere allgemeine Auffassung über die menschliche Willensfreiheit ist somit zutiefst konstitutiv für unser gesellschaftli- ches Zusammenleben.

Die Frage nach der Willensfreiheit beinhaltet jedoch nicht allein eine ethische Di- mension, sie ist zugleich eingebunden in das große Feld der Philosophie des Geistes, welche das Verhältnis von Geist und Materie bestimmen will. Insbesondere die phi- losophische Disziplin der Handlungstheorie beschäftigt sich systematisch mit der menschlichen Willensfreiheit. Die Grundlage für die Frage nach dem freien Willen bildet das Leib-Seele-Problem. Als Menschen sind wir eingebunden in die Natur und unterliegen ihren Gesetzmäßigkeiten. Zugleich empfinden wir uns in unserem alltäg- lichen Leben dennoch als frei und autonom. Wie kann das sein, wo es in der Natur zwar Wirkungen und Ursachen gibt, augenscheinlich jedoch keine Freiheit? In der Natur mutet alles an determiniert zu sein. Ein Glas, welches zu Boden fällt, kann nicht entscheiden, ob es zerbrechen will oder nicht. Ebenso wäre es unsinnig, einer Glühbirne einen freien Willen zu unterstellen. Der Mensch scheint hier eine Aus- nahme zu bilden, denn er kann über seine Entschlüsse disponieren. Es ist sein Wille, der kausale Wirkungen ausübt, aber dieser Wille selbst präsentiert sich, als wäre er von nichts Weiterem abhängig. Auch wenn uns Neigungen und Wünsche beeinflus- sen, so haben wir nach unserer alltäglichen Auffassung doch die Möglichkeit, frei zu entscheiden (vgl. Roth 2003, S. 166f.). Für diese These spricht, dass es sich bei unse- ren mentalen Phänomenen um sehr komplexe Gegenstände handeln muss. Als Men- schen verfügen wir über mentale Zustände, die Eigenschaften aufweisen, welche kein materieller Gegenstand in der Außenwelt für sich beanspruchen kann. So sind Menschen in der Position, Überzeugungen zu bilden, die wahr oder falsch sein kön- nen. Die Eigenschaften der Wahrheit oder Falschheit lassen sich in der Natur nicht vorfinden. Ein Baum ist weder wahr oder falsch, lediglich unsere Gedanken können sich als wahr oder falsch erweisen. Viele Philosophen haben aufgrund dieser Fest- stellung die Position vertreten, dass der Mensch nicht allein aus materiellen Substan- zen bestehen kann, sondern noch etwas Wichtiges hinzutritt ─ der Geist. Unser Be- wusstsein und die damit verbundene Fähigkeit willentlich zu handeln, müssen dem- nach von ganz anderer Qualität sein als unser materieller Körper. Über Jahrhunderte hinweg prägte die Vorstellung eines Leib-Seele-Dualismus das menschliche Welt- bild. Alle großen monotheistischen Religionen fußen auf diesem Selbstverständnis. Mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften wurde das dualistische Modell immer stärker in Frage gestellt. Heutzutage stehen die meisten Wissenschaft- ler in einer materialistischen Tradition (vgl. Tetens 2015, S. 12). Nach dem Materia- lismus verfügt der Mensch über keine unsterbliche Seele, sondern ist lediglich das Produkt materieller und damit letztlich atomarer Prozesse. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts befassen sich verstärkt auch die Neurowissenschaften mit der Frage nach dem Verhältnis von Materiellem und Geistigem. Mit experimentellen Methoden versuchen sie herauszufinden, ob das Gehirn unser menschliches Bewusstsein kon- struiert. Auch die Frage nach der Willensfreiheit wurde bereits des Öfteren von Neu- rowissenschaftlern untersucht. Im Jahre 1979 führte der amerikanische Physiologe Benjamin Libet ein Experiment durch, dessen Ergebnisse noch heute für große Kont- roversen innerhalb der wissenschaftlichen Welt sorgen. Libet war auf der Suche nach dem freien Willen des Menschen. Seine Befunde waren ebenso erschütternd wie wegweisend. Demnach entscheidet nicht der Mensch über seine Handlungen, son- dern seine Gehirnzustände. Es folgten weitere, komplexere Experimente, die Libets Ergebnisse bestätigten. Heute ist für einige einflussreiche Neurowissenschaftler die Willensfreiheit nur noch eine Illusion des Gehirns. Wolfgang Prinz, der ehemalige Leiter des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, brachte es auf die prägnante Formel: "Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wollen, was wir tun." (vgl. Prinz 2004, S. 21f.). Aus diesem Grund verlangt beispielsweise der deut- sche Neurowissenschaftler Gerhard Roth als Konsequenz aus den empirischen For- schungsergebnissen eine Änderung des Strafrechts. Schuld im moralischen Sinne existiert seines Erachtens nicht. Roth selbst bezeichnet sich als physikalischen De- terministen und nimmt an, dass alle Phänomene in der Welt nach dem Prinzip der physikalischen Geschlossenheit ablaufen. Demnach verläuft alles in der Natur nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Für einen freien und damit kausal unabhän- gigen Willen ist in diesem Modell kein Platz vorhanden. Nicht unser Wille entschei- det über das, was wir tun, sondern neuronale Aktivitäten in unserem Gehirn (vgl. Roth 2003, S. 178f.). Das mediale Echo auf solch drastische Aussagen ist überaus groß. So greift das deutsche Feuilleton die mitunter radikalen Ansichten führender Neurowissenschaftler dankbar auf und verbreitet sie überaus öffentlichkeitswirksam. "Keiner kann anders, als er ist" lautete beispielsweise die Schlagzeile auf der Home- page der FAZ vom 08.01.2004 (vgl. Singer 2004, o.S.). Mittlerweile erscheint es so, als habe die Neurowissenschaft die Philosophie als Leitdisziplin auf der Suche nach der Freiheit des Menschen längst überholt.

Es zeigt sich, dass mit der Frage nach der menschlichen Willensfreiheit sehr viele schwerwiegende Konsequenzen verbunden sind. Aufgrund der Bedeutung der Frage- stellung und der bestechenden Aktualität der Thematik möchte ich mich in dieser Bachelorarbeit mit der Frage auseinandersetzen, ob das Libet-Experiment und seine Erweiterungen gegen die Existenz der menschlichen Willensfreiheit sprechen.

Für eine fundierte Bearbeitung der Fragestellung muss zunächst geklärt werden, was es im philosophischen Sinne überhaupt bedeutet, Freiheit zu besitzen. Es ist dabei von großer Bedeutung, Willensfreiheit von Handlungsfreiheit zu unterscheiden. Ebenso wichtig ist die Darstellung des Terminus "determiniert sein" und inwieweit eine deterministische Welt der Willensfreiheit gegenübersteht. Da die meisten Men- schen die Existenz eines freien Willens annehmen und eine deterministische Welt mit einem freien Willen für unverträglich erachten, werde ich das Libet-Experiment an einer libertarischen Freiheitskonzeption messen. Zu diesem Zweck möchte ich die Annahmen eines libertarischen Freiheitsverständnisses konkretisieren und sie zur Ausgangsbasis meiner Untersuchung über die Willensfreiheit machen. Die eben ge- nannten Anliegen werden im ersten Teil der Arbeit angegangen. Nachdem die Be- griffsanalyse abgeschlossen wurde, soll im zweiten Kapitel dieser Bachelorarbeit das Libet-Experiment dargestellt werden. Auch die Folge-Experimente von Haggard und Eimer werden in diesem Teil angesprochen. Hierfür werden sowohl der Versuchs- aufbau als auch die durch Libet, Haggard und Eimer gezogenen Implikationen darge- stellt. Im dritten Kapitel dieser Arbeit werden darauf aufbauend die Ergebnisse aus den Experimenten von Libet, Haggard und Eimer kritisch reflektiert und mit den philosophischen Erkenntnissen aus dem ersten Teil konfrontiert. Hierzu werde ich zunächst die Durchführung des Libet-Experiments genauer untersuchen und in einem zweiten Schritt aufweisen, dass selbst ein gelingendes Libet-Experiment unsere menschliche Willensfreiheit nicht gefährden muss. Letztlich werde ich in einem ab- schließenden Resümee die gewonnen Ergebnisse nochmals zusammenfassen und ihre Bedeutung evaluieren. Das Ergebnis meiner Arbeit wird sein, dass das Libet- Experiment die menschliche Willensfreiheit nicht widerlegt und dass das mediale Echo der Leitmedien deutlich zu stark ausfiel.

1. Was Freiheit bedeutet

In diesem Kapitel soll der Begriff der Freiheit genauer erläutert werden. Es wird die Frage geklärt, was es bedeutet, frei zu handeln und einen freien Willen auszubilden. Zu diesem Zweck werde ich mit einer ersten grundlegenden Differenzierung von Willens- und Handlungsfreiheit beginnen. Den schwerwiegendsten Vorwurf gegen die Vorstellung eines freien Willens erheben deterministische Weltanschauungen. Im Anschluss an die Erläuterung der fundamentalen Begriffe Willensfreiheit und Hand- lungsfreiheit soll daher die Determinismusthese genauer beleuchtet werden. Es wird aufgezeigt, auf welchen Annahmen der Determinismus beruht und welche Konse- quenzen sich aus einer determinierten Welt für unsere Vorstellungen von Freiheit ergeben. Unsere alltäglichen Freiheitsvorstellung artikuliert sich vor allem in einer libertarischen Freiheitskonzeption. Als Gegenposition zum Determinismus wird da- her im dritten Teil dieses Kapitels das Modell der libertarischen Freiheit vorgestellt. Der Libertarismus postuliert nicht nur einen starken Freiheitsbegriff, er ist zugleich mit einem deterministischen Weltbild unvereinbar. In der aktuellen Diskussion zur Willensfreiheit werden die Ergebnisse des Libet-Experiments von vielen Neurowis- senschaftlern als Bestätigung ihrer Annahme eines physikalischen Determinismus betrachtet und gleichsam als Widerlegung des libertarischen Freiheitsmodells. Ehe diese Diskussion aufgegriffen und das Libet-Experiment selbst zum Gegenstand dieser Arbeit werden soll, ist es daher sinnvoll, aufzuweisen, was es überhaupt bedeutet, Freiheit zu besitzen, und welche Prämissen eines libertarischen Freiheitsmodells mit dem Determinismus nicht zu vereinbaren sind.

1.1 Willensfreiheit und Handlungsfreiheit - eine Unterscheidung

Sowohl der Begriff der Willensfreiheit als auch der Begriff der Handlungsfreiheit weisen eine Gemeinsamkeit auf. In beiden Wörtern lässt sich die Freiheit als Bestandteil ausfindig machen. Doch was bedeutet es, frei zu sein? An dieser Stelle möchte ich zunächst mit einer Definition der Handlungsfreiheit beginnen.

Unter Handlungsfreiheit verstehe ich im Folgenden die Möglichkeit, so handeln zu können, wie es einem beliebt. Zur Verdeutlichung dieser Definition ist ein Beispiel von Nütze: Als Menschen sind wir an die Naturgesetze gebunden und können nicht einfach abheben und fliegen. Wir können uns zwar wünschen vom Erdboden abzu- heben, dennoch wird uns dies ohne technische Hilfsmittel nicht gelingen. Unsere Handlungsfreiheit ist in diesem Fall durch die Existenz von Naturgesetzen einge- schränkt. Unsere Handlungsvermögen wird allerdings nicht nur von Naturgesetzen begrenzt, auch Interventionen von anderen Personen, Krankheiten und Naturereig- nisse können sich negativ auf unseren Handlungsspielraum auswirken (vgl. Guckes 2003, S. 33f.). Wer im Fußball die rote Karte gesehen hat, darf das Spielfeld nicht mehr betreten und wer mit Fieber ans Bett gebunden ist, der wird kaum den morgi- gen Marathon laufen können.

Die eben genannten Beispiele verdeutlichen, dass der Begriff der Handlungsfreiheit auf die Abwesenheit von äußeren Zwängen verweist. Eine Situation wird von uns dann als frei empfunden, wenn diese sich durch die Abwesenheit von Hindernissen und Beeinträchtigungen charakterisieren lässt. Ein Subjekt besitzt Handlungsfreiheit, wenn es ungehindert seine Absichten in die Tat umsetzen kann. Das Charakteristi- kum des Ungehindertseins verweist zugleich auf ein zweites wesentliches Merkmal für Handlungsfreiheit - das Kriterium der Selbstbestimmtheit. Nur wer in Einklang mit seinen Wünschen und Neigungen handelt, ist frei (vgl. Guckes 2003, S. 34). Betrachten wir erneut ein Beispiel zur Erläuterung der Situation: Angenommen ich möchte mir gerne ein Erdbeereis kaufen, aber meine Freundin schreibt mir vor ein Schokoladeneis zu kaufen. Gesetz dem Fall, dass ich mir nun tatsächlich ein Schokoladeneis kaufe, obwohl ich lieber ein Erdbeereis gegessen hätte, handel ich nicht selbstbestimmt und somit nicht frei. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass eine freie Handlung zudem selbstbestimmt sein muss.

Bisher haben wir zwei Aspekte herausgearbeitet, die für die Existenz von Hand- lungsfreiheit wichtig sind. Eine Handlung ist nur dann frei, wenn sie selbstbestimmt ist, und wenn äußere Hindernisse uns nicht an der Umsetzung hindern. Diese beiden Kriterien sind allerdings zusammengenommen noch nicht hinreichend. Ein dritter wichtiger Aspekt für die Freiheit von Handlungen ist das Nichtvorhandensein von Zufällen. Auch Zufälle dürfen keinen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang un- serer Handlungen haben. Freiheit existiert nur da, wo die Handlung nicht zufällig, sondern durch ihren Urheber bestimmt wird (vgl. Guckes 2003, S.34f.). Allgemein gesprochen, lässt sich dieses Kriterium auch als das Kriterium der Urheberschaft bezeichnen; die Quelle der Handlung muss im Handelnden selbst liegen. Zur Ver- deutlichung kann wiederum ein einfaches Beispiel dienen: Angenommen, ich fälle einen Baum. In diesem Fall bin ich Urheber des Ereignisses, dass der Baum fällt. Es kann aber ebenso geschehen, dass derselbe Baum nicht durch mich, sondern auf- grund eines Blitzschlags gefällt wird. Nur im ersten Fall dieses Beispiels bin ich als Urheber des Ereignisses "Baum fällt" auszumachen.

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Autonomie, Ungehindertsein und die Abwesenheit von Zufällen drei wichtige Merkmale für eine freie Handlung dar- stellen. Es bleibt jedoch auch darauf hinzuweisen, dass Freiheit immer nur graduell existiert. Unsere gesamten Handlungen müssen den äußeren Umständen Rechnung tragen. Fundamental für das Gefühl frei zu sein ist die Möglichkeit, Alternativen zu besitzen. Eine Person empfindet sich in ihrem Handeln dann als frei, wenn sie in einer bestimmten Situation sowohl Handlung A als auch Handlung B ausführen könnte (vgl. Roth 2011, S. 56ff.). Die bisherige Analyse zeigt, dass insgesamt vier Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Subjekt Handlungsfreiheit besitzt: 1. Abwe- senheit von Zwängen, 2. Selbstbestimmtheit der Handlung, 3. Abwesenheit von Zu- fall und 4. das Vorhandensein alternativer Möglichkeiten.

Unsere alltägliche Freiheitsvorstellung erschöpft sich jedoch nicht allein in der For- derung nach Handlungsfreiheit. Eine entscheidende Frage besteht darin, zu klären, ob Menschen nicht nur Handlungsfreiheit, sondern auch Willensfreiheit besitzen. Ich werde mich ab jetzt dem Begriff der Willensfreiheit zuwenden. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird es dann auch die Willensfreiheit sein, der unser Interesse gelten soll.

Es liegt nahe, die Frage nach der Willensfreiheit mit der Generierung des menschli- chen Willens zu identifizieren. Halten wir uns vor Augen, dass sich der Begriff der Freiheit gerade nicht auf die konkrete Umsetzung eines Handlungswunsches bezieht, wenn von Willensfreiheit die Rede ist. Zur Verdeutlichung ist erneut das Beispiel vom Wunsch fliegen zu können von Nutzen. Wie bereits gezeigt wurde, sind wir als Menschen ohne technische Hilfsmittel nicht in der Lage, zu fliegen. Ich habe ver- deutlicht, dass unsere Handlungsfreiheit in diesem Fall eingeschränkt ist. Gleichwohl sind wir in der Lage, den Willen auszubilden, gerne fliegen zu wollen. Das Nicht- vorhandensein einer konkreten Handlungsoption wirkt sich somit nicht auf unser Vermögen aus, einen Willen auszubilden. Wie ich bereits verdeutlichte, lässt sich der Begriff der Handlungsfreiheit grundlegend dadurch charakterisieren, dass das Sub- jekt die Freiheit hat, zu tun was es will - es also willensgemäß handelt (vgl. Keil 2013, S. 150). Doch wie lässt sich der Begriff der Willensfreiheit definieren? Eine analoge Definition von Willensfreiheit als Fähigkeit zu wollen, was man will, klingt merkwürdig. Es ergibt zwar Sinn, von der Fähigkeit zu sprechen, seinen Willen zu wählen, aber hiermit ist nicht das Vermögen gemeint, sein gegenwärtiges Wollen auch anders sein lassen zu können. Plausibler erscheint es, unter Willensfreiheit eine spezielle Art der Entscheidungsfreiheit zu verstehen. Wenn wir in uns gehen, dann merken wir, dass sich Wünsche und Neigungen nicht von alleine in die Tat umset- zen. Zwischen dem Aufkommen von Neigungen und der tatsächlich ausgeführten Handlung liegt der Prozess der Willensbildung. Daher handelt es sich, wenn von Willensfreiheit die Rede ist, um die Fähigkeit, eigene Wünsche und Neigungen zu reflektieren und sich unter Umständen sogar von ihnen zu distanzieren (vgl. Keil 2013, S. 2f.). Aus diesem Grund möchte ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit unter dem Begriff der Willensfreiheit an einem Definitionsversuch von Kane anknüpfen. Für die Existenz von Willensfreiheit müssen nach Kane zwei Kriterien erfüllt sein (vgl. Kane 2005, S. 6): Wir müssen erstens Urheber unseres Willensentschlusses sein und zweitens muss der Prozess der Willensbildung hinderungsfrei ablaufen. Für ei-nen hinderungsfreien Ablauf ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir es sind, die darüber entscheiden, wie wir handeln (vgl. Keil 2013, S. 3).

Mit dieser Definition gehen jedoch wiederum einige problematische Fragen einher. Denn ab wann kann man von einer freien Willensbildung sprechen und wodurch kann sie behindert werden? Wie wir sehen, ist die Frage nach der Willensfreiheit tiefergehend als die Frage nach der Handlungsfreiheit. Denn selbst wenn das Subjekt völlig willensgemäß handelt, kann dieser Wille immer noch fremdbestimmt sein (vgl. Klein 2012, S. 7f.). Man stelle sich hierzu eine Person vor, die unter Hypnose steht. Tätigkeiten, die unter Hypnose ausgeführt werden, bezeichnet man typischer- weise als unfrei. Nichtsdestotrotz wird die hypnotisierte Person bei einer Befragung behaupten, in Einklang mit ihrem Willen gehandelt zu haben (vgl. Klein 2009, S. 28).

Im Gegenzug ist es von ebenso großer Bedeutung, aufzuweisen, dass auch die Wil- lensbildung nicht gänzlich frei ist von Bedingungen. Wer mit einem Schiff in Seenot gerät und zur Rettung die Ladung über Bord wirft, der tut dies nicht freiwillig, son- dern aus Vernunft heraus. Die Vernunft darf einer freien Willensbildung nicht im Wege stehen, denn es wäre absurd zu behaupten, dass vernünftiges Nachdenken die Willensfreiheit einschränkt. Vielmehr entscheidend für eine Einschränkung der Wil- lensfreiheit sind Faktoren, die die Begründung der Willensbildung unmöglich ma- chen. Generell lässt sich festhalten, dass unsere Willensfreiheit nicht durch äußere Zwänge eingeschränkt wird (vgl. Keil 2013, S. 2ff.). Für die Willensfreiheit sind vielmehr zwei gänzlich andere Kriterien ausschlaggebend. Zum einen könnte es sein, dass innere Zwänge, Süchte oder beispielsweise die Manipulation durch Hypnose unsere Willensfreiheit einschränken (vgl. Guckes 2003, S. 36). Des Weiteren besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass unsere Willensbildung bereits vorab determiniert sein könnte. Wenn sich der Determinismus bewahrheiten sollte, dann sind alle unsere Willensentscheidungen letztlich vorherbestimmt (vgl. Guckes 2003, S. 40).

Da sich die aktuelle Diskussion bezüglich der Willensfreiheit aus neurowissenschaft- licher Sicht vor allem auf der Annahme eines physikalischen Determinismus stützt, möchte ich mich im weiteren Verlauf intensiver mit der Determinismusthese ausei- nandersetzen. Um ein genaueres Bild über den Stand der Diskussion zu erhalten und darzustellen, inwieweit der Determinismus eine Gefahr für das libertarische Frei-heitsverständnis darstellt, soll der nächste Abschnitt die Annahmen und Implikationen des Determinismus verdeutlichen.

1.2 Der Determinismus, eine Bedrohung für die Freiheit?

Für ein besseres Verständnis dafür, inwieweit ein real existierender Determinismus unsere menschliche Freiheit gefährdet, ist es sinnvoll, mit einer Definition des Wortes Determinismus zu beginnen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es diverse Abwandlungen des Determinismus gibt. Was uns im Folgenden interessieren soll, ist lediglich der physikalische Determinismus. Diese Einschränkung geschieht aus dem Grund heraus, dass führende Neurowissenschaftler in ihren Werken vor allem die Position des physikalischen Determinismus einnehmen.

Wie stellt sich nun die grundsätzliche Annahme dieser philosophischen Auffassung dar? Der universale Determinismus besagt, dass alles, was in der Welt geschieht, strikt festgelegt ist. Demnach hätte kein Ereignis in anderer Form auftreten können, alles ist vollständig vorherbestimmt. Der Zufall existiert nicht und selbst Ereignisse, die uns als zufällig erscheinen, unterliegen letztlich physikalischen Ursachen und Gesetzmäßigkeiten (vgl. Falkenburg 2012, S. 21). Der amerikanische Philosoph Pe- ter van Inwagen bringt es auf die handliche Formel: "Determinism is, intuitively, the thesis, that, given the past and the laws of nature, there is only one possible future." (vgl. van Inwagen 1983, S. 65) Ein besseres Verständnis dieser Aussage bekommen wir, wenn wir folgende Abbildung betrachten:

Abbildung 1 (vgl. Inwagen 2015, S. 269)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Graphik veranschaulicht die Konsequenzen einer deterministischen Welt. Der Punkt, an dem die unverbundenen Linien beinahe die lange Linie berühren, repräsen- tiert die Gegenwart. Obwohl es auf den ersten Anblick so erscheint, dass es vier mögliche Zukunftsentwicklungen geben könnte, ist doch lediglich eine einzige Ent-wicklung möglich. Nur diese eine Zukunftsentwicklung ist demnach mit den Gesetzen der Physik vereinbar. Alle anderen Pfade dieser scheinbaren Weggabelung sind uns verschlossen.

Grundsätzlich wird der Determinismus von den meisten Menschen als klarer Gegen- satz zur Willensfreiheit betrachtet. Die deterministische Auffassung ist zugleich eng mit einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung verbunden. Es ist somit wenig verwunderlich, dass historisch gesehen bereits seit langem innerhalb der Naturwis- senschaften mit einem deterministischen Weltbild gearbeitet wird. So gründet sich beispielsweise der Erfolg der galileischen Experimente auf der Annahme einer ge- setzmäßig verlaufenden Natur. Ebenso wären die Erkenntnisse von Isaac Newton ohne deterministische Annahmen nicht möglich gewesen. Im 19. Jahrhundert ver- wies dann der französische Mathematiker Pierre Simon Laplace bildhaft auf die Im- plikationen einer vollkommen determinierten Welt. Laplace stellt sich hierzu einen Dämon vor, der über alle Informationen zu einen bestimmtem Anfangszustand der Welt verfügt. Nach unserem heutigen Verständnis kann man sich statt des Dämons einen Supercomputer vorstellen. Ausgehend von einer allumfassenden Kenntnis über den Anfangszustand der Welt, ist der Computer als außenstehender Beobachter nach Laplace nun in der Lage, den gesamten weiteren Weltverlauf zu berechnen (vgl. Rit- zenhoff 2000, S. 26ff.). Unter dem Begriff des Determinismus versteht man daher auch die Annahme, dass die Ereignisse in unserem Universum keinen zufälligen Schwankungen unterworfen sind, sondern strikten physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Ein Blick in die Natur scheint diese Annahme zunächst zu bestätigen. Eine Sonnenfinsternis tritt nicht einfach zufällig auf, sie ist vielmehr das Ergebnis einer bestimmten gesetzmäßig verlaufenden Planetenkonstellation (vgl. Seebaß 2007, S. 22). Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, dass es in der Welt durchaus Prozesse und Ereignisse gibt, die sich nicht einfach berechnen und erst gar nicht vorhersagen lassen. Unser menschliches Verhalten oder das Werfen eines idealen Würfels scheinen diese Charakteristika zu besitzen. Betrachtet man das Würfeln jedoch über eine lange Zeit, so wird sich herausstellen, dass das Gesetz der großen Zahlen greifen wird. Das Gesetz der großen Zahlen besagt, dass bei einer hinreichend großen Anzahl von Würfen jede Zahl annähernd gleich oft auftreten muss. Dieser einfache Verweis soll verdeutlichen, dass das alleinige Merkmal der Unvorhersehbarkeit eine mögliche Determiniertheit nicht ausschließen kann.

[...]

Fin de l'extrait de 46 pages

Résumé des informations

Titre
Spricht das Libet-Experiment gegen die menschliche Willensfreiheit? Zu den neurowissenschaftlichen Experimenten von Libet sowie Haggard und Eimer
Université
University of Münster  (Philosophisches Seminar)
Note
1,7
Auteur
Année
2015
Pages
46
N° de catalogue
V370431
ISBN (ebook)
9783668478206
ISBN (Livre)
9783668478213
Taille d'un fichier
761 KB
Langue
allemand
Mots clés
Libet-Experiment, Willensfreiheit, Determinismus, Quantenphysik, Handlungstheorie
Citation du texte
Sebastian Lübken (Auteur), 2015, Spricht das Libet-Experiment gegen die menschliche Willensfreiheit? Zu den neurowissenschaftlichen Experimenten von Libet sowie Haggard und Eimer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/370431

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