Marcel Prousts Welt ist eine Welt der Gefühle und Sinneswahrnehmungen, die mit bestimmten Eindrücken, Personen und Landschaften zu einer ästhetischen Einheit verschmelzen. Diese Gefühle und Sinneswahrnehmungen sind es, die unser inneres Wesen ausmachen und unsere Existenz bestätigen. Denn die materielle Realität, wie wir sie wahrnehmen, ist nicht die reine Wirklichkeit des Lebens, sondern sie überlagert die individuelle Wahrheit, die ein jeder in sich trägt.
Diese individuelle Wahrheit ist in der Vergangenheit verschlossen. Um sie zu erschließen, reicht es aber nicht, sich die Vergangenheit durch die mémoire de l’intelligence wieder ins Gedächtnis zu holen. Ihrer Erschließung liegt das poetische Konzept der mémoire involontaire zugrunde. Die mémoire involontaire ist durch keine metaphysischen Kategorien in der Lebenswelt verankert. Es hängt ganz vom Zufall ab, ob sie sich dem Individuum erschließt. Nur mit dieser unwillkürlichen Erinnerung ist es möglich, das damals Erlebte aus den Tiefen der Vergangenheit zu reißen. Um nun aber dieses Glücksmoment des Augenblicks gänzlich verstehen zu können, muss er in die Gegenwart integriert werden.
Die Realität ist wie ein Spiegel: Sie scheint mit Leben erfüllt, ist aber nicht mehr als eine Reflektionsscheibe für unser inneres Wesen, unsere Persönlichkeit. Wir stehen vor diesem Spiegel und sehen die Reflexionen, erkennen die Dinge aber nicht in ihrer Essenz. Die Zeit ist wie das Licht, welches die Reflektion erst möglich macht. Da wir aber nur die Repräsentationen, die Bilder im Spiegel sehen, niemals aber das Objekt der Reflektion, müssen wir das Licht in seinem Weg erfassen, dass heißt die Zeit in ihrer Dauer erkennen.
Ausgehend von den theoretischen Ausführungen Marcel Prousts zu seiner Erinnerungsästhetik wird in dieser Arbeit die Konzeption des Augenblicks untersucht, wie er im Motiv der deux côtés de Combray entwickelt wird.
Im 1. Teil stelle ich die theoretischen Ausführungen Prousts zur mémoire involontaire vor, die er in Le tems retrouvé darlegt. Der Schwerpunkt liegt dabei darauf, wie die mémoire involontaire in der Lage ist, Oppositionen zu überwinden. Im 2. Teil untersuche ich, inwieweit Proust in den deux côtés in Du côté de chez Swann bestimmte Oppositionen entwickelt, um sie schließlich in Le temps retrouvé auf vielschichtige Weise wieder zusammenzubringen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Konzeption der Erinnerungsästhetik: mémoire involontaire
- les deux côtés de Combray
- antonymische Relation der beiden Seiten
- Motivik der beiden Seiten
- Weg der Desillusionierung
- le temps retrouvé
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit beschäftigt sich mit der Konstruktion des Augenblicks in Marcel Prousts „A la recherche du temps perdu“, insbesondere mit dem Motiv der „deux côtés de Combray“. Im Fokus steht dabei die Analyse der Erinnerungsästhetik, insbesondere der mémoire involontaire, und ihrer Rolle bei der Überwindung von Gegensätzen.
- Die Konzeption der mémoire involontaire bei Proust
- Die Bedeutung der „deux côtés de Combray“ in der Entwicklung der Erinnerungsästhetik
- Die Rolle der Desillusionierung im Werk
- Die Integration der Vergangenheit in die Gegenwart durch die mémoire involontaire
- Die Verbindung zwischen Zeit und Erinnerung
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik der Erinnerungsästhetik bei Proust ein. Hier wird die Bedeutung der Gefühle, Sinneswahrnehmungen und der individuellen Wahrheit im Werk hervorgehoben. Es wird erläutert, dass die materielle Realität nicht mit der individuellen Wahrheit übereinstimmt und dass diese nur durch die mémoire involontaire erschlossen werden kann.
Konzeption der Erinnerungsästhetik: mémoire involontaire: In diesem Kapitel wird die Konzeption der mémoire involontaire bei Proust vorgestellt. Es wird erläutert, wie diese Form der Erinnerung in der Lage ist, Oppositionen zu überwinden. Die mémoire involontaire ist nicht an metaphysische Kategorien gebunden, sondern hängt vom Zufall ab. Nur durch sie können die Tiefen der Vergangenheit erschlossen werden.
les deux côtés de Combray: Dieses Kapitel analysiert das Motiv der „deux côtés de Combray“ in Du côté de chez Swann und untersucht die entwickelten Oppositionen. Im Detail werden die antonymische Relation der beiden Seiten, die Motivik der beiden Seiten und der Weg der Desillusionierung beleuchtet. Darüber hinaus wird die Integration der beiden Seiten in Le temps retrouvé behandelt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen der Erinnerungsästhetik, der mémoire involontaire, der Zeit und Erinnerung, der Desillusionierung und der Konstruktion des Augenblicks. Wichtige Begriffe sind die „deux côtés de Combray“, die antonymische Relation, die Motivik der beiden Seiten, der Weg der Desillusionierung und die Integration der Vergangenheit in die Gegenwart.
- Citation du texte
- Simone Linde (Auteur), 2000, Die Konstruktion des Augenblicks im Motiv der ´deux cotés de Combray´ in Marcel Prousts ´A la recherche du temps perdu´, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3707