Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung: Die Stellung der Frau im 18. Jahrhundert
2. Aufbau der Hausarbeit
3. Die Frauenfiguren in Lessings Dramen
3.1. Emilia Galotti - Einführung in das Trauerspiel
3.1.1. Emilia
3.1.2. Orsina
3.2. Miss Sara Sampson. Einführung in das Drama “Miss Sara Sampson“
3.2.1. Miss Sara Sampson
4. Fazit
5. Bibliographie
1. Einleitung: Die Stellung der Frau im 18. Jahrhundert
Das 18. Jahrhundert gilt als ,,prägendes Zeitalter für die Veränderung der Frauenrolle"[1] und steht für den Beginn der Frauenbewegung. Durch die Epoche der Aufklärung motiviert, welche unter anderem für die Handlungsfreiheit der Menschen plädierte, fingen die ersten mutigen Frauen (zuerst in England und Frankreich) an, an einen Umschwung der Frauenposition zu denken und ihren Missmut kundzutun. Ihre Bestrebungen, Proteste und Gedanken betrachtet man heute als die Wurzeln der Frauenemanzipation.
Die Frauen kämpften für einen sozialen Aufstieg sowie für die Gleichsetzung der Geschlechter. Bis jeher wurden Frauen nämlich nicht als den Männern ebenbürtig angesehen, sondern ihre Aufgabe bestand ausschließlich darin, als Ehefrau und Mutter zu dienen. Sie mussten sich somit ihren Ehemännern unterordnen und waren zudem auch rechtlich und ökonomisch von den Männern abhängig[2]. Letzteres ging so weit, dass die Väter in der damaligen Zeit üblicherweise die Ehemänner für ihre Töchter aussuchten. Auch war den Frauen eine Ausbildung verwehrt, da diese sie von ihren Pflichten - nämlich die Erziehung der Kinder sowie das Erledigen des Haushalts - abhalten würde. Das Einzige, was den Frauen in ihrer Freizeit gestattet war, war die Zuwendung zur Literatur. Sie war das einzige Medium, aus welchem die Frauen sich weiterbilden konnten. Zusammenfassend bedeutet dies also, dass die Frauen eine feste Rollenordnung zu befolgen hatten und in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Mann standen, welcher die einzige Pflicht hatte, sich um die Unterhaltszahlung seiner Frau zu sorgen. Die Frauen waren somit machtlos und mussten ihrer Stellung passiv erliegen.
Jemand der diese Stellung der Frau stark kritisierte, war Gotthold Ephraim Lessing, einer der wichtigsten deutschen Dichter der Aufklärung. Er setzte sich gegen das allgemeingültige Frauenbild dieser Zeit ein und bemühte sich an ihrem sozialen Aufstieg beizutragen, indem er in seinen Werken Frauengestalten erfand, die tugendhaft, aber gleichzeitig auch stark und selbstständig waren. Weiterhin sah er die Ehe als Partnerschaft an, in welcher Mann und Frau gleichgestellt waren. In diesem Sinne könnte man Lessing als den Wegbereiter zur Emanzipation verstehen, obwohl er sich zu diesem Thema ausschließlich mittels seiner Werke äußerte.
2. Aufbau der Hausarbeit
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit den Frauenbildern Lessings.[3] Um diese besser zu verstehen, werden verschiedene Frauenbilder aus unterschiedlichen Dramen analysiert. In diesem Sinne widmet sich das erste Kapitel der Hausarbeitet zwei Frauengestalten aus der Tragödie „Emilia Galotti“ zu: Emilia und Orsina. Bei dieser Analyse wird der Fokus vor allem auf die Frage gelegt, inwiefern beide Figuren als emanzipierte Frauen betrachtet werden können. Im darauffolgenden Kapitel wird die Figur der Miss Sara Sampson aus dem gleichnamigen Trauerspiel untersucht. Hier gehen wir detaillierter auf die Handlung ein und konzertieren uns auf die emanzipierten Taten Saras.
3. Die Frauenfiguren in Lessings Dramen
Lessings Frauenfiguren unterscheiden sich von den anderen dieser Zeit. So erkennt man einerseits zwar noch Charakterzüge des bisherigen tradierten Frauenbildes (beispielsweise bleibt meist die patriarchalische Familienstruktur vorhanden), andererseits zeigen die Frauen bereits die ersten Anzeichen der Selbstfindung. Auch sind die Frauen meist gebildeter und erleben während der Lektüre einen Reifeprozess, eine Entwicklung. Ein zentrales Beispiel hierfür besteht in der Frauengestalt der Emilia Galotti, welche wir später noch genauer untersuchen werden. Diese Frau erlebt quasi einen Umschwung in ihrer Persönlichkeit und Verhaltensweise - aus einer scheinbar schüchternen, zurückhaltenden Emilia wird eine taffe, zielgerichtete und selbsthandelnde Frau.
Des Weiteren war Lessing ein Befürworter der Liebesheirat( Vgl. Wosgien, 1999). Dies war eine ganz neue Vorstellung für die Leser des 18. Jahrhunderts, da bisherige Ehen vom Vater arrangiert wurden. Als Beispiel ist hier die Frauengestalt der Miss Sara Sampson zu nennen, welche wir ebenfalls später genauer untersuchen werden. Sara beschließt das Elternhaus zu verlassen, um an Mellefonts Seite zu leben. Diese Entscheidung bereut sie auch nicht:
,,Ich will mit Ihnen, nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen verbunden sein." (Reclam: 1Aufzug, 7 Auftritt S.15)
Ein erwähnenswertes Merkmal in Lessings Dramen ist die Tatsache, dass die Männer zwar im Zentrum aller Handlungen stehen, sie die Hauptrolle jedoch den Frauen einräumen müssen. Letztere halten die Fäden in den Händen und bestimmen das Geschehen. Die Männer sind nicht untätig, sie schmieden Pläne, welche jedoch meist nicht in Erfüllung gehen (beispielsweise als Emilia Galotti, um ihrer Ehre willen, ihren Vater um ihre eigene Ermordung bittet).
Die Ehre stellt eine weitere zentrale Charakteristik in Lessings Dramen dar. Sie bestimmt sowohl das Bild der Frauengestalt als auch die Männerwelt. Tellheilm, der Verlobte von Minna aus dem Lustspiel ,,Minna von Barnhelm" gefährdet zum Beispiel sein Liebesglück, nur um die Ehre willen und Emilia opfert ihr junges Leben, um ihre sowie die Familienehre zu retten.
In Lessings Dramen breit vertreten ist ebenfalls das Motiv der Verführung, welches eine tugendhafte, engelsgleiche Dame in Frage stellt. Als Musterbeispiele sind hier die Dramen Emilia Galotti und Miss Sara Sampson zu nennen. Die einfühlsamen Figuren Emilia Galotti und Sara Sampson bestreiten ihren Lebensweg, auf dem sie jedoch den intriganten und lasterhaften Figuren Marwood und Orsina begegnen.
3.1. Emilia Galotti - Einführung in das Trauerspiel
Emilia Galotti ist ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Das Werk wird als Höhepunkt Lessings dramatischen Schaffens angesehen. In diesem Werk verarbeitet der Autor den Stoff der Legende der Römerin Virginia, welche besagt, dass der Vater Lucius Verginius seine Tochter Virginia - um ihre Ehre und Freiheit vor dem Tyrannen Appius zu bewahren - erdolchte.
Ein ähnliches Schicksal erwartet auch Emilia, die sich als Folge skrupelloser Machenschaften in den Fängen des Prinzen von Gustalla wiederfindet. Als Emilia erfährt, dass Letzterer auch noch ihren Verlobten, den Grafen Appiani, ermordet hat, beschließt sie, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und ihrem Leben ein Ende zu setzen.
3.1.1. Emilia
Die Hauptfigur Emilia aus dem gleichnamigen Trauerspiel ,,Emilia Galotti" ist wohl eines der wichtigsten Frauenbilder Lessings. Sie vereint das tradierte Bild einer tugendhaften Frau des 18. Jahrhunderts mit einer gebildeten modernen Frau.
Ganz der zeitlichen Familienideologie angepasst, bestrebt Emilia sich, eine gute Ehefrau für ihren zukünftigen Gatten Appiani zu sein. Diesbezüglich empfindet die junge Frau Scham, als sie während einer Morgenmesse von Liebeswerbungen seitens des Prinzen Hettore Gonzaga bedrängt wird. Dieses Schamgefühl wird jedoch nicht nur durch das unsittliche Benehmen des Prinzen (welcher eine verlobte Frau umwirbt) hervorgerufen; es bezieht sich ebenfalls auf das neuendeckte Gefühl, das durch diese Verführungsversuche in Emilia erwacht. Die junge Frau hat eine neue Seite in ihrer Natur entdeckt, von der sie völlig verwirrt ist.
Um sich einen klareren Kopf zu verschaffen, teilt Emilia das Geschehen sofort ihrer Mutter mit. Diese Verhaltensweise ist auf Emilias Erziehung zurückzuführen: Sie wurde belehrt, dass sie darauf achten muss, was die Umgebung sagt („ mich von ihm loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht haben “, Reclam XL: 2.Aufzug, 6. Auftritt S.29).
Des Weiteren erkennt man aus Emilias Reaktion, dass sie keine Erfahrung im Umgang mit dem anderen Geschlecht hat. Dementsprechend handelt Emilia in diesem Abschnitt noch nicht eigenhändig, sondern redet ständig über allgemeine Prinzipien und Regeln, welche sie vom Vater übermittelt bekommen hat.
Nach der Entführung verändert sich Emilias Persönlichkeit. Aus der schüchternen, ängstlichen, jungen Frau, wird eine taffe Dame, die sich zu verteidigen versteht. Zum ersten Mal handelt sie selbstständig, setzt sich gegenüber der Männerwelt zur Wehr und ist ihr nicht mehr passiv untergeordnet. Sie hat mit dieser Verwandlung während des Werkes einen Reifeprozess durchlebt. So weiß Emilia nun den Prinzen geschickt auf Abstand zu halten und behält nach ihrer Entführung eine erstaunliche Fassung. Ihre Mutter, die sie genau kennt, überrascht dies jedoch nicht: „Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig; aber nach der geringsten Überlegung, in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem Tone“ (Reclam XL: 4. Aufzug, 8.Auftritt S.72)
Wie in allen Werken Lessings beeinflusst auch hier wieder die Frau und nicht der Mann die Handlung. Nachdem Emilia erfahren hat, dass sie – vorgeblich bis zur Aufklärung des Überfalls – von ihren Eltern getrennt und in das Haus des Kanzlers Grimaldi gebracht werden soll, und auch ihr Vater keinen Ausweg aus den von Marinelli ausgeheckten Plan kennt, entscheidet Emilia selbst, diesem Konflikt mit ihrem eigenen Mord ein Ende zu setzen. Emilia hält somit die Fäden in den Händen.
In diesem Ausschnitt kristallisiert sich auch die Ehre als wichtiger Bestandteil des Dramas heraus. Emilia ist sich bewusst, dass sie ihre Ehre und die Ehre ihrer Familie verlieren würde, wenn sie sich den Wünschen des Prinzen fügen würde. Doch trotz dieser Kenntnis, ihrer strengen Erziehung und ihrem vorherigen Leben als tugendhafte Frau, ist sie sich nicht sicher, ob sie dem Prinzen widerstehen kann. „Verführung ist die wahre Gewalt.“ (Reclam XL: 5.Aufzug, 7.Auftritt, S.85). Aus diesem Konflikt sieht Emilia nur einen Ausweg und wählt den Tod. Diese Reaktion kann man als emanzipierte Tat betrachten, da Emilia diesen Ausweg bewusst gewählt hat.
Odoardo: „Nicht doch; nicht doch! Besinne dich. - Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.“ (Reclam XL: 5. Aufzug, 7.Auftritt, S.85)
Emilia: „Und nur eine Unschuld!“ (Reclam XL: 5.Aufzug, 7.Auftritt, S. 85)
3.1.2. Orsina
Das genaue Gegenbild der Emilia verkörpert die Gräfin Orsina. Diese hat den Prinzen aus ganzem Herzen geliebt, wurde jedoch von ihm verlassen. Auch sie ist eine selbstständige, gebildete Frau, welche die Machtstrukturen in der Geschlechterbeziehung erkannt hat. So lässt sie sich nicht von Männern beherrschen. Dementsprechend ist sie auch nicht damit einverstanden, dass der Prinz - nur weil er sich an der Spitze der Gesellschaftsordnung befindet - alle Menschen beliebig beherrschen kann.
„... - wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin - Verdammt, über das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen! ( Reclam Xl: 4.Aufzug, 3.Auftritt s.60)
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[1] Rennhak, K. & Richter, V. Revolution und Emanzipation: Geschlechterordnungen in Europa um 1800., Wien.2004, S. 69
[2] Rogge, A. Die Erste Frauenbewegung in Deutschland. München, 2010, S.12