Editionsanalyse der historisch-kritischen Ausgabe von Franz Kafkas "Die Verwandlung"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Textkonstitution

3. Varianten und Variantenapparate
3.1 Die Leseausgabe
3.2 Der Einblendungsapparat
3.3 Der Einzelstellenapparat

4. Beitexte und Editionsvorgang
4.1 Der Prospekt
4.2 Die textkritischen Zeichen

5. Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung erschien im Jahr 2003 im Stroemfeld in Frankfurt am Main als historisch-kritische Franz Kafka-Ausgabe, welche auch als Frankfurter Kafka-Ausgabe oder kurz schlicht als FKA bezeichnet wird. Herausgegeben wurde die FKA dabei von Roland Reuß und Peter Staengle. Die Edition wurde zum Teil sogar als revolutionär empfunden, da sie mitunter Faksimiles des gesamten Manuskripts der Verwandlung Kafkas beinhaltet, wodurch ein unverfälschter Einblick in die Textgenese gewährt wird. Zu sehen sind diese Faksimiles jedoch auch auf einer beiliegenden CD-ROM. Dementsprechend macht sich die FKA die Vorteile dieses elektronischen Mediums zunutze und zeigt sich als Edition zwischen Tradition und Moderne: man nutzt als Zusatz zum gedruckten Medium ebenfalls neue Techniken, um das Alte dauerhafter konservieren zu können.

Diese Arbeit widmet sich als Editionsanalyse der Untersuchung der historisch-kritischen Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung. Es sollen hierbei die verschiedenen Aspekte und Vorgehensweisen, die für das Erstellen einer Edition relevant sind, genauer untersucht werden. Dabei soll mit der FKA als Beispiel insbesondere die konkrete Umsetzung editionswissenschaftlicher Praktiken analysiert werden. Nach dieser kurzen Einleitung als Einstieg in die Thematik soll daher im zweiten Punkt die Textkonstitution der historisch-kritischen Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung beschrieben werden. Anschließend werden in einem dritten Punkt die verschiedenen Varianten und Variantenapparate vorgestellt, die die Edition umfasst. Dabei handelt es sich um die Leseausgabe (3.1) sowie um den Einblendungsapparat (3.2) und den Einzelstellenapparat (3.3). Danach werden im vierten Kapitel der Editionsanalyse die Beitexte und der Editionsvorgang im Fokus des Interesses stehen. Genauer gesagt wird dabei der Prospekt (4.1) untersucht, aber auch die textkritischen Zeichen (4.2). Platz für Kritik und Verbesserungsvorschläge bietet dagegen das fünfte Kapitel. Hier wird die FKA als Editionsbeispiel kritisch reflektiert und es werden mögliche Alternativen vorgestellt. In einem sechsten Punkt erfolgt dann die Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse aus der vorangegangenen Analyse. Mit dem siebten und letzten Kapitel, dem Literaturverzeichnis, schließt die Arbeit letztlich ab.

2. Textkonstitution

Zur Textkonstitution lässt sich zunächst einmal ganz generell sagen, dass die historisch-kritische Ausgabe der Verwandlung insgesamt drei Hefte umfasst. Im ersten Heft befindet sich dabei eine Leseausgabe der Verwandlung, die ein Faksimilenachdruck der Erstausgabe des Buchdrucks von 1915 ist. Hier wird dementsprechend der Text als reine Leseversion, also ohne längere Kommentare und ohne jegliche Varianten präsentiert. Bei dem zweiten und auch dicksten Heft handelt es sich dagegen um eine Faksimile-Edition. Das heißt konkret, dass auf einer Seite jeweils ein Faksimile der Handschrift in schwarz-weiß und Originalgröße abgedruckt ist, während auf der gegenüberliegenden Seite eine diplomatische Umschrift der jeweiligen Manuskriptseite erfolgt. Das Faksimile für jede Seite des Original-Manuskripts ist dementsprechend stets auf einer Doppelseite mit der dazu erfolgten diplomatischen Umschrift zu sehen. Nach dieser Methode verfährt die FKA im zweiten Heft, das durch den Verlag den Titel Franz Kafka Oxforder Quartheft 17 erhalten hat, durchgängig und konsequent. Das heißt, die gesamte Handschrift Kafkas zur Verwandlung wird im zweiten Heft vollständig und parallel neben den diplomatischen Umschriften gezeigt. Der Vorteil hierbei ist, dass auf diese Weise ein direkter Vergleich und ein Abgleichen möglich sind. So kann nachvollzogen werden, wie die Umschrift auf Basis des Manuskripts durchgeführt wurde und es wird so ein erster Einblick in die Vorgehensweise der Editoren eröffnet und ermöglicht.

In dem dritten Heft der FKA finden sich dann nicht nur nähere Ausführungen zur Entstehungsgeschichte der Verwandlung und zur Handschrift, sondern der Text an sich wird hier auch erneut, jedoch ohne die Faksimiles, abgedruckt. Der Stroemfeld Verlag selbst hat diesem Heft dabei den Namen Franz Kafka-Heft 4 verliehen. Zu einem tieferen Verständnis der Edition und Editionsweise verhilft dann ein weiterer Bestandteil der historisch-kritischen Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung. Dabei handelt es sich um eine Art Prospekt im Umfang von nur wenigen Seiten. Doch diese wenigen Seiten enthalten wichtige und interessante (Hintergrund-)Informationen, die einen deutlichen Mehrwert liefern. Aus welchen Inhalten dieses prospektartige Beiheft genau besteht, das wird an späterer Stelle dieser Arbeit noch einmal ausführlicher thematisiert werden. Zu erwähnen ist hier jedoch noch, dass der historisch-kritischen Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung auch eine CD-ROM beigegeben ist. Auf dieser lassen sich alle Texte auffinden, die auch in der physischen Edition enthalten sind, sprich: die Leseausgabe, die Faksimiles des Manuskriptes aus dem zweiten Heft und deren diplomatische Umschrift sowie der Text und die näheren Hintergrundinformationen des dritten Heftes. Lediglich diejenigen beispielhaften Erläuterungen, die in dem kurzen Prospekt zu lesen sind, fehlen auf der CD-ROM gänzlich. Erwähnenswert ist darüber hinaus außerdem die Tatsache, dass die Faksimiles auf dem elektronischen Medium ursprünglich nicht in Farbe, sondern in Schwarz-weiß zu sehen waren. Dies wurde jedoch für die neueren Versionen der FKA geändert – mitunter, weil dies einer der Hauptkritikpunkte an der Edition repräsentierte – sodass die Faksimiles auf der ihnen beigefügten CD-ROM nun farbig sind.

3. Varianten und Variantenapparate

Die historisch-kritische Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung aus dem Stroemfeld Verlag enthält, wie bereits ersichtlich wurde, mehrere Hefte. In diesen Heften sind unterschiedliche Textversionen zu sehen, es werden dem Leser dementsprechend verschiedene Varianten geboten. Diese Varianten verzeichnen dabei ebenso unterschiedliche Variantenapparate. Im Nachfolgenden sollen daher diese, voneinander abweichende, Varianten und die jeweils dazugehörigen Apparate der FKA vorgestellt und näher erläutert werden.

3.1 Die Leseausgabe

Die Leseausgabe ist der Bestandteil, der sich auch bereits optisch von den zwei anderen Komponenten der Edition unterscheidet. Denn bei der Leseausgabe handelt es sich nicht um ein Heft, sondern um ein Buch im herkömmlichen Sinne. Das Buch weist dementsprechend ebenso ein gänzlich anderes Format auf. Es ist nämlich deutlich kleiner als die Hefte. Während deren Format etwa DIN A4 groß ist, kann das Buch lediglich DIN A5-ähnliche Ausmaße vorweisen. In dieser Hinsicht gibt es also bereits rein optisch Differenzen zwischen den einzelnen Editionsbestandteilen. Die Leseausgabe befindet sich aber in einer weißen Hülle, die die gleiche Größe wie die zwei, ebenfalls weißen, Hefte aufweist. Auf diese Weise wird ein – insbesondere auch visuell – stimmiges und überzeugendes Gesamtbild erzeugt. Des Weiteren wurde der Größenunterschied zwischen den einzelnen Komponenten der Edition, der wenig ansprechend gewesen wäre, durch diese Vorgehensweise geschickt retuschiert.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Leseausgabe um einen Faksimilenachdruck der Erstausgabe des Buchdrucks von 1915. Die Leseausgabe enthält dabei – mit Ausnahme der drei letzten Seiten – den Text der Verwandlung. Bei den eben genannten, letzten Seiten handelt es sich dagegen um äußerst interessantes Zusatzmaterial. Denn die letzten zwei Seiten stellen ein kleines Nachwort von Roland Reuß und Peter Staengle dar. Die Herausgeber gehen hier genauer auf die Publikationsgeschichte der Verwandlung ein. So weisen sie darauf hin, dass es sich bei der Leseausgabe um den Nachdruck der Verwandlung hält, so wie sie 1915 im Kurt Wolff Verlag erschienen ist. Die Erzählung wurde hier innerhalb der Reihe Der jüngste Tag in einem Doppelband veröffentlicht. Dies war aber nicht die erste Veröffentlichung der Verwandlung, der Text wurde zuvor etwa bereits in einer Zeitschrift abgedruckt. Jedoch war es, wie Reuß und Staengle betonen, die erste Publikation der Verwandlung, die Kafka gründlich Korrektur gelesen hat.[1] Dennoch schlagen die beiden drei Änderungen vor, dabei handelt es sich konkret um folgende Vorschläge:

50,33-34 statt Vater, auch recte Vater auch,

55,1 statt zusahen; recte zusahen,

7,3 statt einer recte eines[2]

Reuß und Staengle unterbreiten mit diesem Einzelstellenapparat somit zwei Verbesserungsvorschläge für die Interpunktion sowie einen grammatikalischen Verbesserungsvorschlag. Hierfür wird zunächst die Seitenzahl angegeben, auf die sie sich beziehen, aber auch die Zeilenangabe, welche mit Komma von der ersteren Angabe abgetrennt wird. Das Lemma erfolgt dann direkt auf das ‚statt‘, nach dem recte erfolgt schließlich die vorgeschlagene Änderung. Da das Bezugswort vorhanden ist, handelt es sich dementsprechend um einen positiven Apparat. Nach diesem Lemma folgt jedoch keine eckige Klammer, die nach links geöffnet ist, sondern diese Funktion wird von dem Wort ‚recte‘ erfüllt. Da dieses ‚richtig‘ bedeutet, macht es deutlich, dass es sich um die Verbesserung eines offensichtlichen Fehlers handelt. Auch fehlt eine Sigle am Schluss der jeweiligen Korrektur. Eine solche ist jedoch nicht nötig, da die Variation nicht aus einem anderen Textträger stammt, sondern klar ist, dass diese von Reuß und Staengle stammt.

Das Nachwort der Leseausgabe enthält darüber hinaus noch weitere informative Details zur Verwandlung. So erhält der Leser beispielsweise Informationen zu den Kaufpreisen des Doppelbandes, in dem die Verwandlung 1915 erschien. Aber auch über die Illustration des Umschlages wird näheres berichtet. Denn eine solche weist die Leseausgabe der FKA nicht auf, ihr Einband ist gänzlich in neutralem Schwarz gehalten. Auf der dritten und letzten Seite des Nachdrucks wird diese ursprüngliche Illustration des Einbandes zur Veranschaulichung dann auch gezeigt. Insgesamt wird also deutlich, dass die Leseausgabe ihr Ziel sehr gut erfüllt. Sie ist eine einfache und übersichtliche Ausgabe, die sich gut zum bloßen Lesen der Verwandlung eignet. Darüber hinaus enthält sie für den interessierten Leser jedoch auch ein paar kleine Anmerkungen. Diese sind jedoch gut verständlich und dabei sehr kurz und bündig gehalten, sodass sie dem Anspruch einer Leseausgabe gerecht werden.

3.2 Der Einblendungsapparat

Das zweite Heft der historisch-kritischen Franz Kafka-Ausgabe der Verwandlung, also das Heft mit den Faksimiles des Manuskriptes in Originalgröße (daher auch das doch recht große DIN A4-Format), verwendet einen Einblendungsapparat. Denn während auf der einen Seite das jeweilige Faksimile zu sehen ist, erfolgt auf der gegenüberliegenden Seite dessen diplomatische Umschrift. Und just bei diesen Umschriften kommt ein Einblendungsapparat zum Einsatz, die Varianten werden dementsprechend unmittelbar in den fortlaufenden Text eingeblendet. Die Lektüre dieses zweiten Heftes geht daher nicht ganz so leicht von statten wie die Lektüre der Leseausgabe, insbesondere, weil die Dichte der Korrekturen hoch ist. Somit kommt es zu keinem kontinuierlichen Lesefluss, da dieser durch die sichtbar gemachten Korrekturvorgänge ‚gestört‘ wird. Doch dies ist auch gar nicht gewünscht, denn gerade das Heft mit den Faksimiles und den diplomatischen Umschriften liefert bewusst mehr als die bloße Lektüre des Textes. Der Fokus liegt hier auf den Änderungen und Varianten des Textes. Und diese werden dem Leser durch die direkten Einblendungen sowie mit dem damit einhergehenden, auch optisch kenntlich gemachten Störungen des Leseflusses, am bewusstesten gemacht. Die Verwendung des Einblendungsapparates ist hier dementsprechend die optimale Wahl, da auf diese Weise die richtigen Akzente gesetzt werden und die Bedeutung der Varianten hervorgehoben wird. Sehr praktisch ist dabei, dass der Apparat und das jeweils dazugehörige Faksimile direkt nebeneinander abgedruckt sind, wodurch ein unmittelbarer Vergleich möglich wird, auch wenn dieser aufgrund seiner Komplexität natürlich Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert.

Dieses zweite Heft leistet einen überaus wichtigen und aufschlussreichen Dienst. Es liefert nämlich durch den Abdruck der Faksimiles zur Verwandlung einen authentischen und vor allem auch einen durchgängigen Einblick in die Entstehung und die Entwicklung des Textes. Denn hier werden nicht nur einzelne Seiten von Kafkas Handschrift gezeigt, sondern das gesamte Manuskript von Anfang bis Ende. Dies ermöglicht einen unverfälschten Einblick und zwar nicht nur in das Manuskript selbst, sondern – wie bereits angedeutet - eben auch in die Textgenese. Insgesamt sind die Faksimiles und die damit verbundenen Umschriften samt Einblendungsapparat eine editorische Besonderheit, wie man sie nur äußerst selten antrifft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Erscheinen der Frankfurter Kafka-Ausgabe freudig erwartet und zudem als eine Innovation für die Editionswissenschaft angesehen wurde.[3] Besonders zu honorieren ist jedoch ebenso die große Mühe, die die Herausgeber auf sich genommen haben. Schließlich ist mit der Faksimilierung des gesamten Manuskripts der Verwandlung ein hoher Aufwand verbunden – zumal die Erzählung bei weitem nicht das einzige Werk Kafkas war, dem Reuß und Staengle sich angenommen haben. Stattdessen stellen die von ihnen unternommenen Editionen von Franz Kafkas literarischem Schaffen wohl eher ein Lebensprojekt dar.

Wie zuvor bereits erwähnt, wurde in erster Linie die Sichtbarmachung des Manuskripts als bahnbrechend und revolutionär empfunden. Doch auch die diplomatische Umschrift ist hier von großem Vorteil. So wird nicht nur die Textgenese noch einmal separat aufgeschlüsselt und dem Leser gezeigt. Insbesondere erfolgt dies jedoch auch auf vergleichsweise einfache und gut verständliche Weise. Denn mitunter stellt bereits die Handschrift Kafkas ein scheinbar unüberwindbares Hindernis dar. Diese ist stellen- und teilweise (insbesondere für den durchschnittlichen, ungeübten Rezipienten) nur schwer bis gar nicht entzifferbar. Unter anderem streicht Kafka seine Änderungen nämlich nicht nur durch, sondern schwärzt diese fast gänzlich, so dass kaum ein Buchstabe mehr lesbar erscheint. Die Umschriften helfen deshalb immens, um den genauen Original-Wortlaut des Manuskripts lesen und nachvollziehen zu können. Zudem wird hieran auch sichtbar, welch großer Aufwand für die Herausgeber mit der Edition verbunden war. Denn ebenfalls die Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts in dem zum Teil extrem schwer lesbaren Text verlangt Mühe, Konzentration und ein geübtes Auge.

Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass ebenfalls das zweite Heft – neben dem Einblendungsapparat – in manchen Fällen zusätzlich einen Einzelstellenapparat in den Fußnoten aufweist. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Der Einzelstellenapparat wird stattdessen nur dann benutzt, wenn Besonderheiten auftreten, die die Editoren auf diese Weise nochmals besonders hervorheben wollen. Hierbei handelt es sich insbesondere um Eigenheiten der Handschrift Kafkas. So weisen Reuß und Stangle auf Passagen des Manuskripts hin, die ein auffälliges Charakteristikum besitzen und somit bereits rein optisch markant sind. Und dies ist auch gleich zu Beginn des Manuskripts der Fall, worauf auch sogleich hingewiesen wird: „17 ausgebreitet] <b nachgezogen>“.[4] Dass aber sogar die Editoren selbst sich nicht immer ganz sicher waren, wie sie die Handschrift zu interpretieren hatten, wird anhand des Einzelstellenapparates im zweiten Heft ebenfalls ersichtlich: „31 glücklicher weise] <möglich auch:> glücklicherweise“.[5]

3.3 Der Einzelstellenapparat

Der Unterschied des dritten und letzten Heftes der FKA besteht im Vergleich zum zweiten Heft darin, dass die Varianten nicht unmittelbar in den Text eingeblendet werden, sondern in den Fußnoten aufzufinden sind und die jeweilige Zeile angeben, auf die sie referieren. Innerhalb des Textes selbst werden dagegen keinerlei Varianten angezeigt. Es wird also der Text der Verwandlung ohne jegliche Eingriffe präsentiert. Die vorgenommenen Korrekturen finden sich also ausschließlich in den Fußnoten des Heftes. Es wird somit kein Einblendungsapparat, sondern ein Einzelstellenapparat – und zwar ausschließlich und durchgehend ein solcher - verwendet. Der hier zum Einsatz kommende Einzelstellenapparat unterscheidet sich jedoch wiederum von dem Einzelstellenapparat der Leseausgabe. Er unterscheidet sich sogar formal von dem Einzelstellenapparat, der im zweiten Heft teilweise zum Einsatz kommt. Inwiefern dies der Fall ist, das soll nun genauer aufgezeigt werden.

Ähnlich wie der manchmal auftretende Einzelstellenapparat im Oxforder Quartheft 17, gibt der Apparat desselben Typus im dritten Heft die jeweilige Zeile an, auf die die vorgenommene Änderung sich bezieht. Danach folgt das Bezugswort, das Lemma, worauf sich eine nach links geöffnete Klammer und die Variante direkt anschließen. Da das Bezugswort vorhanden ist, handelt es sich dementsprechend – wie auch bei den bereits vorgestellten Einzelstellenapparaten der Edition – um einen positiven Apparat. Während der Einzelstellenapparat der Leseausgabe und des zweiten Heftes nun aber so enden, folgt hier noch ein kleines Detail. Nämlich schließt die jeweilige Korrektur mit einer Sigle, genauer gesagt entweder mit einem D2 oder einem J. Damit sieht der Einzelstellenapparat (zum Beispiel) folgendermaßen aus: „15 jeden] keinen J“[6] oder auch so: „22 bis] wenn D2“.[7]

Dieses vermeintlich kleine Detail ist dabei nicht nur eine bloße Formalität, sondern weist auf ein besonderes Spezifikum der Edition hin. Wer das Heft aufmerksam studiert, findet auf Seite 22 - und damit unmittelbar bevor der Text samt Einzelstellenapparat beginnt - auch nähere Hinweise zu den Siglen D2 und J. An dieser Stelle erfolgt im dritten Heft der Hinweis, dass der edierte Text dem Druck D1 folgt. Zugleich werden mit D2 und J jedoch auch sämtliche Emendationen im textkritischen Apparat verzeichnet, so dass ebenso die Drucke D2 und J komplett rekonstruiert werden können. Und genau das ist auch die Besonderheit dieses Einzelstellenapparates: die Tatsache, dass nicht nur die Varianten eines, sondern gleich mehrerer Textträger aufgezeigt werden. Auf diese Weise (und nur auf diese Weise) sind somit authentische und intensive Einblicke in die Genese und die Überlieferung des Textes möglich.

Die historisch-kritische Franz Kafka-Ausgabe bietet dementsprechend drei verschiedene Varianten: die Leseausgabe nach dem Buchdruck von 1915, den Einblendungsapparat mit den Faksimiles (inklusive eines partikular verwendeten Einzelstellenapparats) sowie den eigentlichen Einzelstellenapparat. Die FKA wird somit verschiedenen Ansprüchen gerecht: die Verwandlung kann mit der Leseausgabe einfach nur gelesen werden, im Einzelstellenapparat dagegen werden dann bereits erste Varianten auf übersichtliche und leicht lesbare Weise präsentiert. Anspruchsvoller ist dagegen der Einblendungsapparat, dafür bietet er – auch wegen der Faksimiles – einen zusätzlichen und noch tieferen Einblick in die Textgenese. Insgesamt stellt das Franz Kafka-Heft 4, das dritte Heft der Edition, dementsprechend ein Mittelweg zwischen der Leseausgabe und dem Oxforder Quartheft 17, dem dritten Heft, dar. Es bietet sich an, um die Verwandlung zu lesen, da durch den Einzelstellenapparat der Lesefluss weder beeinträchtigt noch gestört wird. Dennoch bietet der Apparat bereits zahlreiche und gut verständliche, wenig komplexe Varianten. Zusammengefasst lässt sich damit sagen, dass sich die Frankfurter Kafka-Ausgabe mitunter also durch ihre Polyvalenz auszeichnet. Die jeweiligen Hefte können einzeln oder in Kombination gelesen und studiert werden und bedienen dementsprechend verschiedene Lese(r)Ansprüche.

[...]


[1] Vgl.: Franz Kafka: Die Verwandlung. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. *1.

[2] Franz Kafka: Die Verwandlung. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. *1.

[3] Vgl.: Martin Doerry: Der Prozess tanzt. 70 Jahre nach dem Tod Franz Kafkas werden die Rechte an seinem Werk frei. Prompt kündigt der kleine Frankfurter Stroemfeld-Verlag eine aufwendige Kafka-Edition an – Kampfansage gegen den bisherigen Inhaber der Rechte, S. Fischer, dessen Kafka-Ausgaben bis heute den Markt beherrschen. In: Der Spiegel 1/1995.

[4] Franz Kafka: Die Verwandlung. Oxforder Quartheft 17. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. 4.

[5] Franz Kafka: Die Verwandlung. Oxforder Quartheft 17. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. 128.

[6] Franz Kafka: Die Verwandlung. Franz Kafka-Heft 4. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. 32.

[7] Franz Kafka: Die Verwandlung. Franz Kafka-Heft 4. Hg. v. Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt a.M. 2003, S. 32.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Editionsanalyse der historisch-kritischen Ausgabe von Franz Kafkas "Die Verwandlung"
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
17
Katalognummer
V372854
ISBN (eBook)
9783668503977
ISBN (Buch)
9783668503984
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Editionswissenschaft, Franz Kafka Die Verwandlung
Arbeit zitieren
Sarah Neubauer (Autor:in), 2017, Editionsanalyse der historisch-kritischen Ausgabe von Franz Kafkas "Die Verwandlung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/372854

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