"Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie." Ein literaturkritischer Beitrag von Theodor W. Adorno


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung

II Die Brüchigkeit in Goethes Klassizismus
1 Antinomien in der sprachlichen Umsetzung
2 Die Auflösung des Mythos
3 Der Humanitätsgedanke

III Literatur als Reflexionsbasis für Adornos Philosophie

IV Zusammenfassende Bewertung

V Literatur

I Einleitung

Theodor W. Adorno ist als bedeutender Philosoph des 20. Jahrhunderts bekannt. Jedoch befasste er sich nicht nur mit philosophischen Fragestellungen. Einen – nicht nur quantitativ – bedeutsamen Platz nehmen unter anderem Schriften ein, die sich mit ästhetischen Gegenständen beschäftigen, bei denen es sich vor allem um Musik und Literatur handelt.

Offensichtlich sind diese ästhetischen Schriften nicht als separater und autonomer Theoriebereich gedacht, vielmehr ergänzen sie die philosophischen und sozialwissenschaftlichen Arbeiten und bilden mit ihnen eine Synthese.

Die vorliegende Arbeit möchte ihr Augenmerk vor allem auf die „Noten zur Literatur“ richten. In ihnen widmete sich Adorno verschiedenen Autoren und Werken und deren Analyse. Hier soll nur ein Aufsatz aus dem umfangreichen Repertoire der Noten zur Literatur eine genauere Betrachtung erfahren: der 1967 erstmals erschienene Aufsatz Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie. Hier beschäftigt sich Adorno mit Goethes Drama Iphigenie auf Tauris und den für Goethe spezifischen Charakteristika des Klassizismus. Er betrachtet diesen sehr skeptisch und hebt seine brüchigen Elemente hervor. Diese Arbeit möchte Adornos Text und seine Argumente darstellen und abschließend beurteilen.

II Die Brüchigkeit in Goethes Klassizismus

Wie der Titel bereits ankündigt, beschäftigt Adorno sich in diesem Text vor allem unter dem Aspekt des Klassizismus mit Goethes Schauspiel. Er will zeigen, was den Klassizismus Goethes ausmacht, woraus er seine Gültigkeit erfährt und worin die Genialität des Schriftstellers besteht.

Auf den ersten Blick scheint Adornos zentrale These paradox: Für ihn erhält der Klassizismus in Iphigenie auf Tauris seine Gültigkeit erst durch das Brüchige, durch nicht auflösbare Widersprüche im Drama: „[...] in seiner Brüchigkeit bewährt sich der Goethesche Klassizismus als richtiges Bewusstsein [...]“[1]. Damit setzt er einen neuen Wert, seinen Wert des Textes gegen das gängige Wert-„Cliché“[2] der üblichen Germanistik. Dieses Klischee vergegenwärtigt er dem Leser gleich zu Beginn des Textes:

Die stets noch herrschende Ansicht bringt Goethes Entwicklung unters Cliché eines Reifeprozesses. Nach Sturm und Drang habe der Dichter sich zu zähmen gewußt. Seine Erfahrung von der Antike habe ihm geholfen, sich abzuklären und den sogenannten Standpunkt des schlacklos reinen Kunstwerks einzunehmen [...][3]

Goethe erfährt dieser Meinung zufolge im Laufe seiner Italienreise, bei welcher er auch der antiken Kunst begegnet, eine innerliche Reifung und lässt deshalb Sturm und Drang hinter sich, um sich dem Klassizismus zuzuwenden. Adorno wendet sich entschieden gegen diese Meinung.

Darüber hinaus tut das Schema von der Abklärung Goethe Unrecht, indem es den Anschein erweckt, sein Werk habe die Erfahrung des Dunklen, die Kraft der Negativität verleugnet und eine Harmonie fingiert [...].[4]

Adorno negiert nicht den Reifeprozess an sich, er sieht ihn sich nur in eine andere Richtung entwickeln. Nicht zu mehr Harmonie findet der gereifte Goethe, sondern Brüchigkeit ist das wesentliche Merkmal seiner klassizistischen Werke. Diese sind weitaus brüchiger, besitzen mehr Widersprüche als seine Werke des Sturm und Drang.

Sein Klassizismus ist nicht die entschlossene Gegenbewegung eines geläuterten Menschen gegen sein frühes Werk sondern dessen dialektische Konsequenz.[5]

Als Unterstützung seiner These bedient sich Adorno des berühmten Aufsatzes von Arthur Henkel Die „verteufelt humane“ Iphigenie[6]. Arthur Henkel ist der Erste, der sich von der bildungsbürgerlich-verklärenden Deutung des Schauspiels als Figuration bloßer reiner Menschlichkeit abgrenzt. Adorno gibt wichtige Gedanken des Aufsatzes wieder und lobt ihn seiner Verdienste. Er sieht sich selbst in der Tradition von Henkel, setzt dessen Ansatz fort.

Unter den Verdiensten der Arbeit über die verteufelt humane Iphigenie von Arthur Henkel ist nicht das kleinste, daß er jene Konvention zertrümmerte und die Gewalt des Mythischen gerade an dem Stück hervorhob, das [...] den Typus des Goethischen Klassizismus am eindringlichsten geprägt hat.[7]

Was zeichnet nun aber genau Goethes Klassizismus aus? Als nächstes sollen die Momente der Brüchigkeit, die Widersprüche des Dramas einzeln vorgestellt werden. Adorno findet in drei wesentlichen Kategorien Widersprüche.

1 Antinomien in der sprachlichen Umsetzung

„Der Stil des Werkes ist der alles durchdringende Äther seiner Sprache.“[8] Adorno sieht den Aspekt der Sprache als wesentlich für dieses Drama an. Goethe ist für ihn moderner als alle Hainbündler und Stürmer und Dränger, gerade weil er ihre radikalen sprachlichen Neuerungen nicht weiterführt und stattdessen auf die kunstvolle Rhythmisierung der Sprache setzt.

Außerdem trägt selbst die Sprache das zivilisatorische Moment in die Dichtung. Sie mildert das Rohe, ohne dass „extreme und erschreckende Sachverhalte [...] abgeschwächt würden“[9]. Goethes Sprache vermag mit wenig Worten viel auszudrücken. Thoas letzte Verse, „der Übergang von dem pragmatischen ‘So geht’ (2151) zu dem berühmten ‘Lebt wohl’ (2174)“[10] werden durch ihre „verborgene Fülle“[11] erst interessant.

Der Widerspruch in der Sprache findet sich laut Adorno in zwei Aspekten. Zum einen betrachtet er den Nominalismus: Es

ist auf den künstlerischen Nominalismus zu rekurrieren, die Suprematie des Besonderen und Einzelnen übers Allgemeine und den Begriff. Er bildet die stillschweigende Voraussetzung von Goethes Produktion.[12]

Dieser Nominalismus ist in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert zu finden, in ihm liegt aber gleichzeitig eine wichtige Antinomie. Laut Nominalismus soll sich die Einheit des Stückes aus den Einzelheiten zusammenschließen, es gibt keine bindende Einheit vor den einzelnen Teilen. „Damit verlieren die Einzelheiten [jedoch] gleichzeitig das Wozu [...]“[13], sie ergeben nur im Ganzen einen Sinn.

Goethe setzt nun den Klassizismus als Lösung für dieses Problem ein. Sie ist ein „Mittleres, von den Extremen sich Entfernendes“[14]. Ein Mittelweg deshalb, weil

[...] er die aprioristische Konstruktion und ihren Widerhall in der pathetischen Rede ebenso meidet wie das begriffslose Detail, das droht, aus dem ästhetischen Kontinuum in vorästhetische Empirie abzusinken.[15]

Allerdings nennt Adorno diese Lösung „fragil“[16]. Sie ist eigentlich nicht möglich, da der im Nominalismus immanente Widerspruch sie ausschließt. Sie versucht einen Ausgleich zwischen zwei Extremen zu schaffen, „[...] wo keine Versöhnung ist“[17]. Und doch sieht Adorno auch einen positiven Aspekt: Diese Unbeständigkeit des Klassizismus „wiederum strahlt als Glanz [...] auf ihn zurück [...]“[18].

[...]


[1] Adorno, Theodor W.: Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie. In: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Band 11. Frankfurt am Main 1997, S. 502.

[2] Ebenda, S. 495.

[3] Ebenda

[4] Ebenda

[5] Ebenda, S. 502.

[6] Henkel, Arthur: Die „verteufelt humane“ Iphigenie. Ein Vortrag. In: Euphorion 59 (1965), S. 1-18.

[7] Adorno: Zum Klassizismus, S. 495.

[8] Ebenda, S. 501.

[9] Ebenda

[10] Ebenda

[11] Ebenda

[12] Ebenda, S. 502.

[13] Ebenda, S. 503.

[14] Ebenda

[15] Ebenda

[16] Ebenda

[17] Ebenda

[18] Ebenda

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
"Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie." Ein literaturkritischer Beitrag von Theodor W. Adorno
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V37305
ISBN (eBook)
9783638366885
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klassizismus, Goethes, Iphigenie, Beitrag, Theodor, Adorno, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Karin Neumann (Autor:in), 2004, "Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie." Ein literaturkritischer Beitrag von Theodor W. Adorno, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37305

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