Identitätsbildung und Identitätsformen in Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt"


Trabajo Escrito, 2010

15 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt

1 Einleitung

2 Sexuelle Identitäten
2.1 Paarkonstruktionen im Werk Marieluise Fleißers:
2.2 Sexuelle Identitätsbildung im Werk Marieluise Fleißers:

3 Sprachliche Identitäten
3.1 Sprachliche Identitätsbildung im Werk Marieluise Fleißers

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis:

1 Einleitung

Das Werk „Fegefeuer in Ingolstadt“ gehört mit zu den berühmtesten Werken der österreichischen Autorin Marieluise Fleißer und gilt heute noch als ein Meisterwerk[1] der Neuen Sachlichkeit. Fleißer selbst bezeichnete es als das „Herzstück“[2] ihrer Autorschaft. Lange Zeit unbeachtet, dauerte es knapp 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung 1920 und Uraufführung des Dramas am 25. April 1926 bis es in den 1970er Jahren von der Frauenforschung und der Feminismusbewegung wiederentdeckt und nach einer Überarbeitung der Autorin erneut auf den deutschen Theaterbühnen gespielt wurde.

Das Drama, welches in der Literatur auch als „ Psychosexuelle Dramatik[3] oder als „Dramaturgie dauernder Drohung“[4] begriffen wird, handelt von der Einsamkeit der Jugendlichen in der Zeit der Weimarer Republik. Es steht unter dem Blick vier großer Hauptthematiken: „Kleinstadtenge, Religion, Sexualität, Rudelgesetz“.[5] Dabei sind es vor allem die Fragen der Identität und der gesellschaftlichen Orientierung, die Fleißer in ihrem Werk exemplarisch verarbeitet. Im Vordergrund stehen dabei vor allem die sexuelle und sprachliche Identitätsbildung sowie die Identitätsformen der Jugendlichen. Ihre Gefühle füreinander sowie ihr Versuch, eine Position im sozialen Raum der Gesellschaft einzunehmen, werden in diesem Zusammenhang aufgearbeitet.

Im Folgenden wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, die sexuellen und sprachlichen Identitätsformen der Jugendlichen bei Fleißer näher zu untersuchen und diese in Relation zueinander zu setzen. Das Ziel dieser Arbeit soll es dabei sein, das Misslingen der figuralen Beziehungen und die Misserfolge sprachlicher Identifikation zu analysieren und zu begründen. Dabei wurde ein Hauptaugenmerk auf die beiden Hauptfiguren des Dramas, die Außenseiter Olga und Roelle, gelegt. Im ersten Teil der Arbeit werden im Rahmen der Fragestellung zunächst die sexuellen Identitäten der einzelnen Figuren untersucht, um herauszufinden, inwiefern sich in Fleißers Werk bestimmte Paarbildungen erkennen und aufeinander beziehen lassen. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich den sprachlichen Identitäten der Figuren, indem versucht wird, die Rolle der Sprache für die Subjektkonstituierung und die Beziehungen der Figuren zueinander aufzuzeigen und zu erörtern.

2 Sexuelle Identitäten

Das Werk „Fegefeuer in Ingolstadt“ von Marieluise Fleißer beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage nach der Verortung von Männlichkeit und Weiblichkeit innerhalb der Gesellschaft der Weimarer Republik und darüber hinaus. Die von Fleißer in diesem Zusammenhang aufgestellten „geschlechtlich[en] Subjektkonstitutionen“[6] beeinflussen maßgeblich die Beziehungen der pubertierenden Figuren untereinander und eröffnen die Frage, wie sich die Figuren selbst in sexueller Hinsicht definieren und gegenseitig identifizieren. Fleißers unentwegtes Interesse für die Beziehungen zwischen Männern und Frauen[7] zeigt sich bereits in der Eingangsszene der zweiten Fassung von „Fegefeuer in Ingolstadt“:

Clementine: Wo ist wieder der Schlüssel in den Wäscheschrank?

Alles wird bei uns verlegt.

Berotter: Kannst du nicht antworten?

Clementine: Wenn ich die Betten überziehen muss.[8]

Bereits diese erste Sätze des Dramas verweisen auf geschlechtliche Beziehungen, da hier die Motive des Schlüssels aufgenommen werden, der nicht zur Hand ist. Der Schlüssel ist dabei als männliches Symbol zu interpretieren, während der Schrank einer weiblichen Konnotation unterliegt.[9] Es ist daher schon am Anfang des Stücks zu erkennen, dass Weiblichkeit und Männlichkeit in diesem Werk nicht zueinander passen, nicht zueinander finden können, da bereits der männliche Schlüssel keinen Verbund mit dem weiblich konnotierten Schrank eingehen kann.

2.1 Paarkonstruktionen im Werk Marieluise Fleißers:

Betrachtet man die verschiedenen Figuren des Dramas „Fegefeuer in Ingolstadt“ genauer, so ist es sinnvoll in Bezug auf die Frage nach sexueller Identitätsbildung zunächst die verschiedenen Paarkonstruktionen im Werk zu untersuchen, und herauszuarbeiten, welche Figuren sich in Bezug auf ihre Sexualität parallelisieren lassen. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung lassen sich dabei hauptsächlich zwei gegensätzliche Paarbildungen erkennen, in denen die Figuren durch verschiedene Attribute aufeinander bezogen werden können. Diese zwei Paarbilder sind zum einen die Verbindung der Berotter-Tochter Olga und dem Außenseiter Roelle und zum Anderen die Beziehung zwischen Peps und Hermine.

Die erste übergeordnete Paarkonstruktion zwischen Olga und Roelle lässt sich bei näherer Betrachtung als eine ambivalente Liebes- und Gewaltbeziehung verstehen, die durch einen ständigen Wechsel von Zuneigung und Verachtung charakterisiert ist. Dies zeigt sich bei Roelle insbesondere an den ambivalenten Reaktionen im Vergleich zwischen der Messer- und der Rettungsszene[10]. Nachdem Olga ihrem Vater ihre Schwangerschaft gebeichtet hat, versucht sie sich umzubringen. Dieser Suizid wird jedoch von Roelle „in einer unbegreiflichen Anwandlung“[11], wie es Protasisus nennt, verhindert. Roelle rettet Olga also das Leben und zeigt somit, dass ihm die junge Tochter Berotters etwas bedeutet. Später jedoch versucht Roelle selbst, Olga nach einem Streitgespräch zu töten, was ihm jedoch nicht gelingt. Bei Olga wiederum lässt sich bereits unmittelbar zu Anfang des Dramas feststellen, dass sie bereits vor der Zeit, in der das Drama spielt, mit Roelle eine Liebesbeziehung eingegangen war.

Christian: Hast du was mit dem Roelle gehabt?

Olga: Das war doch früher.[12]

Des Weiteren versucht sie zunächst, Roelle nach seinem Auftritt als Heiliger zu schützen. Später jedoch bedroht sie ihn im bereits genannten Streitgespräch ebenfalls mit einem Messer und beginnt, ihn unter dem Ausruf „Vieh!“[13] zu schlagen.

Eine weitere, untergeordnete Paarkonstruktion, welche sich im Drama finden lässt, ist die Beziehung zwischen Olga und Peps. Olga ist von Peps schwanger und hat auf Druck von ihm versucht, das Kind abzutreiben. Diese Beziehung kann als instabile Vorläuferbeziehung zu der Verbindung Peps - Hermine gesehen werden, da dieser und Olga „nicht zueinander passen“.[14] Die einstige Liebesbeziehung der Beiden, die insbesondere Olga, wie später noch näher erläutert wird, nur aus sexueller Lust eingegangen ist, wandelt sich im Laufe des Dramas in ein Zwangsverhältnis:

Peps: Ich kann dir das Kind nicht lassen.

Olga: Ich habe Angst. (…)

Peps: Tu was dagegen oder du lernst mich kennen.[15]

Die zweite, übergeordnete Paarbildung, die sich im Drama Fleißers erkennen lässt, ist die Verbindung der Figuren Peps und Hermine. Die Beiden sind gegenüber der bereits genannten Beziehung zwischen Olga und Roelle als „ein erwachsenes Paar gegenüber dem nicht-erwachsenen Paar Olga/Roelle“[16] zu charakterisieren und bauen auf einer gesellschaftskonformen Basis auf, wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher gezeigt wird. Grundsätzlich ist die Verbindung zwischen Peps und Hermine als Nachfolgebeziehung zu der bereits erläuterten Paarkonstruktion Peps - Olga zu verstehen. Peps hat dabei, nachdem er Olga von sich gewiesen hat, mit Hermine eine neue Partnerin gewählt, die bestens zu seinem Charakter und seinen Vorstellungen einer weiblichen Gespielin passt. Dies wird von Olga und Hermine mit den folgenden Worten verdeutlicht:

Olga: Mit dem Peps zieht sie [Hermine] herum, wenn der Gebetsläuter lang schon daheim ist.[17]

Hermine: Haben Sie genügend geglotzt, wie wir zwei uns chemisch miteinander verhalten?[18]

An der Aussage Olgas lässt sich erkennen, das ihr die Liaison zwischen Hermine und Peps nicht entgangen ist, was sie mit einem gewissen Grad an Sarkasmus zum Ausdruck bringt, indem sie die Beiden auf ihr Verhalten gegenüber der Kirche hinweist. Hermine wiederum zeigt Roelle in einem Gespräch unmittelbar nach dem Kommentar Olgas die idealen Bedingungen auf, die sie und Peps zusammengeführt haben. Dafür vergleicht sie sich und Peps mit zwei chemischen Teilchen, die aufeinander reagieren und eine molekulare Verbindung miteinander eingehen, da sie für eine Verschmelzung wie geschaffen scheinen.

Die zweite, untergeordnete Paarbildung lässt sich zwischen Clementine, der älteren Schwester Olgas, und Roelle feststellen. Clementine „hat auf Roelle [ebenfalls] ein Auge geworfen“[19], wird aber im Gegensatz zu Olga von ihm permanent und hartnäckig zurückgewiesen. Dies lässt sich vor allem in der Szene erkennen, in der Clementine Roelle ihre Liebe auf indirekte Art und Weise zu gestehen gedenkt. Auch in dieser Situation wird sie abgewiesen:

Clementine: Warum bist du mir dann nachgegangen?(…). Du hast mich auf dem Glauben gelassen, es ist deine Liebe.

Roelle: Ich bin nicht schuld, wenn du so dumm bist.[20]

Hier zeigt sich eindeutig, dass die Liebe, die von Clementine für Roelle empfunden wird, einseitig ist und es zwischen diesen beiden innerhalb des Dramas nicht zu einer Verbindungkommt, bzw. kommen kann. Dies liegt insbesondere an den Unterschieden, die die Beiden in Bezug auf ihre sexuelle Identität aufweisen, welche im folgenden Abschnitt näher erläutert werden.

2.2 Sexuelle Identitätsbildung im Werk Marieluise Fleißers:

Die beiden übergeordneten Paarkonstruktionen, die im vorigen Teil näher erläutert wurden, und ihr Zustandekommen innerhalb des Dramas lassen sich im Allgemeinen auf die verschiedenen sexuellen Identitäten der Figuren zurückführen.

Olga kann als Figur sehr triebhaft und unreif im Verhalten charakterisiert werden, da sie von der Lust nach sexuellen Abenteuern mit Peps eine Beziehung eingeht, ohne zu bedenken, dass sie dadurch schwanger werden könnte. Ihre Impulsivität, welche einen Teil ihrer Triebhaftigkeit darstellt, zeigt sich vor allem an den Stellen des Dramas, in denen sie Roelle beleidigt und schlägt, da sie sich blind von ihren Gefühlen leiten lässt und nicht rational über ihre Taten reflektiert. Dies lässt sich auch an ihrem Versuch erkennen, sich umzubringen. Ein hierzu primär entgegengesetzter Charakterzug Olgas ist ihre Intelligenz, die dadurch in Erscheinung tritt, dass sie Latein kann[21] und als „eine Gescheite“[22] bezeichnet werden kann. In der Figur der Olga „verbinden sich (…) Intelligenz und Sexualität“.[23] Gerade diese Mischung bewirkt, dass Olga in ihrer Identität Widersprüche aufweist, die sich in Form von Unsicherheit und Unbeholfenheit realisieren und sie zudem der Rolle einer gesellschaftlichen Außenseiterin preisgeben.

Roelle lässt sich als Figur mit vergleichbaren Attributen charakterisieren. Er ist genauso triebhaft und unreif wie seine Partnerin Olga. Außerdem neigt er zu Gewaltausbrüchen, bei denen er beispielweise einem Hund die Augen aussticht oder Olga mit einem Messer bedroht, als diese ihn abweist. Gleichzeitig versucht er jedoch mehrmals mit Olga sexuelle Kontakte aufzubauen. Er lässt sich hierbei ebenfalls primär von seinen Trieben und nicht von seinem Verstand leiten, was daran zu erkennen ist, dass er das Stadium des vollwertigen Mannes auf sexueller Ebene noch nicht erreicht hat, da er „durch anale und orale Motive gekennzeichnet“[24] ist. So kann anhand seines Blähhalses, seiner Fütterung durch die Mutter und seines Gestanks festgestellt werden, dass er in seiner sexuellen Identität, psychoanalytisch betrachtet, auf der Ebene der analen und oralen Entwicklungsstufe verhaftet geblieben ist. Er hat sich folglich noch nicht zu einem gesellschaftsförderlichen Sexualmitglied entwickelt. Ebenso wie Olga lässt sich Roelle zudem als gesellschaftlicher wie auch sexueller Außenseiter charakterisieren, der insbesondere wegen seiner Andersartigkeit von Hermine und Peps zunächst missachtet und dann von ihnen verstoßen wird[25], da es sich bei ihm, wie bei Olga auch, um eine „gegen die normativen Sexualidentitäten“[26] verstoßende Figur handelt.

Bei der Frage nach den sexuellen Identitäten lässt sich also im Bezug auf die Paarkonstruktion Olga-Roelle festhalten, dass beide Figuren „füreinander prädestiniert“[27] erscheinen, da beide sich von ihrer Lust und ihren Trieben und nicht von gesellschaftlichen Konventionen leiten lassen. Zudem widerfährt beiden Figuren eine Ausgrenzung aufgrund ihres Umgangs mit der eigenen Sexualität. Die Beiden lassen sich demzufolge als Sexualwesen Frau und Sexualwesen Mann charakterisieren.[28]

Ganz anders verhält es sich bei der zweiten übergeordneten Paarkonstruktion: Peps-Hermine. Diese beiden Figuren werden von Fleißer in Bezug auf ihre sexuellen Identitäten gänzlich anders konzipiert, als es bei Olga und Roelle der Fall ist. Peps lässt sich als konformes Gesellschaftsmitglied charakterisieren, das „seine Triebe schon lange unter Kontrolle gebracht“[29] hat. Er verlässt die nur auf sexuelle Abenteuer ausgerichtete Olga, um mit der besitzenden[30] Hermine eine neue, gesellschaftskonforme Beziehung einzugehen. Ebenfalls passt er in die von der Gesellschaft geforderten sexualen Identitätsformen, da er in der Lage ist, Kinder zu zeugen und sich somit als ein „systemerhaltendes Mitglied der Gesellschaft“ auszeichnet, welches mit dem „Blick der kalten Vernunft“[31] zu handeln vermag. Ein weiterer Hinweis auf seine gesellschaftskonforme Identität liefert eine nähere Betrachtung der folgenden Szene:

Hermine: Mit dir hätte er sich was aufgetan.

Peps: Bei der müßte einer in der Früh am ersten heraus und mit stillen Blicken die

Kaffeemühle umreiben.[32]

Die Figur Peps ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass sie die Fähigkeit besitzt, andere Figuren des Dramas aus der Gesellschaft sprachlich auszugrenzen bzw. auszustoßen. Olga wird hier sprachlich abgewertet und somit, wie auch Roelle, im Verlauf des Dramas aus der „(Sprecher-)Gemeinschaft“[33] ausgeschlossen, da Beide zu einem Objekt der Rede verkommen. Diese Fähigkeit kann auch Hermine, der Partnerin von Peps zugesprochen werden, da sie Olga im Verlauf des oben genannten Gesprächs ebenfalls mehrmals sprachlich abwertet. Außerdem wird sie durch die Wahl als neue Geliebte von Peps als gesellschaftskonforme Figur charakterisiert. Es geht Peps nämlich nicht darum, seine sexuelle Lust mithilfe des Sexualwesens Olga auszuleben, sondern ein „asexuelles Muttersubstitut“ zu finden, dass überdies hinaus sogar als „vermutlich (…) sexualfeindlich“[34] bezeichnet werden kann. Hier findet Peps in Hermine die ideale Gespielin, die mehrmals versucht, Roelle, dem Inbegriff der infantil-männlichen Lust, durch Anschwärzungen bei Polizei und Kirche zu schaden.

Peps und Hermine können demzufolge in Hinblick auf ihre sexuellen Identitäten als „Asexuelle Mutterfigur“ und „Asexuelle Vaterfigur“[35] verstanden werden, bei denen die Vernunft über das Triebhafte und die bloße physische Aggression dominiert und jegliche Form von lustvollem Liebestreiben ablehnt. Ebenfalls lässt sich Clementine, Olgas große Schwester, als asexuelle Mutterfigur deuten. Sie hat nach dem Tod der Mutter Berotter ihren Platz als weibliches Familienoberhaupt eingenommen und ist daher für die jugendlichen pubertierenden Männer keine passende Partnerin mehr, wie es ihr verzweifeltes Werben um Roelle beweist, dass bereits zuvor näher erläutert worden ist. Clementine stellt somit ein Kontrastbild zu ihrer Schwester Olga dar, da sie durch „erzwungene Naivität und Asexualität“[36] gekennzeichnet ist.

3 Sprachliche Identitäten

Im vorherigen Abschnitt sind vier Figuren besonders hervorgehoben worden, die dem Werk Fleißers nach aufgrund ihrer sexuellen Identitäten füreinander prädestiniert zu sein scheinen: Das Paar Olga - Roelle und das Paar Hermine - Peps. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gelingt es jedoch dem Paar Olga - Roelle im Drama nicht, ihre vergleichbaren Eigenschaften in einer gemeinsamen Beziehung zu nutzen, da dieser Versuch an der Nicht-Sprachlichkeit der beiden Figuren scheitert und sich dies in konzentrierten Gewalt- und Aggressionspotentialen entlädt. Die Gründe, warum die Figuren sprachlich nicht in der Lage sind, zueinander zu finden, werden nun im Folgenden untersucht.

3.1 Sprachliche Identitätsbildung im Werk Marieluise Fleißers

Die Sprache, welche grundsätzlich mehrere Aspekte der menschlichen Identitätsbildung[37] bestimmt, fungiert bei Fleißer als „Dialekt [einer] künstlichen Sprachmaschine“, die „wie ein Gefängnis“[38] auf den Figuren lastet. Diese sind dabei nicht in der Lage, sich über ihre Gefühle adäquat auszudrücken. Sie scheitern beim Aufbau einer eigenen sprachlichen Identität, was insbesondere für die Beziehung zwischen Olga und Roelle weitreichende Konsequenzen hat.

So fungiert die Sprache bei Fleißer erstens nicht als Kommunikationsmittel, mit dessen Hilfe man sich untereinander verständigen kann, sondern als eine Art von „’Boxkampf [von] Verständigungsversuchen’“[39], bei denen die Figuren mit ihren Worten auf die anderen Figuren einhacken und sie somit verletzten:

[...]


[1] Fleig, Anne: Marieluise Fleißer. Fegefeuer in Ingolstadt [1926]. In: Benthien, Claudia/ Stephan, Inge (Hg.): Meisterwerke. Deutschsprachige Autorinnen im 20. Jahrhundert. Köln: Böhlau 2005, S. 110-132.

[2] Schulz, Genia: Fußwaschung und Weihwedel. Fleißers sprachlicher Körper. In: Müller, Marie/ Vedder, Ulrike (Hg.): Reflexive Naivität. Zum Werk Marieluise Fleißers. Berlin: Schmidt 2000, S. 88.

[3] Brüns, Elke: Aussenstehend, ungelenk, kopfüber weiblich. Psychosexuelle Autorpositionen bei Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann. Stuttgart [u.a.]: Metzler 1998. (zugl. Diss. Freie Univ. Berlin 1998), S. 102.

[4] Schulz, Genia: Sprachlicher Körper, S. 84.

[5] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 101.

[6] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 102.

[7] Vgl. Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 103.

[8] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 9.

[9] Vgl. hierzu: Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 103.

[10] Vgl. Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 58-65.

[11] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 58.

[12] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 10.

[13] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 65.

[14] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[15] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 23.

[16] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[17] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 21.

[18] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 22.

[19] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[20] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 54-55.

[21] Vgl. Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 9.

[22] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[23] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[24] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[25] Vgl. Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 22.

[26] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[27] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[28] Vgl. Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[29] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[30] Hermine scheint aus einer verhältnismäßig reichen Verwandtschaft zu stammen Dies lässt sich zumindest an den Aussagen, die von Peps über sie getätigt werden, vermuten. Näheres hierzu: Vgl. Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 22.

[31] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[32] Fleißer, Marieluise: Ingolstädter Stücke, S. 22.

[33] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 104.

[34] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 106.

[35] Elke Brüns verwendet für die Charakterisierung Hermines lediglich die Konstruktion der „mütterlich-asexuellen“ Figur, die sie von Clementine ableitet. Die oben verwendeten Konnotationen lassen sich jedoch aus den Ähnlichkeiten der Peps- und der Herminefigur ableiten. Näheres hierzu: Vgl. Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[36] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 105.

[37] So kann Sprache sowohl als Kommunikationsmittel, als Ausdruck von Gefühlen, als Ausdruck des Intellekts wie auch als symbolische Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft und somit als Ausweisung der eigenen Identität verstanden werden.

[38] Schulz, Genia: Sprachlicher Körper, S. 78.

[39] Brüns, Elke: Psychosexuelle Autorpositionen, S. 108.

Final del extracto de 15 páginas

Detalles

Título
Identitätsbildung und Identitätsformen in Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt"
Universidad
University of Hamburg  (Germanistik)
Calificación
1,0
Autor
Año
2010
Páginas
15
No. de catálogo
V373255
ISBN (Ebook)
9783668508859
ISBN (Libro)
9783668508866
Tamaño de fichero
857 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Marieluise Fleißer, Fegefeuer in Ingolstadt, Identitätsbildung
Citar trabajo
Bernd Appel (Autor), 2010, Identitätsbildung und Identitätsformen in Marieluise Fleißers "Fegefeuer in Ingolstadt", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373255

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