Sklaverei und Sklavenhandel in Genua vom 12. bis zum 15. Jahrhundert


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhalt

Einleitung

Begriffe

Strukturen und Entwicklungen von Sklaverei und Sklavenhandel in Oberitalien
Herkunft der Sklaven
Einsatz und Zahl der Sklaven in Genua
Soziale Stellung der Sklaven

Christentum und Sklaverei

Fazit

Literatur
Quellen
Sekundärliteratur

Anhang A
Zahl der Sklaven in Genua nach Domenico Gioffrè

Bibliographie

Einleitung

Schon kurz nach der Entdeckung Amerikas entwickelte sich dort ein beispielloses System des Sklavenhandels. Alleine im 16. und 17. Jahrhundert verschleppten die spanischen Eroberer 600000 Afrikaner in die Kolonien. In den Südstaaten der USA, deren Wirtschaft entscheidend vom Einsatz von Sklaven abhing, blieb die Sklaverei bis 1865 bestehen. Die Folgen sind in den betroffenen Ländern bis heute zu spüren. Doch wie konnten Kolumbus und seine Nachfolger überhaupt annehmen, es sei normal, Menschen wie eine beliebige Ware zu handeln? Die Antwort ist einfach: Im Genua des 15. Jahrhunderts, in dem Kolumbus aufgewachsen war, und in vielen Gegenden des Mittelmeerraums waren Sklaverei und Sklavenhandel alltägliche Phänomene mit einer jahrhundertelangen Tradition.[1] Mit dieser Tradition und ihrer Entwicklung vom 12. bis zum 15. Jahrhundert wird sich die vorliegende Hausarbeit beschäftigen.

Die mittelalterliche Sklaverei war in der mediävistischen Forschung, von einigen Ausnahmen abgesehen[2], erst ab den 60er Jahren und verstärkt ab Mitte der 90er Jahre ein Thema.[3] Im Geschichtsbewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit ist sie noch lange nicht angekommen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Sklaverei nicht in das verbreitete Bild eines “christlichen Mittelalters” passt. Außerdem hat wohl der Einfluss marxistischer Vorstellungen, die eine Trennung von antiker ”Sklavenhaltergesellschaft” und mittelalterlicher ”Feudalgesellschaft” vorsehen, eine Rolle gespielt. Hinzu kommen begriffliche Probleme: Im Mittelalter existierten sehr verschiedene Formen von persönlicher Unfreiheit, von denen die Sklaverei nur schwer abgegrenzt werden kann.

Deswegen wird eine Erläuterung der wichtigsten Quellenbegriffe am Anfang dieser Arbeit stehen. Im zweiten Teil werde ich dann aus einer sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive Art und Umfang der mittelalterlichen Sklaverei und des Sklavenhandels zu bestimmen versuchen. Im letzten Teil wird es um das Verhältnis der Kirche und mittelalterlicher Glaubensvorstellungen zur Sklaverei gehen.

Der Schwerpunkt der Arbeit wird auf der Situation in Genua liegen. Wo es die Quellenlage erfordert, werde ich aber auch auf andere Städte wie Florenz oder Venedig eingehen, in denen die Verhältnisse ähnlich waren.

Begriffe

Die beiden wichtigsten Begriffe zur Bezeichnung von Sklaven sind im Mittelalter “servus” bzw. ”ancilla” und “sclavus” bzw. “sclava”. Gerade im Falle der “servi” ist es allerdings schwierig, die Sklaverei von anderen Formen der Unfreiheit abzugrenzen. Die klassische Interpretation der mittelalterlichen Sozialgeschichte geht davon aus, dass aus den römischen Sklaven auf den Landgütern während des Frühmittelalters immer stärker abhängige Bauern oder Leibeigene wurden.[4] Diese waren zwar in ihrer Freiheit massiv vom Grundherren eingeschränkt, mussten ihm einen Teil ihrer Arbeitskraft zur Verfügung stellen und Abgaben leisten. Aber sie kultivierten das Land selbständig, versorgten sich selbst, lebten in ihrer eigenen Hütte und gaben das Land an ihre Nachkommen weiter.[5] Trotz dieser Unterschiede zu den römischen Sklaven blieb die Bezeichnung “servi” für die abhängigen Bauern besonders in Italien bis ins 13. Jahrhundert verbreitet.[6]

Dieses idealtypische Entwicklungsmodell geht allerdings notwendigerweise an der Wirklichkeit einzelner Gesellschaften vorbei. So hat Carl Hammer gezeigt, dass man das frühmittelalterliche Bayern durchaus noch als eine “large-scale slave society” bezeichnen kann.[7] In den für diese Hausarbeit wichtigen spätmittelalterlichen italienischen Quellen werden außerdem häufig freie Hausangestellte und Sklaven gleichermaßen als “servi” bezeichnet.[8] Die Interpretation des Begriffes “servus” verlangt also einen genauen Blick auf den historischen Kontext und die regionalen Gegebenheiten. Bemerkenswert ist, dass der Parallelbegriff “ancilla” ein wesentlich engeres Bedeutungsspektrum hat und auch im Mittelalter in erster Linie Sklavinnen bezeichnete.[9] In der unterschiedlichen Entwicklung der beiden Begriffe deutet sich schon die besondere Rolle von Frauen in der mittelalterlichen Sklaverei an.[10]

Etwas eindeutiger ist jedoch der erst im Mittelalter entstandene Terminus “sclavus”, der im 14. und 15. Jahrhundert häufig benutzt wurde, um Sklaven zu bezeichnen.[11] ”Sclavus” leitet sich von der Bezeichnung für die Slawen ab, die schon seit dem Frühmittelalter als Kriegsgefangene in die Sklaverei gerieten, zum Beispiel bei den Ostfeldzügen der Karolinger oder den venezianischen Eroberungen auf dem Balkan[12]. Die Entstehung der gedanklichen Verbindung von Herkunftsbezeichnung und sozialer Stellung ist sehr schön in einer Urkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahr 857 zu sehen, wo dem Kloster Altaich der Besitz seiner “servos, Sclauos et accolas” garantiert wird.[13] Der Begriff „sclavus“ beschrieb also in typisch mittelalterlicher Weise ursprünglich nicht ein abstraktes soziales Verhältnis, sondern bezeichnete sehr konkret die Herkunft der Betroffenen.

Ein ganz ähnliches Phänomen wird in den Akten der genuesischen Notare sichtbar, wo ab dem Jahr 1156 Urkunden über den Handel mit Sklaven auftauchen.[14] Dort ist häufig nur von einer ”sarracenus” oder ”sardus” die Rede, so zum Beispiel in einer Verkaufsurkunde vom 25. November 1160, in der Peire de la Volta einen “sarracen[us] iuris mei nomine Mahomet” verkaufte.[15] Sowohl in der Etymologie des Wortes “sclavus” als auch in der Terminologie der genuesischen Notare deutet sich damit ein Charakteristikum des mittelalterlichen Verständnisses von Sklaverei an: Die rechtliche Stellung des Sklaven hing mit seiner fremden ethnischen Herkunft unmittelbar zusammen.[16]

Strukturen und Entwicklungen von Sklaverei und Sklavenhandel in Oberitalien

Herkunft der Sklaven

Verschiedene Wege führten im mittelalterlichen Italien in die Sklaverei. So bestand zum Beispiel die antike Tradition der Schuldknechtschaft fort, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, dass der Schuldner formell seinem Verkauf zustimmen musste.[17] Am bedeutendsten jedoch wurde für die Sklaverei in den oberitalienischen Städten die Versklavung während des Krieges, der sowohl Kriegsgefangene als auch unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fallen konnten.[18] Dementsprechend spiegeln sich in der Herkunft der Sklaven in Genua, die nach römischer Tradition in den Kaufverträgen fast immer erwähnt wird[19], die großen militärischen Konflikte der Zeit wider: So dominierten bis ungefähr 1275 muslimische Sklaven aus Spanien, die während der Reconquista gefangengenommen wurden.[20] Schon in einem genuesischen Dokument von 1128, in dem verschiedene Zolltarife aufgeführt werden, erscheinen unter den erwähnten Waren aus Barcelona als erstes die sarrazenischen Sklaven.[21] Gerade die Küstenbewohner des Mittelmeerraumes hatten außerdem oft unter Menschenraub und Piraterie zu leiden, die von den Seestädten teilweise systematisch betrieben wurden. Ein typisches Beispiel dafür sind die Sklaven aus Sardinien, die am Ende des 12. Jahrhunderts in Genua gehandelt wurden.[22] Umgekehrt wurden auch italienische Kaufleute selber häufig Opfer von Sklavenhändlern. Der willkürliche Verkauf von Fremden in die Sklaverei ließ sich nur schwer verhindern.[23] Es gab allerdings Versuche, diese gewaltsamen und chaotischen Zustände durch Verträge mit den muslimischen Herrschern rechtlich zu regeln.[24]

Im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, als Genua schon zu einem Zentrum des Sklavenhandels im westlichen Mittelmeerraum geworden war, verschob sich dann die hauptsächliche Herkunftsregion der Sklaven in die Gegend um das schwarze Meer.[25] Damit verbunden war eine Wende in der Form der Versklavung: Die meisten Sklaven wurden nicht mehr unmittelbar bei Raubzügen oder Kriegen gemacht, sondern stammten von Völkern, die selber Sklaverei betrieben. Die italienischen Kaufleute integrierten sich auf diese Weise in die Handelssysteme anderer Völker und stützten diese durch ihre Nachfrage - in dieser Hinsicht den späteren englischen Sklavenhändlern sehr ähnlich, die die von afrikanischen Stämmen erworbenen Sklaven nach Amerika exportierten.[26]

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kauften die Genuesen besonders oft kaukasische, russische und tartarische Sklaven.[27] Die zentrale Rolle spielte bei diesem Handel die seit ungefähr 1280 bestehende genuesische Faktorei in Caffa auf der Krim. Alleine zwischen 1410 und 1420 wurden von dort jedes Jahr von genuesischen Kaufleuten ungefähr 3000 Sklaven exportiert, davon allerdings wohl mehr als zwei Drittel nicht nach Westeuropa, sondern nach Ägypten.[28] Auch bei anderen italienischen Städten hatten die Besitzungen im Mittelmeerraum eine erhebliche Bedeutung, so zum Beispiel Kreta für Venedig.

[...]


[1] Einen Überblick über die antiken und mittelalterlichen Grundlagen der neuzeitlichen Sklaverei findet sich bei Blackburn, Robin: The making of New World slavery, London 1997, S. 33-93.

[2] So wurde in Italien die mittelalterliche Sklaverei Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext rassebiologischer Forschungen zum Thema. Vgl. Epstein, Speaking, a.a.O., S. 6ff.

[3] Als Überblick sehr geeignet: Verlinden, Charles: L’esclavage dans l’Europe médiévale, 2 Bände, Gent 1955-1977. Außerdem: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen âge. 112 (2000), Bd. 2. In dem Band werden in fast 30 einzelnen Beiträgen unterschiedlichste Aspekte des Themas in der aktuellen Forschung beleuchtet.

[4] Bloch, Marc: The rise of dependent cultivation and seignorial institutions, in: Postan, M.M. (Hrsg.): The agrarian life of the middle ages, Cambridge 1966 (=The Cambridge economic history of Europe, Bd. 1), S. 235-290. Vgl. speziell das Kapitel “The decline of slavery” (S. 246-255).

[5] Ebd., S. 253.

[6] Ebd. Epstein, Speaking, a.a.O., S. 18.

[7] Hammer, Carl: Bavaria. A large-scale slave society of the early Middle Ages, Burlington 2002.

[8] Vgl. Delort, Robert: Note sur le vocabulaire de la servitude et de l'esclavage en Toscane à la fin du moyen âge, in: Mélanges de l'école française de rome. Moyen âge, j. 112 (2000), Bd. 2, p. 1079-1085.

[9] Stuard, Susan Mosher: Ancillary Evidence for the Decline of Medieval Slavery, in: Past&Present 149 (1995), S. 3 - 28 (S. 7ff).

[10] Siehe unten.

[11] Jedoch gibt es auch hier in den spätmittelalterlichen toskanischen Quellen Überschneidungen zu “servus”. Vgl Delort, Note, a.a.O.

[12] Epstein, Speaking, a.a.O., S. 19. Sogar das arabische Wort für Sklave “sakaliba” leitet sich von der Bezeichnung der Slawen ab. Vgl. Verlinden, Charles: L’esclavage dans l’Europe médiévale, 2. Band, Gent 1977, S. 125.

[13] Kehr, P.(Hrsg.): Die Urkunden der deutschen Karolinger. Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, Bd. 1, München 1991 (=MGH), S. 117, Z. 25.

[14] Chiaudano, M / Moresco, M.(Hrsg.): Il cartolare di Giovanni Scriba, Bd. 1, Turin 1935. Die erste Urkunde findet sich auf S. 31 (Nr. 57).

[15] Ebd., S. 423 (Nr. 788). Allerdings mussten “Sardus” und “Sarracenus” nicht in jedem Fall Sklaven bezeichnen. Vgl. Haverkamp, A.: Zur Sklaverei in Genua während des zwölften Jahrhunderts, in: Prinz, Friedrich (Hrsg.): Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für K. Bosl, Stuttgart 1974, S. 160-215 (S. 166).

[16] Vgl. dazu Patterson, Orlando: Slavery and Social Death, Cambridge/London 1982, S. 7. Patterson bezeichnet in seiner vergleichend angelegten Studie zur Weltgeschichte der Sklaverei “social alienation” als eine Grundeigenschaft des Sklaven.

[17] Heers, Jacques: Esclaves et domestiques au moyen âge dans le monde méditerranéen, 1981, S. 19ff.

[18] Dass Sklaven sehr oft Kriegsgefangene waren, spiegelt sich auch in der Herleitung des Wortes “servus” z.B. bei Jacobo da Varagine wider: “Unde tales dicebantur servi a servando, quia ab hostibus servabantur ne occiderentur.” Monleone, Giovanni (Hrsg.): Iacopo da Varagine. Cronaca di Genova, Bd. 2, Rom 1941, S. 212. Diese Herleitung kommt ursprünglich aus dem römischen Recht. Vgl Freedman, Paul: Images of the medieval peasant, Stanford 1999, S. 79.

[19] Epstein, Speaking, a.a.O., S. 70.

[20] Verlinden, L’esclavage, a.a.O., S. 451.

[21] Imperiale di Sant’Angelo, Cesar (Hrsg.): Codice Diplomatico della Repubblica di Genova, Bd. 1, Rom 1936, S. 60 (Nr. 51).

[22] Verlinden, L’esclavage, a.a.O., S. 343.

[23] Epstein, Speaking, S. 85.

[24] Heers, Esclaves, a.a.O., S. 40ff.

[25] Verlinden, L’esclavage, a.a.O., S. 456ff.

[26] Heers, Esclaves, a.a.O., S. 88. Epstein, Speaking, a.a.O., S. 123.

[27] Gioffrè, Domenico.: Il mercato degli schiavi a Genova nel secolo XV, Genua 1971, S. 178.

[28] Balard, Michel: Esclaves en Crimée et sources fiscales génoises au XV siècle, in: Byzantinische Forschungen 22 (1996), S. 9-19 (16f.).

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Sklaverei und Sklavenhandel in Genua vom 12. bis zum 15. Jahrhundert
Université
University of Freiburg  (Historisches Seminar)
Cours
Wirtschaft und Gesellschaft in den oberitalienischen Städten
Note
1,0
Auteur
Année
2005
Pages
19
N° de catalogue
V37355
ISBN (ebook)
9783638367288
ISBN (Livre)
9783640139194
Taille d'un fichier
491 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit beschäftigt sich hauptsächlich mit Genua, enthält aber immer wieder Verweise auf die Situation in anderen italienischen Städten im Mittelalter. Neben einem Literaturverzeichnis enthält sie auch eine umfangreiche Bibliografie mit zahlreichen Titeln zu Sklaverei und Sklavenhandel in Italien und anderen Regionen Europas, deswegen ist die Arbeit auch für über das eigentliche Thema hinausgehende Recherchen eine nützliche Hilfe.
Mots clés
Sklaverei, Sklavenhandel, Genua, Wirtschaft, Gesellschaft, Mittelalter, Italien, Wirtschaftsgeschichte, Haverkamp, Mittelmeerraum, Stadt, Städte, Venedig, Florenz, Toskana, Bürgertum, Adel, Handel
Citation du texte
Moritz Deutschmann (Auteur), 2005, Sklaverei und Sklavenhandel in Genua vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37355

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