"Responsibility to Protect" versus Achtung staatlicher Souveränität. Völkerrechtliche Aspekte des Syrienkonflikts


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

A. Einleitung und Aufbau der Arbeit

B. Responsibility to Protect und humanitäre Intervention - Konzept, rechtliche Grundlagen und Erfahrungen
I. Idee und aktuelle rechtliche Situation
II. Begründungsmuster einer Interventionspflicht im Sinne der Responsibility to Protect
III. Von Somalia bis Syrien: Die Sicht der Weltgemeinschaft auf R2P im Wandel
1. Somalia 1993: Einvernehmliches Handeln der Weltgemeinschaft mit einer vom Sicherheitsrat gedeckten Intervention
2. Ruanda 1994: Nicht-Eingreifen trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen
3. Kosovo 1999: Einseitige militärische Intervention ohne Rückhalt der Vereinten Nationen
4. Libyen 2011 : Militärische Intervention mit Rückendeckung des UN­Sicherheitsrats, bei unterschiedlicher Auslegung des Beschlusses
5. Syrien 2013: Blockade des Sicherheitsrats begrenzt den Handlungsspielraum.

C. Souveränität und Interventionsverbot
I. Rechte und Pflichten basierend auf staatlicher Souveränität - das Beispiel Syrien..
II. Grenzen des Interventionsverbots im Völkerrecht
III. Völkerrechtliches Pro und Contra bezüglich eines militärischen Eingreifens in Syrien
1. Völkerrechtliche Argumente für eine Intervention
2. Völkerrechtliche Argumente gegen eine Intervention

D. Fazit

E. Literaturverzeichnis

A. Einleitung und Aufbau der Arbeit

„I'm comfortable going forward without the approval of a United Nations Security Council that, so far, has been completely paralyzed and unwilling to hold Assad accountable. “[1]

(Barack Obama, US-Präsident am 31.08.2013 über eine mögliche Intervention in Syrien) „The use of force without the approval of the United Nations Security Council is a very grave violation of international law.“[2]

(Sergej Lawrow, Außenminister Russlands am 26.08.2013 über eine mögliche Intervention in Syrien)

Seit fast drei Jahren blickt die internationale Gemeinschaft[3] auf den Bürgerkrieg in Syrien zwischen dem seit dem Jahr 2000 autoritär regierenden Regime unter Bashar al-Assad und einer Vielzahl von Rebellengruppen[4]. Dabei traten immer mehr die verschiedenen Interessen unterschiedlicher politischer Akteure in der Region, aber auch weltweit zu Tage[5]. Eine Einflussnahme oder gar eine Intervention in den Konflikt gestalteten sich neben politischen, vor allem auch wegen völkerrechtlicher Gegebenheiten schwierig. So hätte ein unmittelbares Eingreifen die Souveränität des syrischen Staates und damit den Gleichheitsgrundsatz der UN-Charta nach Art. 2 Abs. 1 (Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.) bzw. das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 (Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.) der UN-Charta verletzt[6]. Zudem wäre das zwischenstaatliche, gewohnheitsrechtlich verankerte[7] Interventionsverbot in die inneren Angelegenheiten eines Staates gebrochen worden.

Erst der, knapp vier Monate später zweifelsfrei nachgewiesene[8], Einsatz von mit dem Nervengas Sarin verseuchten Boden­Boden-Raketen nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus am 21. August 2013 rief die Befürworter einer internationalen Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung auf den Plan[9]. Bei diesem Angriff, der sich laut UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon „in relativ großem Umfang“[10] gegen Zivilisten richtete kamen nach Schätzungen der amerikanischen Regierung über 1400 Menschen ums Leben[11]. Es blieb jedoch auch nach dem abschließenden UN-Bericht vom Dezember 2013 unklar, wer für den Angriff verantwortlich gewesen war. Der Regierung von Assad konnte nicht unwiderlegbar vorgeworfen werden den Angriff verübt zu haben.[12] Dennoch sprachen sich zahlreiche westliche Regierungsvertreter für eine humanitäre Intervention im Sinne einer Responsibility to protect[13] aus[14]. Daraufhin entbrannte innerhalb kürzester Zeit eine globale Debatte über die völkerrechtlichen Grundlagen eines solchen Vorgehens. Verfechtern des Prinzips der staatlichen Souveränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten standen Befürworter einer militärischen Strafaktion gegen das syrische Regime mit dem Ziel des Schutzes der Zivilbevölkerung gegenüber. Beide Seiten beriefen sich dabei auf geltendes Völkerrecht, das sie jeweils in ihrem Sinne auslegten. Im Fokus stand die Frage, ob der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN­Charta (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen) handeln sollte. Danach muss er laut Art. 39 feststellen, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Art. 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Art. 41 enthält mögliche nicht-militärische Maßnahmen, „um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen“. In Art. 42 folgen dann die Bedingungen für eine und die Form einer Militärintervention: Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Art. 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen. In Politik und Wissenschaft sorgten die in diesem Fall unklare Rechtslage sowie die verworrene Situation innerhalb des syrischen Bürgerkriegs für kontroverse Auseinandersetzungen[15]. Die völkerrechtlichen Aspekte des Syrienkonflikts stehen bis heute im Mittelpunkt in der Diskussion um ein mögliches militärisches Eingreifen der Weltgemeinschaft. Im Folgenden soll daher erörtert werden, ob und wie ein militärisches Eingreifen in den Syrienkonflikt unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten im Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität und dem globalen Schutz der Menschrechte zu rechtfertigen wäre.

Die vorliegende Arbeit umfasst, neben dem abschließenden Gesamtfazit, inhaltlich zwei Teile. Es soll zunächst der Begriff der „Responsibility to Protect“ definiert sowie seine ideengeschichtliche Entwicklung kurz dargestellt werden. Aufbauend darauf soll erläutert werden, inwieweit das Prinzip der R2P heute im Völkerrecht schriftlich oder gewohnheitsrechtlich verankert ist - oder eben nicht (2.1). Hierauf folgt eine Darlegung verschiedener, v.a. völkerrechtlicher Begründungsmuster von R2P (2.2). Auf Grundlage dieser theoretischen Erläuterungen soll anhand praktischer Fallbeispiele auf die sich im Laufe der Jahre stetig wandelnde Sicht der internationalen Gemeinschaft auf R2P eingegangen werden (2.3).

Der zweite Teil soll dem ersten die Konzepte von staatlicher Souveränität und des daraus abgeleiteten Interventionsverbots gegenüberstellen. Die mit staatlicher Souveränität einhergehenden Rechte und Pflichten werden hier zunächst erläutert und am Beispiel Syrien wird diskutiert, inwieweit die dortige Regierung Ihre Pflichten verletzt haben und welche Folgen dies für ihre Rechte in der internationalen Gemeinschaft haben könnte (3.1). Wobei es sich bei dem Begriff des Interventionsverbots handelt und wo dessen Grenzen liegen bzw. überschritten werden, ist Gegenstand des nächsten Gliederungspunkts (3.2). Ausgehend von den Ergebnissen der Punkte 3.1 und 3.2 werden völkerrechtliche Argumente für und

Einwände gegen eine ausländische Militärintervention in den syrischen Bürgerkrieg dargestellt (3.3).

B. Responsibility to Protect und humanitäre Intervention - Konzept, rechtliche Grundlagen und Erfahrungen

I. Idee und aktuelle rechtliche Situation

Überlegungen für einen ethisch motivierten Krieg können bis auf die Antike[16], die Grundidee einer humanitären Intervention, um andere Völker zu schützen kann bis in die Zeit der Entstehung moderner Nationalstaaten zurückverfolgt werden[17]. Der Begriff der humanitären Intervention wird in der Wissenschaft verschiedentlich ausgelegt, Hinsch und Janssen sprechen genau dann von einer humanitären Intervention, wenn „ein Staat, eine Gruppe von Staaten oder eine internationale Vereinigung Militär in ein fremdes Staatsgebiet entsendet, um die Bevölkerung des fremden Staates vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen“[18]. Weitergehend als eine humanitäre Intervention, ist das im Jahr 2001 entworfene Konzept der Responsibilty to Protect mit dem Anspruch, schwerwiegenden Missachtungen der Menschenrechte präventiv, akut und nachhaltig Einhalt zu gebieten. Der Grundgedanke besteht für Schaller darin, „dass jeder Staat verpflichtet ist, seine eigene Bevölkerung vor solchen Verletzungen zu schützen. Darüber hinaus soll aber auch die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung stehen. Ihr fällt die Aufgabe zu, die Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Funktion zu unterstützen und gegebenenfalls kollektive Maßnahmen zu ergreifen, um Völkermord und vergleichbar schwerwiegende Verbrechen zu verhindern.“[19] Varwick weist unter Berufung auf einen UN-Vertreter drauf hin, dass R2P vor allem eine präventive Komponente zu Grunde liegt, d.h. Staaten dahingehend zu unterstützen, dass es erst gar nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.[20] In der Tat nennt der Bericht der Expertengruppe der International Commission on Intervention and State Souvereignity (ICISS), in dem das R2P- Konzept im Auftrag der UNO erstmals genauer ausgearbeitet wurde (siehe unten) eine dreiteilige Verantwortung für die internationale Gemeinschaft: Prävention, Reaktion und Wiederaufbau.[21] Damit geht dieses weit über den Begriff der humanitären Intervention insofern hinaus, als nicht nur Militär zum Menschenrechtsschutz entsendet wird, sondern auch vor- und nachsorgende Maßnahmen ergriffen werden sollen. Dennoch bleibt die Militärintervention aus humanitären Gründen ein wesentliches Merkmal von R2P, nämlich in Form der Reaktion. Zum Ursprung von R2P kann man sagen, dass weltweite Völker- und Massenmorde in den 1990er Jahren sowie der persönliche Einsatz der UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der forderte, das Völkerrecht dahingehend anzupassen, dass Individuen besser geschützt werden[22] zur Diskussion führten, ob die Charta der Vereinten Nationen nicht dahingehend ergänzt werden müsse, dass massive Gräueltaten bereits im Vorfeld durch eine gezielte Intervention verhindert werden können[23]. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der Souveränität als Verantwortung, der nicht die Rechte sondern die Pflichten eines souveränen Staates hervorheben sollte geprägt; sollte dieser seinen Pflichten gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht mehr nachkommen können oder wollen, so obliege es der internationalen Gemeinschaft letztendlich diese Schutzverantwortung zu übernehmen[24]. Die Vereinten Nationen konnten sich dieser Debatte nicht lange verschließen, sodass sie im Jahr 2000 eine hochrangige Expertengruppe mit dem Titel International Commission on Intervention and State Souvereignity (ICISS) beauftragte, einen politischen Konsens zu finden, wie man die Prinzipien der Intervention und der staatlichen Souveränität in Einklang bringen und diesen dann auch realisieren könnte[25]. In ihrem Abschlussbericht räumte die ICISS, wie oben erwähnt, zwar der friedlichen Krisenprävention Vorrang ein, ein militärisches Eingreifen, nach Scheitern aller Präventionsmaßnahmen und Sanktionen ist jedoch als „last resort“[26] durchaus ebenfalls vorgesehen. Darüber hinaus sei Letzteres aber nur zu rechtfertigen, wenn dies unter Zustimmung des UN-Sicherheitsrats geschehe, ein redlicher Grund (just case), also eine außergewöhnliche Notlage vorhanden sei (z.B. bei Völkermord, Staatszerfall oder Naturkatastrophen), lediglich eine Absicht zum Schutz der Zivilbevölkerung und keine politische, z.B. der Sturz eines Regimes hinter der Aktion stehe, die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel gewahrt bleibe und eine realistische Aussicht auf Erfolg der Aktion bestehe.[27]

Zwar bekannte sich die internationale Gemeinschaft infolge des ICISS-Berichts im Abschlussdokument des UN-Weltgipfels 2005 zur Schutzverantwortung, daraus ergeben sich jedoch weder völkerrechtlichen Rechte bzw. Pflichten noch wurde neues Völkerrecht geschaffen[28]. Darin wird v.a. vor einer Beschneidung der Kompetenzen des UN-Sicherheitsrats gewarnt und statt einer allgemeinen Festsetzung einer internationalen Schutzverantwortung wird eine Einzelfallprüfung empfohlen[29]. Völkerrechtsexperten räumen einer völkerrechtlichen Verankerung von R2P auch nur geringe Chancen ein, angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen in Russland, China oder den USA.[30]

II. Begründungsmuster einer Interventionspflicht im Sinne der Responsibility to Protect

Die Meinung, dass sich eine internationale Schutzverantwortung für die Wahrung von Menschenrechten und damit das Recht auf ausländische Interventionen durch geltendes Recht heute schon ergibt ist dennoch durchaus verbreitet[31]. Für die einen ergibt sich aus der Pflicht zum Schutz der Menschenrechte durchaus eine rechtskräftige Verpflichtung, zur Not ohne Zustimmung des UN­Sicherheitsrats mit Hilfe einer Militärintervention schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern - spätestens seit der Übernahme des R2P-Konzepts in das Abschlussdokument des Weltgipfels 2005[32]. Dies habe auch Auswirkungen auf die Stellung des Sicherheitsrates, der sich als T reuhänder stärker für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen habe[33]. Andere berufen sich auf die Völkermordkonvention von 1948 und das darin primär eingeräumte Recht auf Leben, um eine Intervention von außen zu rechtfertigen[34]. Eine andere Argumentationsschiene bezieht sich auf die Achtung der Menschenrechte als zwingendes Recht (ius cogens) deren Verletzung auch einen Bruch erga omnes, also gegenüber allen anderen Staaten, darstellen würde. Dementsprechend wäre die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, die Wahrung der Menschenrechte auch militärisch zu erzwingen[35]. Auch das Konzept der Souveränität als Verantwortung, das besagt, dass die Souveränität eines Staates eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, insbesondere gegenüber der eigenen Bevölkerung, mit sich bringt steht hinter der Idee einer globalen Schutzverantwortung, wie sie im ICISS-Bericht entworfen wurde[36]. Dies gilt besonders, wenn ein Staat nicht willens oder in der Lage ist, seiner eigenen Bevölkerung Schutz zu bieten[37]. Ein konkretes Eingreifen sieht die ICISS in sechs Fällen vor: Völkermord, die Gefahr eines großen Verlusts von Menschenleben, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Bruch des Kriegsrechts, Zusammenbruch der staatlichen Strukturen sowie Naturkatastrophen[38].

III. Von Somalia bis Syrien: Die Sicht der Weltgemeinschaft auf R2P im Wandel

Der Konzeptionierung von Schutzverantwortung wie oben beschrieben ging jedoch ein langer Prozess voraus. Neben einer kontinuierlichen Aufwertung der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg kann man im Zuge des Endes des Ost-West­Gegensatzes eine Abnahme von inter- und eine Zunahme von intrastaatlichen Konflikten konstatieren[39]. Das Ende des Kalten Krieges brachte zudem einen Anstieg der Zahl der UN- Missionen[40] und damit der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft. Die Ansicht, dass man Menschrechten in extremen Notsituationen auch durch eine Intervention verteidigen sollte, hängt jedoch oft auch von der jeweiligen Interessenlage der Vetomächte ab, wie dies unter anderem die ehemalige Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Louise Arbour, in einem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit kritisiert[41]. Vier kurze Fallbeispiele aus Krisen in Somalia, Ruanda, Kosovo und Libyen sollen dies mit Bezug auf die jeweilig entsprechenden Auslegungen des Völkerrechts verdeutlichen. Mögliche Folgen für den Syrien-Konflikt und die Haltung der Weltgemeinschaft dazu werden zum Abschluss dieses Teilkapitels erörtert.

1. Somalia 1993: Einvernehmliches Handeln der Weltgemeinschaft mit einer vom Sicherheitsrat gedeckten Militärintervention

Standen die USA einem Eingreifen in Somalia zunächst skeptisch gegenüber, so wurde sie schließlich doch per einstimmigem UN-Sicherheitsratsbeschluss völkerrechtskonform (und völkerrechtlich bindend) mit einer humanitären Intervention in dem ostafrikanischen

Bürgerkriegsland beauftragt[42]. Begründet wurde dieser Schritt erstmals mit einer Feststellung einer Friedensgefährdung in Einklang mit Kapitel VII der UN-Charta (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen), obwohl wenn keine grenzüberschreitenden Folgen gegeben waren[43]. Unter besonderer Bezugnahme wurde dabei die humanitäre Notsituation gestellt, die es mit einer Intervention zu lindern gelte[44]. Dies kann als Kompetenzerweiterung des Sicherheitsrates interpretiert werden; in der Folge ließ sich eine sukzessive Relativierung des Souveränitätsprinzips beobachten, welche den Vereinten Nationen einen Kompetenzgewinn für humanitär begründete Interventionen ermöglichte[45]. Man kann die Somalia-Intervention auch dahingehend als Zäsur bezeichnen, als von da an die deutliche Mehrheit der UN-Missionen in erster Linie in innerstaatliche Konflikte eingriffen[46]. Allerdings konnte diese Mission den Frieden nicht wie erhofft herbeiführen, es kam sogar zu großen Verlusten unter den ausländischen Soldaten, weshalb die Mission heute als ein Misserfolg angesehen wird[47].

2. Ruanda 1994: Nicht-Eingreifen trotz schwerer Menschenrechtsverletzungen

Im Falle Ruandas ist es wichtig zu erwähnen, dass die Bereitschaft zum militärischen Eingreifen dort maßgeblich von negativen Erfahrungen, während des Bürgerkriegs zwei Jahre zuvor in Somalia beeinflusst war[48]. So wurde trotz der bereits laufenden Massaker von Hutu-Milizen an Tutsi, die dortige Situation nicht Völkermord genannt[49], da dies eine verpflichtende „Verhütung und Unterbindung“ laut Artikel 1 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes durch die internationalen Gemeinschaft bedeutet hätte[50]. Beobachter meinen, dass ein rechtzeitiges Eingreifen mit einer ausreichend großen Zahl an UN-Soldaten den Völkermord hätte verhindern können, stattdessen wurde die Zahl der Blauhelme vor Ort reduziert, obwohl sich die Massaker bereits abspielten[51]. Der Leiter der vor Ort stationierten UN-Truppen kritisiert dieses Verhalten bis heute und fordert auch im Falle Syriens, ein Einschreiten, um die Bevölkerung zu schützen[52].

3. Kosovo 1999: Einseitige militärische Intervention ohne Rückhalt der Vereinten Nationen

Durch gewaltsame Auseinandersetzungen auf dem Balkan Ende der Neunziger Jahre und die massenhafte Vertreibung von Kosovo-Albanern durch Angehörige des serbischen Milosevic­Regimes wurde der UN-Sicherheitsrat auf den Plan gerufen. Nachdem dieser in einer ersten Resolution unter Androhung von weiteren Konsequenzen ein Ende der Gewalt und Verhandlungen der Konfliktparteien gefordert hatte, entbrannte nach der Missachtung der Forderungen eine Debatte über ein militärisches Eingreifen in den Konflikt[53]. Vor allem Russland lehnte dies strikt ab, was zur Folge hatte, dass die NATO ohne UN-Mandat seitens des Sicherheitsrats, aber mit der Berufung auf den Schutz von Menschenrechten Luftschläge gegen Serbien flog, um ein Ende der Gewalt zu erzwingen. Dies stellte einen klaren Bruch des Völkerrechts dar, wie die russische Regierung, aber auch zahlreiche Autoren feststellten.[54]

4. Libyen 2011: Militärische Intervention mit Rückendeckung des UN-Sicherheitsrats, bei unterschiedlicher Auslegung des Beschlusses

Das durch den UN-Sicherheitsrat gestützte Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg stellt einen Problemfall in Bezug auf Interventionismus bei massiven Menschenrechtsverletzungen dar. Hierbei sah die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats zwar im Sinne von Kapitel VII der VN-Charta die Durchsetzung einer Flugverbotszone mit allen notwendigen Mitteln zum Schutz der Zivilbevölkerung vor. Eine eindeutige Parteinahme oder gar der Sturz des Gaddafi-Regimes war zwar nicht Teil des Dokuments, die ungenaue Formulierung der Resolution ließ aber Spielraum für Interpretationen zu[55]. Genau in diese Richtung redeten und handelten jedoch allen voran die Präsidenten der USA und Frankreichs sowie der Premierminister Großbritanniens[56]. Das UN-Mandat zum Schutz von Zivilisten wurde in der Folge durch eine gezielte Bombardierung v.a. militärischer Stützpunkte der Gaddafi-Truppen durch NATO- Kampfflugzeuge sehr weit ausgelegt[57] - der russische Außenminister Lawrow meinte, dass die NATO durch ihr direktes Eingreifen in den Bürgerkrieg die durch die UN-Resolution 1973 genehmigten Befugnisse überschritten habe[58].

[...]


[1] US-Regierung 2013.

[2] Anishchuk 2013.

[3] Der Begriff der „internationalen Gemeinschaft" ist in der Wissenschaft umstritten, Hoppe kritisiert etwa, dass dadurch eine Homogenität zwischen den Einzelstaaten nahegelegt werde, die so nicht existiere (vgl. Hoppe 2004, S. 32). Der Einfachheit halber soll in dieser Arbeit der Begriff „internationale Gemeinschaft" die Gesamtheit der Nationalstaaten weltweit bezeichnen.

[4] Vgl. Bickel 2013.

[5] Vgl. Jaeger/Tophoven 2013, S.23 ff.

[6] Vgl. Schalier 2013, S.2.

[7] Weitere Ausführungen hierzu folgen im Laufe der Arbeit.

[8] Vgl. Vereinte Nationen 2013b.

[9] Vgl. Reinbold 2013.

[10] Vgl. Vereinte Nationen 2013.

[11] US-Regierung 2013a.

[12] Vgl. Tageszeitung, 13.12.2013.

[13] Im Folgenden auch R2P oder Schutzverantwortung genannt.

[14] Vgl. Ross, 2013; Leparmentier/Nougayrède/Wieder/Giret, 2013; Londono, 2013.

[15] Vgl. Akande/Babich/Heintschell von Heinegg/MacCorquodale /Robertson /Skolgy/Ulgen, 2013.

[16] Vgl. Hinsch/Janssen 2006, S.52.

[17] Vgl. Hinsch/Janssen 2006, S.15.

[18] Vgl. Hinsch/Jannsen 2006, S. 31

[19] Schalier 2008, S.9.

[20] Vgl. Varwick 2009, S.11.

[21] Vgl. ICISS 2001.

[22] Vgl. hierzu insbesondere Annan, 2000, S.46 ff.

[23] Vgl. Gareis 2011, S. 55.

[24] Vgl. Gierke 2012, S. 31.

[25] Vgl. Schalier 2008, S. 10.

[26] Vgl. ICISS 2001, S.36.

[27] Vgl. ICISS 2001, S.32 ff.

[28] Vgl. Schaller 2008, S.13 und Schaller 2013, S. 8.

[29] Vgl. Vereinte Nationen 2005, S. 30.

[30] Schalier 2008, S. 14.

[31] Fassbender 2008, S. 4.

[32] Verlage 2009, S.209 und S.210.

[33] Ebd., S.210.

[34] Ebd., S.211.

[35] Ebd., S.211.

[36] Vgl. Gierke 2011, S. 29 ff.

[37] Vgl. ICISS 2001, S. 11

[38] Vgl. ebd., S. 33.

[39] Vgl. Gierke 2012, Seite 30 und 39.

[40] Vereinte Nationen 2008.

[41] Vgl. Arbour 2013.

[42] Vgl. Matthies 2004, S. 236 ff.; Vereinte Nationen 1992.

[43] Vgl. Hoppe 2004, S. 80, Varwick 2009, S.5 und Heinzte 1998, S.7.

[44] Vgl. Vereinte Nationen 1992

[45] Vgl. Varwick 2009, S. 5.

[46] Vgl. Gareis 2011b, S. 18.

[47] Vgl. Ebd., S. 23.

[48] Vgl. Sciolino, 1994.

[49] Vgl. Lis 2010, S. 131.

[50] Vgl. Matthies 2004, S. 245.

[51] Vgl. Ebd., S. 248.

[52] Vgl. Alexander 2013.

[53] Vgl. Hinsch/Janssen 2006, S. 147 ff.

[54] Vgl. Hinsch/Janssen 2006, S. 147 ff.; Schlotter 2004 S. 209ff.; Merkel 2003, S. 29 ff.

[55] Vgl. Pradetto 2011, S. 61.

[56] Vgl. Cameron, Obama, Sarkozy 2011; Pradetto, 2011, S. 58.

[57] Vgl. Pradetto 2011, S. 61.

[58] Vgl. Neuber 2011; Stieger 2013.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
"Responsibility to Protect" versus Achtung staatlicher Souveränität. Völkerrechtliche Aspekte des Syrienkonflikts
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Veranstaltung
Hauptseminar Völkerrecht
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
32
Katalognummer
V373608
ISBN (eBook)
9783668509375
ISBN (Buch)
9783668509382
Dateigröße
635 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Völkerrecht, Syrien, Bürgerkrieg, Russland, USA, Obama, Putin, R2P, Responsibility to Protect, Souveränität, UN-Charta, Intervention, Kapitel VII, Schutzverantwortung, Giftgas, Menschenrechte, UN-Sicherheitsrat, ICISS, International Commission on Intervention and State Souvereignity, UN-Vollversammlung, Resolution, Uniting for Peace
Arbeit zitieren
Benedikt Weingärtner (Autor:in), 2013, "Responsibility to Protect" versus Achtung staatlicher Souveränität. Völkerrechtliche Aspekte des Syrienkonflikts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373608

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