Seneca und das Geld. Tacitus' "Annales" vs. Senecas Philosophie

"Qua sapientia […] ter milies sestertium paravisset?"


Hausarbeit, 2014

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Die Annalen des Tacitus – eine vertrauenswürdige Quelle?
a) Tacitus – eine kurze Einleitung zur Person
b) Die Annalen
c) Schreibstil

3. Seneca und sein Reichtum aus Fremdsicht
a) Belegstellen in den Annalen des Tacitus und in anderen Quellen
b) Senecas Reichtum – Urteil in Bezug auf die historischen Quellen

4. Seneca und seine Ansichten zu Reichtum
a) De Otio
b) De Brevitate Vitae
c) Weitere Werke
d) Senecas Reichtum – Urteil in Bezug auf seine philosophischen Schriften

5. Zusammenfassung

6. Bibliografie
a) Quellen
b) Literatur

1. Einleitung

„Qua sapientia, quibus philosophorum praeceptis intra quadriennium regiae amicitiae ter milies sestertium paravisset“[1] heißt es in den Annalen des Tacitus. Diese Worte soll laut Tacitus Publius Suillius gegen Seneca in einem Gerichtsprozess hervorgebracht haben. Diese Aussage lässt Seneca als reichen und eigennützigen Gelehrten erscheinen, der einen immer größeren Reichtum aufgrund der Beziehung zu den Herrschenden anzuhäufen scheint.

Ausgehend von dieser Frage soll in dieser Hausarbeit untersucht werden, wie es sich mit dem Reichtum von Seneca überhaupt verhält. Dazu wird vor allen Dingen Tacitus als historische Hauptquelle herangezogen, weil dieser die meisten Informationen über das Leben Senecas liefert.[2] Dafür bedarf es aber eine gründliche Einleitung zur Person des Tacitus und zu seinem Werk. Insbesondere muss hierbei die Seriosität der Annalen überprüft sowie Tacitus‘ Schreibstil genauer analysiert werden.

Nach der Überprüfung der Seriosität können Belegstellen für Senecas Reichtum aus den Annalen des Tacitus synthetisiert werden. Diese Belegstellen sollen dann hinterfragt und mit Verweisen zu anderen Quellenautoren wie Cassius Dio verglichen werden. Dieser Vergleich soll dann ein erstes möglichst historisch stimmiges Bild von Seneca in Bezug auf seinen Reichtum aufzeigen, um einen Bezugspunkt zu Senecas philosophischen Werken zu haben.

Mit dieser Vorarbeit sollen schließlich Senecas Sichtpunkte auf Reichtum v.a. in seinen beiden philosophischen Werken „De Otio“ und „De Brevitate Vitae“ aufgezeigt und mit seinem tatsächlichen Leben verglichen werden. Besonders interessant scheint hieran, inwieweit sich die philosophischen Ansichten mit dem wirklichen Leben decken oder inwiefern sich Widersprüche ergeben.

Am Schluss der Arbeit sollen die „historische Wahrheit“ und Senecas Ansichten in seinen philosophischen Werken noch einmal zusammenfassend betrachtet und auf Grundlage der zusammengetragenen Argumente abschließend diskutiert werden, inwiefern Seneca als Philosoph überhaupt glaubwürdig ist.

2. Die Annalen des Tacitus – eine vertrauenswürdige Quelle?

a) Tacitus – eine kurze Einleitung zur Person

In dieser Hausarbeit dient Tacitus als Hauptquelle, um näheres über das Vermögen von Seneca zu erfahren.

Der aus Gallien stammende Tacitus lebt von ca. 55 bis 120 n. Chr. und durchläuft erfolgreich den cursus honorum unter den Flavierkaisern. Bekannt ist er vor allem durch seine Schriften wie Agricola, Germania und Historiae. Diese Werke zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Zeitgeist entsprechen und aktuelle Themen ansprechen wie die Bedrohung durch die Germanen in Germania oder den Sieg und die Herrschaft der Flavierdynastie in Historiae.[3]

b) Die Annalen

Das bedeutendste Werk aber sind die Annalen, die Tacitus von ca. 110 bis 120 n. Chr. schreibt. In diesen gewährt Tacitus einen Einblick in die Herrschaft der römischen Kaiser von Tiberius bis Nero und umgreift damit die Jahre 14 bis 68 n. Chr., welche er auf 16 Bücher aufteilt. Seneca, der in dieser Hausarbeit näher betrachtet werden soll, befindet sich im Nero-Komplex in den Büchern 12 bis 16.

Ein großes Problem bei dieser Quelle ist die für uns größtenteils unbekannte Quellenlage. Es ist lediglich klar, dass sich Tacitus in seinen Darstellungen überwiegend auf historiografische Darstellungen, Memoiren, auf das Senatsarchiv sowie auf mündliche Berichte von Senatoren beruft. Teile des Werks sind sehr detailgenau dargestellt, weshalb ein hoher Informationswert entsteht. Trotzdem sind die Darstellungen von Tacitus völlig willkürlich gewählt und gewiss nicht ohne Vorurteile.[4]

c) Schreibstil

Tacitus schreibt in der Tradition der senatorischen Geschichtsschreibung. Es gibt für ihn keine Alternative zur Demokratie, insbesondere die Republik ist bei ihm noch wegen der Bürgerkriege gefürchtet. Deshalb ist er der Meinung, dass die libertas nur bei der Senatsaristokratie liegen dürfe, denn bei Volksbeteiligung würde die licentia ausufern.

Dahingehend schildert Tacitus in den Annalen auch, wie moralisch sich die Senatoren verhalten und gibt positive und negative Beispiele für moralisches Verhalten. So beruhen die Ereignisse in Tacitus‘ Schilderungen auch meist auf moralischen Zuständen, wobei die Motive der Handelnden oft avaritia, ignavia und cupido potentiae sind. Diese Motive kontrastiert Tacitus oft und bricht dafür die historischen Zusammenhänge auf, um seine moralischen Thesen noch besser zu verdeutlichen.[5]

Eine Eigenart des Tacitus ist seine innuendo, so gibt er meist Gerüchte wieder, die in Rom kursieren, macht Andeutungen und lenkt damit den Leser. Gerade dies macht seine Schilderungen aber authentisch. Diese Gerüchte, die er wiedergibt, sind nämlich keineswegs Produkte von Tacitus‘ Fantasie, vielmehr sind es wirkliche politische Gerüchte, die sich schon in der plebs urbana festgesetzt haben. Tacitus selektiert innerhalb des Überschusses von vielerlei Meinungen für seine Argumentation geeignete Gerüchte, um den Leser von seiner Wahrheit zu überzeugen. Dadurch können die Leser einen Eindruck von dem römischen Leben gewinnen, so wie Tacitus es zugetragen wurde und so, wie er es sieht.[6]

Aus diesen Betrachtungen wird ersichtlich, dass Tacitus nicht ein objektiver Historiker im heutigen Sinn ist, sondern durchaus den Leser in seiner Meinung lenkt, auch wenn er betont, dass seine Schrift „sine ira et studio“[7] geschrieben ist. Durch die gezielte Platzierung von Gerüchten versucht er den Leser zu beeinflussen, was man bei der Lektüre beachten muss. Die Annalen des Tacitus sind also eine durchaus zuverlässige Quelle, auch wenn er kein unmittelbarer Zeitzeuge ist. Aus oben genannten Gründen ist es daher unabdinglich, die Argumente von Tacitus mit anderen Quellen zu vergleichen und zu hinterfragen.

3. Seneca und sein Reichtum aus Fremdsicht

a) Belegstellen in den Annalen des Tacitus und in anderen Quellen

Das bekannteste Ereignis, wenn es um Senecas Reichtum geht, ist der Gerichtsprozess gegen Publius Suillius Rufus in der Mitte des Jahres 58 n. Chr., der angeklagt wurde, gegen die Annahme von Geld als Prozessredner unter Kaiser Claudius aufgetreten zu sein, was seit 204 v. Chr. verboten ist.[8] Unter Claudius schienen die Gesetzmäßigkeiten dazu zunächst gelockert worden zu sein, denn unter Einwirken Senecas wurden sie im Jahre 54 n. Chr. wieder verschärft.[9] Dies scheint auch mit der Grund dafür zu sein, dass der angeklagte Suillius Seneca vor Gericht heftig beschimpft. Außerdem darf nicht vernachlässigt werden, dass er als Anhänger von Kaiser Claudius[10] gerade auch in Hinsicht auf Senecas Schmähschrift[11] gegen ihn Partei ergreift. Neben vielerlei Vorwürfen lässt diese Frage aufhorchen: „Qua sapientia, quibus philosophorum praeceptis intra quadriennium regiae amicitiae ter milies sestertium paravisset?“[12] Seneca habe also 300 Millionen Sesterzen aufgrund der Freundschaft zum Kaiser angehäuft, was sehr grob geschätzt ungefähr fünf Millionen Euro entspricht.[13] Der Seneca kritisch gegenüberstehende Cassius Dio rügt in seiner Römischen Geschichte das Vermögen von Seneca, das er auf 75 Millionen Denaren schätzt[14], also auf denselben Betrag wie Tacitus.[15] Ferner kritisiert er Senecas prunkhaften Lebensstil, so soll dieser seine Gäste an 500 Tischen aus Zitrusholz mit elfenbeinernen Füßen bewirtet haben. Dieses Vermögen hört sich sehr viel an, doch Plinius beziffert die Kosten für ein gutes Weingut nahe Rom gar mit 400 Millionen Sesterzen.[16] Im Verhältnis zum Preis des Weingutes scheint das Vermögen Senecas gar nicht so groß zu sein, doch es reicht durchaus für genügend Neider, die ihn beschuldigen, Kaiser Nero mit seinem Reichtum überbieten zu wollen.[17] Doch die Kritiker Senecas beachten dabei nicht, dass Nero selbst derjenige ist, der ihm große Zuwendungen zukommen lässt, die er nicht einfach ablehnen kann.[18] Solche regelmäßigen beneficia gehören zum römischen Alltag, denn sie festigen das Patronage-Verhältnis der nobiles zu ihren Klienten, aber auch der nobiles untereinander.[19]

Ein weiterer Kritikpunkt von Suillius an Seneca ist, dass dieser Italien und die Provinzen durch immense Zinsen ausbeute.[20] Auch Tacitus legt das Ausleihen von Geld gegen Zinsen dem Seneca in den Mund[21], was darauf hindeutet, dass er wirklich Zinsgeschäfte tätigt, wenn auch nicht in dem grausamen Ausmaß wie Suillius es schildert.[22] Mit dem Reichtum zeigt sich Seneca aber nicht geizig, sondern sehr großzügig wie Iuvenal[23] und Martial[24] zu berichten wissen. Und gerade sein Rücktrittsgesuch zeugt von Zurückhaltung in Bezug auf materielle Güter, wo er anbietet, all seine Geschenke zurückzuerstatten.[25]

[...]


[1] Tac. ann. XIII.42.4.

[2] Vgl. Henry und Walker, 1963, S. 106.

[3] Flaig, in DNP 11.

[4] Ibid.

[5] Ibid.

[6] Vgl. auch Flaig, 2003, S. 358 ff., ebenso Sullivan, 1976, S. 312 ff.

[7] Tac. ann. I.1.3.

[8] Vgl. Liv. XXXIV.4.9.

[9] Tac. ann. XIII.5.1: „ne quis ad causam orandam mercede aut donis emeretur“.

[10] Vgl. Tac. ann. XIII.42.3.

[11] Gemeint ist hier die „Apocolocyntosis“ des Seneca.

[12] Tac. ann. XIII.42.4.

[13] Vgl. dazu die Umrechnung bei Maurauch, 2013, S. 11 f.; Friedländer, 1920, S. 12 ff.

[14] Vgl. Cass. Dio LXI.10.3: „Er war ein Tadler der Reichen und besaß selbst ein Vermögen von 75 Millionen Denaren.“

[15] Vgl. Krüger, 2012, S. 82, Anm. 50.

[16] Vgl. Plin. nat. 14.50.: „haec adgressus excolere, non virtute animi, sed vanitate primo, quae nota mire in illo fuit, pastinatis de integro vineis cura Stheneli, dum agricolam imitatur, ad vix credibile miraculum perduxit, intra octavum annum nummum emptori addicta pendente vindemia.“

[17] Vgl. Tac. ann. XIV.52.2: „tamquam ingentes et privatum modum evectas opes adhuc augeret, quodque studia civium in se verteret, hortorum quoque amoenitate et villarum magnificentia quasi principem supergrederentur.“

[18] Vgl. Tac. ann. XIV.53.5: „at tu gratiam immensam, innumeram pecuniam circumdedisti, ade out plerumque intra me ipse volvam: egone, equestri et provinciali loco ortus, proceribus civitatis adnumeror? inter nobiles et longa decora praeferentes novitas mea enituit? ubi est animus ille modicis contentus? talis hortos exstruitet per haec suburbana incedit et tantis agrorum spatiis, tam lato faenore exuberat? Una defensio occurrit, quod muneribus tuis obniti non debui.“

[19] Vgl. dazu Giebel, 2012, S. 73; ebenso Maurauch, 2013, S. 12.

[20] Vgl. Tac. Ann. XIII.42.4: „Italiam et provincias immenso faenore hauriri“.

[21] Vgl. Ders. XIV.53.5: „tam lato faenore exuberat“.

[22] Ebenso Maurauch, 2013, S. 12 sowie Griffin, 1976, S. 232 & 289 ff.

[23] Iuv. 5.109 ff.: „a Seneca, quae Piso, quae Cotta solebat / largiri; namque et titulis et fascibus olim / maior habebatur donandi gloria.“

[24] Mart. 12.36.8 ff.: „Pisones Senecasque Memmiosque / Et Crispos mihi redde, sed priores: / Fies protinus ultimus bonorum.“

[25] Vgl. Tac. ann. 14.54.2: „iube rem per procuratores tuos administrari, in tuam fortunam recipi.“

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Seneca und das Geld. Tacitus' "Annales" vs. Senecas Philosophie
Untertitel
"Qua sapientia […] ter milies sestertium paravisset?"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Klassische Philologie)
Veranstaltung
Seneca, De Otio und De Brevitate Vitae
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
14
Katalognummer
V373686
ISBN (eBook)
9783668509894
ISBN (Buch)
9783668509900
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Seneca, Geld, Philosophie
Arbeit zitieren
Marwin-Domingo Gorczak (Autor:in), 2014, Seneca und das Geld. Tacitus' "Annales" vs. Senecas Philosophie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373686

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