Gedanken aus der antiken Lebenskunst in der Philosophischen Praxis am Beispiel der Lehre des Philosophen Epikur


Hausarbeit, 2017

12 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


1 Einleitung

Betrachten wir einmal die Stellung der Philosophie in der westlichen Gesellschaft unserer Zeit, d. h. des späten 20. und 21. Jahrhunderts. Schnell werden wir feststellen, dass sie vor allem eine Expertenkultur ist. Der große Bestand philosophischer Thesen und Theorien wird an Universitäten gelehrt und in Fachzeitschriften und Fachkongressen diskutiert. Die Begriffe der dazugehörigen Fachsprache füllen ganze Lexika (vgl. [1, s.333]). Den Anspruch den Lebensalltag von Menschen unmittelbar zu beeinflussen hat eine solche Philosophie hingegen nicht. Das war natürlich nicht immer so. Für viele Philosophen und philosophische Schulen der Antike scheint es ganz wesentlich zu sein, dass sie das Leben eines Individuums in all seinen Facetten formen und verändern wollten.

Mit der Philosophischen Praxis hat sich in den letzten 35 Jahren nun ein Umgang mit Philosophie entwickelt, der im Gegenzug zur bloß akademischen Philosophie die einzelne Person wieder in den Mittelpunkt rückt. Dabei handelt es sich um den Versuch, die Fertigkeiten moderner Philosophen für die individuelle Lebensberatung in Anspruch zu nehmen. Da Philosophie in der Vergangenheit schon einmal mit der Aufgabe der Lebensberatung vertraut gewesen ist, stellen sich mir zwei äußerst verwandte Fragen.

Welchen Nutzen können lebenspraktische Gedanken aus der antiken Philosophie heute für uns haben? Und wie können diese Gedanken in der philosophischen Praxis fruchtbar gemacht werden? Gerade die zweite Frage werde ich mit Sicherheit nicht abschließend klären können. Mein Vorhaben beschränkt sich daher darauf, bestimmte Möglichkeiten am Beispiel der Lehre des antiken Philosophen Epikur zu diskutieren. Als Vorarbeit dafür scheint es mir wiederum nötig zu sein, erst einmal zu klären, welchen Anspruch antike Philosophie verfolgt hat, sofern sie lebenspraktisch orientiert war, und wie Philosophische Praxis heute auftritt.

2 Antike Philosophie und die Lebenskunst

Christoph Horn ist der Frage nachgegangen, inwiefern Lebensgestaltung oder Lebenskunst als allgemeines Modell antiker Philosophie angesehen werden kann. Dafür hat er die wirkmächtigsten philosophischen Schulen der Antike untersucht, um jeweils ihr zentrales Anliegen zu charakterisieren. Seine Gedanken bieten eine gute Grundlage für ein Verständnis dessen, worauf Philosophie in der Antike abzielte, wenn sie lebenspraktisch orientiert war. Horn zufolge lässt sich „das Philosophieverständnis der Sophisten, Platons, Aristoteles', der kaiserzeitlichen Autoren und der spätantiken Platoniker […] mit guten Gründen dem Typus Lebenskunst zuordnen“ [2, s.30]. Worauf zielte solche Lebenskunst im Allgemeinen ab? Am ehesten lässt sich sagen, dass es ihr darum ging „sich auf rationaler Grundlage und mit praktischen Übungen einer angemessenen, glücklichen, vorteilhaften oder ethisch wertvollen Lebensform [anzunähern]“ [2, s.31]. Die Philosophie machte sich also zur Aufgabe ein Ideal zu formulieren und dem Menschen bestimmte Praktiken an die Hand zu geben. Von diesen Praktiken erhoffte man sich, „ein argumentativ als richtig erwiesenes Lebensideal […] fest in der Person des Philosophen [zu] verankern“ [2, s.34]. Das bedeutet nicht weniger als eine „Umformung der Begierden, Vorstellungen und Affekte“ [2, s.34], also der gesamten Persönlichkeit.

Was hat man sich nun unter den bereits erwähnten Praktiken, bzw. Übungen vorzustellen? Hier drei Beispiele: In einigen Übungen, z. B. Trostschriften, sollte man sich schreibend und lesend in eine philosophische Lebenshaltung vertiefen (vgl. [2, s.34]). In anderen Übungen führte man einen Monolog, etwa in Form der Wiederholung auswendiggelernter Lehren oder der Selbstanklage und Selbstrelativierung (vgl. [2, s.37]). Bei anderen Übungen ging es darum seine Phantasie einzusetzen, um z. B. „drohendem Übel durch eine imaginative Vorwegnahme seine Spitze zu nehmen“ [2, s.38]. Solche Philosophie geht darüber hinaus den Wahrheitsgehalt ethischer Aussagen zu prüfen. Sie plant und strukturiert den richtigen Lebensvollzug.

3 Philosophische Praxis

In der heutigen philosophischen Lebensberatung wird Philosophie anders zum Einsatz gebracht, als noch in der antiken Lebenskunst. Gerd Achenbach hat die Philosophische Praxis in ihrer heutigen Form ins Leben gerufen. Daher sind seine Aussagen eine maßgebliche Auskunft darüber, worauf sie abzielt. Ihm zufolge ist ihr Grundmodell das „freie, vernünftige Gespräch“ [3, s.130] zwischen dem Philosophen und dem Gast. Der Philosoph tritt hierbei nicht als Lehrmeister oder Hüter einer höheren Einsicht in Fragen des guten Lebens auf, während der Gast sich belehren lässt. Stattdessen sollen beide gleichberechtigte Partner eines Gesprächs sein, dessen Angelpunkt die Probleme sind, die der Gast in die Praxis mitbringt, um sie zu bearbeiten. Die Aufgabe des Philosophen besteht nicht in der „Anwendung einer fix und fertigen Philosophie auf konkrete Fälle“, sondern darin „konkrete Probleme produktiv mitzudenken“ [3, s.130].

Er ist als geschulter Diskussionspartner gefragt, der „gelernt hat, auch in abweichendem, ungewöhnlichem Denken, Empfinden und Urteilen heimisch zu werden“ [4, s.17]. Als solcher sollte er die Gedankengänge seines Gastes nachvollziehen können, um dort an ihnen anzusetzen, wo der Gast alleine nicht mehr weiterkommt. Das produktive Moment des Philosophen besteht dann darin „in das festgefahrene, richtungslose, […] oder sich in ständiger Wiederholung erschöpfende Denken“ wieder Bewegung rein zu bringen, „mitdenkend einzusteigen, weiterzudenken, […] zu entwirren, […] zu verbinden, zu überraschen und herauszufordern“ [3, s.131].

Prinzipiell kann jedes Problem in der Praxis artikuliert und bearbeitet werden. „Der Philosoph ist nicht für 'etwas' zuständig […], das er […] bereits als seine Kompetenz fachmännisch verwaltet“. Die „Zuständigkeit des Philosophen wird erst durch das vorgetragene Problem für dieses Problem angefragt“ [5, s.80]. Das Problem philosophisch zu würdigen bedeutet gemäß der Idee der Philosophischen Praxis, es nicht unter einen bestimmten Gesichtspunkt zu zwingen, z. B. den psychologischen oder medizinischen, sondern möglichst in der ganzen Komplexität mitzudenken, in der es sich dem Gast stellt. Es erfordert „den anderen 'ohne Billigung und Tadel'“ zu würdigen, um „ihm auf seinem Weg weiterzuhelfen“ und ihn nicht auf eine „philosophisch vorbestimmte Bahn zu bringen“ [4, s.16]. Das heißt nicht zuletzt, dass der Praktiker der Gefahr ausweichen sollte, das Problem als Ausdruck von etwas Dahinterliegendem zu deuten und dadurch aufklären oder entkräften zu wollen. Seine Aufgabe ist es stattdessen, dem Gast zum angemessenen Selbstausdruck zu verhelfen (vgl. [3, s.134]).

Es ist nicht verwunderlich, dass das Mitdenken des Problems und die aktive Hilfe beim Überwinden von Orientierungslosigkeit oder gedanklichen Sackgassen, nicht darauf abzielt das Denken letztendlich wieder zum Erstarren zu bringen. In der Philosophischen Praxis werden keine vermeintlich sicheren und unumstößlichen Erkenntnisse gesucht. Um diese Tatsache zu illustrieren, zieht Achenbach eine Parallele zu Russells Auffassung vom Wert der Philosophie. Sie besteht darin, dass Philosophie die „Gewißheit darüber, was die Dinge sind [vermindert], aber […] unser Wissen darüber, was die Dinge sein könnten [vermehrt]“ [7, s.135]. In der Philosophischen Praxis geht es also auch darum, den Raum der möglichen Gedanken und Empfindungen des Gastes zu erweitern.

4 Antike Lebenskunst in der Philosophischen Praxis

Die Unterschiede zwischen antiker Lebenskunst und heutiger Philosophischer Praxis sind nicht zu übersehen. Der antike Gedanke der betreuten Einübung in eine Lebensform, die von der Philosophie als vernünftig und ethisch wertvoll bestimmt wurde, ist kaum mit dem Versuch eines offenen Gesprächs zwischen Gleichberechtigten zu vereinbaren. Vom philosophischen Praktiker ist nicht etwa Einsicht in ethische Wahrheiten gefragt, sondern eher Aufmerksamkeit, die Fähigkeit sich in unterschiedliche Denkweisen und Blickwinkel hineinzuversetzen, und natürlich auch Phantasie. Das Ziel ist also Verflüssigung, nicht Festigung des Denkens.

Vor diesem Hintergrund wird fraglich, ob solche Gedanken aus der Antike überhaupt noch eine Verwendung für die philosophische Praxis haben können. „Die Zeit philosophischer Belehrung und vorbildlicher Lebensanleitung ist vorbei, und gar verbindlich sagen zu wollen, was richtiges Leben sei, eine anmaßende Dummheit“ [6, s.51] – diese Auskunft gibt uns Achenbach selbst. Das spricht mit Sicherheit dagegen, das antike Modell von Lebenskunst und dazugehörige Vorstellungen von einem guten Leben ohne Weiteres in der Gegenwart zu übernehmen. Man kann den Gedanken und Idealen der Antike aber auch eine andere Funktion geben, als die eines verbindlichen Maßstabes eines gelingenden Lebens. Ursula Wolf beispielsweise bestimmt als Aufgabe der Philosophie, bei Fragen der Lebensführung „jeweils mögliche alternative Sichtweisen aus[zu]buchstabieren“ und Probleme „auf […] Extreme hin“ zu artikulieren. Im Anschluss an diese Extreme kann der einzelne Mensch sich für die Position entscheiden, die seiner jeweiligen „subjektiven Färbung der Lebenshaltung“ entspricht [8, s.44].

Hier eröffnet sich eine Aussicht für die Philosophische Praxis, historische Positionen einzubeziehen. Nicht als rationale Ideale sind sie wertvoll, sondern als Extremfälle, die dabei helfen den Raum der Möglichkeiten für den Gast zu erweitern. Auf diese Weise eingesetzt erleichtern sie ihm, sich in diesem Raum zurechtzufinden - selbst dann, wenn der Gast sich als Reaktion von ihnen abgrenzt. Derart gefordert, wird der er dazu angeregt sich auch über selbstverständlich gewordene Einstellungen und Empfindungen Rechenschaft abzulegen und sie auf ihre Rechtfertigung hin zu überprüfen. Das scheint auch dem Anspruch der Philosophischen Praxis Rechnung zu tragen, sich nicht dem „Diktat von Denkmoden“ zu verschreiben [3, s.134]. Diesen Ausführungen folgend möchte ich ein paar Überlegungen zum Einsatz epikureischer Ethik in der heutigen philosophischen Lebensberatung anstellen. Epikurs Gedanken zur konkreten Lebensgestaltung bauen auf dem Prinzip der vernünftigen Abwägung verschiedener Lüste auf. Sie sind leicht nachvollziehbar und können darum gut in dem kleinen Rahmen meiner Arbeit abgehandelt werden.

[...]

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Details

Titel
Gedanken aus der antiken Lebenskunst in der Philosophischen Praxis am Beispiel der Lehre des Philosophen Epikur
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Veranstaltung
Die Frage nach dem guten Leben und ihre Bedeutung für die Philosophische Praxis
Note
1.0
Autor
Jahr
2017
Seiten
12
Katalognummer
V374064
ISBN (eBook)
9783668513600
ISBN (Buch)
9783668513617
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophische Praxis, Epikur, Lebenskunst, Antike Philosophie, Ethik
Arbeit zitieren
Stanislaw Wirok-Stoletow (Autor:in), 2017, Gedanken aus der antiken Lebenskunst in der Philosophischen Praxis am Beispiel der Lehre des Philosophen Epikur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374064

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