Lebenswelten unbegleiteter minderjähriger Mädchen und Migrantinnen. Herausforderung für die soziale Arbeit


Bachelorarbeit, 2017

105 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Zusammenfassung / Abstract

1 Einleitung

2 Definition Flüchtlingsbegriff

2.1 Definition „Menschen mit Migrationshintergrund“

2.2 Definition Flüchtlinge

2.3 Definition unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

2.4 Fazit

3 Flüchtlingsmotiv

3.1 Allgemeine Flüchtlingsursachen

3.2 Ursachen minderjähriger Flüchtlinge

3.3 Die aktuelle Situationslage

3.4 Zusammenfassung

4 Clearingverfahren der minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland

4.1 Die Einreise

4.2 Die Unterbringung

4.3 Das Clearingverfahren

4.4 Fazit

5 Aufenthaltsrechtliche Stellung minderjähriger Flüchtlinge

5.1 Erlaubnis

5.2 Duldung

5.3 Subsidiärer Schutz

5.4 Fazit

6 Schutzfunktionen für minderjährige Flüchtlinge

6.1 Das Kinder-und Jugendhilfegesetz

6.1.1 Die Jugendhilfeeinrichtung St. Vincenz Jugendhilfezentrum e.V.

6.1.2 Leistungen der Kinder und Jugendhilfe

6.1.3 Aufgaben und Alltag der Kinder und Jugendhilfe

6.1.4 Möglichkeiten der Jugendhilfeeinrichtungen

6.2 Die Genfer Flüchtlingskonvention

6.3 Die UN-Kinderechtskonvention

6.4 Das Haager Minderjährigen-Schutzabkommen

6.5 Dublin-III-Verordnung

6.6 Fazit

7 Psychische Belastungen

7.1 Trauma

7.2 Trauma: Exempel der stationären Behandlung einer Frau aus Ostafrika

7.3 Fazit

8 Die Gruppe der weiblichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge

8.1 Die Situation der weiblichen UMF

8.1.1 Allgemeine Situation der Frauen und Mädchen in den Herkunftsländern

8.2 Hilfsangebote und Konzepte für weibliche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

8.2.1 Fazit

8.3 Forderungen und Wünsche zur Verbesserung der Situation weiblicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland

8.4 Gesamtreflexion

9 Literaturverzeichnis

10 Internetquellenverzeichnis


Zusammenfassung / Abstract

 

Mein Anliegen mittels der vorliegenden Bachelorarbeit war es, die Situation von weiblichen Flüchtlingen respektive Migrantinnen im Allgemeinen und im Besonderen jene der weiblichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge darzustellen. Es sollen intensive Einblicke in Lebenswelten gegeben und die besonderen Problemsituationen aufgezeigt werden.

 

Das Ziel der Ausarbeitung war es, zu klären, ob die vorhandenen Hilfsangebote die besondere Bedürfnislage erfassen und praxisnah funktionieren. Ferner sollte aufgezeigt werden, welche Verbesserungsmöglichkeiten zur Integration oder auch zur Hilfestellung erarbeitet werden können. Darüber hinaus werden Querverweise zur sozialen Arbeit hergestellt.

 

Um diese Fragen zu klären, wurden die relevantesten theoretischen Konzepte zum Thema unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, im Folgenden abgekürzt mit „umF“, zusammengefasst und beleuchtet. Des Weiteren wurden Hilfsangebote verglichen, eine Falldarstellung einer Traumabehandlung eingearbeitet sowie die konkreten Lebensumstände der Frauen und Mädchen in ihren Herkunftsländern, während der Flucht als auch in Deutschland, beschrieben.

 

Hieraus werden Forderungen sowie Wünsche formuliert, um das Asylverfahren kindgerechter bzw. passgenauer zu gestalten. Darüber hinaus, wie die Hilfen für die Frauen und Mädchen anschlussfähiger ausgearbeitet werden könnten.

 

Die Bachelorarbeit ist sowohl für Studierende der Sozialwissenschaften sowie artverwandten Studiengängen als auch für praktizierende Fachkräfte im Helfersystem der Jugendhilfe interessant.

 

Um eine geschlechtsgerechtere Sprache einzuhalten, ist die weibliche Schreibweise gewählt worden.

My intention in composing this bachelor thesis was to illustrate the situation of female refugees and migrants in general, and especially of female, unaccompanied, underage refugees. The paper is supposed to provide in-depth insights into their living environments and highlight the special problem situations.

 

The goal of the composition was to clarify whether existing support offers grasp the special needs conditions and whether they work in practice. In addition, the thesis was supposed to show which possibilities for improvement of integration and support could still be developed. Furthermore, cross-references to social work are provided.

 

To resolve these questions, the most relevant theoretical concepts regarding unaccompanied underage refugees, hereafter referred to as “uuf”, are summarised and analysed. In addition, I undertook a comparison of support offers, included a case study of trauma treatment, and provided descriptions of the specific living conditions of women and girls in their countries of origin, during their exodus as well as in Germany.

 

Resulting from this analysis, I have included demands and requests for making the procedures for granting asylum more suitable for children and more apposite. This is followed by suggestions how the support for women and children could be modelled to be more adaptive to existing conditions.

 

This bachelor thesis should be of interest to students of the Social Sciences and of cognate fields of study as well as for professional specialists in the support system of youth welfare services.

 

I have opted for a female notation to comply with gender-sensitive language.

 

1 Einleitung

 

Die europäischen Populisten, wie z.B. Geert Wilders in den Niederlanden, Marie Le Pen in Frankreich oder auch die PEGIDA-Bewegung sowie die AFD in Deutschland feiern derzeit viele politische Erfolge. Sie spielen mit den Ängsten der Bevölkerung und werfen Themen wie Flüchtlinge und islamischen Terrorismus zusammen. Die sozialen Netzwerke bieten eine leicht zu manipulierende Plattform, um beispielsweise gefälschte Videos oder Bilder hochzuladen, die zeigen sollen, dass Deutschland droht, zu „überfremden“. Ferner wird ein Bild von den Flüchtlingen gezeichnet, welches mit „Ausbeutung unserer Ressourcen“ oder „Kriminalität“ assoziiert werden soll.

 

Der „Brexit“, im Juni 2016 per Referendum entschlossen, wird von einigen Briten auch als Reaktion verstanden, mit der Flüchtlingspolitik der EU nicht einverstanden zu sein.

 

Die CDU, mit der Vorsitzenden Angela Merkel, reagiert parteipolitisch erstaunlich couragiert und nimmt den linksorientierten Parteien Themen ihrer Wahlprogramme, indem sie dem vorerst unbegrenzten Zuzug von Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien, zustimmt.

 

Die Zeitungen stellten in der Bevölkerung eine solidarische Willkommenskultur fest.

 

Nur einige Monate später scheint sich die Haltung in Teilen der deutschen Gesellschaft, und nicht nur dort, zu verändern. Die Silvesternacht in Köln oder Hamburg mit den einhergehenden Übergriffen auf Frauen hatten das Potenzial, alte Vorurteile wieder aufleben zu lassen. Zudem verunsichern die Berichterstattungen über Terroranschläge in Belgien, Paris und auch in Deutschland die Bevölkerung.

 

Kein Thema scheint in den letzten Monaten und Jahren soviel Einfluss auf das Weltgeschehen zu haben, wie das Schicksal der Flüchtlinge und den unterschiedlichen Auffassungen über den Umgang mit ihnen.

 

Medial unterrepräsentiert stellt sich jedoch das Thema der weiblichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (umF) dar.

 

Wenn in den Medien von Flüchtlingen berichtet wird, erscheint selten eine Differenzierung hin zu der Situation der Frauen respektive Mädchen. Sie scheinen nicht gesondert wahrgenommen zu werden und erhalten oftmals nur einen Berichtsstatus als „Anhang“ der Männer. Weshalb sie nicht in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit geraten und wie sich ihre Lebenssituation darstellt, möchte ich exemplarisch aufzeigen.

 

Leitfrage in der folgenden Ausarbeitung wird sein, wie eine Verbesserung der Integration sowie der Rahmenbedingungen geschaffen werden kann. Ergo: wie kann die Situation der weiblichen umFs/ Migrantinnen verbessert werden?

 

Wenn Problemlagen außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung existieren, dann ist davon auszugehen, dass die derzeitigen Hilfen für weibliche umF, sowie Migrantinnen bestenfalls unspezifisch oder oberflächlich ausgearbeitet sind. Ob diese Behauptung Bestand hat, möchte ich letztlich auswerten.

 

Insofern werde ich mit Hilfe dieser Bachelorarbeit Hilfskonzepte darstellen und bewerten, als auch aufzeigen, welche Hilfen noch benötigt werden.

 

Im Anschluss an die Einleitung dieser Ausarbeitung werden im zweiten Kapitel diverse Begriffsdefinitionen vorgenommen. Im dritten Absatz beschreibe ich die Fluchtursachen sowie deren Umstände. Das vierte Kapitel widmet sich dem Clearingverfahren, also den Abläufen in Deutschland nach der Flucht. Die fünfte Passage gewährt Einblicke in die rechtlichen Rahmenbedingungen.

 

Nachfolgend werden Hilfsangebote skizziert sowie die Schutzfunktionen aufgezeigt.

 

Kapitel sieben beschäftigt sich mit den potenziellen psychischen Folgen von Flucht sowie deren Motiven. Abgeschlossen wird diese Arbeit mit einem besonderen Fokus auf die weiblichen umF.

 

2 Definition Flüchtlingsbegriff

 

Kapitel 2 setzt sich mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten, welche mit Flüchtlingen sowie Migrantinnen assoziiert werden, auseinander und bietet hierüber eine Übersicht.

 

2.1 Definition „Menschen mit Migrationshintergrund“

 

In der BRD wird von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen, wenn sie nach Deutschland eingewandert sind oder Nachkommen der Einwanderinnen sind. Grundsätzlich wird allgemein auch die ausländische Bevölkerung dergestalt benannt. So muss ein Mensch mit Migrationshintergrund selbst einen ausländischen Pass besitzen oder aber die Eltern eine ausländische Staatsbürgerschaft inne haben. Die Begrifflichkeit „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird kritisch betrachtet, da sie generationsweise weitergegeben wird und hiermit möglicherweise einhergehend eine negative Konnotation übertragen wird. In Folge dessen wird differenziert zwischen Mensch mit eigener Migrationserfahrung und Mensch ohne eigene Migrationserfahrung. [1]

 

2.2 Definition Flüchtlinge

 

In der Literatur als auch im Internet erhält man mannigfaltige Definitionen des Begriffs Flüchtling.

 

In der Vergangenheit wurde die Bezeichnung „Asylantin“ häufig benutzt, um einen Flüchtling zu beschreiben. Diese Begrifflichkeit wurde jedoch negativ konnotiert, so dass er kaum noch in den Medien erscheint. Die potenziell transportierte Haltung hinter dem Begriff „Asylantin“, womöglich ein Mensch, welcher nur etwas nimmt und nichts zu geben hat, gilt und galt es zu verändern, hin zu einer klaren Bestimmung der Begrifflichkeiten und einer wertschätzenden, humanen und den oftmals inhumanen und grausamen Bedingungen der Flucht, Rechnung tragenden, Sprache.

 

Um eine möglichst exakte Bestimmung des Begriffs kommt man nicht herum, wenn man sich wissenschaftlich und mit einer angemessen humanen Haltung, als auch Sprache, mit dem Phänomen auseinandersetzen möchte.

 

Laut United Nations High Commissioner For Refugees (UNHCR) wird der Begriff Flüchtling gemäß deren Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.Juli 1951wie folgt definiert:

 

„Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die....aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischer Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will...“[2]

 

Laut UNHCR beläuft sich die Zahl der weltweiten Flüchtlinge im Juni 2016 auf 65 Millionen Menschen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland (BAMF) gab für 2015 alleine über 1 Millionen Flüchtlingsaufnahmen in der BRD an. 60.000 würden, nach Angaben des Meldedienstes Integration, auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) entfallen. [3]

 

Von den 60.000 werden, laut dem statistischen Bundesamt, ca. 3.600 unbegleitete minderjährige Mädchen nach Deutschland gereist sein. [4]

 

2015 und 2016 stellten 384.000 weibliche Flüchtlinge einen Asylantrag. [5]

 

2.3 Definition unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

 

Als „unbegleitet“ gelten Minderjährige, welche ohne Eltern respektive Erziehungsberechtigte nach Deutschland gelangen. Des Weiteren, falls sie nach der Einreise getrennt werden, oder absehbar ist, dass Eltern und Kinder über einen längeren Zeitraum voneinander getrennt bleiben.[6]

 

Als „minderjährig“ gelten, nach deutschem Recht, Personen, welche das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben.[7] Ferner Personen, bei denen die Volljährigkeit auf das, für den einzelnen anzuwendende Recht, nicht früher eintritt. [8]

 

In der jüngeren Vergangenheit galten alle Personen unter 18 als minderjährig, so war dennoch zu differenzieren, dass ab dem 16. Lebensjahr ein Flüchtling, nach dem Asylrecht, einen Asylantrag stellen musste, da diese verfahrensfähig war. Sämtliche anderen Rechtsbereiche waren hiervon nicht betroffen und somit weiterhin eingeschränkt. Dies hatte u.a. zur Folge, dass 16-jährige umF mit volljährigen Flüchtlingen untergebracht wurden und in ihrem Antrag auf Asyl abgelehnt werden konnten. Die Differenzierung zwischen unbegleiteter Minderjähriger unter- und über 16 Jahren gilt nicht mehr als relevant, da die bisherige Verfahrensfähigkeit ab dem 16. Lebensjahr durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 24.10. 2015 auf das 18. Lebensjahr angehoben wurde.[9]

 

Unter 18-jährige werden vom Jugendamt in Obhut genommen, sollte kein Familienmitglied bzw. keine Erziehungsberechtigte sich kümmern können. Ferner haben Flüchtlinge unter dem 18. Lebensjahr, unter bestimmten Bedingungen, das Recht, auf Familienzusammenführung. Das Jugendamt muss überprüfen, ob diese dem Kindeswohl entspricht.[10]

 

2.4 Fazit

 

Das Asylrecht sowie die zuständigen Behörden differenzieren, aus welchen Motiven heraus, Menschen nach Deutschland „einreisen“. Wirtschaftliche Gründe werden anders gewichtet, als beispielsweise Krieg im Heimatland, politische oder religionsbedingte Verfolgung, Folter oder andere existenzielle Bedrohungen.

 

Demzufolge werden seitens der Behörden Menschen, welche aus wirtschaftlichen Gründen einreisen möchten, als Migrantinnen bezeichnet, Personen, die aus oben genannten Gründen nach Deutschland gelangen, haben die Anerkennung eines Flüchtlings.

 

Rein rechtlich erhalten sie einen anderen Status und können weniger internationale Schutzsysteme in Anspruch nehmen, welche ihnen zur Seite stehen. Flüchtlinge sind Menschen, die als Kontingentflüchtling (Hilfe aus humanitären Gründen) oder als Konventionsflüchtlinge (Flüchtlinge aufgrund von Verfolgung) nach Deutschland einreisen.

 

Trotz der oftmals traumatischen Umstände, unter denen Flüchtlinge nach Deutschland gelangen, müssen sie häufig monatelang darauf warten, welchen Aufenthaltsstatus sie bekommen. Sie „hängen in der Luft“, diese Situation stellt eine weitere psychische Belastungssituation dar.

 

Die Hoffnung, sich in Europa schnell eine neue Existenz aufbauen zu können, um mit dem verdienten Geld alle Familienangehörigen „retten“ oder nachholen zu können, erfüllt sich selten.

 

3 Flüchtlingsmotiv

 

t. Kapitel 3 differenziert die Fluchtursachen hinsichtlich der Personengruppen, sowie des Alters und des Geschlechts.

 

3.1 Allgemeine Flüchtlingsursachen

 

Unabhängig von den aktuellen Situationen des Weltgeschehens gelten folgende Faktoren als Hauptgründe, eine Flucht aus dem Ursprungsland vorzunehmen:

 

Möglicherweise stellt die Hauptmotivation einer Flucht aus dem Heimatland eine kriegerische Auseinandersetzung dar. Hiermit ist sowohl der Staatenkrieg als auch eine innerstaatliche Bekämpfung in Form von Bürger- oder auch Unabhängigkeitskriegen gemeint. Letztendlich stellt jede der genannten Formen eine existenzielle Krise für die Menschen vor Ort dar, welche oftmals auch zeitlich nicht abzuschätzen ist. Nicht nur die „legitimierte Gewalt“ des Krieges stellt die Bedrohung dar, auch einhergehende Hungersnöte oder Notstandsgesetze bedrohen das Leben der Bewohnerinnen.

 

Ferner muss an dieser Stelle die Flucht vor Verfolgung wegen politischer Betätigung genannt werden. Insbesondere repressive, autokratische oder tyrannische Staatensysteme lassen keine Meinungsfreiheit zu und verfolgen regimekritische Menschen. Diesen Personen drohen beispielsweise Folter, Mord oder Verurteilungen ohne ein rechtsstaatliches System. Um an diese sogenannten „Rebellen“ zu gelangen, werden oftmals Familienangehörige und insbesondere gerne Kinder instrumentalisiert. Die Verfolgung als Familienangehörige der politischen Aktivistinnen stellt eine weitere Motivation dar, zu flüchten. Diese wird, etwas ausführlicher, im nächsten Kapitel behandelt.[11]

 

Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe respektive Minderheit gehört weiterhin zu den Motiven einer Flucht. Als Beispiel sind hier die Rohingyas in Myanmar zu nennen, welche derzeit als die am meisten verfolgte Minderheit der Welt gilt.[12]

 

Laut Weltverfolgungsindex von „open doors“ ist der religiöse Grund das Hauptmotiv für die Verfolgung von Minderheiten. So nimmt auch die Zahl der Christenverfolgung drastisch zu. Insbesondere der religiöse Fundamentalismus mit seiner Verweigerung von Religionsfreiheit oder in Form von Terrorismus hat hierzu beigetragen. [13]

 

Die Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Ursachen gilt als weiterer relevanter Faktor der Fluchtmotivation. Insbesondere Frauen und Mädchen leiden unter Entrechtung, Unterdrückung und werden Opfer von sexueller Gewalt. Der Flucht vor geschlechtsspezifischer Verfolgung möchte ich mich an anderer Stelle (Kapitel 8) ausführlicher widmen. [14]

 

Abgeschlossen wird die Auflistung der grundlegenden Fluchtursachen mit den wirtschaftlichen Gründen. [15]

 

 

Abbildung 1: Flüchtlingswege nach Europa[16]

 

Über die Route des zentralen Mittelmeeres gelangten 2014 die meisten Flüchtlinge in die EU. Etwa 170.000 der 276.000 illegal eingereisten nutzten diese Route und wurden aus den behelfsmäßigen Booten gerettet. 2015 waren die genutzten Routen massiven Schwankungen unterworfen, so löste die östliche Mittelmeeroute, von der Türkei nach Griechenland, den Weg über das zentrale Mittelmeer ab. [17]

 

3.2 Ursachen minderjähriger Flüchtlinge

 

Die Entscheidung für das Verlassen des Heimatlandes treffen in der Regel die Eltern respektive sorgeberechtigten Personen. Der Aufwand, die Organisation und

 

die Kosten sind insgesamt deutlich angestiegen, sodass die Flucht ohne die Hilfe der Erwachsenen nicht zu realisieren wäre.[18]

 

Die Fluchtursachen der besonders schutzbedürftigen Gruppe der umF ähneln denen der erwachsenen Flüchtlinge. Sie sind den traumatischen Erfahrungen gegenüber indes besonders schutzlos ausgeliefert, dass gilt im Besonderen während der Flucht, da sie ohne Familie reisen. Die Gewichtung der einzelnen Faktoren gestaltet sich anders als bei den Erwachsenen.

 

Hinzukommen altersspezifische Ursachen, wie z.B. die Zwangsrekrutierung als Kindersoldat. So wurden 2014 in mindestens 19 Ländern Kinder als Soldaten missbraucht. Gerechnet wird mit 250.000 Kindern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Für die Milizen und Kriegsherren stellen Kinder eine günstige und formbare Waffe für ihre Konflikte dar. [19]

 

 

Abbildung 2 Kindersoldaten weltweit [20]

 

UNICEF geht weltweit von etwa 250.000 Kindersoldaten aus. Diese werden in Afrika für kriegerische Auseinandersetzungen missbraucht. Ferner auch in Syrien und dem Irak, wo sie von dem Islamischen Staat zwangsrekrutiert werden. Berichten zufolge benutzt die Terrororganisation Boko Haram in Nigeria Kindersoldaten auch als Selbstmordattentäter.[21]

 

Flucht vor Verfolgung als Familienangehörige meint einzelne Mitglieder der Familie, welche zumeist aus politischen Gründen untertauchen müssen oder das Exil im Ausland suchen. Die Angehörigen, insbesondere die Kinder dieser Personen werden z.T. entführt, inhaftiert und sogar gefoltert, um die verfolgten Verwandten unter Druck zu setzen. Auf diesem Wege soll erreicht werden, dass sie sich den Behörden stellen. [22]

 

Die umF sind besonders vom Kinderhandel betroffen. Hierbei geht es den Menschenhändlern primär darum, Kinder als Arbeitskraft oder als sexuelles Objekt auszubeuten. „Schwierig ist die Lage etwa bei Flüchtlingskindern, die sich ohne Eltern in Deutschland aufhalten. Ein Grund: die Aufgegriffenen schweigen oft aus Angst vor Rache oder Abschiebung, aus Scham oder weil sie schlicht kein Deutsch können.“[23]

 

Die mädchenspezifischen Fluchtmotive der umF werden an dieser Stelle nur kurz benannt, um sie in Kapitel 8 näher zu beleuchten und eine vertiefte Auseinandersetzung, im Zusammenhang mit der Gesamtsituation, zu ermöglichen. Zu ihnen gehören:

 

 Der sexuelle Missbrauch

 

 Die Genitalverstümmelung

 

 Die Zwangsprostitution

 

 Die Zwangsverheiratung

 

 Das Bildungsverbot

 

 Die Zwangssterilisierung

 

 Diskriminierung auf Basis des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung

 

 Zwangsabtreibung

 

Frauenspezifische Fluchtursachen werden im deutschen Asylrecht seit 2005 anerkannt. Sie lassen sich indes schwer nachweisen, da sie häufig im familiären Bereich stattfindet. [24]

 

Die Suche nach Familienangehörigen in einem Zielland der EU kann als weiteres Motiv zur Flucht angesehen werden. Das Dublin III-Abkommen (siehe Erläuterung in Kapitel 6.5) zielt darauf ab, dass umF Familienmitglieder leichter aufspüren können und eine Zusammenführung ermöglicht wird.[25]

 

Abschließend ist die familiäre Gewalt als potenzielle Ursache aufzuführen. So wird in Berichten der jungen Mädchen erwähnt, dass sie von ihren Ehemännern misshandelt und vergewaltigt werden, auch im Beisein der Kinder. Sie erhalten in der Regel keinen Schutz, sondern müssen noch befürchten, vom Staat verurteilt zu werden.[26]

 

3.3 Die aktuelle Situationslage

 

„Weltweit sind seit Ende 2013 so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Baschar al -Assad und der Opposition, der IS Terror im Irak und Syrien, der Bürgerkrieg in Somalia sowie massive Menschenrechtsverbrechen in Eritrea zwingen derzeit tausende Menschen ihre Heimat zu verlassen.“[27]

 

Stand Frühjahr 2016 gelangten deutlich weniger Flüchtlinge in die EU sowie nach Deutschland. Erklärt wird der verminderte Zuzug mit der Schließung der sogenannten Balkanroute, somit kaum Menschen von Griechenland nach Norden gelangen.

 

Seit dem 20.03.2016 werden alle Flüchtlinge, welche die Landesgrenze Griechenlands erreichen, in die Türkei zurückgeschickt, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden. Das intensivierte Vorgehen der Türkei gegen Schleuser, gilt als weiterer Faktor, der Verringerung des Flüchtlingszuzugs in die EU, sowie nach Deutschland. Zudem halten sich viele Flüchtlinge in den Lagern des Libanon, der Türkei sowie Jordanien auf. [28]

 

 

Tabelle 1: Asylerstanträge im Jahr 2015 nach Geschlecht und Altersgruppen[29]

 

Am häufigsten ist die Altersgruppe der unter 16-jährigen vertreten. Die Kinder und Jugendlichen werden wahrscheinlich auf den Weg geschickt, da die Sorgeberechtigten um die zu erwartenden Hilfen wissen.

 

Es folgt die Altersklasse zwischen 18 und 25 Jahren. Vermutlich ist dieser Fakt darauf zurückzuführen, dass ihnen am ehesten zugetraut wird, die Strapazen der Flucht zu überstehen, da sie körperlich in diesem Alter in der Regel keine Einschränkungen aufweisen.

 

Die legale Einreise nach Europa scheint nur ein theoretisches Konstrukt. Flüchtlinge würden ein Visum benötigen. Da Konsulate in Kriegs- bzw. Krisenregionen nicht besetzt sind, ist die Ausstellung benötigter Papiere nicht möglich. Ferner stellt der Nachweis eigener finanzieller Mittel eine weitere Hürde dar. So wurden vor den Unruhen in Syrien noch 35.000 Schengen- Visa ausgestellt, seit Beginn der Unruhen 2013 dort, quasi keine mehr. [30]

 

Der einzig mögliche Weg ist der illegale. Flüchtlinge sind abhängig von Schleusern und Menschenhändlern, um über die Landesgrenzen zu gelangen. Dieser lebensgefährliche Weg dauert oftmals Monate bis Jahre.[31]

 

Ca. 80 % der Flüchtlinge, welche die Mittelmeerroute nach Italien nehmen müssen, starten zumeist in Libyen, oftmals in wenig seetauglichen und überfüllten Schiffen. So starben, beispielsweise 2013, 400 Flüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa. Im April 2016 verunglückten allein 400 Flüchtlinge bei der Überfahrt von Ägypten nach Italien.[32]

 

Um Schlepper zu bezahlen werfen ganze Dorfgemeinschaften ihre Gelder zusammen. Eine Überfahrt von Marokko nach Italien kostet etwa 1300 Euro. [33]

 

Frauen verkaufen ihren Körper bewusst an ihre Schlepper, um die Überfahrt bezahlen zu können. Das ist oftmals ihre einzige Chance, da die meisten Frauen aus patriarchalischen Familienstrukturen stammen und somit weder eine Ausbildung noch Gelder besitzen. [34]

 

Innerhalb der Illegalität entstehen ergo Abhängigkeiten zu den Schleppern, diese nutzen diese Situation in vielfacher Hinsicht für sich aus. Die Flüchtlinge haben keine Absicherung, auch wirklich am gewünschten Ort anzukommen oder gar unversehrt zu bleiben.

 

3.4 Zusammenfassung

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ursachen einer Flucht viele Motive haben können und sich in der Regel vermischen.

 

Derzeit stellen Kriege respektive kriegerische Auseinandersetzungen sowie der islamistische Terror die häufigsten Gründe dar, sein Heimatland zu verlassen. Die weiteren Motive lassen sich zumeist in politische sowie religiöse Kategorien zusammenfassen. Es liegt fast immer eine Bedrohung der Existenz vor. Die ökonomischen Fluchtgründe sind meist mit den politischen verflochten.

 

Innerhalb dieser fehlt den Menschen oftmals eine Perspektive, Arbeit zu bekommen und kann sich auch zur existenziellen Krise auswachsen, insbesondere wenn die Sozialsysteme der Länder nicht ausreichen, um Grundbedürfnisse abzudecken und z.B. Hungersnot sowie Verelendung die Familien bedroht.

 

Die Entscheidung zur Flucht wird von den Eltern bzw. Sorgeberechtigten getroffen.

 

Die umF sind besonders anfällig für Bedrohungen innerhalb des Herkunftslandes als auch während der Fluchtsituation. Sie sind häufig Opfer von Gewalt, Ausbeutung oder werden instrumentalisiert für die Interessen Erwachsener.

 

Aus unterschiedlichen Folgen heraus wird seit dem 1.Quartal 2016 ein Rückgang der Flüchtlinge verzeichnet. In 2015 war es noch die größte Flüchtlingswelle seit dem 2.Weltkrieg.

 

Insbesondere der Zwang, die Illegalität für die Flucht nutzen zu müssen, führt zu lebensbedrohlichen Situationen sowie der Verzicht auf jegliche Gewähr von Leistungen.

 

4 Clearingverfahren der minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland

 

Das Kapitel 4 widmet sich dem Clearingverfahren sowie der vorgeschalteten Verteilung der umF, als auch den Einreisebedingungen und Unterbringungsperspektiven. Das erste Subkapitel beschäftigt sich mit der Einreise der Flüchtlinge und zeigt die widrigen Umstände, vom Erstkontakt an, auf. Eine Grafik des Königsteiner Schlüssels leitet in das zweite Unterkapitel über. Sie zeigt, welche Kontingente die Bundesländer aufnehmen müssen. Ferner werden die Erstunterkünfte sowie die rechtlichen Hintergründe skizziert. 4.3 erläutert die Aufgaben des Clearingverfahrens und zeigt die rechtlichen Rahmenbedingungen auf. Ferner werden die potenziellen Vormundschaften beschrieben. Das 4. Kapitel schließt ab mit einer Darstellung über die Rechte der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge.

 

4.1 Die Einreise

 

Infolge der aufgeführten Flüchtlingsmotive reisen umF oftmals ohne Ausweispapiere bzw. ohne gültige Dokumente ein.[35] Das Alter derjenigen kann somit nicht nachgewiesen werden. Es erfolgt eine fiktive Altersfestsetzung. [36] Diese wird in den deutschen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Beispielhaft für NRW erfolgt die fiktive Altersfestsetzung mit Hilfe von Mitarbeiterinnen des Jugendamtes sowie denen des Ausländeramtes. Eine in Augenscheinnahme der umF erfolgt, in seltenen Fällen kann eine, durch das Familiengericht angeordnete Röntgenaufnahme, veranlasst werden. [37]

 

Es liegt möglicherweise im Interesse der Betroffenen, als unter 18- jährige eingestuft zu werden. Denn nur dann profitiert diejenige von der Pflicht der Inobhutnahme durch das Jugendamt. Ferner die Unterstützung durch eine Vormünderin, die Einleitung eines Clearingverfahrens, die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung, Zugang zu Schulbildung sowie den Leistungen der Jugendhilfe.[38]

 

Wenige Flüchtlinge erreichen Deutschland via Flugzeug. In diesen Fällen tritt das Flughafenverfahren in Kraft. Hamburg, München, Düsseldorf und Berlin treten hierbei kaum nennenswert in Erscheinung, nur am Hauptflughafen Frankfurt/ Main landen Flüchtlinge regelmäßig.

 

Der Flughafen wird dabei als „exterritorial“ betrachtet, rechtlich gesehen ist somit noch keine Einreise in die BRD geschehen. Für die umF bedeutet diese Betrachtungsweise, dass sie noch nicht in den Genuss des Schutzes für Kinder/Jugendliche kommen. Im Gegensatz zu den erwachsenen Flüchtlingen erhalten sie aber Unterstützung eines Rechtsbeistandes des jeweiligen Amtsgerichtes. Darüber hinaus fungiert das Jugendamt als Pflegerin des umF.

 

Wird der Asylantrag als augenscheinlich unbegründet eingeschätzt, wird dieser unmittelbar abgelehnt. Die „zurückgewiesenen“ Menschen werden in einer haftähnlichen Unterkunft festgesetzt. Bis die Dokumente für die Rückreise erstellt sind, vergehen oftmals viele Wochen und auch Monate. [39]

 

Die Altersfestsetzung innerhalb des Flughafen-Verfahrens ereignet sich in ähnlicher Weise wie eingangs dieses Kapitels beschrieben.

 

4.2 Die Unterbringung

 

Der Königsteiner Schlüssel schreibt vor, welche Bundesländer wie viele Flüchtlinge aufnehmen müssen, sowie die Ausgestaltung der Finanzierung. Jedes Jahr wird dieser Schlüssel neu festgelegt und setzt sich zu 2/3 aus Steueraufkommen sowie aus 1/3 der Bevölkerungszahl der Länder zusammen.

 

Nordrhein-Westfalen führt infolge der Bevölkerungsdichte diese Liste mit 21,24% an.[40] Anerkannte Asylbewerberinnen ziehen vermehrt in das bevölkerungsreichste Bundesland, da die Infrastrukturen dort als besonders gut ausgebildet gelten.[41]

 

 

Abbildung 3: Königsteiner Schlüssel [42]

 

Es existiert bundesweit kein einheitliches Verfahren bezüglich der Altersfestsetzung, der Inobhutnahme sowie des Clearings.

 

In NRW wird die Inobhutnahme, das Aufnahmeverfahren und das Clearing nach § 42 SGB VIII geregelt. Es ordnet an, dass alle umF dem örtlichen Jugendamt vorzustellen sind. Es schließt sich das Clearingverfahren an (genaueres erfolgt im nächsten Subkapitel). Wird kein Jugendhilfebedarf festgestellt, werden die Menschen in einer GU (Gemeinschaftsunterkunft) untergebracht.[43]

 

Die Gemeinschaftsunterkünfte für die erwachsenen Flüchtlinge gestalten sich zumeist improvisiert. „Es gibt keinerlei Privatsphäre, das Essen reicht nicht aus und zudem stehen nachts keine Duschmöglichkeiten zur Verfügung. Diese katastrophalen Bedingungen kritisieren Flüchtlinge in einer Mängelliste. Sie wollen raus aus der Sporthalle und endlich in eigene Wohnungen ziehen.“[44]

 

Für die umF hingegen ist das Jugendamt in der Pflicht, Personen oder Einrichtungen zu suchen, welche dem Kindeswohl entsprechen. Diese können Bereitschaftspflegestellen, Kinder-und Jugendschutzstellen, Mädchenhäuser sowie Institutionen sein, in denen Erziehungshilfen nach §34 SGB VIII (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform) durchgeführt werden, sein. [45]

 

Differenziert betrachtet werden müssen, die unter besonderem Schutz stehenden schwangeren Frauen, sowie Wöchnerinnen und alleinerziehende Frauen. Diese Personengruppen erhalten über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zusätzliche Leistungen. Für sie kommt die Unterkunft in einer Sammelunterkunft nicht in Frage, da ihre Privatsphäre als sehr schützenswert betrachtet wird. Ferner erhalten sie Unterstützung hinsichtlich der Ernährung, sowie der medizinischen Versorgung [46]

 

4.3 Das Clearingverfahren

 

„Eine der wesentlichen Aufgaben des Clearingverfahrens ist die Entscheidung über eine geeignete Folgeunterbringung und die Suche nach derselben. Diese erfolgt im Anschluss an die Erstunterbringung individuell nach Einschätzung des Erziehungsbedarfs der Minderjährigen in einer der unterschiedlichen Unterbringungsformen der Kinder-und Jugendhilfe, welche im SGB VIII geregelt sind.“[47]

 

Sobald der Erstkontakt mit einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling hergestellt ist, wird dieser zu einem örtlichen Clearinghaus gebracht. Das Clearingverfahren wird zeitnah veranlasst. Dem örtlichen Jugendamt obliegt die Kompetenz des Clearingverfahrens, da es ein Baustein des Inobhutnahme Verfahrens nach § 42 SGB VIII darstellt.

 

Alle minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge erhalten bei Einreise nach Deutschland einen Vormund. Vormünder besitzen alle Rechte von Eltern, wenn diese außer Stande sind, die elterliche Sorge im vollen Umfang auszuüben. [48]

 

Dieser wird vom Jugendamt vorgeschlagen, die Entscheidung hierzu fällt jedoch das Familiengericht. Um die Entscheidung treffen zu können, wird der persönliche Bedarf des umF hinsichtlich kultureller und religiöser sowie persönlicher Beziehung in Augenschein genommen.[49]

 

Im BGB werden 3 verschiedene Formen der Vormundschaft geregelt:

 

1. Amtsvormundschaft (vgl. § 1791 b BGB)

 

2. Vereinsvormundschaft (vgl. § 1791 a BGB)

 

3. Einzelvormundschaft (vgl. 1791 BGB)

 

Ferner besteht die Möglichkeit, einer zusätzlichen Ergänzungspflegschaft, welche in § 1909 Abs.1, Satz 1, BGB geregelt wird.

 

Die Einzelvormundschaft wird von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen ausgeführt. Sie stellt die seltenste Vormundschaftsform dar. Dennoch wird diese Ausprägung der Beistandschaft vorrangig vor der Vereins- als auch Amtsvormundschaft betrachtet. Ihr wird der höchste persönliche Wert in der Zusammenarbeit beigemessen, da dieser eine intensivere Beziehungsarbeit ermöglichen könnte.

 

Der Amtsvormund wird indes in asylrechtlichen Fragen vermeintlich besser aufgestellt sein, betreut aber bis zu 50 Mündel gleichzeitig.[50]

 

Erschwerender Weise muss vor der Installation einer Vormundschaft geklärt werden, ob die elterliche Sorge ruht (§§ 1673; 1674 BGB). Diese Überprüfung obliegt dem Familiengericht, das Jugendamt darf in dieser Zeit elterliche Sorge nur in Teilen übernehmen. Während dieser Überprüfung durch das Familiengericht hat das Jugendamt nicht das Recht, den Asylantrag zu stellen. [51]

 

Für die umF bedeutet dies, dass sie unter Umständen, sehr lange auf einen Vormund warten müssen. Was erneut sehr belastend für die jungen Menschen ist.

 

Sämtliche Aufgaben der Vormundschaft sind im § 1793 BGB aufgeführt. Diese beinhalten die Personen- und Vermögenssorge sowie die rechtliche Vertretung des Jugendlichen. Der Vormund hat grundsätzlich die Interessen des Jugendlichen im Blick zu behalten und fungiert dabei als Interessenvertreterin.

 

„Da die meisten Vormünder für die UmF die Unterbringung in entsprechenden Jugendhilfeeinrichtungen veranlassen, geben sie einen wesentlichen Teil der Erziehungsverantwortung an die dort tätigen Betreuerinnen und Betreuer ab, die sich um die sogenannten Dinge des alltäglichen Lebens kümmern. Der Vormund hat dann zumeist die Funktion, die Jugendhilfe und alle anderen mit dem Mündel befassten Stellen in ihrem Handeln zu überwachen und einzuschreiten, wenn etwas nicht dem Wohl des jungen Menschen entspricht.“[52]

 

 

Abbildung 4: Welche Rechte hat ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in Deutschland [53]

 

Grafik Nr. 4 bebildert die Rechte eines umF. Sie zeigt in idealtypischer Weise, welche theoretischen Ansprüche bestehen. Die Umsetzbarkeit, insbesondere in der zeitlichen Dimension, „zerschellt“ an der Wirklichkeit, da Abläufe sich z.T. paradox gegenüberstehen sowie an den noch nicht einheitlich geregelten Abläufen.

 

4.4 Fazit

 

Sind die Fluchtbedingungen bis zur Einreise nach Deutschland zumeist unmenschlich, lebensbedrohend und oftmals grausam, erleben die Flüchtlinge ein überfordertes System, welches vermutlich einen improvisierten Eindruck hinterlässt. Angefangen mit der unterschiedlichen Handhabung einzelner Bundesländer, bis hin zur viel zu langen Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status, verbringen die Flüchtlinge eine viel zu lange Zeit in der Perspektivlosigkeit. Sowohl die Altersfestsetzung, als auch die Bedingungen der Vormünder erscheinen in einem subjektiv abhängigen Verhältnis. Die Sammelunterkünfte stehen stellvertretend für ein überfordertes System, welches oftmals einen würdelosen Eindruck erweckt.

 

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Lebenswelten unbegleiteter minderjähriger Mädchen und Migrantinnen. Herausforderung für die soziale Arbeit
Hochschule
Fachhochschule Dortmund
Note
1,7
Jahr
2017
Seiten
105
Katalognummer
V374074
ISBN (eBook)
9783668538566
ISBN (Buch)
9783960951254
Dateigröße
1146 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migrationspolitik
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Lebenswelten unbegleiteter minderjähriger Mädchen und Migrantinnen. Herausforderung für die soziale Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374074

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