Das Grundgesetz gilt als Meilenstein deutscher Verfassungsgeschichte. Ursprünglich als Provisorium bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung gedacht, ist es schnell zu einem konstituierenden Element des deutschen Staates geworden. In über 60 Jahren Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht ein komplexes System an Grundrechtsinterpretationen entwickelt und somit den Gehalt der Grundrechte umfassend konkretisiert. Im Ergebnis existiert heute nahezu kein Handlungsraum mehr, der nicht durch das Grundgesetz geschützt ist.
Was zunächst positiv klingt, ist in der Literatur teilweise auf heftige Kritik gestoßen und hat dem Bundesverfassungsgericht den Vorwurf eingetragen, durch Entscheidungen wie Reiten im Walde oder Sich Berauschen die Banalisierung der Grundrechte voranzutreiben. Die Kritik zielt auf die praktizierte weite Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche und den erweiterten Eingriffsbegriff, der nahezu jedes staatliche Handeln als Eingriff betrachtet. Der Ansatz, die Schutzbereichsbestimmung der Grundrechte durch den engeren Gewährleistungsgehalt zu ersetzen, hat in der Staatsrechtswissenschaft für erhebliche Diskussionen gesorgt. Fraglich ist jedoch, ob dieses Konzept mit dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes vereinbar ist.
Inhaltsverzeichnis
- A Einleitung
- B Das Grundrechtsverständnis des parlamentarischen Rates
- I. Schlüsselrolle der Grundrechte
- II. Vorrang des Menschen vor dem Staat
- III. Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt
- IV. Ewigkeitsgarantie von Strukturprinzipien und der Menschenwürde
- C Traditionelle Grundrechtsdogmatik
- I. Schutzbereich
- 1. persönlicher Schutzbereich
- 2. sachlicher Schutzbereich
- II. Eingriff
- 1. Klassischer Eingriffsbegriff
- 2. Erweiterter Eingriffsbegriff
- III. Kritik
- 1. Relativierung des Grundrechtsschutzes
- 2. Ausufernde Vergesetzlichung
- D Enger Gewährleistungs- statt weitem Schutzbereich
- I. Der Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 GG nach Böckenförde
- II. Verfassungshistorische Bewertung
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Grundrechtsverständnis des parlamentarischen Rates und dessen Relevanz für die aktuelle Grundrechtsdogmatik. Sie analysiert kritisch die traditionelle und die neuere, am Gewährleistungsgehalt orientierte Grundrechtsdogmatik und deren jeweilige Stärken und Schwächen. Ziel ist es, die Vereinbarkeit des Konzepts des Gewährleistungsgehalts mit dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes zu prüfen.
- Das Grundrechtsverständnis des parlamentarischen Rates
- Kritik an der traditionellen Grundrechtsdogmatik
- Der Ansatz des Gewährleistungsgehalts
- Vergleich der beiden Dogmatiken
- Grundrechtskonforme Problemlösung
Zusammenfassung der Kapitel
A Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Vereinbarkeit des Gewährleistungsansatzes mit dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes. Sie benennt die Kritik an der weiten Auslegung von Grundrechten und dem erweiterten Eingriffsbegriff und skizziert den Aufbau der Arbeit, der die Untersuchung des Grundrechtsverständnisses des Parlamentarischen Rates, die kritische Betrachtung traditioneller und neuerer Grundrechtsdogmatik sowie eine abschließende Bewertung umfasst. Die Einleitung verortet die Arbeit in den wissenschaftlichen Diskurs und legt die methodische Vorgehensweise dar.
B Das Grundrechtsverständnis des parlamentarischen Rates: Dieses Kapitel beleuchtet das Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz verfasste. Es analysiert die Schlüsselrolle der Grundrechte im GG, den Vorrang des Menschen vor dem Staat, der sich im Bekenntnis zur Menschenwürde manifestiert, und die Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt. Das Kapitel betont den Einfluss der Erfahrungen der NS-Zeit und der Weimarer Republik auf die Gestaltung des Grundrechtskatalogs und zeigt den Unterschied in der Positionierung der Grundrechte im Grundgesetz im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung auf. Die Entstehung des Grundgesetzes im Kontext der Nachkriegszeit und der alliierten Besatzung wird ebenfalls erörtert.
C Traditionelle Grundrechtsdogmatik: Dieses Kapitel befasst sich mit der traditionellen Grundrechtsdogmatik, indem es die Konzepte des Schutzbereichs (persönlicher und sachlicher) und des Eingriffs (klassischer und erweiterter Eingriffsbegriff) analysiert. Es widmet sich der Kritik an der traditionellen Dogmatik, die u.a. eine Relativierung des Grundrechtsschutzes und eine Ausufernde Vergesetzlichung beinhaltet. Das Kapitel liefert einen umfassenden Überblick über die klassische Dogmatik und deren Problemfelder, die den Anlass für die Entwicklung alternativer Ansätze wie dem des Gewährleistungsgehalts gaben.
Schlüsselwörter
Grundrechtsdogmatik, Gewährleistungsansatz, Parlamentarischer Rat, Grundrechtsverständnis, Schutzbereich, Eingriff, Menschenwürde, Verfassungsgeschichte, Böckenförde, Grundgesetz (GG), Weimarer Reichsverfassung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates und aktuelle Grundrechtsdogmatik
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht das Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates und dessen Relevanz für die heutige Grundrechtsdogmatik. Sie analysiert kritisch die traditionelle und die neuere, am Gewährleistungsgehalt orientierte Grundrechtsdogmatik und deren jeweilige Stärken und Schwächen. Ziel ist es, die Vereinbarkeit des Konzepts des Gewährleistungsgehalts mit dem Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes zu prüfen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: Das Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates, Kritik an der traditionellen Grundrechtsdogmatik, den Ansatz des Gewährleistungsgehalts, einen Vergleich beider Dogmatiken und die grundrechtskonforme Problemlösung. Im Detail werden der Schutzbereich (persönlicher und sachlicher), der Eingriffsbegriff (klassisch und erweitert), die Ewigkeitsgarantie von Strukturprinzipien und der Menschenwürde sowie die verfassungshistorische Entwicklung beleuchtet.
Wie ist die Arbeit aufgebaut?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, die die Forschungsfrage und die methodische Vorgehensweise darlegt. Es folgen Kapitel zum Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates, zur traditionellen Grundrechtsdogmatik mit ihrer Kritik, zum Ansatz des Gewährleistungsgehalts, insbesondere nach Böckenförde, und einer abschließenden Bewertung. Die einzelnen Kapitel enthalten detaillierte Analysen und Vergleiche der verschiedenen Konzepte.
Was versteht man unter dem Gewährleistungsgehalt von Grundrechten?
Der Begriff des "Gewährleistungsgehalts" steht im Gegensatz zu einem weiten Schutzbereich. Er fokussiert sich auf den konkreten Schutz, den das Grundrecht gewährt, anstatt einen umfassenden Schutzbereich zu definieren. Böckenförde's Interpretation des Art. 4 Abs. 1 GG liefert ein Beispiel für diesen Ansatz.
Wie wird die traditionelle Grundrechtsdogmatik kritisiert?
Die traditionelle Grundrechtsdogmatik wird kritisiert wegen der Relativierung des Grundrechtsschutzes durch den weiten Eingriffsbegriff und die damit verbundene Ausufernde Vergesetzlichung. Dieser Ansatz führt potenziell zu einer Schwächung des Grundrechtsschutzes.
Welche Rolle spielt der Parlamentarische Rat?
Das Grundrechtsverständnis des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz verfasste, ist zentral für die Arbeit. Seine Entscheidungen und das Verständnis von Grundrechten im Kontext der Nachkriegszeit und der Erfahrungen mit dem NS-Regime und der Weimarer Republik werden detailliert analysiert.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Grundrechtsdogmatik, Gewährleistungsansatz, Parlamentarischer Rat, Grundrechtsverständnis, Schutzbereich, Eingriff, Menschenwürde, Verfassungsgeschichte, Böckenförde, Grundgesetz (GG), Weimarer Reichsverfassung.
Für wen ist diese Arbeit relevant?
Diese Arbeit ist relevant für Studierende der Rechtswissenschaften, insbesondere im Bereich des Staatsrechts und der Grundrechte, sowie für Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung und der aktuellen Auslegung der Grundrechte befassen. Sie bietet einen fundierten Überblick und eine kritische Analyse der relevanten Konzepte und Theorien.
- Quote paper
- Ricardo Lerch (Author), 2015, Grundrechtsdogmatik in der Kritik. Der Gewährleistungsansatz zur Bestimmung des Grundrechtsgehalts in verfassungshistorischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374160