Der Religionsunterricht an der Volksschule als Ort der Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umweltverantwortung


Bachelorarbeit, 2014

90 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzzusammenfassung

Summary

Vorwort

1 Einleitung

2 Die Umweltkrise
2.1 Die Gefährdung der Natur als Grund heutiger Schöpfungstheologie
2.2 Die Umweltkrise als Überlebenskrise
2.3 Die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten
2.4 Die Berufung auf die biblische Rede von der Schöpfung als Reaktion auf die Umweltkrise
2.5 Die Reaktion auf die Umweltkrise in ausgewählten ökumenischen Stellungnahmen

3 Verantwortliches Handeln: Theologische und ethische Grundlagen
3.1 Ist der Herrschaftsauftrag (dominum terrae) eine Legitimation für die Zerstörung der Natur?
3.2 Die Frage der Mitschuld des Christentums
3.3 Vier Ansätze umweltethischer Begründungsmodelle
3.3.1 Der anthropozentrische Ansatz
3.3.2 Der pathozentrische Ansatz
3.3.3 Der biozentrische Ansatz
3.3.4 Der physiozentrische (auch ökozentrische oder holistische) Ansatz
3.3.5 Die Vorteile und Nachteile der vorgenannten Ansätze
3.3.6 Die Mischformen
3.4 Ethische Orientierungen umweltgerechten Handelns
3.5 Die Verantwortung als Konzept der ökologischen Ethik
3.5.1 Der Begriff Verantwortung
3.5.2 Die grundlegenden Kriterien ethischer Verantwortung und Entscheidungsfindung
3.5.3 Die Verantwortungsethik als Abgrenzung zwischen konkurrierenden Gütern

4 Die nachhaltige Entwicklung als ethisch-politischer Leitbegriff
4.1 Die nachhaltige Entwicklung als Notwendigkeit für einen globalen Schutz der Umwelt
4.2 Die Retinität als ethisches Leitprinzip nachhaltiger Entwicklung
4.3 Die Kriterien einer christlichen Ethik der Nachhaltigkeit
4.4 Schlussfolgerungen

5 Konfessionelle Zugänge in der evangelischen und orthodoxen Theologie zur Schöpfungsthematik
5.1 Die Schöpfung in der evangelischen Theologie
5.1.1 Die Schöpfung bei Martin Luther
5.1.2 Die Schöpfung als Schauplatz der Herrlichkeit Gottes - Johannes Calvin ...
5.1.3 Die neulutherische Lehre von den Schöpfungsordnungen
5.2 Die Schöpfung in der orthodoxen Theologie

6 Die ökumenische Schöpfungstheologie
6.1 Der Sinn ökumenischer Schöpfungstheologie
6.2 Die sieben Dimensionen eines ökumenischen Verständnisses von Schöpfung
6.2.1 Die Schöpfung als Beziehungsgeschehen
6.2.2 Die Schönheit der Natur - Schöpfung und Bejahung des Natürlichen
6.2.3 Das Mitleiden mit der Natur - Schöpfung und Kreuz
6.2.4 Die Zukunft der Natur - Schöpfung aus dem Nichts
6.2.5 Die Würde der Natur - Schöpfung und Selbstbegrenzung
6.2.6 Ehrfurcht vor dem Leben - Schöpfung und menschliche Tugend
6.2.7 Engagement für die Natur in der Zivilgesellschaft - Schöpfung und politische Kultur

7 Zusammenfassung

8 Der Beitrag des Religionsunterrichts an der Volksschule zur Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umweltverantwortung
8.1 Die Bewahrung der Schöpfung als ökumenische Dimension des Religionsunterrichts
8.1.1 Die ökumenische Dimension in Dokumenten
8.1.2 Die ökumenische Dimension in den Lehrplänen für Volksschulen
8.2 Die Grundlagen für einen Unterrichtsentwurf zum Thema „Die Schöpfung bewahren“
8.2.1 Vorüberlegungen in Bezug auf Volksschulkinder im Kontext der Umweltkrise
8.2.2 Religionspädagogische und religionspsychologische Vorbemerkungen
8.2.3 Die Aspekte einer schöpfungsorientierten Didaktik
8.2.4 Der Unterrichtsentwurf
8.2.5 Das Resumee

9 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

Eine Hainbuche stellt sich vor

Kurzzusammenfassung

Vorliegende Arbeit zeigt die biblisch-theologischen sowie die umweltethischen Grundla- gen zur Überwindung der globalen Umweltkrise, die sich zur Überlebenskrise zuspitzt, auf. So wird die Notwendigkeit umweltgerechten Verhaltens aufgrund eines neuen ökologi- schen Bewusstseins beziehungsweise aufgrund eines christologisch erneuerten Schöp- fungsglaubens erkannt, wobei auch die unterschiedlichen konfessionellen Zugänge zur Schöpfungsthematik sowie das ökumenische Verständnis von Schöpfung dargestellt wer- den. Der „Konziliare Prozess gegenseitiger Verpflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ lässt einen Konsens über den Umgang mit den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit erkennen. Anschließend wird der Beitrag des Religionsun- terrichts zum umweltgerechten Handeln der Schüler und der Schülerin analysiert. Die Schüler und die Schülerin werden, basierend auf einer schöpfungsorientierten Didaktik, die in ganzheitlicher Weise kognitive, emotionale und handlungsorientierte Elemente mitei- nander verknüpft, vom Schöpfungsglauben hin zum Umwelthandeln ermutigt und befähigt. Sie fühlen sich verpflichtet, sich für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen.

Summary

This bachelor thesis points out biblical-theological as well as ethical considerations to cope with the global environmental crisis, which has been threatening our lives more and more. Therefore, acting in an environmentally responsible way is based on a new ecological awa- reness, respectively on a renewed creation. In addition, the Orthodox and Protestant per- spectives on creation are introduced. An ecumenical concept of creation is also considered. The Conciliar Process of Mutual Commitment (Covenant) to Justice, Peace and Integrity of Creation reveals consensus on meeting ecological challenges. Pupils are encouraged and empowered to act respectfully towards God´s creation. Didactics will include cognitive, emotional and activity-oriented elements. Pupils are therefore empowered to act in an en- vironmentally sustainable way.

Vorwort

Diese Bachelorarbeit wurde in den Studienfächern Ökumenische Theologie und Schul- praktische Studien verfasst. Im theologischen Bereich wurde sie von Prof. Dr. Pavel Mikluscak betreut, im humanwissenschaftlichen von Prof. Dipl.-Päd. Mag. Thomas Schmutzer.

Mein Dank gilt all jenen, die mir während des Studiums mit Rat und Tat zur Seite standen als auch jenen, die mich beim Erstellen vorliegender Arbeit unterstützten, sei es durch impulsgebende Gespräche oder das Korrekturlesen.

Luftverschmutzung, radioaktive Belastung von Gewässern, Luft und Boden, Erderwär- mung, Klimaveränderung - aufgrund des erschreckenden Ausmaßes der voranschreitenden Naturzerstörung kam mir die Idee, meine Schülerinnen und Schüler zu einer umweltge- rechten Umgestaltung unseres von Gott geschenkten Lebensraumes zu ermutigen und zu befähigen. Ich stellte mir daher die Frage, wie es gelingen könne, den Religionsunterricht als Ort der Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umweltverantwortung zu machen, wes- halb gegenständliche Bachelorarbeit den Weg vom Schöpfungsglauben hin zum Umwelt- handeln aufzeigt.

Wien, im Mai 2014

1 Einleitung

Kaum ein anderes theologisches Thema erfreut sich derart großer allgemeiner Aufmerksamkeit wie jenes der „Schöpfung“. In Anbetracht der globalen ökologischen Krise, der menschlichen Ausbeutung natürlicher Lebensgrundlagen und Ressourcen zu Lasten nachfolgender Generationen, findet diese biblische Thematik immer öfter Eingang in gegenwärtige rechtliche und politische Diskussionen.

Was es nun bedeutet, von der Welt als Schöpfung Gottes zu reden, ist Gegenstand vorlie- gender Bachelorarbeit. Neben der Berufung auf die biblische Rede von der Schöpfung werden ethische Grundlagen für ein umweltverantwortliches Handeln erörtert. Es werden die unterschiedlichen konfessionellen Zugänge zur Schöpfungsthematik dargestellt als auch das ökumenische Verständnis von Schöpfung beleuchtet. Hierbei ist ein Konsens über den Umgang mit den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit erkennbar.

Das Anliegen der Bewahrung der Schöpfung innerhalb des Konziliaren Prozesses findet in den Lehrplänen für den evangelischen, orthodoxen und katholischen Religionsunterricht ihren Widerhall und formuliert damit eine ständige Aufgabe des christlich-religiösen Ler- nens.

Dem Rechnung tragend wird aufgezeigt, wie der Religionsunterricht an einer vierten Klas- se einer Wiener Volksschule zum Ort der Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umwelt- verantwortung wird. Auf Grundlage einer schöpfungsorientierten Didaktik wird der religi- onspädagogische Prozess vom Schöpfungsglauben hin zum Umwelthandeln dargestellt, bei dem in ganzheitlicher Weise kognitive, emotionale und handlungsorientierte Elemente miteinander verknüpft werden. Zuvor wird auf die psychische und pädagogische Bewälti- gung der Umweltängste von Kindern eingegangen und auf ihr Umweltbewusstsein. Religi- onspädagogische und religionspsychologische Vorüberlegungen zu den christlichen Glau- bensvorstellungen der Kinder und zu deren religiösem Schöpfungsverständnis werden be- rücksichtigt.

Den Abschluss vorliegender Arbeit bildet ein Unterrichtsentwurf, der anhand der erarbeiteten Grundlagen erstellt, durchgeführt und reflektiert wird.

2 Die Umweltkrise

2.1 Die Gefährdung der Natur als Grund heutiger Schöpfungstheologie

Die ökologische Krise ist eine der größten politischen Herausforderungen unserer Zeit.1Faktoren, wie die Erwärmung der Erdatmosphäre sowie der Abbau der Ozonschicht, beeinträchtigen nachhaltig das globale Klimasystem.2

Einer aktuellen Studie der Potsdamer Klimaforscher zufolge würden durch die heute aus- gestoßenen Treibhausgase die Meere noch die nächsten Jahrhunderte ansteigen. Jeder Grad an globaler Erwärmung bewirke ein Anschwellen des Meeresspiegels um 2,3 Meter.3

Neben dem Anstieg des Meeresspiegels sind vermehrte Überschwemmungen, Stürme so- wie sich verschiebende Klimazonen die weiteren Folgen der sich erwärmenden Atmosphä- re. Klimaänderungen haben zudem soziale, ökonomische und politische Auswirkungen. Die dadurch veränderten Bedingungen der Lebensmittelproduktion beeinflussen das sozio- ökonomische Gefüge der Weltbevölkerung, wodurch Armutswanderungen forciert wer- den.4

Der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre und die damit einhergehende Schädigung des Schutzes vor ultravioletter Strahlung gefährden das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen. Das „Ozonloch“ lässt UV-B Strahlen auf die Erde durchdringen, die aufgrund ihrer Wellenlänge lebensnotwendige Biomoleküle zerlegen, die Photosyntheseleistung von Pflanzen beeinträchtigen, die Immunabwehr der Menschen schwächen und das Auftreten von Hautkrebs begünstigen können.5

Diese Störungen des globalen Klimasystems sind insbesondere auf die Verwendung CO2- internsiver Energieträger, auf Brandrodungen in den Tropenwäldern und auf „Treibhaus- gasemissionen“ in Industrie und Landwirtschaft zurückzuführen.6ÄCO2, einmal durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt, verbleibt entsetzlich lange in der Atmosphä- re“, erläuterte der Forschungsbereichsleiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Anders Levermann. ÄFolglich bleibt die Erwärmung, die es verursacht, ebenfalls beste- hen.“7

Enormes Schädigungspotenzial beinhalten darüber hinaus die ozonabbauenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Berechnungen zufolge wird sich das Ozonloch aufgrund der geringen Reaktionsfähigkeit und der damit langen Lebensdauer der bereits in der Atmosphäre befindlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe voraussichtlich erst in ungefähr 100 Jahren schließen, selbst wenn das Herstellungs- und Einsatzverbot dieser die Ozonschicht schädigenden Stoffe weltweit eingehalten wird.8

So hat zur Frage „Ist die Natur noch zu retten?“ Thilo Bode, damaliger Geschäftsführer von Greenpeace International, im Juli 1999 beim Jahreskolloquium der Alfred-Herrhausen- Gesellschaft für internationalen Dialog in Berlin Folgendes ausgeführt:

ÄHeute besteht über das Ausmaß und die Folgen der Naturzerstörung weitgehend Über- einstimmung: Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen schreitet unaufhörlich voran, insbesondere die Vernichtung der letzten Primärwälder (80% sind bereits abge- holzt), sowie die Verschmutzung und Übernutzung der Ozeane und die mit beiden Phäno- menen verbundene Verminderung der Artenvielfalt. Neben zahlreichen anderen Problemen (Bodenerosion, abnehmende Frischwasserreserven, Belastung der Biosphäre mit schwer abbaubaren toxischen Chemikalien, waschsende Atommüllberge) ist das exzessive Ver- brennen fossiler Brennstoffe von zentraler Bedeutung. Die dadurch verursachte globale Erwärmung wird unabsehbare negative Folgen wie z.B. das Ansteigen des Meereswasser- spegels zeitigen. 1998 war das heißeste Jahr, seitdem es derartige Messungen gibt und das Jahr mit den schwersten Umweltkatastrophen. Etwa 50.000 Menschen starben und mehr als 100 Millionen waren von diesen (meistens durch den Klimawandel bedingten) Kata- strophen betroffen. Die Schäden betrugen laut Münchner Rückversicherung 90 Milliarden US Dollar gegenüber 30 Milliarden US Dollar 1997.“9

Das erschreckende Ausmaß der voranschreitenden Naturzerstörung veranschaulicht die aus Quellen des deutschen Umweltbundesamtes und der OECD erstellte Bilanz: Jeden Tag gelangen 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, werden 220 000 Tonnen Fisch gefangen, reduziert sich das verfügbare Ackerland um 20 000 Hektar, sterben 100 bis 200 Tier- und Pflanzenarten aus und werden 55 000 Hektar tropischer Regenwald zer- stört.10

2.2 Die Umweltkrise als Überlebenskrise

Die Kombination von naturwissenschaftlichen Errungenschaften, technischen Modernisie- rungsprozessen, Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsexplosion und Anspruchsdynamik hat somit eine Umweltkrise ausgelöst, die aufgrund ihrer Belastungen, Zerstörungen und ihrer weltweiten Ausbreitung die Überlebenschancen der Menschen, Tiere und Pflanzen auf der Erde in zunehmendem Maß bedroht. In Anbetracht dieser Gefährdungssituation hat sich die Umweltkrise zu einer Überlebenskrise zugespitzt, sodass sich in unserem Zeitalter ent- scheiden wird, ob die Lebewesen auf der Erde noch eine Zukunft haben.11

2.3 Die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten

Während das Umweltbewusstsein relativ stark ausgeprägt ist, wird das Umweltverhalten im täglichen Umgang mit Natur, Energie, Abfall, Rohstoffen und Verkehr den ökologischen Ansprüchen nicht oder nur ungenügend gerecht. Trotz grundsätzlich hohen ökologischen Bewusstseins ist das Verhalten nicht umweltfreundlich.12

Dennoch konnten in den Industrieländern auf dem Gebiet des Umweltschutzes in den ver- gangenen Jahren sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene Fortschritte und Erfolge erzielt werden. In Deutschland beispielweise wurden die Schadstoffe in der Luft vermindert und die Wasserqualität der Gewässer verbessert.13Auf internationaler Ebene bewirkte das Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht, dass der Ausstoß der Fluorkohlenwasserstoffe nahezu gestoppt wurde. Derartige Erfolge können jedoch die fort- schreitende Zerstörung der Natur nicht verhindern,14wie die jüngste Atomkatastrophe ver- anschaulichte, die sich im März 2011 in Fukushima ereignete. Damals waren mehr als 18.000 Menschen ums Leben gekommen, als ein schweres Erdbeben und ein anschließender Tsunami eine Kernschmelze in einigen Reaktoren der Atomanlage auslösten.15Abgesehen von der in Luft und Boden ausgetretenen Radioaktivität, wurden Tonnen von radioaktiv-verseuchtem Kühlwasser in die Küstengewässer geleitet.

2.4 Die Berufung auf die biblische Rede von der Schöpfung als Reaktion auf die Umweltkrise

Während lange Zeit hindurch die Erinnerung an die Schöpfung primär zum Anlass ge- nommen wurde, Gott für die Schönheit der Welt zu danken,16wird aufgrund der sich zu- spitzenden Umweltkrise die Forderung auf Bewahrung des Lebensraumes in zunehmender Weise auf das Schöpfungsthema gestützt.17Wie kaum ein anderes biblisches Thema ge- nießt es hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Vor allem in seinem ethischen Aussagegehalt ist der Terminus Schöpfung Gegenstand gegenwärtiger rechtlicher und politischer Diskus- sionen.18In Österreich hat dieser Diskurs beispielsweise im Jahr 1994 zur Erstellung des nationalen Umweltplanes für eine nachhaltige Entwicklung geführt. Wesentliche Elemente dieses Planes sind umweltwissenschaftlich fundierte und langfristig orientierte Qualitäts- ziele und Vorschläge von Maßnahmen zur Schadstoffreduktion, zur schonenden Nutzung erschöpfbarer Ressourcen und zur Minimierung von Stoffströmen.“19

2.5 Die Reaktion auf die Umweltkrise in ausgewählten ökumenischen Stellungnahmen

Bei der sechsten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 24. Juli bis 10. August 1983 in Vancouver, Kanada, wurde der „Konziliare Prozess gegenseitiger Ver- pflichtung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ geboren.20Dieser brachte unter anderem folgende Dokumente hervor:

- „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ (1985) Es handelt sich um die „Gemeinsame Erklärung“ der evangelischen und römisch- katholischen Kirchen, die Christen und die Kirchen zum Umweltengagement auf- ruft.21

Diese Schrift reflektiert die Hintergründe und Ursachen der ökologischen Krise. Darüber hinaus beinhaltet sie eine theologische Bestimmung des christlichen Verständnisses von Schöpfung und der Stellung des Menschen in der Natur. Elemente einer umweltethischen Grundlagenreflexion sowie praktischer Handlungsperspektiven für Einzelfragen sind ebenfalls enthalten.22

- „Gott ist ein Freund des Lebens“ (1989)

Diese Erklärung thematisiert ebenfalls Aspekte des Umweltthemas. Sie konzentriert sich hierbei auf Herausforderungen und Aufgaben im Bereich der Bioethik und medizinischer Ethik.23

- „Frieden in Gerechtigkeit“ (1989)

Das Basler Abschlussdokument der Ersten Europäischen Ökumenischen Versamm- lung erörtert im Rahmen des Konziliaren Prozesses neben den Fragen Frieden und Gerechtigkeit auch jene der Bewahrung der Schöpfung.24In diesem Dokument be- kannten sich erstmals Delegierte aus allen Kirchen Europas über konfessionelle und politische Grenzen hinweg zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Eine Welt und die Eine Menschheit. Darin eröffneten sie darüber hinaus essentielle Perspekti- ven für ein vereintes Europa.25

- Abschlussdokument der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Europäi- schen Bischofskonferenz (CCEE) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Öku- menischen Kommission für Entwicklung (EECOD) über Umwelt und Entwicklung (1995)

Ausgangspunkt für die ökumenische Konsultation über „Umwelt und Entwicklung“ als eine Herausforderung an unsere Lebensstile war die Europäische Ökumenische Versammlung „Frieden in Gerechtigkeit“ in Basel 1989.26

- Schlussbotschaft betreffend „Schöpfung und ökologische Verantwortung“ (1997) Diese Erklärung wurde im Rahmen der Zweiten Ökumenischen Versammlung „Versöhnung, Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens“, die vom 23. bis 29. Juni in Graz stattfand, verfasst.27Die Zweite Ökumenische Versammlung stellte sich der Friedensarbeit als ökumenischen Auftrag, wenn sie ÄVersöhnung zwischen den Kirchen, zwischen den Religionen, zwischen den Völkern und mit der Natur, Über- windung der Konflikte mit gewaltlosen Mitteln, Versöhnung zwischen Europa und den anderen Weltregionen usw.“28thematisierte.

- „Ökumenisches Sozialwort“ (2003) Das „Ökumenische Sozialwort“ (2003) wurde vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich verabschiedet. Es Äversucht aus christlicher Sicht wegweisende Antworten zu geben oder grundsätzliche Fragen zu stellen, um schließlich konkrete Schritte zur Umsetzung der erkannten Zeichen der Zeit aufzuzeigen.“ Ausgewählte Auszüge daraus verdeutlichen diese Bestrebungen:

Die Kirchen wollen eine Spiritualität der Schöpfung pflegen und sie in Gebeten und Liturgien verankern. (298) Das Thema Schöpfungsverantwortung soll fester Be- standteil in Religionsunterricht und Bildungsarbeit der Kirchen werden. (299) Die Kirchen stellen bezahlte Arbeitszeit für Umweltarbeit zur Verfügung. Durch die Veröffentlichung von Energiebilanzen wollen sie sich und der Gesellschaft Re- chenschaft geben. (300) Kirchliche Gemeinden, Gemeinschaften und Betriebe ach- ten auf Nachhaltigkeit in ihrer Einkaufspolitik und in der Energienutzung. (301)29

3 Verantwortliches Handeln: Theologische und ethische Grundlagen

3.1 Ist der Herrschaftsauftrag (dominum terrae) eine Legitimation für die Zerstörung der Natur?

Der biblische Text Gen 1,2830trägt den Menschen Folgendes auf: „Vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über alle Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.“

Was bedeutet es nun, dass sich der Mensch die Erde untertan machen und über die Tiere herrschen soll? Das angesprochene Herrschaftsverhältnis meint nicht Ausbeutung oder gar Zerstörung der Erde, sondern es ruft vielmehr zu deren Verteidigung als Lebenshaus für alle Lebewesen auf.31Der Mensch darf die Schöpfung nicht als sein Rohstofflager be- trachten, das dazu dient, seine Bedürfnisse zu befriedigen.32Als Stellvertreter Gottes neh- men alle Menschen als Menschen jene Stellung ein, die nach ägyptischem und assyrischem Verständnis die obersten Priester und Könige innehaben.33Der Mensch soll demnach als Statthalter Gottes im Sinne Gottes walten und Äim Zusammenleben der Lebewesen stetig Ordnung stiften und vollziehen“.34Diese Interpretation findet ihre Deckung in dem Buch der Weisheit35, das in der Herrschaft des Menschen über die Geschöpfe den Auftrag sieht, er solle Ädie Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten und Gericht halten in rechter Ge- sinnung“ (Weish 9,3). In seiner Funktion als königlicher Repräsentant hat der Mensch für- sorglich zu verfahren. Seine Befugnisse müssen mit jener Verantwortung und Fürsorge in Einklang gebracht werden, die im Auftrag des „Bebauens und Behütens“ nach Genesis 2,1536zu sehen sind.37

In der Erklärung „Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit“ wird der Herrschaftsauftrag (Gen 1,26-1,28)38auch von Gen 2,15 her als ein Ineinandergreifen von Beherrschen und Behüten interpretiert.39Dies wird in der Schrift „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ als Auftrag gedeutet, „das Angesicht der Erde zu schonen, zu gestalten, sie zu verändern, sie bewohnbar und fruchtbar zu machen“ und die Tiere gemäß eines Hirtenamtes zu leiten und zu hegen (Nr. 30 sowie insgesamt 48-52).40

Dieser biblische Schöpfungsauftrag kann darüber hinaus nur richtig verstanden werden, wenn er in Zusammenhang mit der in der Bibelstelle Gen 1,2741thematisierten Gottesebenbildlichkeit des Menschen gesehen wird, woraus folgt, dass der Mensch aufgefordert ist, so wie Gott zu handeln. Er muss in seinem Umgang mit der Natur jene Liebe walten lassen, die Gott seiner ganzen Schöpfung angedeihen lässt.42

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dem Herrschaftsauftrag der Auftrag entspringt, den Garten Gottes Äin der Art der Vorsehung und Fürsorge Gottes zu pflegen und zu vollenden“. Keineswegs ist er als Freibrief für die Ausbeutung der Natur zu verste- hen.43

3.2 Die Frage der Mitschuld des Christentums

Das Christentum sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, schuld an der ökologischen Kri- se zu sein. So habe beispielsweise für FRASER-DARLING die Botschaft von der Gottebenbildlich- keit des Menschen einen ÄProzess der Entfremdung von den anderen Lebewesen“ einge- leitet, die man in überheblicher Weise Ävon der Gemeinschaft mit Gott und sich selbst ausgeschlossen“ habe, wozu zudem die Äbequeme Überzeugung“ gekommen sei, Ädass Gott den Rest der Lebewesen zum Gebrauch und Ergötzen des Menschen“ erschaffen habe. Dadurch sei das außermenschliche Leben vorerst auf den ÄStatus nützlichen Materials“ zurückgestuft worden. Bei der Interpretation der Natur hätten uns Ädie orthodoxen Religionen jüdisch-christlicher Provenienz … arg im Stich gelassen“. Der Polytheismus hingegen sei ÄAusdruck des Gefühls“, zu einem ÄGanzen“ zu gehören.44

Auch der amerikanische Historiker Lynn WHITE jr. war der Auffassung, dass der Herrschaftsauftrag den Menschen dazu legitimiere, die Natur auszubeuten. In seinem 1967 verfassten Aufsatz „Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“ stellt er fest: ÄUnsere derzeitige Naturwissenschaft und unsere derzeitige Technik sind so sehr von einer orthodoxen christlichen Arroganz gegenüber der Natur durchsetzt, dass von ihnen allein keine Lösung unserer ökologischen Krise erwartet werden kann.“45

Für Carl AMERY seien die Aussagen von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und der Herrschaftsauftrag ebenfalls schuld an der Zerstörung der Natur. AMERY führt in seinem Buch „Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums“ aus, Ädass der gegenwärtige Weltzustand durch einen weltweiten Konsens herbeigeführt worden ist. Dieser Konsens entstand durch die restlose Übernahme und Verinnerlichung einiger Leit- vorstellungen der judäisch-christlichen Tradition.“46Der zentrale Aussagegehalt der jü- disch-christlichen Botschaft Äwar die Auserwähltheit des Menschen vor aller Schöpfung, war der totale Herrschaftsauftrag, war die Zusicherung einer Heilsgeschichte, welche der- einst alles kreatürliche Leid überwinden wird, und die Zusicherung eines Gleichgewichts der planetarischen Biosphäre zugunsten des Menschen.“ Erst das Christentum ermöglichte es, dass diese Botschaft ihre Wirkung entfalten konnte: ÄSolange diese Botschaft in das Gesetz eines kleines Volkes am Ostrand des Mittelmeeres eingebunden blieb, konnte sie ihre Wirksamkeit nicht entfalten; es bedurfte der Internationalisierung der hebräischen Strukturen - es bedurfte des Menschensohnes von Nazareth.“47

Wie sind diese Schuldvorwürfe zu qualifizieren? Dass ein Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Umweltzerstörung und einer bestimmten Entwicklung der von dieser Tradi- tion geprägten Kultur besteht, ist nicht zu leugnen. Dennoch ist die Naturzerstörung der technisch-industriellen Zivilisation keine Auswirkung des biblischen Schöpfungsauftrags „Macht euch die Erde untertan“.

Die Natur wurde selbst in jenen Ländern ausgebeutet, wo das Christentum unbekannt war. So rotteten die Ureinwohner von Zentralamerika, die in erster Linie von der Jagd lebten, alle größeren Tiere aus. Nordafrika, das als fruchtbarer Garten des römischen Reiches galt, verwandelte sich aufgrund des Landbaus in eine Wüste. Diese Entwicklung konnte eben- falls in Mesopotamien und in Teilen Arabiens beobachtet werden.48Zum Durchbruch des technisch-industriellen Naturverhältnisses kam es zudem erst dann, als sich die Neuzeit von den christlich-theologischen Vorgaben löste und die Natur nicht mehr als Gottes Schöpfung betrachtet wurde.49Die Umweltnot ist daher nicht eine Folge des biblischen Auftrages, sondern vielmehr die Auswirkung von dessen Pervertierung, wie ALTNER schon 1974 feststellte.50Wenngleich AMERY eingesteht, Ädass die Welt von heute im Ur- teil der ersten Christen ein totaler Misserfolg, ja ein düsterer Triumph des Feindes“51wä- re, so verkennt er, dass gerade die Abkehr vom Glauben die gegenwärtige Naturzerstörung ermöglichte.52Der biblische Schöpfungsauftrag konnte in seinem kirchlichen Verständnis nicht als Aufforderung zur eigennützigen Instrumentalisierung der Natur gesehen werden. Eine solche Auslegung wäre dann gegeben, wenn man den Menschen als verantwortliches Subjekt aus der Gottesbeziehung herauslösen würde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die biblischen Schöpfungstexte als nachträgliche Legitimation für die bereits praktizierte neuzeitliche Naturbeherrschung und für ein Herrschaftsverhältnis des Menschen gegenüber der Natur herangezogen wurden, was ohne hinreichenden Wider- spruch seitens der christlichen Kirchen und Theologien erfolgen konnte.53

Festzuhalten ist, dass nicht der Herrschaftsauftrag die Ausbeutung der Natur ermöglichte, sondern der Verlust der Schöpfungsperspektive.

3.3 Vier Ansätze umweltethischer Begründungsmodelle

Angesichts des Umstandes, dass die globale Umweltkrise zu einer Überlebenskrise54ausgeufert ist, stellt sich die Frage nach dem ethisch richtigen Umgang des Menschen mit der Natur,55zumal weder die biblisch-exegetischen noch die systematisch-theologischen Überlegungen konkrete ökologisch-ethische Handlungsweisen geben56.

Es gilt somit darüber zu reflektieren, wie sich die Zivilisation entfalten soll, damit die öko- logischen Regelkreise erhalten bleiben können,57weshalb geklärt werden muss, wie die Schäden und Bedrohungen der natürlichen Lebensgrundlagen vermieden, zumindest aber minimiert werden. Demnach sind sowohl die Umweltschutzinteressen des Menschen als auch der Schutz der außerhumanen Natur vor anthropogenen Einflüssen Gegenstand um- weltethischer Bestrebungen.58

In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass die Begriffe „Natur“ und „Umwelt“ nicht deckungsgleich sind. Während unter Natur in unserer außermenschlichen Welt das gemeint ist, was nicht vom Menschen gemacht wurde,59ist beim Terminus „Umwelt“ die Relation zum Menschen impliziert60. Umwelt wird demnach definiert als Ädie Gesamtheit der belebten und unbelebten Umgebungsfaktoren, die auf einen Organismus einwirken und/oder auf die er einwirkt.“61

Wie kann die ethische Forderung nach verantwortungsbewusstem Umwelthandeln begründet werden? In der Suche nach einer Antwort haben sich in der Umweltethik folgende vier Begründungsansätze entwickelt: Anthropozentrischer Ansatz, pathozentrischer Ansatz, biozentrischer Ansatz und physiozentrischer Ansatz. Letzterer wird auch als ökozentrisch oder holistisch bezeichnet.62

3.3.1 Der anthropozentrische Ansatz

Im anthropozentrischen Ansatz wird die Würde des Menschen als ethischer Maßstab her- angezogen, zumal die Natur keinen eigenen moralischen Wert hat und nur auf den Men- schen ausgerichtet ist63. Der Mensch genießt eine Sonderstellung insofern, als er als Herr über die Natur gesehen wird. Diese überragende Position resultiert daraus, dass der Mensch als vernunftbegabtes Wesen die Natur erkennen, sie in Freiheit gestalten, ihre Sinnwerte erfassen und sich ihr gegenüber auch versagend verhalten kann.64Nur der Mensch ist fähig, in sittlicher Freiheit die Natur zu gestalten.65Die Anthropozentrik formu- liert die normative Verbindlichkeit für den Schutz der Natur wie auch deren Status selbst aus der Sicht des Menschen bzw. aus der Beziehung zum Menschen. Die Natur kommt daher ausschließlich in der subjektkonstituierten Weise vor. Allein der Mensch als Subjekt ist die normbegründende Kraft.66

Umweltethische Forderungen werden auf Basis der Bedürfnisse und Lebensbedingungen des Menschen begründet, wobei in jüngster Zeit vor allem globale Zusammenhänge sowie die Lebenschancen künftiger Generationen in die Betrachtungen einfließen.67In ihrer grundsätzlichen Prägung erkennt die anthropozentrische Ethik ausschließlich den Men- schen den Anspruch zu, nie nur als Mittel, sondern auch als Zweck an sich selbst behandelt zu werden.68

Dafür, die außerhumane Natur nicht zur Ressource für die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse zu degradieren, treten in der philosophisch-ethischen Diskussion unter anderem Frank FRASER-DARLING, Laurence H. TRIBE und Alfons AUER ein.

So kritisiert FRASER-DARLING die Entfremdung des Menschen von den anderen Lebe- wesen und die Behandlung der außerhumanen Natur als Rohstofflager für den Menschen. Auf dieser Grundlage könne sich eine ethische Betrachtung dieses Leben kaum durchset- zen. Er plädiert daher: „Das Leben besitzt sein eigenes Recht - das müssen wir anerken- nen.“69

Auch für TRIBE gibt es keine Verständigung über unsere Verantwortung untereinander und über jene gegenüber der Welt, wenn man den für sich selbst existierenden natürlichen Objekten keine „Rechte“ zuerkennt. Die Zuerkennung von Rechten an vormals „rechtlose Enitäten“ ist Angelegenheit kultureller Entwicklung.70Einen absoluten Vorrang gegenüber entgegenstehenden menschlichen Interessen räumt TRIBE den natürlichen Objekten je- doch nicht ein.71

Sowohl FRASER-DARLING als auch TRIBE treten für die Anerkennung von Eigenrechten der Natur ein, da andernfalls die menschliche Verantwortung ihr gegenüber nicht ausgewiesen werden könne.72

Auch für AUER bedürfe die Anthropozentrik der Korrektur, soweit ihr Verständnis auf die dualistische Gegenüberstellung von Mensch und Natur als Subjekt und Objekt basiert.73AUERS These lautet: „Die Natur kommt zu sich selbst nur im Menschen, nur in ihm erfüllt sich ihr Sinn.“ Allem Existierenden gesteht AUER einen Wert zu, allerdings könne der Wert des Nichthumanen ausschließlich vom Menschen verstanden, bewahrt, zugebilligt und in sinnvoller Weise weiterentwickelt werden. Gerade darin bestehe „die Sonderstellung des Menschen, dass ihm der Alleinvertretungsanspruch im Kosmos aufgegeben“ sei.74Wenngleich der Mensch zwar Glied der Natur sei, so komme nach teleologischer Auslegung der Evolution die Natur nur im Menschen zur Erfüllung, sodass er nicht einfach nur Glied sei.75AUER sieht im Menschen einen einmaligen Gesamtentwurf der Natur. Auch in biologischer Sicht ist seine Sonderentwicklung erkennbar76.

3.3.2 Der pathozentrische Ansatz

Der pathozentrische Ansatz anerkennt als Maßstab die Empfindungsfähigkeit. Nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen, die Freude und Schmerz empfinden können, gelten als Träger eigener moralischer Rechte.77Dieses Begründungsmodell ist insbesondere in der Tierethik von Bedeutung.78

Problematisch ist dieses Modell insofern, als die strikte Befolgung des Gleichheitsgrund- satzes ohne die Hinzunahme von Wertannahmen unter Umständen dazu führen kann, dass dem Wohlbefinden des Menschen kein höherer Schutz zugestanden wird als dem der Na- tur.79

3.3.3 Der biozentrische Ansatz

Ethischer Maßstab ist die Fähigkeit der Lebewesen zur Selbstentfaltung. Alle Lebewesen haben demnach das gleiche Recht auf Achtung ihrer zum Überleben und zur Entfaltung notwendigen Grundbedürfnisse. Die ethische Grundlegung „Ehrfurcht vor dem Leben“80geht auf Albert SCHWEITZER zurück. Nach SCHWEITZERS Ansicht ist mit diesem An- satz sowohl eine ins Grenzenlose ausgedehnte Verantwortung zu begründen als auch ein geistiges Verhältnis zum Universum zu stiften. Mit dem Terminus „Ehrfurcht vor dem Leben“ hat SCHWEITZER den ersten und umfassendsten biozentrischen Ansatz formu- liert, da er das Leben in den Mittelpunkt seiner Ethik stellt. Der Mensch ist verpflichtet, sich gegenüber allem Leben ehrfürchtig zu verhalten und alles zu unterlassen, was Leben missachtet.81

Die Biozentrik greift darüber hinausgehend in zunehmender Weise Gedanken der Prozess- philosophie auf. Nach ihr sind alle Lebewesen in einer einzigen Lebensgemeinschaft mit- einander gleichberechtigt verbunden. Dieses Begründungsmodell erkennt somit keinen grundsätzlichen Vorrang der menschlichen Interessen an,82sodass daraus absurde Folgen resultieren können (z.B. Mensch opfert sein Leben, um das Leben von Bakterien zu retten).

Um diese unerwünschten Auswirkungen hintanzuhalten, muss dieses Modell daher um eine Wertehierarchie relativiert werden. Das Ehrfurchtsprinzip hat der Mensch schließlich auch auf sich anzuwenden.83

3.3.4 Der physiozentrische (auch ökozentrische oder holistische) Ansatz

Als ethischer Maßstab gilt die Zugehörigkeit zur Natur in ihrem Ganzen. Nicht ausschließ- lich die leidensfähige, nicht nur die lebendige Natur, sondern die Natur in ihrer Gesamt- heit, das Natürliche hat ethische Relevanz.84Der Mensch wird nicht der Natur gegenüber- gestellt, sondern er ist Teil der Natur.85Dass der Mensch Teil des Systems der Natur ist, ist auch für MEYER-ABICH ethisch relevant. Der Mensch als besonders befähigter Teil der Natur soll diese ethische Bedeutung „zur Sprache“ kommen lassen.86Dieser Ansatz knüpft an religiös-mythische und romantische Traditionen an.87Im Rahmen einer Rechts- gemeinschaft mit der Natur verfügen neben Menschen und allen Lebewesen auch Flüsse, Wälder und andere Ökosysteme über eigene einklagbare Rechte. Ein verfassungsmäßig garantiertes Existenzrecht der Natur soll wirtschaftlich motivierte Eingriffe einschränken.88

3.3.5 Die Vorteile und Nachteile der vorgenannten Ansätze

Die Problematik der Anthropozentrik liegt darin, dass sie zu sehr auf die Interessen des Menschen ausgerichtet ist. Das Prinzip des Abstellens auf das Schmerzempfinden, wie es die Pathozentrik vorsieht, lässt sich aufgrund der ökologischen Systemzusammenhänge kaum umsetzen. Der Biozentrik mangelt es grundsätzlich an Entscheidungskriterien im Fall des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Lebensinteressen. In der Physiozentrik er- geben sich vor allem auf der der Natur eingeräumten Eigenrechte Schwierigkeiten in der Rechtshandhabung. Wird die Sinnvorgabe „Natur“ als bindender Maßstab für jedes Ver- halten verstanden, so stellt sie einen naturalistischen Fehlschluss dar89. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nur der Mensch aufgrund seiner Sonderstellung, nicht aber die Natur zu sittlichem Handeln verpflichtet werden kann.90

Trotz dieser aufgezeigten Schwächen ist darauf hinzuweisen, dass die patho-, bio- und physiozentrischen Begründungsmodelle einer Umweltethik auf die Schwächen der traditi- onellen „anthropozentrischen“ Moral aufmerksam machen. Es ist unbestritten, dass sich der moralische Wert der Natur nicht ausschließlich in ihrer Nutzbarkeit für den Menschen erschöpft.91So hat sie einen ästhetischen92, religiös-mystischen und ontologischen Eigen- wert.93

Für PASSMORE hingegen stellen die nicht-anthropozentrischen Ökologieethiken Ansätze dar, den Rationalismus zugunsten von Irrationalismus und Mystizismus zu verdrängen. Auch Versuche, den Status der Natur gegenüber dem Menschen zu verbessern, würden sich gegen eine moderne und aufgeklärte Denkkultur richten. So stärke die Rede von der Heiligkeit der Natur weniger die Natur, als sie vielmehr den Menschen als kritisches auto- nomes Subjekt schwäche. Nach John PASSMORES Auffassung muss somit alles unterlas- sen werden, was die Position des Menschen herabsetzt, will man die ökologische Krise bewältigen. Die anthropozentrische Ethik erachtet er als vollkommen ausreichend, da er sie für nicht destruktiv hält. Sie sei ein ausreichendes Begründungsprogramm zu einem natur- respektierenden Verhalten. PASSMORE tritt daher dafür ein, sowohl die Natur zu bewah- ren, die allererst das Sein des Menschen ermöglicht, als auch die Freiheit, die sich daraus ergibt.94

3.3.6 Die Mischformen

Biozentrismus, Holismus und Pathozentrismus finden sich neben der beschriebenen Rein- form auch in speziellen Mischformen wieder. Beispielsweise ist die ökologieethische Posi- tion von Robert SPAEMANN durch eine solche Form gekennzeichnet, insofern als er den biozentrischen Ansatz theologisch anwendet. Den „Reichtum des Lebendigen als einen

Wert an sich zu respektieren“ veranlasst ihn zu einer Ethik der „Ehrfurcht“, die nur in einem „religiösen Verhältnis zur Natur“ begründet werden kann.95

Ebenfalls eine Mischform ist JONAS‘ Biozentrismus, welcher um eine Teleologie erweitert ist. Diese begründet aufgrund der angenommenen Selbstrealisierung von Lebendigem moralische Pflichten innerhalb einer Naturethik. Die Fragestellung, ob die „Natur Zwecke, dadurch, dass sie sie hat, legitimieren“ kann96, wird von JONAS bejaht, woraus für ihn die Rücksichtnahme des Menschen gegenüber der Natur resultiert.

3.4 Ethische Orientierungen umweltgerechten Handelns

Unter Berücksichtigung der vorangegangen Überlegungen ist zusammenfassend festzuhal- ten, dass bei der Grundlegung der Ethik die Sonderstellung des Menschen als sittliches Subjekt wesentliche Bedingung ist. Der Mensch als autonomes Subjekt ist Dreh- und An- gelpunkt der normativen Setzung. Es steht nicht die Verantwortung des Menschen für die Natur, sondern vielmehr die Verantwortung des Menschen in der Natur in Frage.97Da die Natur als etwas an sich Schützenswertes angesehen wird, wird ihr ein Eigenrecht zuge- standen. Dieses Eigenrecht der Natur entspricht einem Naturrecht der Natur.98Die außer- humanen Naturwesen verfügen über eine abgestufte Eigenwertigkeit. Die Empfindungsfä- higkeit, das Leben und der ökologische Systemzusammenhang sind hierbei die Kriterien.99

3.5 Die Verantwortung als Konzept der ökologischen Ethik

3.5.1 Der Begriff Verantwortung

Wenngleich die bisher aufgezeigten ökologieethischen Ansätze miteinander unvereinbar sind und kritischen Einwänden nicht Stand halten können, sind sie angesichts der ökologi- schen Krise bestrebt, den Handlungsbegriff in der Zentralkategorie der Verantwortung zu verankern.100

[...]


1Vgl. KESSLER (1990), 14; vgl. SCHMID (2012), 340.

2Vgl. Bischöfe (1998), (15), (16).

3Vgl. Anstieg des Meeresspiegels wird sich drastisch beschleunigen. http://derstandard.at/1373512778405/Anstieg-des-Meeresspiegels-wird-sich-drastisch-beschleunigen (17.7.2013).

4Vgl. Bischöfe (1998), (15).

5Vgl. Bischöfe (1998), (15).

6 Vgl. Bischöfe (1998), (16).

7Vgl. Anstieg des Meeresspiegels wird sich drastisch beschleunigen. http://derstandard.at/1373512778405/Anstieg-des-Meeresspiegels-wird-sich-drastisch-beschleunigen (17.7.2013).

8Vgl. Bischöfe (1998), (17).

9Vgl. BODE (1999). http://www.doerffel.de/gesellschaft/literatur/bode_1999_kapitalismus_zerstoert_umwelt.htm (11.7.2013).

10Vgl. BEDFORD-STROHM (2001), 18.

11Vgl. HILLMANN (2000), 685.

12Vgl. BRINKMANN (1996), 44.

13Vgl. Bischöfe (1998), (13).

14 Vgl. BEDFORD-STROHM (2001), 18f.

15Vgl. Dampf über zerstörtem Reaktor in Fukushima aufgestiegen. http://derstandard.at/1373512966091/Dampf-ueber-zerstoertem-Reaktor-in-Fukushima-aufgestiegen (18.7.2013).

16Vgl. BERG (1999), 13.

17Vgl. SCHMID (2012), 1.

18Vgl. BEDFORD-STROHM (2001), 13.

19Vgl. Österreich: Nationaler Umweltplan. http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/nationaler_umweltplan_nup_620.htm (17.7.2013).

20Vgl. TSOMPANIDIS (1999), 3.

21Vgl. EKD Kirchenamt (Hg.) (1985): Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. http://www.ekd.de/EKD-Texte/44681.html (20.7.2013).

22Vgl. EKD Kirchenamt (Hg.) (1985): Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. http://www.ekd.de/EKD-Texte/44681.html (20.7.2013); vgl. BISCHÖFE (1998), 28f.

23Vgl. EKD Kirchenamt (Hg.) (1989): Gott ist ein Freund des Lebens. http://www.ekd.de/EKD-Texte/gottistfreund_1989_freund1.html (20.7.2013).

24Vgl. Frieden in Gerechtigkeit. http://oikoumene.net/home/regional/basel/basel.1/index.html (20.7.2013).

25 Vgl. LARENTZAKIS (2000), 195.

26Vgl. Abschlussdokument Kreta (1995), 2.

27Vgl. Schlussbotschaft (1997).

28 Vgl. LARENTZAKIS (2000), 195.

29Vgl. Ökumenisches Sozialwort (2003). http://www.iupax.at/index.php/liste-soziallehre/116-2003-sozialwort-des-oekumenischen-rates-der-kirchen- in-oesterreich.html (18.7.2013).

30Bibel (1980), 5.

31Vgl. ZENGER (2005), 19.

32Vgl. Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit (1980), 35.

33Vgl. ZENGER (2005), 19.

34Vgl. STECK (1978), 79.

35 Vgl. Bibel (1980), 734ff.

36Vgl. Bibel (1980), 6.

37Vgl. ROTTER/VIRT (1990), 811.

38Vgl. Bibel (1980), 5.

39Vgl. Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit (1980), 9f.

40Vgl. EKD Kirchenamt (Hg.) (1985): Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. http://www.ekd.de/EKD-Texte/44681.html (20.7.2013).

41Vgl. Bibel (1980), 5.

42Vgl. BEDFORD-STROHM (2001), 24.

43 Vgl. Sozialhirtenbrief (1990), Nr. 49.

44Vgl. FRASER-DARLING (1980), 12ff.

45Vgl. WHITE jr. (1970), 28f.

46Vgl. AMERY (1972), 10.

47 Vgl. AMERY (1972), 29.

48Vgl. PESCHKE (1995), 824.

49Vgl. KESSLER (1990), 35.

50Vgl. ALTNER (1974), 78.

51AMERY (1972), 11.

52Vgl. BEDFORD-STROHM (2001), 22.

53 Vgl. Bischöfe (1998), (40).

54Vgl. Punkt 2.2 „Umweltkrise als Überlebenskrise“.

55Vgl. KREBS (1996), 347.

56Vgl. Bischöfe (1998), (85).

57Vgl. HUNOLD (2003), 1878.

58Vgl. MÜNK (1990), 809.

59Vgl. KREBS (1996), 350.

60Vgl. MÜNK (1990), 809.

61Vgl. HUNOLD (2003), 1875.

62 Vgl. MÜNK (1990), 809f.

63Vgl. KREBS (1996), 350.

64Vgl. AUER (1984), 62.

65Vgl. AUER (1984), 50.

66Vgl. BRENNER (1998), 42f.

67Vgl. LÖW (1988), 4ff.

68 Vgl. AUER (1984), 56.

69Vgl. FRASER-DARLING (1980), 13.

70Vgl. TRIBE (1980), 58.

71Vgl. AUER (1984), 52.

72Vgl. AUER (1984), 52.

73Vgl. AUER (1984), 54.

74Vgl. AUER (1985), 55.

75Vgl. AUER (1985), 56f.

76 Vgl. IRRGANG (1992), 28.

77Vgl. KREBS (1996), 350.

78Vgl. KREBS (1996), 354.

79Vgl. BRENNER (1998), 39f.

80Vgl. SCHWEITZER (1966), 180.

81Vgl. BRENNER (1998), 38f.

82 Vgl. Bischöfe (1998), (86).

83Vgl. BRENNER (1998), 38f.

84Vgl. BRENNER (1998), 40.

85Vgl. KREBS (1996), 364.

86Vgl. MEYER-ABICH (1984), 99.

87Vgl. LÖW (1988), 8.

88Vgl. Bischöfe (1998), (86).

89 Vgl. SCHMITZ (1985), 71.

90Vgl. Bischöfe (1998), (87).

91Vgl. Bischöfe (1998), (88).

92Vgl. BIRNBACHER (1980), 130.

93Vgl. KREBS (1996), 379.

94 Vgl. PASSMORE (1980), 211ff.

95Vgl. SPAEMANN (1980), 198.

96Vgl. JONAS (1979), 146, 154f.

97Vgl. SCHMITZ (1985), 80f.

98Vgl. LÖW (1988), 8.

99 Vgl. Bischöfe (1998), (90).

100 Vgl. BRENNER (1998), 44.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Der Religionsunterricht an der Volksschule als Ort der Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umweltverantwortung
Hochschule
Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien / Krems  (Institut für Ausbildung Religion Wien)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2014
Seiten
90
Katalognummer
V374328
ISBN (eBook)
9783668518230
ISBN (Buch)
9783668518247
Dateigröße
1216 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Darstellung des gemeinsamen theologische Bemühens der christlichen Kirchen zum Schöpfungsverständnis, das umweltverantwortliches Handeln und die nachhaltige Entwicklung fördert. Junge Menschen werden in in der Kompetenz gestärkt, eigene, selbst-bewusste und umweltverantwortliche Entscheidungen in ihren alltäglichen Situationen basierend auf dem Schöpfungsglauben zu treffen.
Schlagworte
schöpfungsorientierte Didaktik religionspädagogischer Prozess vom Schöpfungsglauben zum Umwelthandeln anhand eines Unterrichtsentwurfs Darstellung der unterschiedlichen konfessionellen Zugänge zur Schöpfungsthematik
Arbeit zitieren
Martina Wendl (Autor:in), 2014, Der Religionsunterricht an der Volksschule als Ort der Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Umweltverantwortung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374328

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