Leseprobe
Gliederung
1 Einleitung
2 Bergsons Theorie der Komik
2.1 Allgemeines zur Komik
2.2 Mensch und Maschine
2.3 Mechanismen der Komik
3 Freuds Theorie der Komik
3.1 Aufwandsdifferenz der Bewegung
3.2 Situationskomik und Erwartungsaufwand
3.3 Humor als ersparter Gefühlsaufwand
4 Buster Keaton
4.1 Szene aus Cops
4.2 Szene aus Sherlock Jr.
4.3 Szene aus The Navigator
5 Fazit
1 Einleitung
Was ist Komik? Worüber lachen wir und warum? Gibt es unterschiedliche Arten des Lachens? Zweifellos ist es komisch, wenn Buster Keaton - amerikanischer Stummfilmkomiker und Meister des Slapsticks - auf einer Bananenschale ausrutscht.1 Ist es aber nicht ebenso komisch, wenn er genau dies nicht tut, d.h. trotz Bananenschale auf dem Boden gar nichts passiert?2 An beiden Filmstellen lachen wir, obwohl hier erwartungsgemäß ein Gag den anderen ausschließen müsste. Die Frage ist also, welche Art von Komik diesen und ähnlichen Szenen zugrunde liegt und warum wir über beide lachen können.
Um das herauszufinden, möchte ich mich im Rahmen dieser Arbeit eingehend mit zwei bedeutenden Theorien beschäftigen, die sich mit der Entstehung der Komik auseinandersetzen. Henri Bergson, ein französischer Philosoph, stellte sich schon 1948 in seinem Werk Das Lachen die Frage nach den verschiedenen Arten der Komik und des Komischen. Diese wurde von Sigmund Freud, dem österreichischen Neurologen, später wieder aufgegriffen und in seinem Werk Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1972) untersucht er sehr ausführlich die verschiedenen Techniken des Witzes, aber auch des allgemein Komischen und des Humors.
Ob die beiden Theorien tatsächlich auf die Komik der Stummfilme Buster Keatons anzuwenden sind - denn beide Theorien erheben schließlich den Anspruch auf Allgemeingültigkeit - soll im Laufe der Arbeit mit einer Filmanalyse geprüft werden. Dazu werden drei verschiedene Szenen aus den Filmen Cops (1922), Sherlock Jr. (1924) und The Navigator (1924) betrachtet. Konkret soll darauf eingegangen werden, welche Komik den Gags in diesen Szenen zugrunde liegt und ob die beiden Theorien es schaffen, diese eindeutig zu charakterisieren. Ebenso soll die Frage beantwortet werden, was die Theorien für die Rezeption von Keatons Filmen und ihren kulturellen Wert bedeuten.
2 Bergsons Theorie der Komik
2.1 Allgemeines zur Komik
Zu Beginn dieser Arbeit sollen die beiden Theorien Henri Bergson und Sigmund Freud, auf die ich mich hauptsächlich beziehe, ausführlich dargestellt und miteinander verglichen werden. In diesem zweiten Kapitel soll es zunächst um Bergsons Werk Das Lachen (1948) gehen und anschließend im dritten Kapitel um Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1972).
Henri Bergson (1859-1941), ein französischer Autor und Philosoph, beschäftigte sich seiner Zeit neben vielen anderen lebenswissenschaftlichen Thesen auch mit der Frage nach dem menschlichen Lachen. In seinem Werk Das Lachen von 1948 philosophiert er über den Ursprung und das Wesen der Komik und des Komischen. Aus diesem Werk gehen einige wichtige Kernthesen hervor, die ich im Folgenden näher erläutert werden sollen.
So stellt er gleich zu Beginn des Werkes drei Grundvoraussetzungen auf, die überhaupt erst möglich machen, dass wir lachen. Daraus geht hervor, dass Komik für ihn immer menschlich ist. Selbst wenn wir über Tiere oder Dinge lachen, dann lachen wir weil sie etwas Menschliches an sich haben oder imitieren - wir also einen „menschlichen Ausdruck“ an ihnen entdecken.3
Zweitens beschreibt er, obwohl das Lachen an sich auch ein Ausdruck von Gefühl ist, dass trotzdem eine Art Gefühllosigkeit, mit ihm einhergehen muss. Wer also Mitleid, Zuneigung oder ähnliche Gefühle für jemanden hege, könne nicht über ihn lachen, so Bergsons These. Die dritte Voraussetzung sei das Echo. Wir lachen niemals für uns allein, sondern stets in einer Gruppe oder in anderweitiger Kommunikation mit anderen. Das Lachen über eine gemeinsame Sache erzeuge immer ein „Gefühl der Gemeinsamkeit“, genauso wie es dieses voraussetze.4 Diese dritte Voraussetzung bezeichnet Bergson auch als „soziale Funktion des Lachens“.5
Zusammengefasst bedeutet dies: Lachen ist nach Bergson durch und durch eine Eigenart des Menschen. Wir lachen vorzugsweise in menschlicher Gesellschaft über andere Menschen, die dieser Gruppe in der Situation des Lachens nicht angehören und für die wir zumindest für den Moment des Lachens unsere menschlichen Gefühle wie Mitleid oder Zuneigung vergessen (müssen). 6
2.2 Mensch und Maschine
Das sind die Grundvoraussetzungen einer komischen Situation nach Bergson - worüber lachen wir aber konkret? Auch mit dieser Frage hat sich Bergson beschäftigt. Er gibt als Antwort auf diese Frage zahlreiche Beispiele, unterschiedliche Situationen der Komik und des Komischen. Allen legt er jedoch ein Grundprinzip zugrunde, das ich gleich vorweg nehmen möchte: Für ihn liegt der Ursprung aller Komik im Automatismus, in der „mechanische[n] Starrheit“ und dem „Prinzipe [sic] der Trägheit“.7
Hierbei wird konkret deutlich, warum die Betonung des Menschlichen am Lachen zu Anfang so wichtig war: Menschlichkeit und die mechanische Starre bilden im Normalfall einen Gegensatz, können aber auch miteinander verschmelzen und genau diese Verschmelzung sei für die Entstehung von Komik entscheidend.
Bergson führt die „Figur des Zerstreuten“ ein.8 Er beschreibt diese Figur u.a. am Beispiel eines Menschen, der ein Buch liest und sich so sehr in die Handlung vertieft, dass sie auch nach Beendigung der Lektüre nicht von ihm ablässt und seine Gedanken beherrscht. Dieser Mensch wandle also tagträumerisch und geistesabwesend durch die Welt ohne dies selbst zu bemerken.9
Diese Figur des Zerstreuten, die in frühen Komödien bereits sehr beliebt war, bewegt sich nach Bergson demnach sehr mechanisch durch die Welt. Denn während unsere Umwelt von uns die nötige Aufmerksamkeit (des Geistes sowie des Körpers) erwartet, um Situationen schnell zu erfassen und sich anzupassen, gelingt das diesem Menschen nicht mehr. Dies nennt Bergson dann das Prinzip der Trägheit. Bergson stellt die These auf, dass diese Trägheit zum Automatismus würde, wenn der zerstreute Mensch durch mangelnde Anpassung an die jeweilige Situation seine Bewegungen unbeirrt gewohnt weiterführt - auch wenn es dabei zu einem Missgeschick oder sogar zum Unfall kommt. Genau an diesem Punkt entsteht für Bergson eine Situation der Komik - die noch komischer ist je natürlicher ihr Ursprung ist. Das Unbewusste ist hier ein wichtiger Aspekt. Die Person, über die wir lachen, weiß nichts von ihren mechanischen Bewegungen. Sie ist unfreiwillig ungeschickt.10
Dafür weiß der Zuschauer oder Beobachter um die Geistesabwesenheit oder Zerstreutheit der Figur, was für Bergson ein natürlicher Ursprung eines solchen Verhaltens wäre. Dieses Wissen macht die Situation für ihn schlussfolgend umso komischer. Die eingangs genannte Starre und Mechanik bezieht er nicht nur auf körperliche Bewegungen, sondern auch auf die Mimik eines Menschen. Je starrer sein Gesichtsausdruck sei, umso komischer sei die Situation für den Beobachter.11 Bergson fasst seine Grundthese also nochmal in folgendem Gesetz zusammen: „Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.“12 Weder Bewegung noch Gesichtsausdruck seien dann besonders graziös, sondern steif und starr.13
Es geht in der Komiktheorie Bergsons demnach immer darum, dass sich ein Mechanismus/eine Maschine mit etwas Menschlichem verbindet. Dies kann auf verschiedene Weise passieren und um seinen Theorieansatz noch zu vertiefen, werden hier noch einmal einige Beispiele aufgegriffen.
Wenn zum Beispiel eine menschliche Geste oder ein Gesichtsausdruck von jemand anderem imitiert oder wiederholt wird, ist dies schon komisch, da uns die Wiederholung hier als Automatismus erscheint, auch wenn die Gebärde menschlicher Natur war.14 Ebenso erklärt Bergson Situationen für komisch, in denen sich das Mechanische „als Kruste über Lebendigem“ wiederfindet, so wie zum Beispiel bei einer Verkleidung.15
Damit verbunden will Bergson eine Mechanik im menschlichen Körper selbst ausmachen. Er betrachtet Körper und Seele hier getrennt voneinander - seine „Vitalität“ und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen schreibt er dem menschlichen Geist und seiner Seele zu. Auf der anderen Seite steht das was übrig bleibt, wenn man dem Körper seine Geschmeidigkeit nimmt: Eine „schwere Hülle, lästiger Ballast, der die Seele, die verlangend aufstrebt, am Boden festhält.“16
Gemeint ist also der menschliche Körper an sich, der uns ohne Geist, wie eine leblose Hülle, umgibt und daher reine „Materie“ ist. Bergson spricht weitergehend auch von einer Materialität des Körpers. Mensch und Maschinen-Charakter verschmelzen also auf eine Art miteinander und das Lebendige, Vitale und die „Schmiegsamkeit“ des Körpers treten in den Hintergrund. Zurück bleibt der Automatismus des menschlichen Körpers. Wenn sich dieser also über die eigentliche Seele und den menschlichen Geist stellt, entstehe nach Bergson ein komischer Effekt. Er nennt hierfür das Beispiel eines Redners, der während des dramatischen Höhepunkts seiner Rede niesen muss. Die Körperfunktion nimmt hier die Überhand und wir lachen darüber.17 Bergson fasst dieses Phänomen in folgendem Gesetz zusammen: „Komisch ist jeder Vorfall, der unsere Aufmerksamkeit auf die physische Natur eines Menschen lenkt, wenn es sich um seine geistige handelt.“18
2.3 Mechanismen der Komik
Im Zusammenhang seiner Theorien zur Situations- und Wortkomik führt Bergson drei verschiedene Mechanismen an, die eine Situation als komisch charakterisieren. Er spricht vom Springteufel, der Marionette und dem Schneeball, dessen Funktionsweisen hier metaphorisch auf Situationen (besonders des Theaters, der Komödie) anzuwenden sind. Allen zugrunde liegt wieder ein mechanischer Automatismus, der das Lebendige, den Menschen, in der jeweiligen Situation begleitet.
Bergson beschreibt die Situationskomik folgendermaßen: „Komisch ist jede Verkettung von Handlungen und Ereignissen, die uns die Illusion des Lebens und das Gefühl eines mechanischen Arrangements zugleich verschafft.“19
Bergson beschreibt zunächst den Mechanismus des Springteufels: Er funktioniert mit einer Feder, die immer wieder aufs Neue gespannt wird, bis er endlich losgeht. Dieser Effekt basiert ebenso auf dem Mechanismus der Wiederholung - die, wie vorher bereits angedeutet, schon allein eine komische Wirkung erzielt.20 Dieses Prinzip vom Spannen und Entspannen lässt sich in der Komik und auch im menschlichen Verhalten wiederfinden, zum Beispiel bei einem Menschen, der einen Gedanken unbedingt loswerden möchte, aber von seinem Gegenüber immer wieder an der gleichen Stelle unterbrochen wird.
Weiter nennt Bergson die Marionette, dessen komischer Effekt wieder aus dem Zusammenspiel von Mensch und Mechanik funktioniert: Hier wird nämlich das eigentliche „Leben“, das die Puppe im Theater darstellen soll, kontrolliert und geführt. Dieses Prinzip tritt immer dann auf, wenn ein Mensch nicht aus seiner eigenen Freiheit heraus handelt, sondern (von einem Mechanismus) kontrolliert oder beeinflusst wird.21
Der dritte Mechanismus ist der des Schneeballs: Ein Schneeball, der rollt und rollt und dabei immer größer wird. Grundprinzip dabei ist eine immer stärker werdende Kraft, von der wir nicht wissen, wie sie sich schließlich entlädt. Demnach ist eine Situation gemeint, welche sich durch wachsende Energie und einen ungewissen Ausgang auszeichnet. Dieser Mechanismus wirke nach Bergson noch komischer, wenn er kreisförmig verläuft: Die Kugel also nach einer Verkettung von Umständen wieder an ihren Anfangsplatz zurückkehrt. So würden wir zum Beispiel über einen Menschen lachen, der alle Anstrengungen darauf verwendet einer Situation zu entkommen und sich schließlich doch wieder in der ursprünglichen Situation wiederfindet.22
Anschließend fasst Bergson noch einmal drei Verfahren zusammen, die Mensch und Mechanismus in einer Situation miteinander verschmelzen lassen und durch die Situationskomik entsteht: Erstens die Repetition, die (mehrfache) Wiederholung einer zunächst nicht-komischen Szene. Zweitens die Inversion, hiermit ist die Umkehrung von bestimmten Rollen oder Situationen gemeint.23 Und schließlich drittens die Interferenz, was so viel bedeutet wie gegenseitiger Einfluss. Hiermit beschreibt Bergson eine Situation, die „gleichzeitig zwei völlig unabhängigen Reihen von Ereignissen angehört und so einen doppelten Sinn hat“.24 Während die Personen in der Situation also irren, sieht nur der Zuschauer ihre Doppeldeutigkeit. Die Erwartung, dass beide Reihen jederzeit aufeinander treffen könnten, bringt ihn zum Lachen.25
[...]
1 Vgl. Sherlock Jr. (1924), Buster Keaton, TC 00:10:08.
2 Vgl. The High Sign (1921), Buster Keaton, TC 00: 12:42.
3 Henri Bergson (1948): Das Lachen. Meisenheim am Glan: Westkulturverlag Anton Hain. S. 8.
4 Ebd. S. 10.
5 Ebd.
6 Vgl. Ebd. S.8ff.
7 Ebd. S. 11.
8 Ebd. S. 12.
9 Vgl. Ebd. S. 13.
10 Vgl. Ebd. S. 11-15.
11 Vgl. Ebd. S. 19.
12 Ebd. S. 21.
13 Ebd. S. 21.
14 Vgl. Ebd. S. 23.
15 Ebd. S. 26.
16 Ebd. S. 32.
17 Vgl. Ebd. S. 32.
18 Ebd. S. 32.
19 Ebd. S. 41.
20 Vgl. Ebd. S. 41f.
21 Vgl. Henri Bergson (1988): Das Lachen. Sammlung Luchterhand; 757. Darmstadt: LuchterhandLiteraturverl. S. 57f.
22 Vgl. Ebd. S. 59f.
23 Vgl Bergson (1948): S. 52ff.
24 Ebd. S. 55.
25 Vgl. Bergson (1988): S. 68f.