Zur Ikonografie von Felicien Rops' "Die Versuchung des heiligen Antonius" (1878)


Élaboration, 2015

103 Pages


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Extrait


Inhaltsangabe

Einleitung

Teil 1
Biographie des Fehden Rops
Bildbeschreibung von F. Rops:Die Versuchung des heiligen Antonius von 1878
Die Figur des Antonius des Großen
Die Figur des Orígenes
De Continentia Josephi
Der Antoniterorden
Das dämonische Weib oder die Botin des Teufels Prostitution und Syphilis Eros und Thanatos

Teil 2
Die „Versuchung des heiligen Antonius“ in der Ikonographie früherer Darstellugen: bei: Matthias Grünewald im Isenheimer Altar bei einem Antwerpener Künstler bei Lucas Cranach d.Ä. bei Adriaen Isenbart o. Jan Wellens de Cock bei Jan Wellens de Cock
bei Hieronymus Bosch (Kopie) nach der Mitteltafel des Lissaboner Altars
bei Nachfolger Hieronymus Bosch
bei Antwerpener Boschnachfolger
bei Joos van Craesbeeck
bei Paolo Caliari, genannt Veronese
bei David Teniers
bei Salvator Rosa
bei Felicien Rops im Werk von 1858 bei Max Emst (nach Rops im Jahr 1945)
Bemerkungen zu Textstellen

Teil 3
Essay über die Darstellung von Versuchung bei F. Rops und M- Scorceses Film
„ Die letzte Versuchung Christi“ von 1988.

Schlußbemerkung

Quellenangaben

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Einleitung

Die Darstellung von Versuchungen besonderer Märtyrer und Heiliger der christlichen Mythologie ist bereits in der mittelalterlichen Buchmalerei - es sei hier als pars pro toto genannt „les tres riches heures“ , das Stundenbuch des Duc de Berry , welches wohl als das bekannteste illustrierte Manuskript des 15. Jahrhunderts gelten darf­ein beliebtes Thema. Diese frühe Tradition europäischer kunsthistorischer Darstellung setzt sich besonders intensiv im 16. Jahrhundert mit der Darstellung der Versuchungen des heiligen Antonius (eremita) fort und wird erneut ein Thema in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings nicht eingegangen auf die Ver­suchungsdarstellungen in der Buchmalerei, obwohl ja gerade das Stundenbuch des Duc de Berry wegen seiner prachtvollen Ausstattung mit gut einhundert ganzseitigen Malereien in kunstfertigster Ausführung zu den grandiosesten Buchmalereien der europäischen Kunstgeschichte zählt und die 3 Brüder Limburg in der Kunstgeschichte der frühen niederländischen Kunst als Vorläufer des Jan van Eyck und Rogier van der Weyden gelten. Besonders das Blatt mit „Mariä Heimsuchung“ ist ja zum Thema „Versuchung des heiligen Antonius „ wegen der am linken unteren Bildrand dargestellten Figur eines Schweins auf einer Schubkarre, welches Dudelsack spielt, als später oft benutztes Emblem sicherlich hochinteressant, doch dann müßte auch eingegangen werden auf die Wirren der Entstehungs­zeit des Werkes in der Zeit des 100jährigen Kriegs (1337-1453), was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Inwieweit eine Bedeutungskongruenz dieser Dudelsack- und Schweins- emblematik zwischen einer Darstellung bei Hieronymus Bosch und Nachfolgern und in den „les tres riches heures“ des Duc de Berry anzunehmen ist, bedarf weiterer Nachfor­schung. Darauf wird in einem späteren Kapitel einzugehen sein.

Es soll deshalb besonders eingegangen werden auf die Darstellungen in der Malerei mit dem Thema der Versuchungen des heiligen Antonius , die in typischen Umbruchszeiten entstanden sind: in diesem Fall im 16. Jahrhundert und in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie der Darstellungen des Themas Versuchung in religiösen Filmdarstellungen der Zeit nach dem 2. Weltkrieg: der „bei-ami-Wettbewerb“ 1946/47 für ein Bild mit dem Titel „ die Versuchung des heiligen Antonius“ als „Staffage“ für eine Szene in dem Film „The private Affairs of Bel Ami“ nach dem Roman von Guy de Maupassant (1850-1893), welcher 1885 erschien. In einer Schlüsselszene wollte Regisseur Albert Lewin dieses Bild in Großaufnahme integrieren. Die z.T. berühmten Maler, u.a. S. Dali und M. Emst dieses Wettbewerbs werden später in dieser Arbeit noch erwähnt werden. Hauptsächlich wird sich diese Arbeit aber beschäftigen mit einem Vergleich von religiöser Versuchung im Film von Martin Scorsese „die letzte Versuchung Christi“ (1988) nach dem Roman von Nikos Kanzantzakis (1883-1957) und dem Werk „die Versuchung des heiligen Antonius von 1878 von Felicien Rops (1833- 1898). Dabei soll eingegangen werden auf den Zeitfaktor der Versuchung , auf die Iconographie der Werke , auf die jeweilige Darstellung der Ver­suchung , der Versuchten, auf die diversen Orte der Versuchung , auf die Rolle der Frau im Film und bei Rops. Nicht zuletzt soll berichtet werden über die Receptionsgeschichte sowohl des Films als auch der Rops'schen Darstellungen.

Es wird weiterhin erwähnt werden müssen, warum diese religiösen Versuchungsdarstellungen die Künstler besonders in Umbruchszeiten wie dem 16. Jahrhundert und der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts reizten, als auch nach dem 2. Weltkrieg und den damaligen, bis dahin unvor­stellbaren Genocidversuchen , dem Atomtod von Hunderttausenden in Hiroshima und Naga­saki, dem unverhüllten Massenmorden auch an der Zivilbevölkerung, in einer Zeit als die christlichen Kirchen Schwierigkeiten hatten, ihre Rolle in dieser Zeit neu zu definieren. Nikos Kazantzakis schrieb dazu auf dem CD-cover:“ die duale Substanz Christi- die Sehnsucht des Menschen, so menschlich und übermenschlich zugleich, Gott nahe zu kommen- war für mich schon immer ein tiefes, undurchdringliches Geheimnis. Die größte Qual und die Quelle all meiner Freuden und Schmerzen war für mich von Jugend an der unaufhörliche , erbarmungs­lose Kampf zwischen dem Geist und dem Fleisch und meine Seele ist die Arena, in der diese beiden Armeen aufeinander gestoßen sind und sich getroffen haben.“ Es darf wohl behauptet werden und es wird auch im Kapitel über das Wüsteneremitendasein des heiligen Antonius erhärtet werden, dass eben dieser Kampf zwischen Geist und Fleisch nicht nur in der christlichen Religion ein wesentliches religiöses Thema ist, so auch in den Fastenbe­stimmungen im mosaischen, muslimischen und auch buddhistischen und hinduisti sehen Glauben.

Vor dieser Folie erscheint es fast folgerichtig , daß die Versuchungsthematik in Umbruchs­zeiten eine besondere Rolle spielte: Das 16. Jahrhundert war gekennzeichnet durch vorher nicht gekannt politische Veränderungen wie die Bauernkriege, die zunehmende Bedrohungen im östlichen Mittelmeer und auf dem Balkan durch das osmanische Reich, das nach der Er­oberung Konstantinopels im Jahr 1453 durch Mehmet den Eroberer sich zunehmend Richtung Europas kriegerisch ausdehnte. Galt doch trotz der Schäden durch den Kreuzzug 1204 die Stadt Konstantinopel mit ihren hunderten von Kirchen, ihrer theologischen Gelehrsamkeit, ihren handwerklichen Fähigkeiten als das Zentrum der damaligen Zivilisation, während Rom noch immer sich in zivilisatorischen Tiefschlaf befand. Nur durch den überragenden Sieg der venezianischen Flotte 1571 der heiligen Liga unter Don Juan de Austria im ionischen Meer gegen die Flotte des türkischen Befehlshabers Ali Pascha kam Westeuropa noch mal glimpflich davon. Die Entdeckung Amerikas durch C. Columbus veränderte rasch die Handelswege, auch nach Asien durch die portugiesischen „navigadores“, die schon 1487 das Kap der guten Hoffnung entdeckt hatten und unter Vasco da Gama zwischen 1497 und 1499 Afrika um­segelt hatten und Goa in Indien erreicht hatten. Fernando Magellan hatte schon 1519 für die spanische Krone als erster die Weltumsegelung begonnen und den Pazifik erreicht und dadurch das alte Bild der Welt als Scheibe verändert. In der Mitte dieses Jahrhunderte wurde dann in Pisa ein Mensch namens Galileo Galilei geboren, dessen Weltbild auch die religiösen Ein­stellungen später veränderten, wie auch die Reformation durch Martin Luther (1483-1546), durch weitere Theologen wie Thomas Müntzer (der in Deutschland wegen seiner Aktivität in den Bauernkriegen (Bundschuhbewegung 1493-1517, deutscher Bauernkrieg 1524-1526, etc. welche auch im Jahrhundert zuvor schon in Ungarn, Schweden und Kärnten) schon diese theologisch gerechtfertigt hatte) und Calvin und Zwingli. Die politischen Auswirkungen der Reformation sollten dann im folgenden Jahrhundert zu Religionskriegen führen. Es wäre folgenschwer für die kunstgeschichtliche Betrachtung würde man die Rolle der Pestepidemien im 16. Jahrhundert vergessen mit ihren Auswirkungen auf die Kunst, Religion und Wirtschaft. Nicht zuletzt soll die Rolle der erst in jenem Jahrhundert entstehenden Städte nennen , hatte Nürnberg im 16. Jahrhundert zwischen 30000-40000 Einwohner als größte Stadt in Deutschland, so zählte Venedig schon wie London ca. 100000 Einwohner als größte Städte. Auf die Besonderheiten der „reichsfreien“ Städte mit einem neuen Begriff von Bürgertum soll allerdings nicht weiter eingegangen werden Ich hatte oben als weitere Umbruchszeit die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts genannt. Die kritische Beobachtung der Künstler beschäftigte sich zunächst nach den frz. Revolutionen mit den dadurch zunehmenden Demokratisierungsbewegungen in Europa ,und mit dem neu erstarkten Selbstbewußtsein der eigenen nationalen kulturellen Werte, die letztend­lich auch teilweise impetus waren für Einigungs- und Abgrenzungskriege (Deutschland 1871 Einigungskrieg, vorher Abgrenzungskriege gegen Dänemark und Österreich; Italien Einigungs­krieg 1861, Abgrenzung Nationalgründung Belgiens 1830). Die durch die frz. Revolutionen bedingte Säkularisation des Weltbildes veränderte das dualistische Weltbild von Diesseits und Jenseits im Sinne einer Konkurrenz durch ein monistisches Weltbild. Dazu passt die Konkurrenz zwischen Materialismus/Realismus und Idealismus andererseits. Dies äußert sich besonders in den 2 miteinander verwandten Triebfedern : Klassizismus und Romantizismus. Das Erhabene (J.J. Winkelmann) und „the Sublime“ , werden entweder im „göttlichen Helenismus“ oder im „pantheistischen Göttlichen“ der Natur gesehen. Jedoch können im Romantizimus 2 Strömungen gesehen werden: die Nazarener und die nördlichen Romantiker als Versuch einer Bewegung zur Erneuerung der Gesellschaft mit Rückwärtsgewandheit Richtung Mittelalter und Renaissance , u.a. auch im Malstil in England bei den Praeraffaeliten,

Die Thematik in enger Verknüpfung von Kunst und Religion ist Verinnerlichung, An­dachtshaltung, Aufwertung von katholisch-vorxeformatorischen Themen wie Marien­leben, nicht nur bei den Nazarenern , auch bei den Präraffaeliten. Weiterhin auch ein neues Frauenbild mit 2 Prototypen von Weiblichkeit.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts werden andere Themen vom Künstler gesucht:

Das neue naturwissenschaftliche Denken, besonders angestoßen durch die technischen Entwicklungen wie Eisenbahn, aber auch durch die Darwinschen Forschungen zur Naturgeschichte des Menschseins, und die dadurch resultierenden „Berechtigungs­gedanken“ für Kolonisationsbestrebungen mit ihren veränderten Absatzmärkten, neuen Rohstoffen, beeinflußte die Künstler dieser Jahre erheblich. Der Orientalismus in der Malerei wäre ohne Napoleons Ägyptenfeldzug 1798- 1801 mit seiner wissenschaftlichen Auswertung und ohne die frz. Kolonisation Tunesiens und Algeriens (1830) nicht denkbar gewesen. Schon dort offenbart sich allerdings eine andere Sicht der Weiblichkeit beim neu entstandenen männlichen Bürgertums in Frankreich (der Blick in den Harem bei Ingres Odalisken), welcher ab 1848 in der frz. Großstadt eine andere Sichtweise auf die Frau des neu entstandenen Proletariats bedingte, welche nicht selten nur als Prostituierte über­leben konnte.

Auch die zunehmende Industrialisierung mit dem Verschwinden alter Handwerkstraditionen beschäftigte als Sujet die Künstler der Zeit ebenso wie die Möglichkeiten von Freizeitgestal­tung, Geschwindigkeit und von Mode, mit Dandytum und Pferderennen, der neue Städtebau, wie die „Haussmannisierung“ von Paris mit vorher nie gekannten Avenuen und Boulevards, oder der Beginn einer „Skelettbauweise“ (Schinkels Berliner Bauakademie) in der Archi­tektur , kurz „la vie moderne“ in allen Schattierungen. Die neuen philosophische Ansätze,die rasch publiziert wurden, u.a. von K.Marx, F. Nietzsche, A. Schopenhauer und O. Weininger, als auch die Entwicklungen in der Medizin (J.-M. Charcot mit der ersten neurologischen Klinik an der Salpetriere in Paris, der dort den Begriff von „Hysterie“ für einen weiblichen psychiatrischen Symptomenkomplex prägte, sich aber auch mit der beinahe ubiquitären Syphilis beschäftigte, die in der 2 Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Medizin, sondern auch die Literatur und bildende Kunst sehr beschäftigte). Eben diese gesellschaftlichen Probleme in Verbindung mit der Säkularisation des Alltagslebens führten zu einem Frauen­bild , welches gipfelte in dem Buch von P. Möbius am Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Titel „vom physiologischen Schwachsinn des Weibes“.

Ein wesentlicher Teil der vorliegenden Arbeit wird dann der Vergleich der Iconographie von malerischen Werken vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zur 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die als Thema „die Versuchung des heiligen Antonius“ haben mit dem Werk von Felicien Rops von 1878, sowie mit einem Vergleich der Versuchungen Christi im Film „die letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese nach dem Buch von Nikos Kazantzakis und der erwähnten Dar­stellung von Rops. Ein weiter Rahmen wird dabei das Rollenbild der Frau in der 2. Jahrhundert­hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl bei Rops als auch seinen Zeitgenossen in der frz. Literatur und der Philosophie in Europa sein.

Teil I

Biographie des Felicien Rops

Bildbeschreibung der „Versuchung des Heiligen Antonius (1878)

Die Figur des heiligen Antonius

Die Figur des Orígenes

De Continentia Josephi

Der Antoniterorden

Das dämonische Weib oder die Botin des Teufels

Prostitution und Syphilis

Eros und Thanatos

Biographie des Felicien Rops

Es sollen zunächst die wesentlichsten Fakten aus der Biographie des Künstlers erwähnt werden, besonders jene, die mutmasslich den größten Einfluß auf seine künstlerische Entwicklung hatten.

Er wurde am 7.7.1833 in Namur in Belgien geboren. Namur ist die Hauptstadt der bel­gischen Provinz Namur, welche erst nach der Bildung des Nationalstaats 1830 zu Belgien gehört und früher ab Mitte des 13. Jhs. flandrisch war, ab 1421 dann burgundisch und Teil der spanischen Niederlande bis 1648. Seit 1599 war Namur Bischofssitz, die Kathedrale St.-Aubin besteht allerdings schon seit dem 11. Jh.

Er wurde als einziger Sohn in ein „künstlerisches“ Elternhaus geboren. Der Vater war ein wohlhabender Textilkaufmann, der die Dessins für die Baumwollstoffe seines Betriebs über­wiegend selbst entwarf, die Mutter war ungarischer katholischer Abstammung, was später dazu führte, dass er in Paris mit 2 ungarischen Malern befreundet war und mutmasslich auch der ungarischen Sprache mächtig. Einer der ungarischen Freunde in Paris war Mihaly Zichy, ebenfalls Maler, den V. Carpiaux (1) in einer Monographie „monstre de genie“ nennt. Hausmusik mit mehreren Instrumenten rundete das Aufwachsen in einer musischen Familie ab.

Der Vater starb als Felicien 12 Jahre alt war und ein ungeliebter, eher verhasster Onkel Alphonse die Vormundschaft erhielt, was den Jungen noch enger der Mutter verband.

Er besuchte die Jesuitenschule Notre Dame de la Paix mit der typischen Bildung des gut­situierten Bürgertums. Es existiert ein Brief des jungen Rops , in dem er dem Vater stolz mitteilt, dass er in Latein und Griechisch Zweitbester des Jahrgangs ist und auch in Ge­schichte und Rhetorik brilliert.(l) Er wird auch in späteren Jahren ein fleissiger Briefschreiber bleiben, es sind ca. 3000 Briefe überliefert. Er berichtet später nur positiv über das in der hochkatholischen Schule Gelerntes. Sein bis dahin - auch durch das Elternhaus geprägtes- katholisches Weltbild verändert sich dann durch die Beschäftigung mit Werken von Horaz, Homers, Virgils, besonders aber durch die Lektüre des „Malleus Maleficarum“ (Hexen­hammer), welches nach heutige Forschung wohl 1486 in Speyer veröffentlicht wurde und von einem Dominikaner namens Henricus Institoris stammt. Das Traktat wurde zur Recht­fertigung von Hexenverfolgung geschrieben und enthält Ansichten der damaligen Zeit zu Hexen und Zauberern. Durch die Erfindung des Buchdrucks erfolgte eine erhebliche Ver­breitung des Werks in Europa. Allerdings wurde der „Hexenhammer“ von der spanischen Inquisition als ungeeignet empfunden und daher als „Werkzeug“ abgelehnt. Man könnte meinen, dass das unglaubliche Interesse für Dämonisches und Satanismus in späteren Lebens­jahren des Künstlers hier seinen Anfang genommen habe, was aber nicht zu beweisen ist. Beweisbar ist dagegen, dass Jacob Cats (1577-1660 ein calvinistischer Schriftsteller der Niederlande, der zu seiner Zeit neben Cesare Ripas Iconologia zu den meistgelesenen sä- cularen Autoren der Zeit gehörte und dessen Fabeln an die Tugenden und Laster des bürger­lichen Alltags mit erhobenem Zeigefinger erinnern) den jungen Rops immer wieder erfreute. Nach einsemestrigem Versuch des Jurastudiums (wohl vom ungeliebten Vormund angeregt) und finanziell unabhängig durch die väterliche Erbschaft erfolgte in Brüssel eine künstlerische Ausbildung im Atelier Saint-Luc, die er aber ebenso plötzlich abbrach wie die Juristerei.

In dieser Zeit fertigte Rops erste Arbeiten für die Studentenzeitung „crocodile“ an, in denen er bereits wie schon in der Schulzeit mit seinen Karikaturen von Lehrern große technische Fertigkeit, Phantasie und auch bissigen Humor bewies. Nachdem die Studentenzeitung einging, folgte eine Wochenzeitung namens „Uylenspiegel“ (ein flämischer Volksheld in der Verteidigung der Freiheit), in der Rops durch sein oft als heiter bekanntes Temperament nicht wenige das Spießbürgertum angreifende Karikaturen veröffentlichte, welche sich gegen das 3. frz. Kaiserreich und die an der Macht befindlichen „Kleinbürger“ mit ihrer Doppelmoral richteten.

1857 heiratete Rops Charlotta Polet, die Tochter des hohen Richters am Gericht von Namur.

Er lebte seit dieser Zeit häufiger in einem Schloß, welches dem Onkel seiner Frau gehörte und in dem er später nach dessen Tod auch Baudelaire empfing, der dort über den Vater von Char­lotta Rops sehr positiv berichtete, dass dieser ein „homme de lettre“ , ein großer Jäger sei, der ihm gegenüber sogar aus den „fleurs du mal“ Sonette rezitiert habe. In den folgenden Jahren hält er sich immer wieder in Paris ohne seine Frau auf, was augenscheinlich nicht dem Richter Polet gefallen haben muss, so daß Rops in dieser Zeit einen Brief an ihn schreibt, dass er in Paris sein müsse, da es in Belgien keine Verleger für seine Kunst gebe.

In diese Pariser Zeit fällt was typisch fur la vie modeme in Paris wird, die Beschäftigung mit dem „Bösen“, was Rops durch seine hochkatholische Mutter und seinen Schulbesuch in Namurs „Notre Dame de la Paix“ sehr interessiert. Baudelaire, mit dem sich Rops später anfreunden wird, schreibt dazu (3): „nous voyons que la nature ne peut conseiller que le crime“. C'est cette in­faillible nature qui a cree le parricide et l'anthropophagie , et milles autres abominations que la pudeur et la delicatesse nous empeche de nommer. C'est la philosophie (je parle de la bonne) c'est la religion qui nous ordonne de nourrir des parents pauvres et infirmes Tous ce qui est beau et noble est le résultat de la raison et du calcul. Le crime , dont l'animal humain a puise le gout dans le ventre de sa mere, est originellement naturel. La vertu , au contraire, est artificielle, surnaturelle.“ Baudelaire betrachtet den Menschen als genetisch böse, menschliche Tugenden dagegen als künstliche Tünche, das Verbrechen als wahre Natur des Menschen. Johanna Arendt, oft als Hannah bezeichnet, nennt mehr als hundert Jahre später die Verbrechen eines A. Eichmanns in einer „modifizierten“ Baudelaireansicht „die Banalität des Bösen“(Piper verlag , München 1962). In dieser Zeit in Paris entwickeln sich occultistische Strömungen als Verhöhnung der katholischen Messe, mit allerdings langer Tradition in Europa, erneut als Ausdruck einer „Decadence“. Später galt dann das Buch des Ropsfreundes Joris-Karl Huysmans „A rebours“ (Wider den Strich) von 1884 als Bibel der Dekadenzdichtung, des Symbolismus und der L'art pour l'art“- Bewegung. Literarische Stimmen deuten A rebours als Wiege für Oscar Wildes „The Picture of Dorian Gray“, erschienen 1891 in London, welches ein faustisches Thema wiederaufnimmt, wie auch Balzacs „Le Peau de Chagrin“ 1831 er­schienen in Paris, der den Verkauf der Seele an das Böse in der Umbruchszeit gegen Ende der Restauration und zu Beginn der Julimonarchie (1830-1848) in Paris am Beispiel eines jungen Adligen spielen läßt. ( Auch hier sind die Themen, die Rops später bewegen , angesprochen: „La Femme sans Coeur“ und „L'Agonie“, also auch Eros und Thanatos).

1861 begegnet Rops dann Gustave Courbet (1819-1877), dessen Werke mit den völlig neuen sujets beeindrucken, sicherlich auch, dass gleich 2 dieser Werke , 1848 „die Steineklopfer“ und 1849 „ein Begräbnis in Omans“ in ihrem imgeschönten Realismus für einen Skandal im Pariser Salon sorgten. Zu diesen gesellte sich dann 1866 ein weiteres „Skandalwerk“ „L'origine du Monde“. Auch die „Schläferinnen und Wollust“ von 1866 haben den damals 33jährigen Rops in einer Zeit sicherlich beeindruckt, in der moralisieren mit Pornographie verwechselt wurde und nach der Zeit des 2. Kaiserreichs die Doppelmoral beim zunehmend politisch restaurativen Bürgertum erfolgreich war. Dem setzte Courbet lebenslang das Spontane und Wahrhaftige seiner sozialistischen Weitsicht entgegen. In diesen Jahren des Suchens nach seinen zukünftigen Ausdrucksformen entwickelte Rops ein nie erlahmendes Interesse an den technischen Möglichkeiten als schöpferische Methode seiner Kunstgestaltung mit der Gravur,neuen Ätzflüssigkeiten, weichgrundigen Metall für die Gravur, später sogar nutzte er fototechnische Verfahren bis zur Heliogravur. Das führte zur Zusammenarbeit mit einem damals berühmten Graveur, Felix Bracquemont, in dessen Villa in St.Cloud er Literaten und Maler kennen lernte wie E. Delacroix, Camille Corot, Jean-Francois Millet und Theodore Rousseau (als 2 Vertreter der Schule von Barbizon). In diese Zeit seiner technischen Verbesserungen besuchte er auch immer wieder in Paris die private Academie Julian, da sie ihm die Möglichkeit bot, Akte mit Korrekturmöglichkeit durch die Lehrenden zu malen. Er suchte in dieser Zeit auch den Kontakt zur Pariser Avantgarde und dem Kreis um den Verleger Poulet-Malassis, bei dem er u.a. Baudelaire, Daudet und Merimee kennenlemte.

Die Gebrüder Edmont und Jules de Goncourt, deren Namen noch heute durch den höchsten frz. Literaturpreis des Namens bekannt sind, hatten 1867 den Dimenroman „Manette Salomon“ veröffentlicht, die dämonische Gestalt dieser Prostituierten beeindruckte Rops, so daß er eine Radierung „Manette Salomon“ nannte und diesen Goncourts die Radierung widmete.

Die Brüder Goncourt beschrieben in ihren Tagebüchern Rops wie folgt: „Wir hatten Rops zu Gast,der unbedingt 'la Sorette' illustrieren muß. Ein brünetter Mann mit nach hinten gebür­stetem, widerspenstigem Haar und einem geschwungenen schwarzen Schnurrbart. Er trägt einen weißen Seidenschal um den Hals geschlungen und wirkt wie eine Mischung aus einem Duellanten Henri III. und einem flämischen Spanier. In seiner lebhaften, feurigen Art zu sprechen, mit dem rollenden 'R' des Flamen, erzählt er uns, welch überwältigenden Ein­druck hier in Paris , nachdem er aus dem ländlichen Belgien gekommen war, die aufgeputzten und verführerisch geschminkten Frauen, in ihrer geradezu phantastischen Kleidung, auf ihn gemacht hätten; sie kämen ihm vor wie Wesen von einem anderen Stern. Er ließ sich ausführlich darüber aus, daß er versuchen wolle, mit seinen Zeichnungen wiederzugeben, was aus der Natur unter dem degenerierenden Einfluß der modernen Zivilisation geworden sei, über deren ver­derblichen Charakter, über nahezu makabre Züge, die er bei einer gewissen Clara Blume, einer Dime, gefunden habe; mit ihr hatte er eine Nacht bis zum Morgengrauen beim Spiel und sich mit ihr amüsierend verbracht“(4). Rops selbst schreibt zu seiner „Entdeckung“ der Pariserin an den befreundeten Kunstkritiker Calméis (zitiert nach 5):“ Hätten Sie einmal in Brügge ge­lebt, diesem alten, nordischen Venedig, das nur mehr ein herrliches Grabmal ist, wo die gotischen Paläste traurig auf die Wasserrosen im Hafen, in dem einmal hundert Schiffe gleich­zeitig vor Anker gehen konnten, wo nun alte Frauen , häßliche gelbe Memlingsgesichter, wie Klageweiber der großen Vergangenheit an den verlassenen Kais kauern, dann begriffen Sie das tiefe Erstaunen, das mich erfaßte, als ich mich zum ersten Male diesem höchst sonderbaren Produkt gegenüber fand, das sich Pariserin nennt Zwei, drei Blätter, die ich aus meinem Buch reiße, zeigen Ihnen ,daß ich meine Zeit in Paris nicht verloren habe. An die hundert solcher Rosenjungfem des Teufels sind mein, die ich diesen Winter herausgeben will Mit der gleichen glücklichen Freude zeichne ich die groß geschminkten Augen der Pariserin wie das gesegnete üppige Fleisch meiner flandrischen Schwestern. Aus dieser Verbindung von Spanien und Flandern , dieser Heirat von Schnee und Sonne, ist eines der schönsten Menschengeschöpfe entstanden. Rubens wußte das ! Schön sind sie und einfach und voll Glut..“

In dieser Zeit entstanden aus Ropsscher Hand Umschlagentwürfe für Bücher von Theophil Gautier, Henri Monnier, Jean de Tinan und Stephane Mallarmee . Gegen Ende der 1860iger Jahre wurde das Ropssche Werk zunehmend vom Thema der Erotik in den menschlichen Be­ziehungen bestimmt, er war zudem aktiv beteiligt an der Gründung der „Société libre des Beaux-Arts“, aber auch 1869 an der Gründung der „Société Internationale des Aquafortistes“, er gab sogar Lektionen in dem Schloß Thozee, in das er sich immer wieder mal von Paris zurück zog und dort aber auch Pariser Freunde empfing.

1874 lebte er dauerhaft in Paris in einer menage a trois mit den Schwestern Leontine und Aurelie Duluc, die er als Geliebte allerdings schon seit 1868 kannte. Das hinderte ihn aber nicht an zahlreichen weiteren Liebesaffairen in Paris, was aber die Beziehung zu den Schwe­stern nicht beeinträchtigte. Seine Frau Charlotte blieb in Belgien , lehnte aber eine Scheidung ab. Aus der Beziehung zu den Dulucs ging eine Tochter namens Claire hervor, die Rops bis zum Tode begleitete. Aus dieser Zeit stammte sein Ruf als „womanizer“ , über den er aber selbst kritisch urteilte (6): „Die Liebe der Frauen enthält wie die Büchse der Pandora alle Schmerzen des Lebens , aber sie sind eingehüllt in goldene Blätter und sind so voller Farben und Düfte , daß man nie klagen darf, die Büchse geöffnet zu haben.“ Aus seiner katholischen Erziehung in Schule und Elternhaus heraus sieht er die Probleme in der Geschlechterbezie­hung seiner Zeit, die sich stark in der Philosophie der 2. Hälfte des 19. Jhs. äußert, über­wiegend durch die zunehmende Armuts-Prostitution in den Städten hervorgerufen.

1878 war das Jahr der bisher intensivsten künstlerischen Kreativität, in denen er zwei seiner Meisterwerke schuf: „La Tentation de Saint-Antoine“ und „Pomokrates“. Die realistische und psychologisch motivierte Darstellung der Prostitution wurde zunehmend ersetzt durch einen allegorischen und ironischen Blick auf den Stellenwert, den die Sexualität auf die menschliche Wirklichkeit hat. In diesen Jahren reiste er nach Ungarn und Spanien.

Im Jahre 1882 folgte die Serie der „Sataniques“ , welche sowohl von J, Huysmans als auch von J. Peladan kommentiert wurde. Im darauf folgenden Jahr wurde die Gruppe XX gegründet, Rops als mutmasslicher Führer der belgischen Avantgarde wurde eingeladen. J. Peladan definiert in dieser Zeit die Kunst von Rops mit den Worten: „Der Mann wird vom Weib beherrscht, das Weib wird vom Teufel beherrscht“. In dieser Zeit wendet sich Rops in der Thematik von der Darstellung des „la vie modeme“ mehr symbolistischer Kunst zu, wie an „Le vice supreme“ und „Les Diaboliques“ (für Jules Barbey d'Aurevilly) in ähnlicher aesthetischer Reflektion zu sehen ist. Im Jahr 1884 kauft Rops sein Refugium von Demi Lune in Corbeil Essonnes, an der Seine zum Eingang der Wälder von Fontainebleau.

1886 kommt es anläßlich einer Ausstellung der Gruppe XX zu einem Skandal durch das Bild „Pomocrates“, aber auch in den Jahren 1887, 1889 und 1893 wird Rops dort aus­stellen. Zu dieser Zeit erfindet Rops gemeinsam mit dem Lütticher Graveur Armand Rassenfosse eine neue Ätztechnik mit weichem transparentem Lack, die sie Ropsenfosse nennen. 1887 erfolgt ein Besuch der USA und Canadas, das darauf folgende Jahr sieht Rops in schlechter gesundheitlicher Verfassung, er zieht sich zunehmend nach Demi Lune zurück. Dort widmet er sich mehr seinen botanischen Versuchen und züchtet neuartige Rosensorten. Er stirbt 1898 im Beisein seiner Tochter Claire und den beiden Duluc-Schwestem.

Es folgen einige „Selbstauskünfte“ von Felicien Rops über sich, die für seine Kunst be­deutsam erscheinen:

1865 an Louis Defre (liberaler belgischer Abgeordneter) (6): „Was ich, glaube ich, am meisten auf der Welt hasse, das ist der doktrinäre Bourgois, der im Augenblick in Belgien allmächtig erscheint; dieser Monsieur, der nach einer Religion ruft, '“die gut für das Volk ist“, dieser Priesterfresser Er verachtet die Kunst, er verachtet die Künstler und die Schriftsteller; sie alle sind der Feind seiner Begierden, die zudem zwischen der Schnauze und dem Schwanz des erstbesten Schweins Platz fänden. Allerdings ist dieser Herr weit weniger erfreulich anzusehen als das Schwein , dessen rosiger Wanst immerhin ab und an die Palette der Meister beflügelt hat..“ (Das Schwein , weiches Rops hier anspricht, wird im weiteren Verlauf der Abhandlung eine wesentliche Rolle spielen, da Rops in beiden Darstellungen seiner „Versuchungen des Heiligen Antonius“ von 1858 und 1878 ein Schwein darstellt, allerdings mit einer anderen Bedeutung in den jeweiligen Darstellungen)

1863 an den belgischen Schriftsteller Emile Leclercq (7): „Meine Meinung über die Frauen hat sich seit dem Tag verändert, an dem ich sie zeichnete. Meine ersten Modelle waren Flä­minnen, und man findet nicht eine Zeichnung aus dieser Periode, die düster wäre. Von dem Tag an, an dem ich mein Skalpell- pardon meinen Stift- in die Pariserin stach, wenn ich das Kupfer schnitt, sah ich die perverse Seele, und ich liebe sie, diese Seele, ebenso sehr wie das Fleisch, das vor mir posierte. Ich habe das Äußere und das Innere mit derselben skrupu­lösen Sorgfalt ausgearbeitet; mit solcher skrupulösen Sorgfalt, daß die Rops'sehe Frau in 30 Jahren eine Schablone sein wird “ Rops spricht hier zwei Dinge an, zuerst berichtet er über eine gewisse fröhliche Naivität bei seiner Arbeit mit den Modellen seiner Heimat, die einer geradezu „perversen“ Liebe zur Seele und dem Fleisch der Pariserin wich. Weiterhin hat er einen ungeheuren Scharfsinn bewiesen, wurde doch die „Ropsette“ ein Fachbegriff

seiner Darstellung von Weiblichkeit. Nennt er doch in einem o.a. Satz die Pariserinnen „Ro- senjungfem des Teufels“! Dass er seinen Stift als Skalpell ansieht, läßt aufmerken: Er fühlt sich in der Rolle eines die Gesellschaft seiner Zeit Sezierenden, wie er in einem anderen, später folgendem Brief bemerkt, dass die Künstler an denen sich seine Kunst orientiert hat, sich durch einen natürlichen Esprit auszeichneten, immer im Gegensatz zu dem künstlichen Esprit z.B. der Düsseldorfer Schule, welche gerade in dieser Zeit viele amerikanische Maler nach Europa zog, sicherlich auch bedingt durch die Präsidentschaft eines Emmanuel Leutze der dortigen Kunstakademie; dessen am Rhein gemaltes riesiges Historienbild „Washington crossing the Delaware“ von 1851 heute noch amerikanische Schulbücher ziert und von dem eine Kopie im Weißen Haus in Washington hängt. Die Tatsache, dass Rops ausdrücklich die „Düsseldorfer Schule“ nennt, beweist erneut neben seinem fundamentalen Bildungshorizont seine profunden Kenntnisse der kontemporanen europäischen Kunst. Zur Bedeutung der Düsseldorfer Kunstakademie im 19. Jh. verweise ich auf zwei wesentliche Monographien (8).

1892 an den Landschaftsmaler Theodore Hannon (9): „Ich bin nicht alt, habe noch alle meine Zähne, meine Haare und zwei Mätressen, hübsch überkreuz, wie sich das gehört für einen guten Sohn aus dem Land der Gallier, Schüler von Rabelais, Mathurin Regnier und noch ein paar anderen Lüstlingen und Lebemännern. Ich habe keine Angst, mich nackt wie ein Faun vor den schönen Damen zu entblößenWie die Trajanssäule und die Säule auf der Place Vendôme, so arrogant reckt sich mein Holz in vollem Saft , trotz allem Niedersinken und bringt noch die Pubertät zum TräumenAh! Du siehst, daß ich kein Greis bin. Aber lass uns ernsthaft reden. Ich versichere Dich, daß ich alles, was ich bisher gemacht habe, als Werke von Esprit und Phantasie ansehe- einige Maschinen über die modernen Sitten ausgenommen.“ (Im weiteren differenziert Rops zwischen einem gewollten Esprit und meint damit u.a. die Düsseldorfer Schule, die er ausdrücklich anspricht und einem natürlichen Esprit, er fährt dann fort)„ In der Mehrzahl seiner Gemälde ist Rembrandt voller Esprit und Beobachtungs­gabe , und das ist keine Schande. Und Callot! Und Rubens! Und Raffael! Und alle die Großen: Ribera! Zurbaran! Veronese! Goya! Man darf sich nicht von den Photographen über­ trumpfen lassen! Und ich kenne keine lebendigere, spirituellere Schule im ganzen Sinn des Wortes als die flämische des XVII. und des XVI., die man uns immer als eine Schule von rein materiellen Wesen vorstellt.“

Rops zieht hier eine Art Bilanz seines sehr persönlichen Lebens (mit einem Schwerpunkt Eros und Alter (Tod?), aber besonders seines bisherigen künstlerischen Lebens, wobei er sich in eine Reihe stellt mit dem Esprit einiger Größen der europäischen Kunstgeschichte, zunächst den Flamen, dann mit Raffael und Veronese aus Rom und Venedig, nicht zuletzt den Spaniern des Barock, dann aber dem Spanier Goya und den Franzosen Callot: er spricht sicherlich die meisterhaften Zeichnungen des Jacques Callot (1592-1635) an, der wie er selbst Zeichner und Kupferstecher und Radierer war, dessen Werke nicht nur von Rembrandt gesammelt wurden, dessen Serien „les petites miseres de la guerre“ und „ Les grands miseres de la guerre“ die Greuel des 30jährigen Krieges schilderten und so auch besonders des Religionskrieges in flämischen und niederländischen Gebieten,aber auch als Vorläufer von F. Goyas „Desastros de la guerra“. Sicherlich spricht er mit dem „Verismus“ dieser Schilderungen von „Augenzeugenschaft“ auch seinen eigenen ungeschminkten Blick in die sozialen Verhältnisse seiner Zeit an und sieht sich in einer Sequenz mit diesen. Mutmasslich nimmt er diesen espritgeladenen Verismus auch als Ge­genpart zur beginnenden Bedeutung der Fotographie der Zeit als „pencil of nature“ wahr. Waren J. Callot und F. Goya in ihrer Zeit jeweils Künstler, die in Augenzeugenschaft die kriegerischen Auseinandersetzungen darstellten, fühlte sich Rops in einer ähnlichen Rolle als jemand , der die innenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit wie „Kampf der Geschlechter“ , oder eines „Klassenkampfes“ (K.Marx) oder des Kampfes einer laizi­stischen Staatsidee gegen die katholische Kirche im 19. Jahrhundert in seiner Kunst the­matisierte (letzteres z.B. in seinem stark an Gustave Courbets „Enterrement a Omans“ von 1849/50 erinnernden „Enterrement en pays Wallon“ von 1863, in dem er sich von Courbet und seinem Realismus befreien wollte. Diese Darstellung wurde von kirchlichen Kreisen auch als „une glorification de la vulgarie, de la trivalite odieuse“ be­zeichnet. (Man wird an anderer Stelle noch auf dieses Bild zurückkommen bei der Be­trachtung von Tod und Eros im Werke von Rops und der durch die französichen Re- vulotionen von 1789-1791 bedingten Veränderungen in der Einstellung zu Krankheit und Tod in der postrevolutionären Philosophie und Gesellschaft). Andererseits ist Rops kein Revolutionär, er ist ein humanistisch gebildeter Mensch, dem Kunstgeschichte und auch seit seinem Besuch des Jesuitengymnasiums in Namur die katholische Kirchengeschichte wohl vertraut sind, deshalb ist es bei allen seinen Bildern wichtig , sich mit der Ikonographie und einer speziellen Ikonologie vertraut zu machen. Sein geschichtliches Hintergrundswissen wurde noch erweitert durch sein langes Pendeln zwischen seinen Wohnorten in Belgien und im Pariser Raum: Die kurze Geschichte des belgischen Nationalstaats mit der Gründung im Jahr 1830 wird schon kurz darauf vom Einmarsch der niederländischen Armee im August 1831 bedroht. Hatte sich doch in den südlichen, überwiegend katholischen Provinzen -ermutigt durch die erfolgreiche frz. Revolution von 1830- das liberale Bürgertum und der katholische Landadel als neuer Nationalstaat Belgien von den Niederlanden unab­hängig erklärt. Nur die militärische Intervention Frankreichs konnte die bedrohte Unab­hängigkeit von den Niederlanden retten: so war allerdings die staatliche Souveränität mit der Frankreichs verbandelt. Die 1850iger Jahre zeichnete ein starkes ökonomisches Wachstum aus, mit zunehmendem Reichtum eines selbstbewußten Bürgertums und einem weiteren Erstarken der Position der katholischen Kirche in Belgien, die sowohl das Schulwesen als auch die sozialen Institute wie Krankenhäuser, Altenheime durch klerikale Ordensgemeinschaften kontrollierte, aber auch die akademische Ausbildung in der katholischen Universität von Liege (Löwen). Als Gegenpart wird von liberalen antiklerikalen Kräften deshalb in Brüssel die „freie Universität“ gegründet.

Als dann 1848 in Frankreich die Revolution scheiterte, wie auch in Deutschland und Österreich, flüchten aus eben diesen Ländern viele Träger dieser Revolutionen nach Brüssel, wo einige Immigranten die politischen Diskussionen anheizen. Dort trifft Rops Proudhon, Baudelaire, Hugo und auch Karl Marx. Zu dieser Zeit ist Proudhon noch sozial­istischer Führer, der in seinem Buch von 1840 den später oft zitierten Ausspruch wagte: „Eigentum ist Diebstahl“. Es ist verständlich, dass der in großbürgerlichen Ver­hältnissen lebende Rops mit dieser Diktion nicht einverstanden sein konnte: So malte er schließlich „die soziale Revolution“ in den Jahren 1878-1881 als fast nackte , diesmal dominant auftretende „Ropsette“ , wieder mit feurigrotem Haar in sich auf­lösender Frisur nur mit Kniestrümpfen bekleidet und einem „Gürtel“ ,an welchem eine Säbelscheide hängt. Den dazu gehörenden Säbel benutzt sie als Stütze. Sie ist am Boden umgeben von einer weißblauen Fahne, auf der zu lesen ist: „Appel au peuple“, darunter „Droit des Femmes“, hinter ihr liegt eine rote Fahne am Boden mit dem Aufdruck „Commune“ , rechts neben ihr ein halb aufgerichteter Fahnenstil, von dem eine weitere rote Fahne mit dem Aufdruck „Socialisme“ zu Boden sinkt. Auch hier sieht Rops die Vertreterin der sozialen Revolution als Dime. Auch Eugene Delacroix hatte seine weibliche Allegorie von 1830 „die Freiheit führt das Volk“ barbusig (als Marianne bekannt) und barfuß dargestellt; diese wird oft als römisch motivierte Symbolgestalt der „libertas“ inter­pretiert, kann aber auch als Symbol für die Frau der untersten sozialen Schicht angesehen werden, wie sie später 1871 in der Pariser Kommune portraitiert wurde, als todesmutige Prostituierte, die nichts zu verlieren hat.

Es muss des weiteren eingegangen werden auf die Bedeutung der literarischen Bekannt­schaft und Freundschaft zu den zeitgenössischen Schriftstellern Frankreichs, wie Ch. Baudelaire, St. Mallarmee , J.-K. Huysmans, P. Verlaine und anderen. (Baudelaire und Proudhon und Courbet waren ihrerseits befreundet, so daß auch ein „sekundärer“ Ein-fluß postuliert werden darf. „So zeichnete Courbet fur die von Baudelaire im März 1848 herausgegebene Flugschrift „Le Salut publique“ die Vignette. So teilen die drei Freunde lange Zeit die Vorstellung einer friedlichen und brüderlichen Revolution. Ästhetisch trennt sich Baudelaire nach dem Putsch Napoleons von Courbet. Er will das „Ideal“, die Traum­welt, das Übernatürliche ... ausdrücken, im Gegensatz zum Realismus und Rationalismus des Freundes (Courbet) Baudelaire ist ein Dandy , wie Rops oder Mallarmee und die anderen Künstler, von den bürgerlichen Spießern als 'Decadents' abgelehnt und wegen ihrer Vorliebe für symbolistische, magische Kunst als 'verfluchte Dichter' mit dem Brand­mal des Satanismus abgestempelt“ (10).

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Dieser Satanismus in der Literatur besonders bei J.-K. Huysmans hat als Basis eine tiefgreifende Kritik an der soziologischen Entwicklung in Frankreich nach der 1848iger, sehr blutig abgelaufener, Revolution mit dem Zerfall des alten Sozialgefüges und dem Aufstieg eines Bürgertums, welches sich nicht mehr als „citoyen“ sonst eher als „bourgeois“ empfindet (beides bedeutet allerdings Bürger). Die neue Moral- und Wertetafel dieser Bourgeoisie bewerten die „Decadents“ nicht mehr nur rational, sondern gefuhlsmässig- sinnlich im Vergleich mit den täglichen Bildern der realen Welt, wie Armut und Prostitution, woraus eine psychische Konstellation sich entwickelt, die antireligiös ist und die „schwarze Messe“ als Konfrontation zur bürgerlichen Doppelmoral sieht. Auch Baudelaire sieht die Randständigen dieser Bourgeoisie, wie die Prostituierten, die armen Wäscherinnen, die Kriegskrüppel aus napoleonischer und Revolutionszeit als geborene Verehrer Satans als des Gegengotts, deren Hunger und Schmerz nicht das Gehör bei Gott finden können (der deutsche Arzt, Revolutionär und Schriftsteller Georg Büchner schreibt in dem Revolutions­drama „Dantons Tod“: der Schmerz ist der Fels des Atheismus). Thiele (11) sieht den Satanskult mit der schwarzen Messe und der dort gegebenen sublimierten Sexualität als Ausdruck des sexuellen Tabus der doppelbödigen Moral des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Die Art wie F. Rops in der 1878-Version seiner Darstellung der „Versuchung des heiligen Antonius“ die vom Satan geschickte Prostituierte ans Kreuz „fesselt“ hat ja durchaus Qua­litäten einer „bonding-form“ von Sado-Masochismus. Auch S. Freud - wie später auszu­führen sein wird- sieht eben diese Ropssche Darstellung als „Beweis“ für seine Theorie der Triebverdrängung.

Rops selbst ist auch der Auffassung, dass seine Kunst elitär sein soll und nicht für die Massen, er folgt in diesem Urteil der Philosophie eines Fr. Nietzsche, der von gewöhnlichen Menschen als von den „Missratenen“ zu sprechen pflegte (12): In seinem Brief an Octave Maus von 1887 (13) : „ Ich verabscheue das ganze große Publikum; die Kunst hat nicht demokratisch, sozial, sozialistisch oder populär zu sein die Kunst immer das eine war und sein wird:

'ein Druidismus'. Man müßte für zweihundert ausgewählte Augen in Europa ausstellen.“

Auch hier trennt sich Rops erneut von der sozialistischen Meinung eines G. Courbet, der sein Leben an diesem Ideal festhielt, obwohl auch er wie Rops aus gutbürgerlichem El­ternhaus stammte und wie Rops ein Jurastudium begonnen hatte. Courbet lehnte ebenso wie Daumier das ihm angebotene Kreuz der frz. Ehrenlegion ab. Nach dem Sturz der Regierung 1869 wurde er 1870 Stadtrat und somit Mitglied der Pariser Kommune. Allerdings schreibt auch Rops als letzte Zeile im obigen Brief:“ Ich gestehe niemandem zu, mich zu ehren“.

Zum Schluß seien einige Briefe in gekürzter Fassung erwähnt, die die Kunst des F. Rops beurteilen. Da wäre der Romancier Josephin Peladan, der in seinem „le vice supreme“ (14) beschreibt: „In einer Sprache voll keuscher, ausweichender, gezügelter Worte beschrieb er Gemälde , deren Betrachtung beschmutzt und vergiftet. Mit der Poesie der Wörter heroi­sierte er die Wollust. Er fand Bilder- fleischlich, voll, üppig, rot wie die Töne eines Ru­bensin das Flammen der Adoleszenz goß er das obszöne Öl des physischen Vergnügens.“

Peladan in „La piume“: „Seine hochgerutschten Ärmel, seine Decolletierungen, seine Bän-

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1 Félicien Rops. Fotografie. Fondation Félicien Rops. Tho/ée

der um den Hals sind eine wunderbar bedeutungsvolle Erfindung. Er ist der Erfinder der langen schwarzen Handschuhe und der schwarzen Strümpfe in der Kunst, die dem Modell nicht etwa etwas nehmen, sondern ihm einen extravaganten und perversen Akzent setzen.“

Paul Verlaine an Rops (5 Januar 1888) (15): „Ich wäre glücklich ein Frontispiz von Ihnen zu haben und nehme mir die Freiheit, Sie darum zu bitten.“ Es wird in dieser Zeit augenscheinlich, dass Rops jetzt für die Spitze der frz. Literaten seiner Zeit ar­beitet, für Mallarmee, Verlaine. Baudelaire, Huysmans . Umgekehrt veröffentlicht der letztere 1889 in seinen „Certains“ seine Beobachtungen über Rops und die Kunst der Moderne (16): „ Lassen wir den Trödel beiseite , den ein Fragonard und ein Bou­cher malte und wir kommen immer weiter bergab bevor ich endgültig bei Monsieur

Rops stehenbleibe die Reinheit sublimierte das Talent der großen christlichen Mei­ster , der Fra Angelico und der Grünewald, der Rogier van der Weyden und der Mem- lingDie Unzucht hat ihrerseits kein wirklich starkes Werk geboren. Es mußten unsere Tage kommen,...Monsieur Rops übernahm das alte Konzept des Mittelalters , nachdem der Mensch zwischen dem Guten und dem Bösen treibt, sich zwischen Gott und Teufel streitet, zwischen der Reinheit, die von göttlichem Wesen ist, und der Unzucht, die der Teufel selbst ist... in bewundernswerten Blättern..die als Erfindungen, Symbole, als schneidende und nervöse, wilde und herzzerreißende Kunst wahrhaftig einmalig sind.

Zuletzt sollen die Brüder Jules und Edmont de Goncourt aus ihren „Journal“ zu Wort kommen (17): „Er erzählt uns von dem Erstaunen, das bei ihm,...die Verkleidung, der Putz und die fast phantastische Aufmachung der Pariserin von heute hervorrief. Er erzählt uns ... von ihrem Charakter, vom düsteren, fast makabren Gesichtsausdruck, den er an einer Hure namens Clara Blum fand , als er nach einer durchknutschten und durchspielten Nacht der Tag anbrach: ein Bild, das er malen will und für das er achtzig Studien von Dirnen gemacht hat“.

„Er spricht weiter über den grausamen Charakter der modernen Frau, ihren stählernen Blick, ihren bösen Willen gegenüber dem Mann, den sie nicht zu verbergen sucht.“ Nachdem Rops relativ rasch nach seinem Engagement in Paris bei dem wichtigsten Verlagshaus, den Goncourts, schon eine Rolle spielte, war eine steile Karriere zu erwarten.

Im folgenden Kapitel soll zunächst auf eines seiner Meisterwerke eingegangen sein, der „Versuchung des heiligen Antonius“ von 1878, Pastell/Gouache, 73,8x54,3 cm, Bibliothèque Royale de Belgique, Brüssel. Die besondere Ikonologie dieser Dar­stellung muß erklärt werden und dann später die Einzelheiten dieser Ikonologie besonders abgehandelt werden.

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Bildbeschreibung

Das 1878 fertiggestellte Werk von Rops befindet sich heute in der Bibliothèque Royale in Brüssel. Es gilt noch heute vielfach als das „anstössigste“ Werk des Künstlers. Wie im weiteren Verlauf klargestellt werden wird, hat kein anderes Werk zum Thema der Ver­suchung des heiligen Antonius in der Zeit vor Rops einen derartigen Bruch aller Kon­ventionen in der Darstellung christlich-religiöser Figuren bewirkt. Das liegt nicht zuletzt an der fast explosionsartig zu nennenden Zuordnung der handelnden Personen . In der linken Bilddiagonalen fällt zuerst eine an Christi Kreuz „gebundene“ nackte Frau auf, deren feuerrotes langes Haar die Hälfte des Querbalkens bedeckt. Sie trägt ein blumengeschmük- ktes Band im Haar; die Hände sind nicht wirklich ans Kreuz gefesselt, sondern eher lok­ker im Sinne einer „sadomasochistischen“ Fixation. Ihre Beine weichen auseinander, so daß der vor dem Kreuz halb kniende Antonius seine Blicke auf die ihm dargebotene Vulva richten kann. Rechts neben dem Kreuz lugt der in ein rotes Mönchsgewand gekleidete Teufel mit herausgestreckter Zunge auf den Heiligen. Links vom Kreuz versucht Christus Halt zu finden, da er vom linken Oberschenkel der Nackten zur Seite gedrängt wird; dabei wird die Nackte vom Teufel unterstützt, der mit beiden Händen Christus vom Kreuz weg­zieht. Das Geschehen muß so rasch erfolgt sein, dass Christus noch die Kreuzigungsnägel in den Händen hat. Über Christus schweben 2 „Venusamoretten“ , deren Kopf und Ober­körper skelettmäßige Todessymbolik zeigen. Hinter dem Kreuz steht ein Schwein mit auf­fällig spitzer Schnauze auf einem großen Folianten, der die Inschrift trägt „Orígenes“, auf einem weiteren Buch rechts vom Schwein wird die Ropssche Signatur sichtbar. Am oberen Teil des Kreuzes , an dem üblicherweise INRI zu lesen ist, wird statt dessen EROS thema­tisiert. Der Heilige, der dieser Versuchung durch den weiblichen Dämon in Diensten des Teufels ausgesetzt ist, hält sich die Ohren zu, sein ebenfalls feuerroter Zottelbart steht wie von einem Windstoß erfaßt, weit ab; der Foliant, in dem der Heilige gelesen hat, trägt den Titel „De Continentia Joseph“, auch dieser ist durch das Knie der Dämonin im Begriff zu Boden zu stürzen. Hier ist der Teufel nicht selbst der Versucher, als Weib verkleidet, er erscheint eher als Regisseur des gesamtem Ablaufs.

Es war schon an anderer Stelle das hohe Bildungsniveau des Künstlers erwähnt worden, insbesondere seine Kenntnisse der Kirchengeschichte und seine Bibelkenntnisse , als auch die Kenntnisse in den alten Sprachen: es soll deshalb klar werden, dass Rops hier den „Vater der Mönche“ Antonius, auch eremita genannt, porträtiert; aber auch welche Bedeutung er der Figur des Orígenes beimisst, dem Orden der Antoniter, deren Symbol das Schwein ist und die als Spitalorden sich den am „Antoniusfeuer“ erkrankten Menschen annahmen. Die feuerrote Haarfarbe des dämonischen Weibs und der Bartfarbe des Heiligen weisen m.E. auch auf das „Antoniusfeuer“ hin, wie auch die spitze Schnauze des Schweins, da diese typisch für die „Symbolschweine“ des Antoniterordens ist. Sowohl die Schwein­darstellung in der „Torwache“ des Rembrandtschülers Carel Fabritius in Schwerin von 1654, als auch bei dem Schwein in der Schubkarre mit Dudelsack auf Blatt 108 (Mariä Heim­suchung) des Limburgwerks „Les tres riches Heures“ des Duc de Berry sind von einer sehr spitzen Schnauze oder besser Rüssel des Schweins geprägt. In der mir bekannten Literatur wird das Schwein allerdings als Ausdruck von „Teufelsdreck“ und „Cochonnerie“ erklärt. Dem ist zu entgegnen, dass in der Fassung von 1858 Rops das dort abgebildete Schwein deutlich anders dargestellt hat, mit einer unauffälligen Schnauze. Eine weitere ikonologi- sehe Besonderheit ist die Erwähnung der alttestamentarischen Geschichte von Joseph und Potiphars Weib, dessen künstlerische Abbildungen besonders im flämischen Barock beliebt war und die Prostituierte, die der Ropssche Teufel in der Version von 1878 als Dämon be­nutzt, nochmals als besonders perfides Beispiel erklärt: an dem Kreuz , an dem Christus u.a. auch mit Gott haderte und er am tiefsten litt, an diesem Kreuz zeigt nun eine Dime dem Heiligen ihre intimsten Reize und thematisiert die Erotik auf unterster Stufe. Es sollen zunächst einige zeitgenössische Beurteilungen des Bildes folgen, dann später die Besonder­heiten der nur bei Rops vorkommenden Ikonologie. Andererseits muß noch eingegangen werden auf die Figur des heiligen Antonius des Großen, die Besonderheiten der Wüsten­askese für die mentalen Verhältnisse der Mönche - sowohl als Eremiten als auch in den Frühformen der Klöster- auf die Vorstellungswelt der Spätantike und des frühen Christen­tums in der Verfolgungszeit der spätrömischen Kaiser bis 330 n.Chr. Besonders der Vorgänger des Antonius , Orígenes, wird wegen seiner Selbstkastration von Rops erwähnt worden sein . Aber auch die Rolle des Antoniterordens muss beleuchtet werden, da Rops auch eine Zeichnung eines Bettelmönchs mit einer Prostituierten fertigte. Die Rolle der Frau , besonders der femme fatale oder als Dime als Überträgerin der Syphilis, in der 2. Hälfte des 19. Jhs. hat Rops hier thematisiert. Nicht zuletzt auch die antiklerikalen Strö­mungen im Sinne einer Satanismusmodewelle in dieser Zeit.

Rops selbst berichtet über dieses Werk in seinem Brief von Mittwochabend , 20. Februar 1878 (18) „J'envoie LA TENTATION.

Le sujet est facile a'comprendre; le bon St-Antoine, poursuivi par des visions libidineuses, se precipite vers son prie-Dieu, mais pendant ce temps-la- un drôle de moine rouge- lui a fait une farce: il lui a ote son Christ de la croix et 1 'a remplace par une belle fille, comme les Diables qui se respectent en ont toujours sous la main. Tout cela au fond n èst qu'un pretexte a peindre d âpres nature une belle fille qui nous faisait manger , il y a un an deja, des oeufs a la tripe, a la mode des Touraine, et qui, pour la premiere fois, et apres bien des instances, a bien voulu poser pour son vieux Fely, comme la princesse Borghese a pose pour Canova. Je n ài change que les cheveux qui ont ete blondis pour le public.“

Entscheidend für seine „interpretation“ ist, dass er den Heiligen als „verfolgt“ von seinen libidinösen Visionen ansieht, so ähnlich und doch verschieden äußert sich einige Jahre spä­ter Siegmund Freud. Ähnlich wichtig escheint, dass Rops neben „Dieu“ auch den „Diables“ die Ehre gibt und diese mit einem Großbuchstaben beginnt. Zuletzt gibt er noch kurz den „womanizer“, indem er seinem Leser berichtet, wie sehr die Dame es schätzte für ihn zu posieren. Auch vergleicht er („der alte Fely“) sich mit Canova, der die Ehre hatte , die Schwester Napoleons und zu ihrer Zeit als schönste Frau Europas postuliert, zu dem die Gattin des damals reichsten Fürsten Italiens, als Modell zu haben.

In einem weiteren Absatz folgen wesentliche Aussagen über die Erotik seiner Darstellun­gen (18): „Une belle fille, comme la mignonne que tu connais, peut etre portraiturée sans aucune idee de lubricité. Le nu n èst pas erotique. Quant a la religion elle n 'est point attaquée. Lorsque Goya fait enlever le Saint-Sacrement par Lucifer, il n'a pas plus d idees antireligieuses que moi.“ Wichtig ist hier die Idee der „Ropsienne“, die nie ganz nackt ist und umso erotischer wirken soll (das Paradebeispiel ist die Darstellung „Pomokrates“ von 1878 mit den typischen Accessoires des Ropsschen dämonischen Weibes bekleidet); Rops widersetzt sich bewußt den „erotisierenden“ femininen Akten des frz. Rokokos eines F. Boucher und J.-H. Fragonard, aber auch den weiblichen Aktdarstellungen nach der Revolution von 1789. Emeut stellt er sich auf eine gleiche Stufe mit F. Goya, er hält sich nicht für antireligiöser in seiner Kunst als Goya. Er will die Eigenheiten seiner Epoche, seiner Zeit künstlerisch festhalten, ihren Charakter, ihre moralischen Ansichten, ihre Ge­fühle und Wahrheiten und Leidenschaften und auch psychologischen Gegebenheiten. Er fühlt sich deshalb aufgefordert, auch darin weiter zu gehen als der reine Realismus, als seinerzeit G. Courbet die „Steinklopfer“ und „Begräbnis in Omans“ malte und für die „unakademische Darstellung“ des einfachen Volkes abgestraft wurde, sondern auch Traum, Ekstase, Vision, Phantasie, Halluzination, Meditation, Empfindung, Krankheit, Tod und Sünde in die Palette einfließen zu lassen .

1907 interpretiert S. Freud die „Versuchung“ als exemplarische Bebilderung seiner Verdrängungstheorie (19): „Eine bekannte Radierung von Felicien Rops illustriert diese wenig beachtete und der Würdigung so sehr bedürftige Tatsache eindrucks­voller, als viele Erläuterungen es vermöchten, und zwar an dem vorbildlichen Falle der Verdrängung im Leben der Heiligen und Büßer. Ein asketischer Mönch hat sich- gewiss vor den Versuchungen der Welt - zum Bild des gekreuzigten Erlösers ge­flüchtet. Da sinkt dieses Kreuz schattenhaft nieder und strahlend erhebt sich an sei­ner Stelle , zu seinem Ersätze, das Bild eines üppigen, nackten Weibes in der glei­chen Situation der Kreuzigung. Andere Maler von geringerem psychologischen Scharfblick haben in solchen Darstellungen der Versuchung die Sünde frech und tri­umphierend an irgendeine Stelle neben dem Erlöser am Kreuz gewiesen. Rops allein hat sie den Platz selbst am Kreuze annehmen lassen; er scheint gewußt zu haben, daß das Verdrängte bei seiner Wiederkehr aus dem Verdrängendem selbst hervortritt.“

Mir ist nicht bekannt, welche Versuchungsdarstellungen S. Freud kannte, ob er die in der europäischen Kunstgeschichte so ungeheuer zahlreichen Darstellungen von Versuchung zur Sünde erinnerte, als er die obige Interpretation gab. Den von ihm erwähnten psychologischen Scharfsinn hat Rops sicherlich besessen. Freud nennt die vom Teufel dirigierte Frau üppig: Es scheint dies ein Phänomen der französischen „erotisierten weiblichen Akte“ des 19. Jhs. zu sein; auf die marzipanhäutigen Damen der Boudoir- und Schäferstündchenbilder des frz. Rokoko von Boucher und Frago­nard hatte ich ja schon hingewiesen. Aber -wohl als Folge der napoleonischen Ägyp­tenexpedition 1798 und auch der Besetzung der nordafrikanischen Kolonien 1830- auch kurze Jahre später war die nackte Orientalin in ausgeprägter Üppigkeit beliebtes Sujet auch der akademischen Malerei Frankreichs , unter dem Stichwort eines nun bildlich voyeuristischen Zugangs zum Harem mit all der männlichen Phantasie des frz. Bürgertums und der Grausamkeit des orientalischen Mannes mit der Darstellung von Reiterkämpfen in der Wüste. Es ist auffällig, dass die Darstellungen eines Dominique Ingres der „Odaliske“ mit ihrer phantasievollen Anatomie (1817), sein „türkisches Bad“ (1863) mit all den sehr üppigen Haremsdamen, oder die „Badende von Valpincon“

(schon 1808) alle einen sehr östrogenbetonten Frauentypus zeigen. Ein Eugene Dela­croix steht ihm nicht nach mit dem sehr großen „Tod des Sardanapal“ (1827-8) in der Darstellung des grausamen Orientalen, der seine fülligen Haremsdamen von Skla­ven töten läßt, selbst sein kostbar geschmücktes arabisches Pferd wird getötet, da sein eigener Tod bevorsteht. Wenige Jahre später folgt Gustave Courbet mit einer sehr üppigen nackten „Frau mit Papagei“ von 1866, aus dem gleichen Jahr die „Schläferin­nen- Trägheit und Wollust“ mit zwei nackten, üppigen Frauen in liebevoller Umarmung. Diesen für den voyeuristischen Männerblick gedachten weiblichen Akten setzt Rops- „nackt ist nicht erotisch“- seine auch üppigen „Ropsetten“ entgegen, deren teilweise Bekleidung mit Hut, langen Strümpfen, langen Handschuhen die Nacktheit des Torsos eher noch unterstreicht. Ob diese auffällige Vorliebe in der frz. Kunst der Zeit Folge­erscheinung der „Cul de Paris“-Mode ,der Mode der großen „decolletees“ im 18. Jh. war, kann nur vermutet werden. Dem stellt Rops aber die ausgemergelten Gesichter und Kör­per der Pariser Prostituierten und Syphiliskranken und alkoholabhängigen Absinthtrin- kerinnen entgegen.

Die Figur des Heiligen Antonius

Es werden in der Kirchengeschichte üblicherweise zwei heilige Antonius unterschieden. Da ist der auch als Antonius der Große, oder eremita bekannte „Vater der Mönche“, der wohl von ca. 250- 356 n.Chr. in Ägypten lebte und der Antonius von Padua, ca. 1193-1231, der als Theologe und Franziskaner überwiegend in Padua tätig war.

In der Darstellung der Versuchung des Heiligen Antonius ist allerdings immer der An­tonius eremita gemeint.

Sein Leben ist durch die Schrift des Kirchenvaters Athanasius von Alexandria (ca. 300­373) „Vita Antónii“ überliefert.

Sein Leben wurde ein zweites Mal geschildert in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine (um 1264), die sich aber überwiegend an der Darstellung des Athanasius ori­entiert, und deshalb nicht gesondert besprochen werden wird. Andererseits war die Legenda aurea im Mittelalter und darauf ein sehr weit verbreitetes Werk, welches auch den Künstlern des beginnenden 16. Jhs. wohl vertraut war, deren Darstellungen der Ikonographie der Versuchungen des heiligen Antonius später ausführlicher besprochen werden sollen.

Bevor das Leben des Heiligen Antonius, wie es Athanasius in seiner theologisch ver­klärten Form beschrieb, thematisiert wird, soll zunächst eine Schilderung der Zeit er­folgen, in der Antonius in Ägypten lebte, was damals ein Randgebiet des römischen Reiches war. Er lebte in einer Umbruchszeit, in der über einen langen Zeitraum hinweg- die größte Ausdehnung des Reiches war um 100 n.Chr. unter Trajan (53-117 n.Chr)- gekennzeichnet war durch zentralisierende Kräfte in Rom und anarchische Kräfte in den peripheren Regionen , die gegen einander gerichtet waren. Dieser Prozess des Ver­falls zog sich über 250 Jahre hin, wechselnden sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen in den diversen Teilen des Reiches, die aber auch durch die neuen Kräfte des Christentums und des Verfalls einer polytheistischen Staatsreligion geprägt war.

In dieser Zeit von Christenverfolgung bis zur Gleichberechtigung des Christentums mit dem Polytheismus im Jahre 313 n.Chr. und der 330 erfolgten Verlegung der Haupt­stadt nach Byzanz durch Konstantin d.G. war Ägypten neben Syrien das erste Land des Reiches , welches überwiegend christlich geprägt war.

Das Christentum dieser Zeit war eine in ihren Anfängen durchaus asketische Sekte, was bei der langen Verfolgungszeit nicht wundem kann, gab es doch bereits in der Zeit um 70 n.C. die Essener als asketische Sekte, die überwiegend zölibatär und be­sitzlos mit teilweisem Rückzug in die Wüste lebte , was durch die Schriftrollen von Qumran seit 1952 beweisbar wurde. Derartige Rückzüge in die Wüste waren auch schon vorher bei Josephus, Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth bekannt.

Auf die Bedeutung der Wüste als mönchischer Rückzugsort aus der profanen Welt und ihre Wichtigkeit für eine bestimmte Form der Askese wird später eingegangen.

Die wesentlichen Daten der Person des heiligen Antonius sind einigermassen ver­lässlich bekannt: Er war koptischer (ägyptischer, nicht griechischer) Christ und ca.

250 n.Chr. als Sohn relativ reicher Bauern im Nil geboren. Als er 20 Jahre alt war, verstarben seine Eltern und er entschloß sich auf Grund einer Predigt, kein säku­lares Leben zu führen, sondern als Anachoret sich aus der Gemeinschaft der Men­sehen zurück zu ziehen und in der Wüste eine asketische Existenz zu führen. Es gab schon in vorchristlicher Zeit den Begriff des Anachoretentums, die sich aus überwiegend nicht religiösen Gründen - Steuerflucht, abstossende Hauterkran­kungen, Wehrpflicht- in die Wüste geflüchtet hatten. Später ging der Begriff dann auf die frühesten Formen des christlichen Mönchtums über. Antonius gilt als Gründer der christlichen Anachorese. In dem Nachbarland Syrien gab es eine Extremform der Anachorese etwa 100 J. nach Antonius , die Säulenheiligen, die ihr Leben auf einer hohen Säule verbrachten, wie der heilige Simeon, deshalb auch „stylites“ genannt. Eine ähnliche Form von „Säulenklöstem“ ist noch heute in der griech. Orthodoxie bei den Meteoraklöstem bekannt, einer Landschaft von Felsenformationen, auf denen jeweils ein mehr oder weniger großes Kloster „schwebt“. Auch in der Mönchsrepublik auf dem Athos gibt es abortive Formen, wie Nikos Kazantzakis nach einem Besuch des Athos be­richtete und die der Autor selbst gesehen hat.

Hatte es schon seit ca. 150 Jahren immer wieder lokale Christenverfolgungen gegeben, so begann im Geburtsjahr des Antonius unter Kaiser Decius eine solche Verfolgung im ge­samten römischen Reich, der die Unzufriedenheit mit den sozialen Verhältnissen ge­schickt auf eine Minderheit ableitete, als klassische Erfindung eines Sündenbocks, wie es im politischen Alltag immer erneut vorkam und vorkommt. Es fiel leicht, im Niltal mit den schon im alten Testament beschriebenen Mißernten und Seuchen, diese den Christen anzulasten. Die darauf folgenden politischen, ökonomischen und ideologischen Wirren bestimmten die Lebenszeit des Antonius. Kurz nach dem Tode des Heiligen schrieb der Kirchenvater Athanasius die Lebensgeschichte des Antonius. Es besteht generell kein Zweifel, dass Athanasius die vita seinen lithurgischen Zwecken entsprechend ausarbeitete. Andererseits besteht Einigung darüber, dass seine Äußerungen, die in den „Apophteg- mata patrum“ festgehalten wurden authentisch sind. Danach soll er nach dem Tode der Eltern sein Erbe verschenkt haben, gab seine Schwester in ein „Jungfrauenhaus“, eine soziale Einrichtung für Witwen und Waisen und zog sich zunächst in eine nicht weit entfernte Nekropolis in die Wüste zurück. Die Antoniusvita des Athanasius stellt pri­mär den Dämonenkämpfer heraus, der siegreich die gefährlichsten Versuchungen Satans überstand. Er vermag zu unterscheiden, welches von Gott gesandte Gesichte, also Engel sind und welches Dämonen, Abbilder des Teufels , falsche Gesichte sind. Diese Unter­scheidungsgabe ist eine innere Erkenntnisfähigkeit, die verhindert, dass die Askese sinn­los wird. In den Apophtegmata 33.23 (20) verlangt Antonius .“ Hasset die Welt und alles in ihr. Hasset alle Ruhe des Fleisches. Entschlagt euch dieses Lebens, damit ihr für Gott lebt. Denkt daran, was ihr Gott versprochen habt;...Leidet Hunger, Durst, Blöße, Nacht­wachen, trauert, weinet, seufzet in euren Herzen, prüfet, ob ihr Gott würdig seid, ver- . achtet das Fleisch, damit ihr eure Seelen rettet.“ Er gibt sich absolut kompromißlos in seinen Forderungen der Askese. In den Apophtegmata 11,17 (20) fährt er fort:“ Wer in der Wüste sitzt und die Herzensruhe pflegt, wird drei Kämpfen entrissen: Dem Hören, dem Reden, dem Sehen. Er hat nur noch einen Kampf zu führen! Den gegen die Unrein­heit“. Der Kampf gegen die „Unreinheit“ ist er Kampf gegen sich selbst, gegen die Ima­ginationen, die dämonischen Phantasien und die halluzinierten Dämonen. Der Mensch der Spätantike war von der Existenz der Dämonen überzeugt; der Mensch des Frühchristen­tums der Überzeugung, dass die Dämonen durch Christus besiegt wurden, so braucht der christliche Anachoret dem versuchenden Dämon nur das Kreuz entgegenstrecken, damit dieser entschwinde.

G. Scholz und J.Ziemer (21) berichten über das Bild des heiligen Antonius in den Apophtegmata Patrum „in wie hohem Maße Antonius in allen Gene­rationen des Wüstenmönchtums als prägende Größe gegenwärtig gewesen ist.“

„Als für das Wüstenmönchtum entscheidend müssen zwei Aspekte hervorgehoben wer­den: einmal: Das Überleben und der geistliche Fortschritt in der Wüste sind nur mög­lich , wenn es 'Strukturen 'gibt, die die unendliche Zeit und den unendlichen Raum bin­den. Ein strukturloses Leben macht auch die intensivste Heilsuche unmöglich. Allein der räumlichen und zeitlichen Endlosigkeit der Wüste ausgeliefert, wird der Mensch in die Akedia verfallen, die das Ziel, den Weg zum ewige Heil, in unerreichbarer Feme sieht. Die Rhythmen des geistlichen Lebens -sitzen, arbeiten und aufstehen, beten- vermensch­lichen die strukturlose Unendlichkeit.“ Auch bietet die Wüste neben „Endlosigkeit“ in jeder Dimension die Möglichkeit sich sein archaisches Gottvertrauen zu beweisen, wie Elia und Moses, aber auch wie Johannes der Täufer (Lukas 1-80 und Markus 1-6) und Jesus (Markusl. -12 „danach trieb der Geist Jesu in die Wüste.13 Dort blieb Jesus vier­zig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt Er lebte bei den wilden Tie­ren und die Engel dienten ihm“) und sich den dort herrschenden klimatischen Bedin­gungen ebenso auszusetzen wie dem drohenden Durst und Hunger.

Die Wüste war kein heiliger Ort, sondern das Reich des Teufels, der Dämonen und ein Ort ständiger Gefahr, auch wegen der wilden Tiere. Bei Matthäus 3-10 spricht Johannes der Täufer von einer schon bereit liegenden Axt (an die Wurzeln legen), hat er diese auch zur Abwehr von Tieren bei sich? Jesus muß in der Wüste sogar gleich drei Ver­suchungen des Teufels abwehren, bevor ihm die Engel dienen konnten. Aber auch die alttestamentarischen Quellen mit der 40jährigen Wanderung durch die Wüste, nachdem die Israeliten von Jahwe aus der ägyptischen Knechtschaft erlöst worden waren, hat wohl für das frühe Christentum Bedeutung gehabt und den Wüstenort als Weg in die Freiheit, aber auch als gefährlichen Ort mit Gefahren durch Versuchungen und lebensbedrohliche Natur ins Gedächtnis gerufen.

Der Ort in dem geistliches wie physisches Leben in der Wüste „daheim“ war, war das Keilion, das ursprünglich eine „Einzelzelle“ bedeutete.

Es unterschied sich jedoch deutlich von einer Mönchszelle späterer Epochen, es bestand aus einer Art Hütte oder Höhle, oft zur Abwehr von Getier mit einem „Hof ‘ umgeben diente sowohl als Arbeitsraum als auch als spiritueller Raum und Schlafraum für Gebet, innere Versenkung, Fasten, Arbeit, Bibellektüre .Die Arbeit bestand meist aus Flecht­arbeit von Körben und Seilen, von deren Verkauf der Eremit seinen Lebensunterhalt bestritt. An besonderen Tagen versammelten sich auch Anachoreten zum gemeinsamen Gebet, keiner hatte eine theologische Ausbildung, obwohl man annimmt, dass es schon 180 n.Chr. in Alexandria eine christliche Hochschule gegeben haben soll, an der schon Orígenes (ca. 185- 254 n. Chr.) als Theologe tätig gewesen sein soll. (Dieser Orígenes taucht in der „Versuchung des Heiligen Antonius“ von F. Rops als Buchtitel auf und wird deshalb auch als weiterer ikonologischer Aspekt besprochen werden müssen).

Neben dem schon erwähnten Fasten - auch Christus fastete in der Wüste 40 Tage, in Erinnerung haben die Kirchen das vorösterliche Fasten eingeführt, aber auch in allen Weltreligionen ist eine Fastenzeit zur Läuterung vorgeschrieben- verlangt der Anacho- ret von sich selbst Schlafentzug (geschlafen wurde auf einer dünnen , selbstgefertigten Matte auf dem Boden), Besitzlosigkeit, Beherrschung menschlicher Triebe, dabei war der Geschlechtstrieb besonders wichtig, da die Genitalien bevorzugter Ort des Ein­dringens von Dämonen in den menschlichen Körper waren. Schon bei der jüdischen Sekte der Essener war die Askese wesentlicher Bestandteil des religiösen Denkens;

Sie konnte bewirken, dass der Gläubige sich dem Gottesreich näher fühlte und dem Dunkel des satanischen Reiches, als Herr der Finsternis, entfliehen zu können. Es ist anzunehmen, dass durch diese jüdische Tradition die Askese in den Blickpunkt nicht nur von Johannes dem Täufer und Christus kam und durch das neue Testament- in altgriechischer Sprache für die meisten im Original lesbar- in das Frühchristentum ein­geführt wurde.

Aber auch in der römischen Philosophie der Stoa (Seneca und Epiktet) ist asketisches Dasein wichtig zur Beherrschung der Triebstruktur,damit der Stoer seine innere Frei­heit erlangt, und sein von den Göttern vorbestimmtes Schicksal klaglos annehmen kann.

Die Stoa glaubte, dass das Individuum besser sei als das Individuum in der Mehrzahl.

Zur Askese ist die Kontrolle der sexuellen Triebe besonders wichtig: Paulus (1. Kor. 7)

„ wer auf das heiraten verzichtet, tut das bessere“.

Das asketische Fasten des Christen unterscheidet sich nicht vom Fasten des Nichtchri­sten, wohl aber können die Motive für das Fasten von Individuum zu Individuum sehr differieren. Für den Christen kann die Nachfolge Jesu als Motiv gelten, die Erwartung des jüngsten Gerichts - mit dem Gedanken , dass die diesseitige Askese belohnt werden wird in der jenseitigen Welt - aber auch die bekannten Märtyrern in der Askese nach- zu ahmen. Die Wüstenaskese mit ihren besonderen Bedingungen gilt als die Lebensform des christlichen Anachoreten. Allerdings darf dieses Leben nicht als völliger Rückzug von allen Menschen gesehen werden: die menschliche Psyche kann niemals ganz auf Kontakt zu anderen verzichten, es kommt rasch zu einem lockeren Verbund von Ere­miten. Sie unterstützen sich z.B. bei Krankheit, Begräbnis beim Tode, beim Verkauf ihrer Handarbeiten, von denen sie den Unterhalt bestreiten. Auch gab es in diesen Ge­meinschaften eine Art „Vorsitz“ für den ältesten, erfahrensten und geistig begabtesten Mönch, dessen „Worte“ in den Apophthemata gesammelt heute Quell der auch „lithur- gischen“ frühchristlichen Bemühungen in dem „Wüstengottesdienst“ sind. Aus diesen zunächst lockeren Verbänden entstand (22) „um 315-320 das erste Kloster von Pacho­mius -ebenfalls Ägypter-. Die Mönche aßen und beteten gemeinsam, in dieser Form breiteten sich die Klöster mit ihrer Lebensweise der Mönche in der Christenheit aus, während die von Antonius angeratene Art weniger erfolgreich war“. Athanasius hatte als Bischof von Alexandria besonderen Anteil an der Verbindung des Mönchtums mit der dortigen Theologie. Später kam dem Kirchenvater Hieronymus der Verdienst zu, asketisches Leben mit theologischem Studium zu verbinden.

Für die frühen Asketen wie Antonius und seine Nachahmer war die Wüste allerdings ein von Jugend an bekannter Ort ,an dessen Randzone sie noch spärlicher Pflanzen­wuchs erwartete, aber auch die Gegend um die Nekropolen. Es war für sie wichtig, dass dieses Land von den schrecklichsten Dämonen als Diener des Satans bewohnt war, und zudem auch Kriminelle dort nicht selten ihr Unwesen trieben. In diesem Reich des Bösen war das Keilion der Zufluchtsort, der Ort, an dem der Eremit Gott nahe kommen wollte, es war ein Ort absoluter Stille , an dem die Selbsterfahrung des Menschen , der vor allem Diesseitigen in die göttliche Stille geflohen war. Diese Stille in Gott, die Hesy- chia war das eigentliche Ziel des Antonius. Das „sitzen“ in innerer Versenkung, die schweigende Meditation im Keilion ermöglicht eine Weltabgewandheit, eine innere Ruhe. In ihr gibt es kaum noch eine Wahrnehmung der Außenwelt, das ist wie ein Auszug aus Zeit und Raum. Wenn zu dieser absoluten Abkehr von äußeren Sinneseindrücken wie hören, sehen, schmecken und riechen noch die Folgen von bewußtem Schlafentzug kom­men erscheint es nicht verwunderlich, dass Halluzinationen, Gedächtnislücken, aber auch Psychosen resultieren können. Wie die Universität Bonn und das Kings College in Lon­don (23) nachgewiesen haben, kann Schlafentzug bei psychisch gesunden Probanden bereits zu Zuständen, die einer Schizophrenie ähnlich sind. Unter derartigen Voraus­setzungen erscheinen Visionen von Dämonen aller Art nicht ungewöhnlich, besonders wenn die Existenz solcher Wesen in der Spätantike als selbstverständlich angesehen wird.

[...]

Fin de l'extrait de 103 pages

Résumé des informations

Titre
Zur Ikonografie von Felicien Rops' "Die Versuchung des heiligen Antonius" (1878)
Université
University of Hannover  (Kunstwissenschaft)
Cours
Zwischen Kontemplation und Provokation. Erscheinungsweisen des Religiösen in der Kunst der Moderne
Auteur
Année
2015
Pages
103
N° de catalogue
V374906
ISBN (ebook)
9783668517936
ISBN (Livre)
9783668517943
Taille d'un fichier
31679 KB
Langue
allemand
Mots clés
Heiliger Antonius, isenheimer Altar Felicien Rops Symbolisten la vie moderne., Hieronymus Bosch
Citation du texte
Dr. Hanspeter Moser (Auteur), 2015, Zur Ikonografie von Felicien Rops' "Die Versuchung des heiligen Antonius" (1878), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/374906

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