Ethnologie und Journalismus. Gegenseitige Wechselbeziehungen und Zusammenspiel heute


Seminararbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Journalistische Perspektiven auf die Ethnologie

3. Ethnologische Perspektiven auf den Journalismus

4. Ethnologie und Journalismus in der Interaktion
4.1. Grenzen und Probleme
4.2. Positive Entwicklungen und Chancen

5. Zusammenfassung, Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ethnologen[1] seien scheue Rehe, schreibt Julia Herz-el Hanbli auf ihrem Blog „Ethnosphäre“ (2014: ohne Seitenangabe). Als Spätfolge von Geertz’ interpretativer Ethnologie (zur Folgen der „interpretativen Wende“ vgl. Majbroda 2016: 121 ff.) und der Writing Culture-Debatte sind sie aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden, sowohl als aktive Produzenten journalistischen Inhalts als auch als Experten in Interviews oder ähnlichem (Herz el-Hanbli 2014: ohne Seitenangabe). Stattdessen verfielen Ethnologen in eine selbstreflexive Phase (Antweiler 2005: 33; Herz el-Hanbli 2014: ohne Seitenangabe), deren Notwendigkeit wissenschaftsintern vielfach anerkannt wird, in der medialen Öffentlichkeit jedoch dazu führte, dass Ethnologen noch immer als Spezialisten für das rein ‚Exotische‘ gelten (Herz el-Hanbli 2014: ohne Seitenangabe). Das bedeutet nicht, dass ethnologienahe Themen keinen Platz in den Medien finden - im Gegenteil, laut Antweiler füllen sie bisweilen sogar Titelseiten (2005: 39). Jedoch sind die Verfasser dieser Beiträge in den seltensten Fällen Ethnologen - häufig handelt es sich bei den Autoren um Journalisten, Schriftsteller oder Vertreter anderer geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen (Antweiler 2005: 37). Ethnologen selbst unternehmen laut Herz el-Hanbli noch immer zu wenig, um sich in den Medien Gehör zu verschaffen (2014: ohne Seitenangabe). Dabei haben Journalisten und Ethnologen einiges gemeinsam, so Antweiler: Beide sind der Wahrheit verpflichtet, arbeiten kritisch-distanziert und ähneln sich sogar in ihren Recherchemethoden (2005: 22-23). Dennoch meiden viele Ethnologen die journalistische Aufbereitung ihrer Erkenntnisse, etwa aus Angst, selbst Stereotype zu kreieren, in dem sie sich der empfundenen Oberflächlichkeit der Medien unterwerfen (Antweiler 2005: 24).

Diesem Bild der Ethnologen als öffentlichkeitsscheuen Wissenschaftlern stehen einige recht öffentliche Beispiele entgegen. Alleine die hiesige Universität liefert zahlreiche: Karl-Heinz Kohl veröffentlichte diverse Beiträge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vgl. etwa Kohl 2007). Susanne Schröter wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Main-Echo oder der Frankfurter Neuen Presse als „Expertin“ zu Themen rund um den Islam befragt (vgl. etwa Thiel 2016). Und Marin Trenk gab beinahe allen namhaften deutschen Medien zu seinem Forschungsgebiet, der kulinarischen Ethnologie, Interviews (vgl. etwa Backhaus 2015). Antweiler und Schönhuth nennen weiter als journalistisch und öffentlich auftretende Ethnologen Rolf Seelmann-Eggebert, Wade Davis, David Maybury-Lewis, Nancy Scheper-Hughes oder Laura Nader (2005: 39; 94). Nicht zuletzt bleibt zu erwähnen, dass ich selbst in allen bisherigen fünf Jahren meines Studiums zugleich als Journalistin tätig war und entweder freischaffend oder in Redaktionen hauptsächlich im Bereich des Reisejournalismus gearbeitet habe (vgl. hierzu Kap. 5).

Sind die genannten Beispiele nur Ausnahmen, die die Regel bestätigen? Oder behandeln sich Ethnologie und Journalismus nicht mehr so stiefmütterlich und ignorant wie neben den angeführten kritischen Stimmen noch viele weitere behaupten (vgl. etwa Gottlieb 2016: 99; Geyer 1999: 17; Kohl 1999: 45 f.; Fischer 1999: 42 f.)? Sind Ethnologen vielleicht sogar im Besonderen in der Verantwortung, ihre Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit als ihrem universitären Umfeld (Schönhuth, zit. n. Antweiler 2005: 67) zugänglich zu machen?

Diesen und weiteren Fragen werde ich in der vorliegenden Arbeit nachgehen, die im Rahmen des Seminars „Kultur- und Gesellschaftstheorien I“ entstanden ist. Hierfür werde ich zunächst eine Darstellung der journalistischen Perspektive auf die Ethnologie liefern, um auf diesem Weg mit dem Blick „von außen“ auf die Wissenschaft zu beginnen und in diesem Zusammenhang auch auf einige journalistische Grund- und Rechercheprinzipien einzugehen, um sie mit den Forschungstechniken der Ethnologie in Bezug setzen zu können. Dann betrachte ich den ethnologischen Blickwinkel auf Journalismus und Medien, um etwaige Ressentiments, Problemfelder, aber auch Chancen im gemeinsamen Verhältnis besser herausarbeiten zu können[2]. Hier nehme ich vor allem Bezug auf die Thesen der interpretativen Ethnologie, da sie Ethnologen meiner Meinung nach einen potenziellen Zugang zum Journalismus liefern können. Im folgenden Kapitel werde ich jeweils die Grenzen und positiven Abläufe in der Interaktion von Ethnologie und Journalismus in Teilkapiteln beleuchten, um so Probleme und Chancen aufzeigen zu können. Abschließend werde ich meine Ergebnisse zusammenfassen und versuchen, zu einem Fazit bezüglich der Frage zu gelangen, wie sich das Verhältnis von Ethnologie und Journalismus heute darstellt und wie es sich in Zukunft produktiv gestalten könnte.

Hierfür beziehe ich mich auf Quellen aus der Medienethnologie, explizit zu nennen sind etwa Christoph Antweilers „Führer zu populären Medien“, verschiedene medienethnologische Texte von Elizabeth S. Bird sowie Helena Wulff zum Thema „The anthropologist as writer“. Weiterhin beziehe ich - wie erwähnt - in fachgeschichtlicher Hinsicht die interpretative Ethnologie ein; hier ist unter anderem Clifford Geertz’ Werk „Works and Lives: The Anthropologist as Author“ zu nennen. Journalistische Quellen sind etwa „Das neue Handbuch des Journalismus“ von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue und Walter von La Roches „Einführung in den praktischen Journalismus“. Bei einigen wenigen Internetquellen ließen sich keine Informationen zum Verfasser oder dem Verfassungsdatum finden. In solchen Fällen habe ich die verantwortliche Organisation angegeben.

Um den Rahmen der Arbeit einzuhalten, werde ich mich auf Printjournalismus fokussieren, da dies zugleich der Bereich ist, in dem ich selbst arbeite. Zudem werde ich die Grundtechniken der Ethnologie wie Feldforschung, teilnehmende Beobachtung sowie qualitative und quantitative Methoden als bekannt voraussetzen und sie nur knapp mit den vorgestellten journalistischen Arbeitsweisen in Bezug setzen. Weiterhin klammere ich in Bezug auf die Ethnologie die Writing-Culture-Debatte sowie die „Krise der Repräsentation“ größtenteils aus, auch wenn diese in einer weiterführenden Arbeit unbedingt diskutiert werden müsste (vgl. hierzu etwa Gottowik 1997) . Zudem beschränke ich mich größtenteils auf Ethnologie und Journalismus im deutschsprachigen Raum.

Beginnen werde ich nun mit der Darstellung der journalistischen Perspektive als „Außensicht“ auf die Ethnologie in der medialen Öffentlichkeit.

2. Journalistische Perspektiven auf die Ethnologie

„Mit dem Recherchieren fängt der Journalismus an“, schreibt von La Roche in seinem journalistischen Standardwerk „Einführung in den praktischen Journalismus“ (2006: 15)[3]. Und Recherche bedeutet nichts anderes als Nachforschung (von La Roche 2006: 14). Dazu nutzen Journalisten unter anderem Archive, Nachrichtenagenturen, das Internet, telefonische Interviews, persönliche Gespräche und genaues Beobachten vor Ort (von La Roche 2006: 15; 53; 55; Schneider und Raue 2009: 23 ff., 48). Schneider und Raue bezeichnen die Recherche als „Kür des Journalismus“ und „detektivische Kleinarbeit“ (2009: 52), bei der von La Roche „Zahlen und Fakten“ verlangt, aber davor warnt, sich diese nur von „einer Seite“ anzuhören (2006: 53). Bei der Recherche erfolgt bereits eine Auswahl dessen, was am Ende präsentiert werden wird (von La Roche 2006: 17) - nicht unähnlich der Arbeit des Ethnologen, dessen textliches Ergebnis schließlich auch immer nur ein Ausschnitt aus einer konstruierten Realität sein kann, die noch nicht einmal seine eigene ist (Geertz 1993: 9, mehr dazu in Kap. 3). Und auch von La Roche weist darauf hin, dass „volle Objektivität“ im Journalismus nicht gewährleistet werden kann und dass unterschieden werden muss zwischen einer „äußeren Objektivität“ des Journalisten, die er korrekt beschreiben kann und muss, und einer „inneren Objektivität“, die bei jedem Menschen unterschiedlich ist (2006: 144). Er nennt dieses Phänomen auch „Zehn-Zeilen-Wirklichkeit“ - jeder Journalist wird über das gleiche Ereignis im Rahmen von zehn Zeilen anders berichten (2006: 145)[4]. Und auch Schneider und Raue sind der Ansicht: „Die objektive Nachricht gibt es nicht“ - lediglich die unparteiische (2009: 106). Auch Journalisten leisten zwangsweise eine Interpretation (Schneider und Raue 2009: 107). Natürlich unterliegen Journalisten im Vergleich zu Ethnologen einem viel größeren Aktualitätszwang beziehungsweise dem, was von La Roche „allgemeines Interesse“ nennt (2006: 49 ff.). Journalisten stehen zudem unter einem viel größeren Zeitdruck. „An anthropologist is a journalist with a two year deadline“, zitieren Grindal und Rhodes einen unbekannten Journalisten (1987: 11). Das Endprodukt des Journalisten, der fertige Text, muss für den jeweiligen Leser dann „unmissverständlich“ und klar sein, also etwa frei von jeglichem akademischen Jargon, und die sechs Fragen „wer, was, wann, wo, wie, warum“ beantworten (Schneider und Raue 2009: 61-62; 73).

Welche Diskurse herrschen im Journalismus nun bezüglich der beziehungsweise über die Ethnologie? Eine kleine „Recherche“ meinerseits ergab, dass Ethnologen entgegen aller Befürchtungen, die ich in der Einleitung nachgezeichnet habe, keineswegs von der medialen Bildfläche verschwunden sind. Eine Eingabe des Wortes „Ethnologie“ in das Pressearchiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das Einsicht in 170 deutsche und internationale Publikationen liefert und zu dem ich aufgrund meiner meiner Tätigkeit bei der Zeitung Zugang habe, ergibt im Zeitraum der letzten fünf Jahre 883 Ergebnisse. Bei einer groben Durchsicht, die keinesfalls als abgeschlossen gelten kann, schien es sich zwar bei einer nicht geringen Anzahl der erscheinenden Beiträge um Museumseröffnungen, Personalien oder Buchrezensionen zu handeln (vgl. etwa Heinrichs 2016: 46 oder Schubert 2017: 21), aber auch diese Tatsache spricht ja für ein gewisses öffentliches Interesse am Thema. Davon abgesehen erschien eine Vielzahl meiner Meinung nach für die Perspektive des Journalismus auf die Ethnologie aussagekräftige Texte. Ethnologen werden bei vielen Themen, die weit über das „Exotische“ (vgl. Einleitung) hinausgehen, als Experten herangezogen und, jedoch seltener, selbst als Produzenten journalistischer Texte aktiv. Beispielthemen für Ersteres sind etwa Rituale beim Hausbau (Wilke 2016: Ohne Seitenangabe), Frauen in Flüchtlingsheimen (Memarnia 2016: 27) oder seelische Verletzungen von Kindern ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR (Decker 2016: 21). Thomas Hauschild ist etwa selbst Produzent eines Textes über Donald Trumps Wahlsieg sowie über das Wesen der Überraschung und wird in beiden Fällen auch explizit als Ethnologe kenntlich gemacht (Hauschild 2016a: 22; Hauschild 2016: 27). Ebenso schreibt Rudolf Walther für das Konzept der Plurikulturen und gegen das der „Leitkultur“ (Walther 2016: 12; vgl. zu journalistisch tätigen deutschen Ethnologen auch Antweiler 2005: 32). Meiner Meinung nach gibt die hier zu findende Themenbreite Aufschluss darüber, dass die Ethnologie im Journalismus längst nicht mehr als etwas betrachtet wird, das in fernen und exotischen Ländern stattfindet oder nur diese Kulturen betrifft. Doch selbstverständlich sind auch einige Negativbeispiele zu finden, in denen Ethnologie immer noch mit solchen Aspekten verknüpft oder das kulturell Fremde durch die Ethnologie als sensationsgenerierend eingesetzt wird. Da mir Texte der Bild-Zeitung, der größten Boulevard-Zeitung Deutschlands (Süddeutsche Zeitung o.J.: Ohne Seitenangabe), im Pressearchiv der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht angezeigt wurden, habe ich das Stichwort „Ethnologie“ nochmals gesondert in die Suchleiste der Webseite www.bild.de eingegeben. Hierbei ergaben sich 399 Treffer für einen unbestimmten Zeitraum. Jedoch kam in vielen Artikeln das Wort „Ethnologie“ gar nicht vor. Ich kann nur mutmaßen, dass durch bestimmte Algorithmen und Techniken gewisse Themen mit diesem Schlagwort verlinkt wurden. So zeichneten sich die ersten zehn Seiten durch Texte aus, die Indigene Nordamerikas zum Thema hatten (etwa eine anstehende „Winnetou“-Ausstrahlung), ethnische Minderheiten bzw. deren Verfolgung (etwa Texte über Kurden) oder ebenfalls Museumseröffnungen. Diese „Verschlagwortung“ des Wortes „Ethnologie“ gibt meiner Meinung nach ebenfalls Aufschluss über dessen Einordnung durch den Boulevardjournalismus. Und auch hier ist zu erwähnen, dass zumindest die Assoziation mit ethnischen Minderheiten und deren Verfolgung ein sehr aktuelles Thema der Ethnologie trifft. Allerdings liefert die Bild-Zeitung auch Schlagzeilen wie „Ich esse Hoden…aber Penisse sind nicht so mein Ding“ über die Arbeit des bereits erwähnten kulinarischen Ethnologen Trenk (Besecke 2014: Ohne Seitenangabe). Von derartigen Fehldarstellungen und Verunglimpfungen ihrer Arbeit in der Presse berichten viele Ethnologen (Antweiler 2005: 24; 27). Und nicht ohne Grund haben sich diese Erlebnisse meiner Meinung nach offenbar viel stärker ins „kollektive Ethnologengedächtnis“ eingebrannt als die, in denen Ethnologen und ihre Arbeit korrekt und sachlich beschrieben wurden oder selbst zu Wort kamen.

Dabei ähnelt laut dem Medienwissenschaftler Löffelholz das Vorgehen von Journalisten bisweilen „Ethnologen, die ihr Objekt zwar sinnorientiert kennen lernen möchten, der (sic) es aber nach Maßgabe eines ethnographischen Analysemusters beobachtet - nach Kriterien, die dem Objekt der Beobachtung im Wortsinne fremd sind“ (2004: 131). Und auch Haller ist der Meinung, dass Ethnologen wie Journalisten beim Beobachten anderer Menschen den Lebenszusammenhang dieser im Sinne ihrer eigenen Systemreferenz verfremden (Haller 2004: 150). Er schlägt demgegenüber das „hermeneutische Konzept des transkulturellen Verstehens“ des Ethnologen Stagl vor, das in seiner Grundposition eine humanistische Offenheit für alle Menschen fordert (Stagl, zit. n. Haller 2004: 150). Grindal und Rhodes betonen in der Zeitschrift „The Journalism Educator“, dass Ethnologen und Journalisten viel von der jeweiligen Gegenseite lernen könnten (1987: 4). Beide müssen gewissermaßen die Sprache ihrer Informanten sprechen, beide müssen fähige Interviewer sein und sich der Verantwortung bewusst sein, die damit einhergeht, dass sie in das Leben anderer Leute eindringen und Informationen darüber veröffentlichen (1987: 11). Bird, die sich selbst als Journalistin und Ethnologin beschreibt, meint ebenfalls, die Grenzen von Journalismus und Ethnologie seien zunehmend verwischt (2005: 301). Ein ethnologisch geschulter Journalist müsse in diesem Zusammenhang per se ein interpretierender Journalist sein (Bird 2005: 304, 305). Journalisten sind aber keine Ethnologen, das gilt auch umgekehrt - und ist gut so (Grindal und Rhodes, zitiert nach Bird 2005: 307). Denn wenn zwei das Gleiche tun, machen sie noch lange nicht dasselbe: Journalisten und Ethnologen bewegen sich zwar im selben Raum, doch gehen dabei meist getrennte Wege (Riedel 2009: 31). Das ist nicht erstaunlich - wissenschaftliche Komplexität und Genauigkeit trifft auf unabdingbare journalistische Vereinfachung (Riedel 2009: 31). Dennoch sind die Ziele der beiden Professionen ähnlich genug, so dass der eine vom anderen lernen kann (Bird 2005: 307). Der Frage, ob das die Ethnologie bzw. ihre Vertreter genauso sehen, werde ich mich nächsten Kapitel widmen.

3. Ethnologische Perspektiven auf den Journalismus

Clifford Geertz schrieb, dass Ethnographie eigentlich „a kind of writing“ sei (1988: 1). Das zu akzeptieren, fällt den meisten Ethnologen jedoch schwer - vorherrschende Annahme ist laut Geertz, ein Ethnologe sollte ins Feld gehen, mit Information zurückkommen und diese der wissenschaftlichen Gemeinde zugänglich machen (1988: 1). Dabei schaffen weder ein Darstellen der Ergebnisse im Stile der „harder sciences“ noch die Kraft theoretischer Argumente eine überzeugende Ethnographie, sagt Geertz, und verweist auf Malinowskis Werk, das trotz all seiner Theorien in Trümmern liegt (1988: 4). Er verlangt daher, die Aufmerksamkeit der Disziplin weg von der Feldforschung hin zur Textproduktion zu lenken (1988: 24). Wulff ist der Meinung, dass mittlerweile, über zwanzig Jahre nachdem Geertz die obigen Ansichten verfasst hat, die meisten Ethnologen verstanden hätten, dass sie auch Schreiber sind und eingehend untersucht hätten, was mit diesem Faktum einhergeht (2016: 1). So ist die Einsicht gewachsen, dass es für das Ansehen der Disziplin förderlich ist, sich in „kulturellem Journalismus“ zu betätigen, wie Wulff ihn nennt (2016: 5). Dafür seien zwei „Übersetzungen“ nötig: Von den Daten zum akademischen Text - und vom akademischen Text in einen journalistisch-populären (2016: 4-5). Bezieht man Geertz’ Theorien mit ein, leistet der journalistisch tätige Ethnologe also drei Übersetzungen: Forschung, Monographie und schließlich den journalistischen Text (Geertz, zit. n. Stellrecht 1993: 49). Diese letzte Übersetzung zeichnet sich dadurch aus, dass durch sie ein größeres Publikum erreicht werden muss (Wulff 2016: 5; vgl. Kap. 4).

Die in Kapitel 2 beschriebenen journalistischen Arbeitsweisen haben dabei, wie bereits erwähnt, meiner Meinung nach viel mit denen der Ethnologie gemeinsam. In ihrer Forderung nach größtmöglicher Objektivität erinnern sie an die theoretischen Ansätze, die Schweizer und Stellrecht „Analytische Ethnologie“ oder „scientific approach“ nennen: Hier sollen objektive, kontextfreie Analyseverfahren in der ethnologischen Forschung angewendet werden, um zu einem allgemeinen, präzisen und verifizierbaren Ergebnis zu kommen (Stellrecht 1993: 35; Schweizer 1993: 83, 86). Doch wie ebenfalls bereits in Kapitel 2 erwähnt, sind sich auch Journalisten dessen bewusst, dass es den objektiven Text nicht geben kann und dass auch sie damit nichts anderes liefern als eine Interpretation der Wirklichkeit. Das erinnert stark an den „Gegenspieler“ sämtlicher ethnologischer Ansätze, die vorgeben, objektiv zu sein - die interpretative Ethnologie, die den ethnographischen Text als immer wieder neues Konstrukt betrachtet, als „Interpretation einer Interpretation einer Interpretation“ (Stellrecht 1993: 53). Folgt man diesem Ansatz, ist ein potenzieller journalistischer Text meiner Meinung nach bereits die vierte Interpretation einer Realität. Ein solcher Text ist niemals richtig oder falsch, sondern kann nur sachadäquat sein (Stellrecht 1993: 36) - eine Vorstellung, die sich womöglich mit von La Roches „äußerer Objektivität“ und Schneiders und Raues „unparteiischer Nachricht“ in Verbindung bringen lässt (vgl. Kap. 2).

In den Medien vergeht kaum ein Tag, „an dem (…) nicht über ethnologische Dinge berichtet wird“ (Kull 1999: 29). Jedoch geschieht dies häufig in Form von „Mythen“ - Menschenopfer, Kannibalismus, Exotik und Abenteuer sind noch zu oft Inhalte solcher Texte (Kattner 1999: 71-72). Das erkläre sich laut Kattner aber durch ein Bedürfnis des Publikums nach solchen Themen - nicht weil Journalisten diese der Leserschaft aufzwingen (1999: 71-72). Aufgabe der Ethnologen kann hier laut Kattner somit nur sein, aktiv zu zeigen, was „Ethnologie“ eigentlich ist (1999: 73). Ethnologen und Journalisten finden sich also, ob absichtlich oder nicht, häufig im gleichen Terrain wieder - sie verwenden ähnliche Methoden, stehen vor ähnlichen ethischen Fragen und verfolgen, interpretierend und informierend, ähnliche Ziele (Bihr und Boller 2010: 6-7). Dieser „entfernten Verwandtschaft“ steht aus ethnologischer Perspektive das Bild des klassischen Gegensatzpaars vom „rasenden Reporter“ in Opposition zum sorgfältig arbeitenden Ethnologen gegenüber (Bihr und Boller 2010: 6-7). Ethnologen werfen Journalisten hier eine „mangelhafte, unangemessene oder diskriminierende“ Art der Darstellung sowie eine automatisierte und vorschnelle Einordnung von Ereignissen vor (Bihr und Boller 2010: 7). Nicht zuletzt deshalb geht Angst vor Reputationsverlust in wissenschaftlichen Kreisen Hand in Hand einher mit einer „Skepsis vor populärwissenschaftlichen Formaten“ und negativen Erfahrungsberichten von Ethnologen einher, deren Aussagen von Journalisten falsch oder aus dem Kontext gerissen wiedergegeben wurden - und diese Angst führt zu einem Verstummen ethnologischer Stimmen in den Medien (Bihr und Boller 2010: 8). Speziell in Deutschland erhält diese bewusste Öffentlichkeitsscheu eine weitere Komponente, da sich einige Ethnologen hier während des Nationalsozialismus vor den „Karren rassistischer Politik spannen ließen“ (Schönhut, zit. n. Grabenheinrich 2010: 62). Ethnologen, die trotz all dieser Vorbehalte mediale Präsenz zeigen, müssen sich nicht selten dem Spott und der Kritik ihrer Kollegen aussetzen (Grabenheinrich 2010: 63). Antweiler hält derartige Auseinandersetzungen für falsch: Ethnologen müssen seiner Ansicht nach aufhören, alle Journalisten für Sensationsjäger zu halten, und damit anfangen, die Ethnologie aus strategischer Sicht in der Öffentlichkeit offensiv und selbstbewusst zu vertreten (2005: 18). Antweiler schreibt, gute Journalisten seien wie Wissenschaftler primär der Wahrheit verpflichtet, hinterfragten Sachverhalte kritisch und entsprächen damit tendenziell der Grundhaltung der Ethnologen (2005: 22).

[...]


[1] Auf eine Genderdifferenzierung verzichte ich, wo sie der Inhalt nicht explizit erfordert, der Einfachheit halber.

[2] Hierbei soll es nicht um eine ethnologische Analyse des Journalismus gehen, wie sie etwa die Medienethnologie leistet, sondern um den ethnologischen Blickwinkel auf das Schreiben allgemein, den Journalismus als potenzielles Arbeitsfeld und journalistische Arbeit im Bezug auf die Ethnologie.

[3] Die folgende Darstellung der journalistischen Grundtechniken und -prinzipien erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Einbezogen wurden hauptsächlich die Bereiche der Arbeit, die sich mit der Ethnologie in einen Vergleich setzen lassen. Zur Vertiefung dieses Themas empfehle ich die genannten Werke: La Roche 2006 bzw. Schneider und Raue 2009; darin enthalten sind auch Abdrucke des Pressekodex (2006: 187; 2009: 313)

[4] Nicht zu vergessen ist hierbei, dass es im Journalismus die bewusst subjektiven Darstellungsformen des Kommentars, der Rezension oder der Glosse gibt (vgl. von La Roche 2006: 169 ff.)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ethnologie und Journalismus. Gegenseitige Wechselbeziehungen und Zusammenspiel heute
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Kultur- und Gesellschaftstheorien I
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V375159
ISBN (eBook)
9783668525351
ISBN (Buch)
9783668525368
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ethnologie, medien, journalismus, Populärwissenschaft
Arbeit zitieren
Katharina Wilhelm (Autor:in), 2017, Ethnologie und Journalismus. Gegenseitige Wechselbeziehungen und Zusammenspiel heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375159

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