Einleitung
Es heißt immer, der soziale Unterschied zwischen den Geschlechtern nehme heutzutage ständig ab. Doch meine Erfahrungen in beiden Geschlechtern haben mich gelehrt, daß es offenbar keinen Bereich unseres Daseins, keinen Augenblick, keinen Kontakt, keine Abmachung und keine Reaktion gibt, die nicht für Mann und Frau verschieden sind. Schon allein der Ton, in dem man zu mir sprach, die bloße Körperhaltung eines Menschen, der neben mir in derselben Schlange stand, die ganze Atmosphäre, wenn ich einen Raum betrat oder mich in einem Restaurant an den Tisch setzte, brachten mir meine veränderte Stellung zu Bewußtsein. Aber nicht nur die Reaktionen der anderen änderten sich, sondern auch meine eigenen. Je mehr man mich als Frau behandelte, desto mehr wurde ich zur Frau. Ich paßte mich wohl oder übel an. Hielt man mich für außerstande, ein Auto richtig einzuparken oder eine Flasche zu öffnen, dann merkte ich, daß mir das merkwürdig schwer fiel. Hieß es, ich könne doch den Koffer oder die Kiste nicht heben, kam mir das auch so vor. ... Wenn mich etwa einer meiner eleganteren Freunde zum Mittagessen ausführt, amüsiert mich der Gedanke, daß der widerliche Kellner vor gar nicht langer Zeit mich so behandelt hätte wie heute meinen Begleiter. Damals hätte er mich ernst und respektvoll begrüßt. Heute entfaltet er für mich die Serviette mit spielerischem Schwung, als wollte er mich in gute Laune versetzen. Damals hätte er meine Bestellung mit gravitätischer Miene entgegengenommen, heute erwartet er von mir eine belanglose Bemerkung (die ich dann auch mache). (Morris, Jan: Connundrum. Bericht von meiner Geschlechtsumwandlung, München 1993, S. 189ff.) Diese Hausarbeit befasst sich mit der vergleichenden Analyse der Strukturkategorien Klasse und Geschlecht. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Kategorien Klasse und Geschlecht jeweils soziale Ungleichheiten in modernen Gesellschaften effizieren und indizieren. Das Fundament der Analyse bildet Bourdieus Konzeptualisierung des Zusammenspiels von Klasse und Geschlecht. Auf dieser Grundlage soll herausgestellt werden, welche der beiden Strukturkategorien nach Bourdieu für eine Gesellschaft stärker strukturbildenden Einfluss hat. In einem ersten Schritt werden die beiden Kategorien in Bezug auf Bourdieus Habitustheorie betrachtet, um vorzustellen in welcher Art und Weise sie identitäts- und strukturbildend wirken...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Klasse, Geschlecht und das Konzept des Habitus
- Habitustheorie
- Klasse und Habitus
- Geschlecht und Habitus
- Klasse, Geschlecht und das Konzept der „sanften Gewalt“
- Der Adel und die Männlichkeit
- Beherrschende und Beherrschte
- Überwindung der sanften Gewalt
- Zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht
- Geschlechternaturalismus versus Klassendenken
- Klassengeschlechtshypothese
- Geschlechtsklassenhypothese
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die Strukturkategorien Klasse und Geschlecht im Vergleich. Dabei wird davon ausgegangen, dass beide Kategorien soziale Ungleichheiten in modernen Gesellschaften sowohl bewirken als auch sichtbar machen. Die Analyse basiert auf Bourdieus Theorie, die das Zusammenspiel von Klasse und Geschlecht betrachtet. Ziel ist es, herauszufinden, welche der beiden Kategorien nach Bourdieu einen stärkeren strukturierenden Einfluss auf die Gesellschaft hat.
- Die Rolle von Klasse und Geschlecht in der Bourdieuschen Habitustheorie
- Die Verbindung von Klasse und Geschlecht mit dem Bourdieuschen Herrschaftskonzept
- Die Interaktion von Klasse und Geschlecht und die Analyse der Klassengeschlechts- und Geschlechtsklassenhypothese
- Die Analyse der Strukturkategorien Klasse und Geschlecht im Kontext sozialer Chancenungleichheit
- Die Entwicklung einer fundierten Analyse des Einflusses der Strukturkategorien Klasse und Geschlecht auf die soziale Ordnung
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung legt den Grundstein für die Hausarbeit und stellt die These auf, dass die sozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern trotz der gängigen Annahme, sie würden abnehmen, nach wie vor bestehen. Sie setzt den Fokus auf die vergleichende Analyse von Klasse und Geschlecht und erklärt, warum diese Kategorien als Indikatoren für soziale Chancenungleichheit betrachtet werden.
- Klasse, Geschlecht und das Konzept des Habitus: Dieses Kapitel untersucht die Rolle von Klasse und Geschlecht im Kontext der Bourdieuschen Habitustheorie. Es definiert den Habitus als ein komplexes System von Handlungs-, Denk- und Wahrnehmungsmustern, das in der Sozialisation erworben wird und den Körper prägt. Der Habitus wird als eine strukturierende und strukturierte Einheit betrachtet, die sowohl klassenspezifische als auch geschlechtsspezifische Elemente beinhaltet.
- Klasse, Geschlecht und das Konzept der „sanften Gewalt“: Dieses Kapitel analysiert die Verbindung von Klasse und Geschlecht mit Bourdieus Konzept der „sanften Gewalt“. Es beleuchtet die Machtverhältnisse, die sich aus der Verinnerlichung von Klassen- und Geschlechterrollen ergeben und zu gesellschaftlichen Differenzierungsmechanismen führen. Das Kapitel beleuchtet auch die Möglichkeiten, diese „sanfte Gewalt“ zu überwinden.
- Zum Verhältnis von Klasse und Geschlecht: Dieses Kapitel diskutiert das Verhältnis von Klasse und Geschlecht im Detail. Es untersucht die beiden Hypothesen der Klassengeschlechts- und Geschlechtsklassenhypothese und beleuchtet, wie Bourdieu die Interaktion dieser beiden Kategorien sieht. Das Kapitel verdeutlicht die komplexe Beziehung zwischen Klasse und Geschlecht und ihre Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit.
Schlüsselwörter
Die Hausarbeit behandelt die zentralen Themen der Sozialen Ungleichheit, der Strukturkategorien Klasse und Geschlecht, der Bourdieuschen Theorie, insbesondere des Habitustheorie und des Konzepts der „sanften Gewalt“. Weitere relevante Begriffe sind Klassenhabitus, Geschlechterhabitus, Klassengeschlechtshypothese, Geschlechtsklassenhypothese und soziale Chancenungleichheit. Die Analyse basiert auf der Annahme, dass Klasse und Geschlecht prägende Faktoren für die soziale Ordnung und die individuelle Lebensführung sind.
- Citation du texte
- Silke Weber (Auteur), 2005, Vergleich der Strukturkategorien Klasse und Geschlecht als Indikatoren sozialer Chancenungleichheit im Kontext der Bourdieuschen Theorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37548