Kreativität als anzustrebendes Ziel oder Gefahr? Ein Vergleich der Positionen des Pädagogen Burow und des Soziologen Reckwitz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

12 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Burows Pädagogik 1.0 und 2.0

3. Reckwitz' Kreativitätsdispositiv

4. Vorschläge und Konzepte für die Zukunft
4.1 Burows Pädagogik 3.0
4.2 Reckwitz' Gegenstrategien

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im vorliegenden Text sollen Konzepte und Vorstellungen zur Kreativität aus zwei Sichten untersucht werden.

Als Grundlagentexte dienen das Buch Digitale Dividende - ein pädagogisches Update für mehr Lernfreude und Kreativität in der Schule vom Pädagogen Olaf-Axel Burow und der Artikel Die Erfindung der Kreativität des Soziologen Andreas Reckwitz.

Dabei soll ebenfalls analysiert werden in wieweit sich das Burows Konzept der Pädagogik 1.0, 2.0 und 3.0 auf die wirtschaftlichen Arbeitsformen in den Phasen der vorindustriellen Zeit, der Industrialisierung und unserer Zeit übertragen lassen. Ebenfalls soll dabei betrachtet werden, ob die Entwicklung unseres gesellschaftlichen Verständnisses von Kreativität analoge Phasen erkennen lässt.

In einem ersten Schritt wird damit begonnen werden Bürows Pädagogik 1.0 und 2.0 in Grundzügen zu erläutern und darzustellen, inwiefern Burow bereits hier Analogien zur Entwicklung von Arbeitsformen in der Wirtschaft entstehen lässt. Welche Bedeutung misst Burow der Kreativität in den beiden Phasen zu? Zudem soll hier anhand eines Artikels von Reckwitz untersucht werden welches gesellschaftliche Verständnis von Kreativität sich den Phasen zuordnen lassen könnte.

Darauffolgend soll untersucht werden, wie Burow aus seiner Pädagogik 2.0 die Pädagogik 3.0 als verbessertes und für uns heutzutage anzustrebendes Schulkonzept entwickelt. Was sind seine Vorschläge für eine zeitgemäße Schule? Welche Bedeutung misst er dabei der Kreativität zu? An dieser Stelle wird ebenfalls dargestellt, welche Bedeutung Reckwitz der Kreativität in der aktuellen Gesellschaft zumisst und welche Strategien er zum Umgang mit ihr empfiehlt.

Obwohl Reckwitz als Soziologe auf die Gesellschaft insgesamt eingeht, bietet es sich an beide Vorstellungen miteinander zu vergleichen, da Burow seinen eigenen (pädagogischen) Rahmen, die Schule, ständig - wie noch gezeigt werden wird - überschreitet und Analogien zur Gesellschaft und Wirtschaft herstellt.

Wichtig ist es mir noch zu betonen, dass es sich in dieser Arbeit allenfalls um eine auf einige zentrale Punkte eingeschränkte Wiedergabe von Burows pädagogischen Konzepten gehen kann. Um diese umfassend und in all ihren Details zu erläutern, wäre ein größerer Rahmen als diese Hausarbeit nötig.

2. Bürows Pädagogik 1.0 und 2.0

Unter Pädagogik 1.0 versteht Burow das „das freie, weitgehend unverschulte Lernen, das gewissermaßen der Logik unserer inneren Natur folgt“ (Burow 2014, 93). Es ist ein stark individuelles Lernen, ein „Lernen aufgrund eigener Entwicklungsbedürfnisse“ (Burow 2014, 24), das aus „Bildungslust“ entstehe (Burow 2014, 24). Kinder lernten durch die Freude am kreativen und selbständigen Entdecken (Burow 2014, 22). Die Möglichkeit sich Herausforderungen selbst zu wählen, motiviere sie besonders (Burow, 2014, 27).

Als Beispiele für diese Art des Lernens gibt Burow zahlreiche Beispiele aus seinem eigenem Leben. So nennt er seine Töchter, von denen die Eine sich überraschender Weise zu einer begeisterten Leserin, die andere sich zu einer Einradfahrerin entwickelt habe - das alles ohne Einwirken der Schule. Er nennt einen jungen Redner, André Stern, der niemals eine Schule besucht habe, sich aber schon über Kontakte seiner Eltern in verschiedenen künstlerischen Bereichen ausprobieren konnte. Deutlich lässt sich erkennen, dass Pädagogik 1.0 Burow favorisiertes Lernkonzept ist.

Doch durch die aktuelle Schule - Burow nennt sie „traditionelle Schule“ (Burow 2014, 97) - würde „ein freies, autodidaktisches Lernen [...] durch geregelte und staatlich sanktionierte Abläufe“ (Burow 2014, 93) gehindert. Im Detail seien die Sortierung der Schüler und Schülerinnen in Altersgruppen, die nicht ansprechend gestalteten Klassenräume, der Frontalunterricht, die normierten Leistungsvorgaben, deren Nicht­Bestehen eine Abstufung zur Folge habe, die Einhaltung der Pünktlichkeit und generell die Taktung der Stunden in 45 Minuten charakteristisch für die Pädagogik 2.0 (Burow 2014, 97). Es folgen Gründe, die Burow für das Scheitern des aktuellen Schulsystems verantwortlich sieht. Darunter zählt er das System von extrinsischer Belohnung und Bewertung von Schülerleistungen, das die Eigenmotivation der Schüler und Schülerinnen zerstöre (Burow 2014, 105), die Leistung insgesamt verkleinere und ihnen die „Erfahrung von Glück“ (Burow 2014, S.106) nehme. Des weiteren gibt Burow an, dass durch äußere Vorgaben die Kreativität und die Lust am Experimentieren gehemmt werde (Burow 2014, 107). Das vorgegebene Abiturprogramm verstärke diese Situation nur noch: Schüler und Schülerinnen müssten sich mit den für sie uninteressanten Fächern auseinandersetzen und könnten sich in dieser Zeit nicht mit Bereichen auseinandersetzen, die viel eher ihren Neigungen, Begabungen und Interessen entsprächen (Burow 2014, 108).

Zusammenfassend sind Außensteuerung, Anpassung an vorgegebene Standards, Abwertung und Selektion, normierte Zeitangaben, Belehrungen, die Sortierung nach Altersklassen, Einzelarbeit und als Folge dieser Merkmale Bumout und Überlastung für Burow essentielle Inhalte der Pädagogik2.0 (Burow 2014, 112f.).

Was dem Leser bei Pädagogik 1.0 und 2.0 immer wieder auffallen muss, sind Burows Vergleiche. Diese zielen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft ab.

Pädagogik 1.0 beschreibt das Leben in einer Gesellschaft vor Beginn der Aufklärung und der industriellen Revolution (Burow 2014, 93), das von Freiheit, Selbstbestimmung und Natur geprägt ist.

Dies erinnert an die Lehre vom Oikos, dem ganzen Haus. Im Mittelalter gab es noch nicht die heute übliche Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. Beides fand direkt im und um das Haus der Bauern und Handwerker herum statt. Mit Wirtschaft im ursprünglichen Sinne ist also die Gesamtheit von Haus- und landwirtschaftlichen Arbeiten und die im Haus lebenden Familienmitgliedern gemeint (Brunner 1956, 37fif).

Als Paradebeispiel dieser Pädagogik lässt sich hier der Werdegang des bereits genannten André Sterns anführen: Im familiärem Umkreis erlernt er handwerkliche Fähigkeiten wie Fingerweben und Knüpftechniken. Dies geschieht sporadisch und zufällig.

Diese Sicht auf ein ursprüngliches und natürliches Lernen lässt sich ebenfalls bei der Autorengruppe Hans-Georg Herrlitz, Wulf Hopf und Hartmund Titze in der Beschreibung vormodemen Lernens wiederfinden. Wie Burow in seiner Pädagogik 1.0 beschreiben die drei Autoren das Lernen in vormodernen Gesellschaften als unmittelbare Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Dort lernen Kinder sporadisch, aber aus eigenem Antrieb in ihrem natürlichen Lebensumfeld praktische Herausforderungen zu überwinden. Lernen findet nicht in einem abgetrennten Raum, sondern im Elternhaus, bei Verwandten und Freunden statt (Herrlitz, Hans-Georg; Hopf, Wulf; Titze, Hartmut 1984, 56-72).

Nach Burow löst die Pädagogik 2.0 die Pädagogik 1.0 mit Eintreten der Industrialisierung ab. Sie selbst enthalte ebenfalls Merkmale dieser wirtschaftlichen Phase. Diese werden deutlich, wenn Burow von einer „industriellen Massenproduktion“ (Burow 2014, 93) schreibt, die auf der „Logik des Fabriksystems“ (Burow 2014, 93) beruht. Er zitiert an dieser Stelle die Ökonomin Shoshana Zuboff, nach der die Massenproduktion Grundlage aller Bereiche unseres Lebens geworden sei, inklusive unseres Bildungssystems (Burow 2014, 100).

3. Reckwitz' Kreativitätsdispositiv

Die zeitliche Einteilung von vorindustrieller Pädagogik 1.0 und der Pädagogik 2.0 ab der Industrialisierung bis zur aktuellen Zeit lässt sich bei Reckwitz in ähnlicher Form wiederfinden. Was die vorindustrielle Zeit angeht, die nach Burow durch Kreativität und eine natürliche Umgebung bestimmt ist, kann man bei Reckwitz keine eindeutig auf diese Phase bezogene Aussagen finden, jedoch verbindet auch er die Kreativität mit der natürlichen Anlage des Menschen und beschreibt sie als von Natur aus zu erstrebendes Ziel (Reckwitz 2013a, 23). Reckwitz gibt an, dass die Zeit vom 18. bis zum 20.Jahrhundert von einem „Muster einer routinisierten Arbeiter- und Angestelltentätigkeit, ihres standardisierten und versachlichten Umgangs mit Dingen und Menschen“ (Reckwitz 2013a, 23) geprägt war, in der Kreativität nur als Randerscheinung in Subkulturen ihren Ausdruck finden konnte. Es lässt sich also an dieser Stelle feststellen, dass mit der Industrialisierung - nach Burow, wie auch nach Reckwitz - erst einmal eine Phase folgte, in der das Leben und die Arbeit der allermeisten Menschen eher vom „bürgerlichen und nachbürgerlichen Establishment, [...] Moralität, Zweckrationalität und soziale[r] Kontrolle“ (Reckwitz2013b, 13) als von kreativer Selbstverwirklichung bestimmt war.

Womit sich die Beiden aber unterscheiden, ist, dass es nach Reckwitz in den 1970er und 80er Jahren zu einer „Umkehrung“ (Reckwitz 2013a, 24) der bisher nur in Subkulturen verbreiteten Kreativität kam.

Das Kreativitätsideal, die ästhetische Utopie der scheinbar hoffnungslos minoritären ästhetisch-künstlerischen Gegenbewegungen ist in die dominanten Sektoren der postmodernen Kultur, in ihre Arbeits-, Konsum- und Beziehungsformen eingesickert und dabei ganz offensichtlich nicht dasselbe geblieben. Was sich seit dem letzten Viertel des gerade vergangenen Jahrhunderts abspielt, ist tatsächlich die Ausbildung eines ebenso heterogenen wie wirkungsmächtigen Kreativitätsdispositivs. Dieses betrifft verschiedenste gesellschaftliche Sektoren und ihre Praktiken von der Erziehung bis zum Konsum, vom Sport bis zum Beruf und zur Sexualität. Sie alle werden Kreativitätsimperativen und -kriterien entsprechend umgeformt. (Reckwitz 2013a, 24, Kursivierung im Original.)

Reckwitz gibt an, dass die Kreativität seit dem Ende des 20.Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil unserer Lebens-und Arbeitsweisen geworden ist. Kreativität als Voraussetzung für ein erfolgreiches Arbeiten gelte seitdem nicht nur in der sogenannten Kreativindustrie, mit den Branchen Medien, Design, Softwareentwicklung und Tourismus, sondern auch in allen anderen Arbeitsbereichen (Reckwitz 2013a, 23). Zudem habe sich die „Anforderung“ (Reckwitz 2013a, 23) kreativ sein zu müssen, auch auf das Privatleben ausgebreitet (Reckwitz 2013a, 24). Reckwitz erklärt, dass die Menschen heutzutage nicht mehr nur sowieso nach Individualisierung streben, sondern die kreative Gestaltung gerade dieser Individualisierung im Mittelpunkt ihres Selbstfindungsprozesses stehe (Reckwitz 2013b, 12). Es gehe dabei um eine „quasikünstlerische, experimentelle Weiterentwicklung in allen seinen Facetten, in persönlichen Beziehungen, Freizeitformaten, Konsumstilen und körperlichen oder psychischen Selbsttechniken“ (Reckwitz 2013b, 12).

Es entstehe ein Kreativitätsdispositiv, das „eine Ästhetisierung forciert, die auf die Produktion und Rezeption von neuen ästhetischen Ereignissen ausgerichtet ist“ (Reckwitz 2013a, 26, Kursivierung im Original). Durch die kreative Tätigkeit erfahre der Mensch eine affektive Befriedigung und zugleich eine soziale Anerkennung durch seine Mitmenschen. Seit den 1990er Jahren lassen sich jedoch auch Probleme, die durch das Kreativitätsdispositiv entstanden sind, finden: Leistungszwang und Diskrepanzen zwischen kreativer Leistung und ihrem Erfolg.

Kreatives Handeln werde zur Anforderung, deren Nicht-Erfüllen zu einem sozialen Ausschluss führe. Infolge dessen entstünden Depressionen und psychische Krankheiten (Reckwitz 2013a, 29). Durch zu ein zu großes Maß an kreativen Tätigkeiten könne nicht jeder Einzelnen Aufmerksamkeit gegeben werden. Eine Folge daraus sei wieder das „allgegenwärtige Problem mangelnder sozialer Anerkennung für kreative Leistungen“ (Reckwitz 2013a, 30). Ebenfalls entstehe durch das Übermaß der kreativen Angeboten eine Reizüberflutung und damit einhergehend eine Überforderung der Rezipienten (Reckwitz 2013a, 30). Als ebenfalls ernstzunehmende Gefahr sieht Reckwitz das Vordringen der Ästhetisierung und der Kreativität in Bereiche, die ursprünglich durch rationale Prozesse geprägt waren. Diese Ausbreitung der Kreativität fördere eine Auslöschung oder eine Herabsetzung dieser Bereiche.

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Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Kreativität als anzustrebendes Ziel oder Gefahr? Ein Vergleich der Positionen des Pädagogen Burow und des Soziologen Reckwitz
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,0
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V375959
ISBN (eBook)
9783668523692
ISBN (Buch)
9783668523708
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Burow Reckwitz Kreativität
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Kreativität als anzustrebendes Ziel oder Gefahr? Ein Vergleich der Positionen des Pädagogen Burow und des Soziologen Reckwitz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/375959

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