Das Nebeneinanderleben von Christen und Juden in Mirjam Presslers "Golem, stiller Bruder"


Dossier / Travail, 2010

13 Pages, Note: 1,0


Extrait


INHALT
1.
EINLEITUNG
3
2.
DIE WURZELN DES CHRISTLICHEN ANTIJUDAISMUS
4
2.1 Antijudaismus im Mittelalter
4
2.2 Martin Luther und die Reformation
7
3.
HISTORISCHER RAHMEN: GESELLSCHAFTLICHE SITUATION
UM 1600
9
4.
FAZIT
11
5.
LITERATURVERZEICHNIS
13

1.
EINLEITUNG
,,,Mit falschen Anschuldigungen kennen wir Juden uns aus', sagte der Rabbi ruhig.
,Schon seit jeher werden falsche Beschuldigungen gegen uns vorgebracht. Und oft
genug bleibt es nicht bei Beschuldigungen. [...] Die Zeiten sind nicht gut für uns.'"
1
Diese Worte aus Golem, stiller Bruder von Mirjam Pressler beschreiben die Situation
der jüdischen Gemeinde in Prag um 1600. Sie könnten aber auch auf jede andere
beliebige jüdische Gemeinde im Mitteleuropa des Hochmittelalters oder der Frühen
Neuzeit referieren.
In dieser Arbeit möchten wir uns dem historischen Kontext des Romans widmen
und beschreiben, was es bedeutete, zu dieser Zeit als Jude in einer christlich geprägten
Umgebung zu leben. Wir werden die in Golem, stiller Bruder sehr anschaulich
dargestellte Instabilität des Nebeneinanderlebens von Christen und Juden
nachvollziehen und ihre Ursachen aufzeigen. Welche Motive stehen hinter dem
europäischen Judenhass? Und wie äußerte sich dieser im alltäglichen Leben von Juden
im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRRDN)? Ziel der vorliegenden
Arbeit ist es, Antworten auf diese Fragen zu geben. Hierzu werden wir folgendermaßen
vorgehen: Zunächst werden die Wurzeln des Antijudaismus dargestellt, mit einem
besonderen Augenmerk auf das Hoch- und Spätmittelalter (also vom 11. bis zum 15.
Jahrhundert) und die Frühe Neuzeit (ca. 1500-1800), da diese historischen Epochen eine
,,Blütezeit" des Antijudaismus darstellen. Dabei werden wir wichtige Entwicklungen
und Ereignisse aufzeigen, die als konstitutive Elemente und/oder Ausdruck des
Judenhasses anzusehen sind und beschreiben, aus welchem Ursprung und warum
verschiedenste Legenden entstanden, die Juden in Verruf bringen sollten. Ferner wird
auch die Darstellung der Reformation und ihres Protagonisten, Martin Luther, eine
wichtige Rolle spielen. Auch hier wird gezeigt, wie dieser historische Einschnitt den
bereits bestehenden Judenhass für seine Zwecke benutzt und ihn andererseits auch
tradiert.
In einem weiteren Teil werden wir dann konkreter auf die gesellschaftliche Situation
in Mitteleuropa um 1600 eingehen, also zur Zeit der Handlung von Golem, stiller
Bruder
: Welche Gesellschaftsform herrschte zu dieser Zeit und welche Auswirkungen
1
Pressler, Mirjam: Golem, stiller Bruder. Weinheim/Basel 2007, S. 89.

hatte dies für die jüdischen Gemeinden, ganz besonders für die in Prag? Im letzten Teil
sollen dann die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst werden.
2.
DIE WURZELN DES CHRISTLICHEN ANTIJUDAISMUS
2.1
Antijudaismus im Mittelalter
Auch wenn es hier primär um die Entwicklung des Judenhasses von ca. 1000 bis 1500
gehen soll, ist es doch unerlässlich, zunächst einen kurzen Rückgriff auf die Antike
vorzunehmen. Das Christentum, unter römischer Herrschaft und Gottkaisertum verfolgt,
konnte sich im vierten Jahrhundert n. Chr. schließlich gegenüber den polytheistischen
Vorstellungen der Antike in Europa etablieren. Die noch junge Religion sah sich
plötzlich in Konkurrenz zum weitaus traditionsreicheren Judentum. Der zentrale
Unterschied zwischen beiden Religionen lässt sich im Prinzip auf den Gegensatz
zwischen Synagoga (Altes Testament) und Ecclesia (Neues Testament) reduzieren, oder
mit anderen Worten: Die Juden glaub(t)en nicht an Jesus als Messias (und somit nicht
an das NT), wohingegen der Kern des christlichen Glaubens eben der im NT enthaltene
messianische Charakter Jesu ist.
2
Diese Tatsache wurde von vielen Christen als
Bedrohung ihres Glaubens erachtet. Andererseits konnte Augustinus im fünften
Jahrhundert n. Chr. aus dem Glauben der Juden an das AT eine ,,nützliche" Funktion für
die Christenheit ableiten: Ihm zufolge sei es nötig, Juden in der mehrheitlich
christlichen Gesellschaft zu dulden, da sie durch ihre Existenz Zeugnis ablegen sollten
für die Wahrheit des AT und die darin enthaltenen Prophezeiungen über Jesus Christus.
Dieses Dogma wird auch testimonium veritatis genannt, ,,Zeugenschaft für die
Wahrheit" also. Aus diesem Anspruch Augustinus` resultiert, dass Juden in der
christlichen Umgebung sicher sein sollten, solange sie ihre dem Christentum dienende
(!) Rolle ausübten.
3
Dass Juden nur geduldet wurden, solange man sie als nützlich erachtete, zeigt auch
ein weiterer Beschluss, der allerdings nicht kirchenrechtlich begründet ist, sondern aus
der weltlichen Kaiserherrschaft: Ab dem 12. Jahrhundert kam den Juden im HRRDN
per Gesetz die Rolle der servi camerae regis (,,königliche Kammerknechte") zu, was
bedeutete, dass der jüdischen Minderheit zumindest auf dem Papier ein gewisses Maß
an Schutz gewährt wurde, wenn sie im Gegenzug finanzielle Abgaben an den Herrscher
2
Abulafia, Anna Sapir: Christen und Juden im hohen Mittelalter. Christliche Judenbilder. In: Cluse, Christoph:
Europas Juden im Mittelalter. Trier 2004, S. 33-44, hier: S. 36.
3
Ebd., S. 33f.

entrichtete. Im Laufe des Mittelalters gingen die Judenregalien, also die Erlaubnis,
Steuern von Juden einzuziehen, vom Kaiser auf die Territorialherren über. Der Kaiser
festigte seine Macht, indem er durch die Vergabe der Judenregalien die
Territorialherren von sich abhängig machte: Die Juden waren somit nicht mehr als ein
Handelsobjekt.
4
Im Jahr 1096, zur Zeit des Ersten Kreuzzuges, kam es dann in Europa erstmals zu
antijüdischen Ausschreitungen im größeren Ausmaß.
5
Das durch fanatische religiöse
Predigten aufgestachelte Heer von Kreuzfahrern (i.d.R. Bauern, keine professionellen
Soldaten) machte sich an die Umsetzung der Aufforderung, die ,,Ungläubigen" zu
beseitigen ­ nicht, wie primär gefordert, in Jerusalem, sondern in der direkten
Umgebung. Der seit Bestehen des Christentums geläufige Vorwurf des Christusmordes
gegenüber den Juden sowie der unbedingte Wille, diese zum ,,wahren Glauben" zu
bekehren, können als zentrale Motive hinter diesen gewalttätigen Verfolgungen
angesehen werden. Im Zuge der Ausschreitungen kamen von ca. 20.000 im Reich
lebenden Juden zwischen 4.000 und 5.000 ums Leben ­ durch die Hand der Kreuzfahrer
oder durch Selbstmord, um Folterungen und der Zwangstaufe zu entgehen;
6
der vom
Kaiser rechtlich gewährte Schutz der Juden hatte sich somit als unzulänglich erwiesen.
Ein entscheidendes Ereignis im Hinblick auf den christlich motivierten
Antijudaismus fand im Jahr 1144 in England statt: Der Geistliche Thomas von
Monmouth elaborierte die erste bekannte antijüdische Ritualmordlegende: Der
christliche Junge William von Norwich sei von Juden getötet worden, die damit
angeblich das Leiden Jesu Christi verhöhnen wollten.
7
Weshalb sie von Monmouth
erdacht wurde, oder welche seine Quellen
8
waren, bleibt im Dunkeln. Ein möglicher
Erklärungsansatz wäre der Umstand, dass schon im Römischen Reich Gerüchte von
Ritualmorden in die Welt gesetzt wurden, um Anhänger anderer Religionen zu
diffamieren.
9
Das wichtigste Motiv Monmouths allerdings dürfte schlichtweg ein
genuin antijüdischer Hass gewesen sein, verbunden mit dem christlichen Bedürfnis nach
Märtyrern, das seit dem Ende der Verfolgung durch die Römer auf andere Weise gestillt
4
Benz, Wolfgang: Was ist Antisemitismus? München 2004, S. 79.
5
Die Verfolgung von Juden in Europa ist bereits seit dem vierten Jahrhundert n. Chr. belegt (Benz, 2004, S. 66),
ab dem Zeitpunkt also, als das Christentum sich zunehmend etablierte.
6
Hortzitz, Nicoline: Die Sprache der Judenfeindschaft in der frühen Neuzeit (1450­1700). Heidelberg 2005 , S.
82f.
7
Benz, 2004, S. 68.
8
Quelle ist hier nicht zu verstehen als Beleg, da die Ritualmordlegende erdacht war und nicht auf historischen
Tatsachen beruht. Gemeint ist hier, woher Monmouth die Idee für die Ritualmordlegende nahm.
9
Hortzitz, 2005, S. 41.
Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Das Nebeneinanderleben von Christen und Juden in Mirjam Presslers "Golem, stiller Bruder"
Université
University of Erfurt
Note
1,0
Auteur
Année
2010
Pages
13
N° de catalogue
V376335
ISBN (ebook)
9783668535169
ISBN (Livre)
9783668535176
Taille d'un fichier
764 KB
Langue
allemand
Mots clés
Roman, historischer Kontext, Golem, stiller Bruder, Juden, Holocaust, Christen, Literatur, Deutschland, Mirijam Presslers
Citation du texte
Marcus Patzer (Auteur), 2010, Das Nebeneinanderleben von Christen und Juden in Mirjam Presslers "Golem, stiller Bruder", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/376335

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