In diesem Essay werden die Themen des kulturellen Gedächtnisses, des Epochenschemas sowie der Dichtungs- und Autorkonzeption behandelt.
Von: Nadine Henke
Schreibaufgabe: Kulturelles Gedächtnis und Literaturgeschichte
In „Die kurze Geschichte der deutschen Literatur“ aus dem Jahre 2002 beschreibt Heinz Schlaffer polemisch, wie die Germanisten, also die Wissenschaftler, Literatur aufspüren und diese bearbeiten und kommentieren, obwohl es schließlich die Leser sind, die entscheiden, was für die Gesellschaft von Bedeutung ist und was somit schließlich in unser „kulturelles Gedächtnis“ eingeht. Dieses kulturelle Gedächtnis beschreibt Jan Assmann als die selektive Vergegenwärtigung von Historie, da nur für die Gegenwart relevante Ereignisse in dieses Gedächtnis eingehen. Dabei nennt er sechs Punkte, die dieses kulturelle Gedächtnis charakterisieren: Identitätsschreibung, Plastizität, Geformtheit, Organisiertheit, Verbindlichkeit und Reflexivität.
Einige dieser Merkmale lassen sich auch auf Schlaffers „Kurze Geschichte der deutschen Literatur“ beziehen, wie beispielsweise die Identitätsschreibung. Schlaffer benutzt in seinem Text die Germanisten als Feindbild und schafft somit eine Abgrenzung zu eben jenen.[1] Assmann nennt dies auch die Differenz von Kollektiven, da die Entscheidung von Inklusion und Exklusion die eigene Identität einer Gruppe stärkt und ihren Zusammenhalt im Angesicht des Feindes wachsen lässt. Dies lässt sich ebenso auf die Organisiertheit des kulturellen Gedächtnisses anwenden, da die Germanisten, die Schlaffer kritisiert, einer Institution angehören, die ihr spezialisiertes Wissen an die Laien, also die Leser, weitertragen. Diese institutionelle Absicherung von Erinnerungen stellt sicher, dass das Wissen organisiert an die nächsten Generationen weitergetragen wird und das kulturelle Gedächtnis somit bestehen bleibt. Auch die Beschreibung Schlaffers, der Wert vergangener Literatur entscheide sich in der Gegenwart, also in der Nachwelt, und nicht in der Mitwelt,[2] lässt Rückschlüsse auf das kulturelle Gedächtnis zu, da das charakteristische Merkmal dieser eben der Gegenwartsbezug und die Relevanz für die Gegenwart ist. Ebenso wie die Identitätsschreibung wird bei Schlaffer auch die Verbindlichkeit thematisiert, die die Werte des Kollektivs beinhaltet. Schlaffer möchte einen Kanon der Literatur, der große Verbindlichkeit für die Leser, aber auch für die Wissenschaftler hat. Trotz allem sagt er, dass dieser auch dem Prinzip der Plastizität unterworfen ist, da er sich stetig wandelt und damit auch wieder die weitere Literatur bestimmt, da sich diese eben an jenem zu der Zeit aktuellen Kanon orientiert.[3]
Schlaffers polemischen Beschreibungen kann in einigen Punkten durchaus zugestimmt werden, andere Aussagen jedoch fordern zum Widerspruch auf. Zum einen gehört Schlaffers Gruppe der Gebildeten, der Leser also,[4] der Vergangenheit an, da er hier das gebildete Bürgertum anspricht, welches heute in diesem Sinne nicht mehr existiert. Des Weiteren kann die Verbindlichkeit für die Wissenschaftler kein Optimum sein,[5] da Wissenschaft gerade dann erst an Glaubwürdigkeit gewinnt, wenn sie sich keinem Kollektiv zuschreibt, sondern universal arbeitet, ohne Präferenzen für eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Stil. Erst, wenn die Wissenschaft nicht nur Arbeit am bestehenden Kanon leistet, sondern sich ebenso mit Alternativen beschäftigt, kann sich der Kanon mit der Zeit weiterentwickeln, also plastisch sein, und den Ansprüchen der Gegenwart weiterhin gerecht werden. Somit ist Schlaffers Aufforderung nach Verbindlichkeit des Kanons für Wissenschaftler und Leser hinfällig. Auch Schlaffers Kritik an den Institutionen fordert zu Widerspruch auf, da diese für die Leser und auch für die Germanisten benötigt werden, um den Kanon der Literatur weiterhin organisiert an die nächsten Generationen weiter tragen zu können und somit das Merkmal der Organisiertheit des kulturellen Gedächtnisses weiterhin zu erfüllen.
Trotz allem kann Schlaffer zugestimmt werden, wenn er sagt, dass die Ausgrabungen der Germanisten lediglich Umbettungen sind, da die Interpretationen und Kommentare der Germanisten zu alten Handschriften schließlich doch wieder nur in Bibliotheken enden, ohne gelesen zu werden. Auch damit, dass der „Zusammenhang zwischen einer deutschen Literatur vom achten Jahrhundert bis zur Gegenwart“[6] bloß eine erfundene Tradition ist, hat Schlaffer recht, da in der Gegenwart nicht alles zum literarischen Gedächtnis gehört, was bis hier hin jemals geschrieben wurde, sondern eben nur solche Literatur, die für uns heute noch Relevanz besitzt.
Schließlich lässt sich zusammenfassen, dass Schlaffers Polemik in Bezug auf die Wissenschaftler sich vermutlich auch dadurch begründen lässt, dass das kulturelle Gedächtnis in Bezug auf die Wissenschaft eher schwach ist, da die Wissenschaft wie bereits genannt zwar plastisch ist, diese Plasitizität jedoch nicht nur eine Verbindlichkeit eingeschränkt werden kann. In einigen Punkten ist Schlaffer jedoch durchaus zuzustimmen, da die Arbeit der Wissenschaftler und der Institutionen oftmals nicht mit dem einhergeht, was die Leser tatsächlich lesen und was das kulturelle Gedächtnis später tatsächlich ausmachen wird. Hier bleibt allerdings die Frage, ob Schlaffer hier nicht seiner eigenen Argumentation verfällt, da er selbst noch zur Mitwelt gehört und die gegenwärtigen Zustände kritisiert, wobei es doch deutlich ist, dass die Wissenschaftler immer mehr Arbeit über den Kanon der Literatur hinausgehend betreiben, damit aus diesen Texten, Kommentaren und Editionen schließlich eben der neue Kanon heraus selektiert werden kann. Von daher ist es notwendig, dass sich die Arbeit der Wissenschaftler nicht komplett mit den Anforderungen der Leser deckt.
Schreibaufgabe: Das Epochenschema
Eine Gliederung der deutschen Literaturgeschichte in ein Schema aufeinander folgender Epochen kann nützlich, aber ebenso problematisch sein.
Hierfür muss allerdings zunächst einmal deutlich gemacht werden, als was Epochen zu verstehen sind. Epochen sind vom Menschen erschaffene Konstruktionen,[7] die relativ konstante Merkmale aufweisen und sich in diesen Merkmalen von den vorhergegangenen und den nachkommenden Epochen unterscheiden. Auch wenn eine Epoche zwar durch die gleichen Merkmale charakterisiert wird, darf aber nicht fälschlicherweise angenommen werden, dass sich die Literatur innerhalb einer Epoche immer stark ähnelt. Im Gegenteil sind auch die einzelnen Epochen trotz ihrer gleichen Merkmale immer noch sehr heterogen. Epochen basieren also auf Konventionen und sind den Ordnungskategorien mittlerer Reichweite zuzuordnen, da sie sich nicht auf die ganze Literaturgeschichte vom Anfang der Schrift bis in die Gegenwart beziehen[8], sondern lediglich auf die Literatur ab einem im Konsens festgesetzten Zeitpunkt.[9]
Die Vor- und Nachteile eines solchen Epochenschemas werden nun im Folgenden genauer erörtert.
Problematisch bei solch einer Einteilung ist zunächst einmal, dass es keine präzisen Daten für die Einteilung dieser Epochen gibt, da die Epochen meist recht fließend ineinander übergehen, sich teilweise überlagern und daher viele Texte nicht genau der einen oder der anderen Epoche zuzuordnen sind.[10] Hinzu kommt, dass die Begrifflichkeiten der Epochen aus verschiedenen Bereichen stammen wie etwa der Kunstgeschichte, der Religion, der Philosophie oder der Politik und diese Begriffe teils deskriptiven oder normativen Charakter besitzen und somit ein heterogenes Begriffsschema entsteht, welches ebenfalls keinen einheitlichen Gegenstandsbezug besitzt. Des Weiteren muss man sich bei solch einer Einteilung die Frage stellen, welcher geographische Raum maßgeblich ist, ob wir z.B. alle Länder und Regionen, in denen Deutsch gesprochen wird, in unser Schema mit einbeziehen. Im Barock beispielsweise entstand viel Literatur in Schlesien, welches heute nicht mehr zu Deutschland zählt. Auch hier sind die Grenzen also nicht klar definiert. Ebenso orientiert sich das uns heute geläufige Schema an der Produktion bzw. der Publikation von Literatur, nicht aber etwa an dem Zeitpunkt der Rezeption des Lesers.[11] Diese Zeiträume können teilweise weit auseinanderklaffen wenn man bedenkt, dass Goethe auch heutzutage noch gelesen wird, der Zeitpunkt der Publikation seiner Werke jedoch schon um die 200 Jahre zurückliegt. Überdies ist das Schema nicht einfach auf andere Künste übertragbar wie beispielsweise die Musik, ebenso aber auch nicht auf andere Nationen, da sich die Literaturgeschichte dort teilweise anders entwickelt hat als beispielsweise die Literatur in Deutschland.[12] Zuletzt ist noch zu nennen, dass der Begriff der Literaturgeschichte nicht etwa alles Geschriebene beinhaltet, sondern lediglich die deutsche Hochliteratur. Somit ist also die Unterhaltungs- oder auch Massenliteratur nicht in unserem geläufigen Epochenschema enthalten, da sich diese noch einmal anders entwickelt hat als eben die Hochliteratur.[13]
[...]
[1] Vgl. Schlaffer, Heinz: Die kurze Geschichte der deutschen Literatur. München 2002, S. 17f.
[2] Vgl. ebd., S. 153.
[3] Vgl. ebd., S. 155.
[4] Vgl. ebd., S. 17f.
[5] Vgl. ebd., S. 155.
[6] Ebd., S. 19.
[7] Rainer Rosenberg: Epochen. In: Helmut Brackert, Jörn Stückrath (Hgg.): Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek 1992, S. 271.
[8] Vgl. ebd., S. 272.
[9] Vgl. ebd., S. 269f.
[10] Vgl. ebd., S. 273.
[11] Vgl. ebd., S. 271.
[12] Vgl. ebd., S. 273.
[13] Vgl. ebd., S. 271f.
- Quote paper
- Nadine Henke (Author), 2014, Im Wandel der Literaturgeschichte. Das kulturelle Gedächtnis, das Epochenschema und die Dichtungs- und Autorkonzeption, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/377030
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