Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.1 Asylverfahren
2.2 Asyl in Deutschland
2.3 Die Duldung
2.4 Illegalität
2.5 Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen
3 Bildungsrecht für „Flüchtlinge“
3.1 Ressource Bildung
3.2 Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem
3.3 Zugang zu Schulbildung in Nordrhein-Westfalen
4 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Weltweit befinden sich 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Die Zahlen der Vertriebenen sind im Vergleich zum vorherigen Jahr um 5,8 Millionen Menschen gestiegen. 51 % der Flüchtlinge weltweit sind unter 18 Jahren, also sprechen wir hier von der Hälfte der Menschen, die 2015 aus ihrem Land vertrieben wurden (vgl. UNHCR 2015, S. 1). Die Bundesrepublik Deutschland betreffend ist besonders der Anteil neu zugezogener syrischer Kinder zwischen sechs und achtzehn Jahren, bedingt durch die anhaltende Kriegssituation, deutlich gestiegen. Und zwar von 1.402 im Jahr 2012 auf 12.723 im Jahr 2014, sowie auf 33.289 Kinder und Jugendliche im Jahr 2015 (vgl. Massumi/von Dewitz 2015, S. 6). Die aktuellen Flüchtlingszahlen weltweit und auch in Deutschland zeigen die Aktualität und die Relevanz des Themas. Es ist eine globale Herausforderung, aber auch auf Bundes- und Landesebene stehen Politik und Gesellschaft vor einer großen Herausforderung. Die weltweit zunehmenden Krisen und Konflikte weisen darauf hin, dass auch gegenwärtig mit weiteren Fluchtbewegungen zu rechnen ist. Bislang wurden Deutschland im Jahr 2016 insgesamt 302.209 Erstanträge gestellt. Überwiegend kommen die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak (vgl. BAMF). In Deutschland sind 22% derjenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, unter 18 Jahren und sind somit im schulpflichtigen Alter. Es ist von immenser Bedeutung, die zahlreichen Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive schnellstmöglich in Deutschland zu integrieren. Und zwar geschieht die Integration primär über Schule, Arbeit sowie Sprach- und Integrationsangebote. In Schule und Arbeit zeigen sich aber institutionelle Hürden, die eine Integration erschweren (vgl. Leithold/Oesingmann 2016, S. 29). Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Arbeit ein Blick auf diese Hürden und die damit einhergehende aktuelle Bildungssituation von neu zugewanderten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen geworfen. Speziell wird der Frage nachgegangen, wie aufenthaltsrechtliche Rahmenbedingungen die Bildungsmöglichkeiten beeinflussen. Insgesamt zeigt die unzureichende Forschungslage im Hinblick auf Bildungsverläufe von minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland, dass es bisher scheinbar an wissenschaftlichem Interesse fehlte, sich dieser speziellen Migrantengruppe gesondert zu widmen. Behrensen und Westphal (2009, S. 46) kommen zu dem Schluss, dass Befunde und Daten über die Bildungssituation sowie Bildungsverläufe bis zum Jahr 2009 fehlen. Auch aus einer aktuellen Expertise der Robert Bosch Stiftung geht hervor, dass allgemein die Flüchtlingsforschung in Deutschland als lückenhaft und wenig systematisch zu beschreiben ist. Da es an belastbaren, quantitativen Datenmaterialien fehlt, lassen sich lediglich Hinweise auf strukturelle Benachteiligungen erkennen, die sich negativ oder positiv auf die Lebenslage von geflüchteten Menschen auswirken. Aktuell liegen Ergebnisse aus der Zusammenarbeit des Netzwerkes „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule“ (Massumi 2015) vor, dessen Ziel es ist, die schulische Situation von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf die Frage zu beleuchten, inwieweit einerseits die Wissenschaft und andererseits eine Verzahnung von Politik und Praxis Unterstützung leisten können. Hinzu kommt eine Studie von Janina Söhn von 2011, die sich mit dem Rechtsstatus und den Bildungschancen auseinandersetzt, auf die im Folgenden auch Bezug genommen wird.
Inhaltlich werden vorab die relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt. Dazu wird kurz der Ablauf des Asylverfahrens erläutert und daran anschließend die Aufenthaltserlaubnis, die Duldung, sowie der illegale Aufenthalt in Deutschland abgrenzend voneinander dargestellt. Dies ist hinsichtlich der vorab skizzierten Fragestellung relevant, weil sich daraus sowohl verschiedene Möglichkeiten der Integration in das deutsche Schulsystem, als auch verschiedene spezifische Herausforderungen und Probleme für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen, ergeben. Es folgt anschließend ein kurzer Blick auf die aktuellen Flüchtlingszahlen im Land Nordrhein-Westfalen. Im Folgenden werden dann das Bildungsrecht in Bezug auf neu zugewanderte Kinder und Jugendliche dargestellt und in den Kontext verschiedener Aufenthaltstitel gestellt. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie sich das Aufenthaltsrecht auf den Zugang ins nordrheinwestfälische Schulsystem gestaltet.
2 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.1 Asylverfahren
Vorab bedarf es einer Differenzierung verschiedener Begriffe, die häufig synonym gebraucht werden, um mit der Einordnung in den rechtlichen Kontext beginnen zu können. "Asylsuchende Personen" haben noch keinen Asylantrag gestellt, während sich "Asylbewerber" im laufenden Asylverfahren befinden. Dahingehend sind Asylberechtigte im Sinne des Grundgesetztes schutzbedürftig und ihnen wurde eine Asylberechtigung bereits zugesprochen (vgl. Leithold/Oesingmann 2014, S. 29). Asylsuchende Personen müssen zunächst einen Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellen. In dieser Zeit erhalten asylsuchende eine Aufenthaltsgestattung (§55AsylVfG). Diese ist in der Regel mit einer Residenzpflicht versehen. Während die asylsuchenden Personen auf einen Termin zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) warten um das Asylbegehren ausführlich darzulegen, leben sie in zentralen Sammelunterkünften. Nachdem das Asylbegehren sowie die Papiere geprüft werden, folgt eine rechtskräftige Entscheidung, welche innerhalb von drei Monaten getroffen werden sollte (vgl. Schirilla 2015, S. 26ff.). In der Praxis wird diese Vorschrift aber häufig verletzt und die Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen wird dadurch zum Dauerzustand. Es kommt durchaus vor, dass die Unterbringung dort miserabel und teilweise sogar menschenunwürdig ist. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass es sich um provisorische Räumlichkeiten wie Garagen, Container oder auch Turnhallen handelt. Ein großes Problem, gerade in Hinblick auf Kinder und Jugendliche, ist die fehlende Zusammenführung von Familien. Hier erfahren Familien keinen Schutz nach Art. 6 GG, weil es in der praktischen Umsetzung nicht zwangsläufig zu einem gemeinsamen Wohnsitz für Eltern und deren minderjährigen Kindern kommt. Eine mögliche Begründung zur Umsetzung dieser Praxis liegt beispielsweise bei einer Ausreisepflicht eines Elternteils vor (Heinhold 2015, S. 140f.). Die Tatsachen, dass Asylbewerber einer Residenzpflicht unterliegen und die 3-Monats-Frist häufig überschritten wird, lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Handlungsfähigkeiten in diesem Zeitraum eingeschränkt sind. Über den weiteren Verlauf des Asylverfahrens entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
2.2 Asyl in Deutschland
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ und zwar nach Art 16a I GG. Auch wenn dieses Recht einige Einschränkungen beinhaltet, ist es ein subjektives Recht, welches auch einklagbar ist (vgl. Heinhold 2015, S. 194). Die Asylberechtigung nach (§ 2 AsylVfG) oder die Rechtsstellung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 3 I AsylVfG) münden zunächst in einer Aufenthaltserlaubnis, die auf drei Jahre befristet ist. Subsidiär Schutzberechtigten wird eine Aufenthaltserlaubnis, zunächst befristet auf ein Jahr, erteilt (vgl. ebd. S. 280). Eine Niederlassungserlaubnis wird nach drei Jahren erteilt, wenn durch erneute Prüfung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge keine Gründe für einen Widerruf vorliegen. Andernfalls kann die Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen werden, beispielweise wenn im Heimatland nicht mehr mit einer Verfolgung zu rechnen ist (vgl. Schirilla 2015, S. 26ff.).
Nach § 26 IV 4 AufenthG gilt eine Sonderregelung für Kinder, die bereits vor ihrem 18. Lebensjahr nach Deutschland eingereist sind (vgl. Heinhold 2015, S. 283f.). In §35 AufenthG ist unter anderem geregelt, dass den minderjährigen Kindern eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden muss, wenn ausreichende Deutschkenntnisse vorhanden sind und zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Schule besucht wird. Sowohl die Aufenthaltserlaubnis als auch die Niederlassungserlaubnis bedeutet für Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen, dass sie der Schulpflicht unterliegen. Diese Thematik wird im weiteren Verlauf noch näher beleuchtet. Nun folgt die Darstellung der „Duldung“, da diese Form des Aufenthalts von den oben erläuterten Aufenthaltstiteln abzugrenzen ist.
2.3 Die Duldung
In Deutschland lebten im Jahr 2014 circa 100.000 Menschen mit einer Duldung nach §60a Abs.2 AufenthG (vgl. Schirilla 2015, S. 36). Hierbei handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel sondern lediglich um ein Dokument über die befristete Aussetzung der Abschiebung (vgl. Heinhold 2015, S. 284). Denn es gibt verschiedene Gründe weshalb eine Abschiebung nicht zumutbar ist. Sei es auf Grund organisatorischer Begebenheiten, wie zum Beispiel fehlende Reisedokumente, als auch aus individuellen, gesundheitlichen Umständen (vgl. Heinhold 2015, S. 445). Diese ausländerrechtliche Verfahrensweise ist äußerst kritisch zu sehen und wird vor allem aus zwei Gründen von vielen Flüchtlingsgruppen und Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Und zwar kommt es in der Praxis häufig zu sogenannten "Kettenduldungen" aufgrund kurzer Verlängerungszeiträumen durch die zuständige Ausländerbehörde. Weiterhin ist die Perspektive, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, wenig realistisch. Hinzu kommt, dass geduldete Personen ebenfalls der Residenzpflicht unterliegen und in der ihnen zugeordneten Kommune/Kreis bleiben müssen. Mit einer Duldung ist ein Familiennachzug nicht gestattet und es können weitere Auflagen hinzukommen. Problematisch für die Integration der Geduldeten ist der beschränkte Arbeitsmarktzugang. Erst nach einer Sperre von drei Monaten folgt ein nachrangiger Zugang zum Arbeitsmarkt. Demnach wird die Stelle nur dann an den Bewerber oder die Bewerberin mit einer Duldung vergeben, wenn kein Einheimischer zur Verfügung steht (vgl. ebd. S. 418f.).
Von den oben erwähnten 100.000 Menschen leben in Deutschland die meisten länger als sechs Jahre mit einer Duldung (vgl. Schirilla 2015, S. 33ff.). Kinder und Jugendliche mit einer Duldung sind schulpflichtig und haben grundsätzlich das Recht ein Studium oder eine schulische Ausbildung zu absolvieren. Durch eine Gesetzesänderung ist es nun schon nach 15 Monaten, und nicht mehr wie zuvor nach vier Jahren Wartezeit, möglich, eine Ausbildungsförderung nach dem Bafög zu erhalten (vgl. Harbou 2015, S. 1f.). Der Unterschied zwischen einer Duldung und einer Aufenthaltserlaubnis liegt in der Qualität des Aufenthaltstitels begründet (vgl. Heinhold 2015, S. 418). Weiterhin ist auch ein illegaler Aufenthalt in Deutschland möglich. Dieser ist nochmals abgrenzend darzustellen.
2.4 Illegalität
Die illegale Migration umfasst Personen, die legal einreisen und nach Ablauf des Visums oder der Aufenthaltserlaubnis nicht wieder ausreisen und sich weiterhin illegal im Land befinden. Diese Personengruppe wird auch mit dem Begriff "Overstayer" beschrieben. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 129.995 Versuche der illegalen Einreise entdeckt (Bundesnachrichtendienst, 2016). Die Anzahl der "Papierlosen" ist aber schwer zu schätzen. Laut Schirilla (2015, S. 34) liegt aktuell die Anzahl bei 250.000-500.000. Ein Leben in der Illegalität, also ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel bedeutet ein Leben ohne Rechte. Diese Menschen leben aber zum Teil schon sehr lange in Deutschland, haben Kinder bekommen, die hier geboren wurden und sind in der Lage sich durch Netzwerke und Kontakte zu versorgen. Überwiegend arbeiten Illegale in privaten Haushalten, als Kinderbetreuerinnen, im Baugewerbe, in der Gastronomie und in der Prostitution (vgl. ebd.). Aufgrund der Angst vor Entdeckung werden schwerwiegende Erkrankungen, besondere Lebensbedingungen wie zum Beispiel eine Schwangerschaft und Notfälle zu einer besonders schwierigen Situation. Die ehrenamtliche medizinische Versorgung spielt dann eine wichtige Schutzfunktion. Ein weiterer Aspekt ist die Schutzlosigkeit durch fehlende einklagbare Rechte. So werden Arbeitsunfälle erst gar nicht gemeldet. Ein großes Problem ist außerdem, dass die betroffenen Kinder häufig keine öffentlichen Bildungseinrichtungen besuchen, da die Eltern Angst haben durch eine Aufdeckung des illegalen Aufenthalts in die Kriminalität zu gelangen (vgl.ebd.).
Im nächsten Kapitel soll speziell der Frage nachgegangen werden, wie viele Flüchtlinge aktuell im Land Nordrhein-Westfalen angekommen sind.
2.5 Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen
Die Quotenverteilung der Flüchtlinge auf die jeweiligen Länder erfolgt gemäß der Anwendung des sogenannten Königsteiner Schlüssels. Dieser setzt sich zu zwei Dritteln aus Steueraufkommen, sowie zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl zusammen. Demnach sind im Jahr 2015 in Nordrhein-Westfalen 66.758 Asylerstanträge gestellt worden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015, S. 13). Die Anzahl der neu zugewanderten Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland als auch speziell in Nordrhein-Westfalen sind wichtig zu erfassen um daraus ableitend Empfehlungen und Handlungsorientierungen für Schulen ableiten zu können. Jedoch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Anzahl der geflüchteten Kinder und Jugendlichen auch in Bezug zu der Gesamtschülerschaft gesetzt werden muss. Für Nordrhein-Westfalen bedeutet dies, dass der Anteil 2014 bei 1,11% lag und im Vergleich dazu im Jahr 2011 bei 0,38%. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Anzahl von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 6-18 Jahren mit einer Aufenthaltsdauer von unter einem Jahr zwar gestiegen ist, dennoch aber gemessen an der Gesamtzahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden 6-18 Jährigen gering ist (Massumi/von Dewitz 2015, S. 20).
In Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 6 Erstaufnahmeeinrichtungen, 35 zentrale Unterbringungseinrichtungen und 124 Notunterkünfte, die vom Land zur Verfügung gestellt werden (Landesregierung NRW). Die Unterbringung in Notunterkünften ist in Deutschland nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen abgestimmt. Die Entfaltungsmöglichkeiten sind durch die räumliche Enge eingeschränkt, denn es fehlen Räume und Freiflächen in denen sie sicher und pädagogisch betreut spielen und sich bewegen können (vgl. Markmann/Osburg 2016, S. 36f.). Ein aktuelles Bildungsangebot namens "Prompt! Deutsch lernen“ vom Zentrum für LehrerInnenbildung an der Universität zu Köln (Zfl) entwickelt, bietet durch angehende Lehrer und Lehrerinnen Deutschunterrichtet in der Kölner Notunterkunft Herkulesstraße (Massumi 2015, S. 7). In der vorliegenden Arbeit liegt jedoch der Fokus auf der schulischen Bildung, weshalb hier eine weitere Ausführung dieses Programms nicht erfolgt. Im folgenden Kapitel geht es um die schulischen Bildungsmöglichkeiten für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche.
3 Bildungsrecht für „Flüchtlinge“
3.1 Ressource Bildung
Ableitend aus der vielfach geforderten "Allgemeinbildung als Bildung für alle“ muss neben der Frage und Auseinandersetzung mit inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Spielräumen auch die Frage in den Blick genommen werden, wie organisatorische Realisierungsmöglichkeiten diesem Anspruch gerecht werden können. Forderungen der Bildungsreformbewegungen aus den 1960er und 19070er Jahren haben an Aktualität nicht verloren. Dazu gehört zum Beispiel der Abbau selektiver Faktoren, längere gemeinsame Bildungszeiten durch den Ausbau der Grundschulzeit, sowie die Herstellung von Chancengleichheit. Die Ausgangsbedingungen sollten für alle Kinder und Jugendliche gleich sein, nämlich unabhängig von schichtspezifischen und familiären Sozialisationsbedingungen (vgl. Klafki 1996, S. 55). Den Zusammenhang von mehr oder weniger begünstigten Startbedingungen beschreibt auch Bourdieu (2001) anhand des kulturellen Kapitals. Besonders für schutzbedürftige Menschen in unserer Gesellschaft, zu denen auch Kinderflüchtlinge gehören, bedeutet Bildung die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft. Denn die Vermittlung von Selbstbewusstsein und Selbstkompetenz befähigt die Kinder und Jugendlichen ihre Rechte auch wahrzunehmen (vgl. Fritzsche 2010, S. 163). Bildung wird laut Klafki (1996, S. 52) auch als Zusammenhang von drei Grundfähigkeiten gesehen: Als Fähigkeit zur Selbstbestimmung, als Mitbestimmungsfähigkeit und als Solidaritätsfähigkeit. Der letzte Aspekt mag auch eine Begründung dafür sein, weshalb der Einsatz insbesondere für diejenigen wichtig ist, die durch Unterprivilegierung, politische Einschränkungen oder gesellschaftliche Verhältnisse vom Selbst- und Mitbestimmungsrecht exkludiert sind (Klafki 1996, S. 52). Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen sind von solchen Dimensionen besonders betroffen.
[...]