Leseprobe
Die Orthodoxe Kirche verehrt die Heiligen als Sieger über die Sünde, als Leute, die Tugend durch frommes Leben erlangt haben. Diese Ehre wird ausgedrückt durch: die Bestimmung eines speziellen Erinnerungstags für sie, durch Aufbau von Kirchen, die ihnen gewidmet sind, durch Verehrung ihrer heiligen Reliquien und die Abbildung ihrer Gestalten auf den heiligen Ikonen, in den Lobpreisungen ihres Lebens und Tugend durch die Hymnographie und durch das Erbitten ihrer Fürsprache für uns. Die Heiligen werden anders verehrt als Gott. Sie sind sterbliche Menschen, die durch ihren Tod oder ihr Leben in Jesus Christus bekannt geworden sind[1].
Erste bekannte Zeugnisse von einem Kult für einen Heiligen finden sich seit der Mitte des 2 Jh. n.Ch. Nach dem Tod des 86-jährigen Bischofs von Smyrna, Polykarp (23.02.156), schrieben seine Mitbürger einen Brief an die Nachbargemeinde: „ Wir haben seine Gebeine gesammelt, die wertvoller als Gold und teurer als Edelsteine sind; sie haben wir an einem würdigen Platz niedergelegt, und dort werden wir uns mit Freude und Fröhlichkeit versammeln, wenn der Herr uns die Möglichkeit gibt, den Tag des Martyriums des Polykarp zu feiern als Erinnerung an jene, die für uns gekämpft haben, und als Vorbereitung derer, die kämpfen werden“.
Zu den Feiertagen, die einem Heiligen gewidmet werden, gehören folgende: Feiertage von Engeln, von Propheten, vom Heiligen Johannes dem Täufer, von Aposteln, von Märtyrern, u.a. Die ältesten Feiertage sind Aposteln und Märtyrern gewidmet, entstanden im Bezug auf die Verbreitung des Christentums durch die Apostel und zur Stärkung der Märtyrer in der Zeit der Verfolgung. Später wurde auch ein Kult für Büßer[2] entwickelt, – Asketen und Hierarchen –sowie für Engel und Propheten. Diese Feste hatten am Anfang nur lokalen Charakter, aber langsam wurden sie allgemein für die ganze Kirche.
Exkurs: Besonders interessant ist die Anordnung der Feiertage nach ihrer Wichtigkeit, oder Bedeutung: a/ Tag eines Heiligen fast so würdig gefeiert, wie die Feiertage gewidmet dem Herrn, oder der Mutter Gottes; b/ Feiertag eines Heiligen, an dem das Fasten nicht abgeschafft ist; c/Feiertag eines kleineren Heiligen, der Gottesdienst in Menäen[3] hat; d/ Erinnerungen an Heiligen, die keinen Gottesdienst in Menäen haben, sondern sind ihre Namen in dem Messezoslov erwähnt[4]. Die so vorgestellte Ordnung der Feste ist nach dem Lehrbuch „Liturgika“ vom Prof. Tschiflianov[5] und bestimmt den Platz vom Eliastag in der zweiten Gruppe. Das bestätigt auch der aktuelle Kalender der Heiligen Synode der Bulgarischen Orthodoxen Kirche, wo klar ist, dass Eliastag am Mittwoch ist, und trotzdem das Fasten nicht abgeschafft wird. Andererseits hat der Gottesdienst der Heiligen im Menäen alle Charakteristiken eines Gottesfestes und Mariafestes und so gehört das Fest zu der ersten Gruppe.
Bei diesem Widerspruch bleibt uns nichts anders übrig, als die Anordnung von Tschiflianov als subjektiv und nicht korrekt anzusehen. Das aber, was für uns feststeht, ist, dass von allen alttestamentlichen auserwählten Menschen und Engel das Gedenken von Prophet Elia am feierlichsten begangen wird.
Viel einfacher ist es mit der Stellung des Propheten Jona im Gottesdienst. Nach der Orthodoxen Tradition sind die Persönlichkeiten der Propheten-Schriftsteller ohne Ausnahme als Heilige anerkannt, und für jeden ist auch ein Datum zur Erwähnung bestimmt – für den Propheten Jona ist das der 22. September. Im Kontext des oben Genannten gehört der Prophet Jona zu den „kleinen“ Heiligen, deren Namen nur in Messezoslov erwähnt sind – Gruppe 4. Warum aber dennoch die Gestalt des Jona für den Gottesdienst so interessant ist, wird später begründet werden.
Die Basis für die christliche Hymnographie bildet das poetische und lehrmäßige Material, das aus der Bibel entlehnt ist - Psalmen, biblische Lieder, prophetische Worte, Texte mit messianischer Bedeutung. Die christliche Kirche erwächst in der jüdischen Umwelt – etwas, was großen Einfluss auf ihrer frühe Entwicklung und ihr Leben hatte. Die Verbindung mit dem Tempel und der Synagoge war sehr stark, und auch nach dem formalen Bruch damit existierte diese Beziehung noch weiter. Der ganze christliche Gottesdienst ist von Kultüberlieferungen des Alten Testaments durchdrungen. Biblische Lieder und einige Verse der Psalmen, alttestamentliche prophetische Worte und Bilder begegnen wieder in den liturgischen Büchern der christlichen Gemeinschaft. In allen Formen der Hymnographie trifft man Reflexionen von Ereignissen und Figuren aus dem Alten Testament. Sogar die Liturgie (der Gottesdienst mit Eucharistie), die stark neutestamentlich orientiert und überdeckt ist, besteht im Wesentlichen aus vom Alten Testament inspirierten Gebeten. Es handelt sich auch hier um liturgische und hymnographische Formeln, die von der gottesdienstlichen Praxis der Juden und von älteren Werken der jüdischen Dichtung übernommen worden sind. Das betrifft nicht nur die Psalmen Davids, die in allen Zeiten große Verwendung fanden (vgl. Sir 47,10-12), sondern auch einige kurze Formeln der synagogalen liturgischen Praxis: "Amen", "Hallelujah", "Hosanna". So entstanden gemeinsam mit jüdischen auch christliche Gebetsformeln, die später Teil der großen Kirchenhymnen wurden – z. B. "Herr, erbarme dich“. Es kam zu dem Punkt, dass liturgisch adaptierte Bibelverse aus ihrem biblischen Kontext herausgerissen werden und auf diese Weise neue Lieder speziell für die Gottesdienste an Herrenfesten oder Tagen der Heiligen entstanden.
Es ist drauf hinzuweisen, dass die Beziehung zwischen der liturgischen und biblischen Poesie in zweierlei Hinsicht betrachtet werden kann: auf der einen Seite Verbindungen durch zitierte biblische Verse, Psalmen und Lieder in liturgischem Gebrauch, sowie auf der anderen Seite als literarisches und historisches Material, das poetische Ausgestaltung erfahren hat und bei der Bildung neuer hymnologischer Kompositionen verwendet wurde. In dieser Hinsicht von großem Interesse sind die Kanons, die eine hervorragende Darstellung dieser doppelten Abhängigkeit zeigen – aufgebaut auf der Grundlage eines biblischen Liedes (wörtliche Zitate der Poesie oder größerer Texteinheiten) und zugefügt zu Hyrmoi (Irmi) und Troparien, die eine eigenartige Interpretation des biblischen Materials anbieten. So entsteht in der klassischen Periode der byzantinischen Hymnographie (VII – IX Jh.) die neue Einheit: Kanon, die besonders interessant für diese Untersuchung ist.
Der Kanon (gr. κανών) ist die umfassendste, komplexeste und vollständigste polystrophische hymnographische Form in der byzantinischen und slawischen Hymnographie - Ergebnis einer komplexen historischen Entwicklung. Seine Ausbildung als poetische Liedform ist in der biblischen Poesie verwurzelt, vor allem im allgemeinen liturgischen Gebrauch der zwölf biblischen Lieder (ωδαι – Oden des Kanons). Neun von ihnen wurden zur Grundlage, auf der der Kanon sich durch Abstraktion und Universalisierung der dominanten Motive in ihnen entwickelt hat.
Exkurs: Oden, Kanon, Hirmos und Troparion
Moses Lied (Exodus 15:1-19) - die Herrlichkeit Gottes Allmacht, manifestiert in Überquerung des Roten Meeres von den Juden und ihre Befreiung von Verfolgern;
Moses Lied ( Deut. 32:1-44) – Todeslied Moses, das die Strafe Gottes über die Juden für ihre Undankbarkeit voraussagt ;
Das Lied der Prophetin Anna (1 Sam. 2:1-10.) - Hymne der Freude und Dankbarkeit dem Gott gegenüber, für das lang ersehnte Geburt des Sohnes Samuel;
Das Lied des Propheten Habakuk (Hab. 3:1-19) - sagt die Menschwerdung Gottes als Erlöser seines Volkes voraus;
Das Lied des Propheten Jesaja (Jesaja 26:9-20) - sagt die Auferstehung als eine Heilung der Lebenden und der Toten voraus;
Das Lied des Propheten Jonah (Jonah 2:3-10) - präsentiert sein Gebet für die Erlösung aus dem Bauch des Seeungeheuer;
Das Lied der drei jungen Männer im Feuerofen (Dan. 3:26-56) die, geworfen in der Hitze des Feuers, weiter beten. Im zweiten Teil des Liedes (Dan. 3:47-90) - sie fordern alle auf, die Allmacht Gottes zu verherrlichen;
Das Lied Verherrlichung der Jungfrau Maria, Mutter Gottes (Lukas 1,46-55)und Segenslied des Propheten Sacharja (Lukas 1:68-79), das Gott wegen seiner Güte verherrlicht.
Die Lieder sind chronologisch geordnet. Eine Ausnahme macht das Lied von Habakuk, das wegen dem traurigen Inhalt vor Jona gestellt ist.
Der Kanon erhält seine endgültige Form in VIII-IX Jh. Dieses Genre der Hymnographie gefiel den byzantinischen Schriftstellern und fand schnell Anhänger unter ihnen. Die Struktur des Kanons in der späteren Entwicklung des Genres unterliegt dem Gesetz der Symmetrie - in den meisten Fällen haben alle Lieder (Oden) die gleiche Anzahl an Troparien, doch es gibt Ausnahmen. Das melodische Modell der Troparien eines Liedes wird durch das erste Troparion bestimmt, der Hirmos heißt. Der Kanon hat mehrere und verschiedene Formen erlebt. Der vollständige Kanon enthält die neun Lieder und läuft das ganze Jahr über; in der Fastenzeit ist er Pflicht. So entstehen gekürzte Kanones, die nach der Zahl der Lieder (Oden) genant wurden – Triodion, Tetraodion usw., die vorwiegend für die Alltage bestimmt waren. Das Streben des Autors besteht darin, das Thema des Liedes (Ode) zu entfalten, nicht nur im ersten Troparion (Hirmos), sondern in allen Troparien.
Das Entstehen und die Entwicklung des Kanons ist natürlich mit dem Kirchenleben in den Klostern verbunden; deswegen ist auch zu erwarten, dass die Kloster im Osten Zentren dafür waren – das Kloster des Heiligen Savva in Jerusalem, der Heiligen Ekaterina“ auf dem Sinai, das Kloster Studites bei Konstantinopel.
Wenn man über den Kanon spricht, muss man auch die Hirmoi und Troparien erwähnen.
Hirmos ist das erste Troparion jedes Liedes des Kanons. Sein Inhalt ist direkt mit dem Lied verbunden – er interpretiert eine Gestalt oder ein Ereignis und enthält eine kurze Exegese des Liedes. Später waren die Hirmoi so bekannt geworden, dass es nicht mehr notwendig war, den ganzen Text zu schreiben (es genügten die ersten Wörter, und man wusste schon, um welchen Hirmos es geht). Die Hirmoi wurden in der Reihenfolge der acht Töne in einem Buch gesammelt (Hirmologion).
Das Troparion (τροπάριον) ist aus einer Strophe gebaut und folgt nach jedem Vers des Liedes (Ode). Die melodische Form des Troparions ist vom Hirmos abhängig. Die Jona und Sacharja gibt es 13 Versen, d.h 13 Troparien. Diese ungerade Zahl ist aber unbequem für das antiphonische Singen. Zusammen mit dem Hirmos sind es dann 14, aber diese Zahl ist nicht konstant. Im Alltag, wenn der Gottesdienst kürzer sein soll, sind es vier bis sechs Troparien.
Wo und wie kommen die Gestalten der beiden alttestamentlichen Propheten Elija und Jona im Gottesdienst vor?
Die Gestalt des alttestamentlichen Propheten kennen wir aus der Heiligen Schrift und aus der Überlieferung. Der biblische Zyklus von Erzählungen über Elia im 1. und 2. Königebuch berichtet von einem israelitischen Propheten, dessen Dienst während des 8. Jahrhunderts geschah. Die fünf beschriebenen Episoden von seinem Leben beschäftigen sich mit dem Kampf zwischen der Anbetung von Jahwe und Baal, dem offiziellen Gott von Tyros, der in Israel durch die Königin Isebel eingeführt worden war. Die sechste Episode betrifft die wunderbare Himmelfahrt Elijas mit dem feurigen Wagen.
Die Persönlichkeit des Propheten und sein Dienst stellen ein interessantes Moment in der alttestamentlichen Prophetie dar, einen eigenartigen Übergang zwischen den früheren Propheten (Kultpropheten) und den späteren Propheten (Schriftsteller). Sein Benehmen erinnert an Samuel, den Mann der geistlich unerschütterlichen Tat, und seine Worte an Amos mit seinem unermüdlichen Aufruf zum Bewahren des Gesetzes (der Tora).
Die Autorität Elijas ist unbestritten. Seine Zeitgenossen nennen ihn „Mann Gottes“ (1 Könige 17:18), weil er des Herren Wort in eigenem Munde hat (Vers 24), knien vor ihm (1 Könige 18,7; 2 Könige 1,13) und glauben, dass er vom Geist des Herren erfüllt ist (1 Könige 18,12). Besonders interessant sind auch andere biblische Zeugnisse aus der deuterokanonischen (apokryphen) Literatur. Der weise Sirach schreibt in seinem „Preis der Väter“: Und der Prophet Elia brach hervor wie ein Fe ue r, und sein Wort brannte wie eine Fackel; er brachte eine Hungersnot über sie und verrringerte ihre Anzahl durch seinen Eifer. Denn durch das Wort des Herrn schlo ß er den Himmel zu; dreimal brachte er Fe ue r herab. Wie herrlich bist du gewesen, Eli j a, mit deinen Wunderzeichen! Wer kann sich rühmen, dir gleich zu sein? Durch das Wort des Höchsten hast du einen Toten auferweckt und aus dem Totenreich zurückgebracht. Du hast Könige und Hochangesehene von ihrem Lager gestürzt und umgebracht. Du hast auf dem Sinai die künftige Strafe gehört und auf dem Horeb die Gerichtsurteile. Du hast Könige, die die Strafe vollziehen sollten, gesalbt und Propheten als Nachfolger. Du bist hinweggenommen worden in einem Wetter auf einem Wagen mit feurigen Rossen. Du bist bestimmt worden, zur gegebenen Zeit die Strafe zu vollziehen, den Zorn zu stillen, ehe der Grimm kommt, das Herz der Väter den Kindern wieder zuzuwenden und die Stämme Jakobs wieder aufzurichten.
Wohl denen, die dich gesehen haben und in Liebe zu dir entschlafen sind! 12 Da werden auch wir das rechte Leben haben. (Sir 48:1-11)
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[1] Чифлиянов, Благой. Литургика. С., 1997, с.110. (Tschiflianov, Bl. Liturgika. Sofia, 1997, S. 110)
[2] Büßer – die ohne ihre Blut zu vergießen, wegen ihren Glauben erleiden haben.
[3] Menäen – ein Gottesdienstbuch der Orthodoxen Kirche, in dem die Texte in Kalenderordnung gemäß dem Kirchenkalender gegeben sind. Geschichtlich wurden 12 Bände entstanden, für jeden Monat eins. Diese Menäen erhalten diejenige Texte, die beim Morgen- und Abendgottesdienst benutzt werden. Das sind Gottesdienste für Heiligen oder Ereignisse vom Leben der Kirche. Sieh: Старобългарска литература. Енциклопедичен речник. Съставител Донка Петканова, С.,1992, с.270-271.
[4] Messezoslov – Repertoire der Kirchenfeste in Kalenderordnung. Der Begriff ist gleich dem griechischen Mänologion, oder Synaxar. Seit 7 Jh. wird der Messezoslov vorwiegend als Kalendernachschlagwerk zu den Gottesdienstbüchern.
[5] Чифлиянов. Цит. съч. с. 111.