Die Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Aufnahme eines Asylrechts ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland


Seminararbeit, 1996

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0. Einleitung

1. Die Konstituierung und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates

2. Die vorhandenen Gesetzesmaterialien zum Asylrecht
a) Die Länderverfassungen
b) Der Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents
c) Der Entwurf der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen sowie die modifizierte
verabschiedete Fassung
d) Das Deutsche Auslieferungsgesetz von 1929

3. Die Diskussionen um das Asylrecht im Parlamentarischen Rat
a) Die Asylrechtsformulierung aus dem Grundrechtskatalog Bergsträsser
b) Der Entwurf des Redaktionskomitees des Ausschusses für Grundsatzfragen
c) Die letztendlich verabschiedete Fassung: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“
d) Die Einschränkungsversuche, die Asylgewährung von der politischen Gesinnung des
Flüchtlings abhängig machen wollen
e) Die Versuche, ein Asylrecht nur für Deutsche zu normieren
f) Der Versuch, ein Recht auf Arbeit für Asylberechtigte verfassungsmässig zu verankern

4. Die Verabschiedung der Grundgesetzvorlage des Parlamentarischen Rates

Literaturliste

0. Einleitung

Thema der vorliegenden Hausarbeit ist das Asylrecht des Grundgesetzes. Ursula Münch beschreibt das Asylrecht allgemein treffend mit folgenden Worten: „Obwohl das Asylrecht selbst noch kein anerkanntes Menschenrecht darstellt, ist es für die Idee menschlicher Grundrechte doch von größter Bedeutung, da es in vielen Fällen die Inanspruchnahme von Menschenrechten erst möglich macht.“[1] Die Bundesrepublik nahm mit dem Schritt, mit den schlichten Worten „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“[2] das Asylrecht in den Grundrechtskatalog aufzunehmen, eine Vorreiterrolle in der internationalen Asylrechtsentwicklung ein[3], und trat damit „in eine große humanitäre Tradition“[4]. Erstmalig im internationalen Vergleich wurde hier ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Asylgewährung, und zwar als Recht des einzelnen Flüchtlings gegenüber dem Staat, auf Verfassungsebene festgeschrieben. Und dies obwohl die beiden historischen Vorläufer des Grundgesetzes, die Reichsverfassung von 1871 und die Weimarer Verfassung, gar keine Asylrechtsbestimmungen enthielten (die 1871er Verfassung bekanntlich nicht einmal einen Grundrechtskatalog ).

Wie kam es zu diesem zunächst vielleicht verwunderlich erscheinendem Umstand ? Welche Überlegungen und Intentionen waren für diesen das bundesdeutsche Asylrecht begründenden Satz maßgeblich, welche Konsequenzen zieht er nach sich, durch welche politischen Kräfte wurde er durchgesetzt ? Diese Fragen sollen Leitfaden für die folgende Arbeit sein - sie führen unweigerlich zur Genese des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG. Sie erhalten zudem ein besonderes Gewicht im Hinblick auf die Verfassungswirklichkeit, d.h. die Umsetzung der Grundrechtsnorm durch Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht, sowie in besonderem Maße vor der verfassungsändernden Asylrechtsdeform von 1993. Um sie zu beantworten, soll die Schaffung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 unter folgenden Fragestellungen bearbeitet werden:

1. Wer schuf das Grundrecht auf Asyl - wie konstituierte sich der Parlamentarische Rat ?
2. Welche Rechtsquellen lagen den Abgeordneten bzgl. eines Asylrechts vor ? Gab es trotz fehlender historischer Tradition Urkunden, an welchen sich orientiert wurde, und wenn ja, wie sind diese zu bewerten ? (Die Kenntnis historischer Traditionen bzw. Traditionsbrüche erhellt die wirkliche Bedeutung der Formulierung.)
3. Welche Vorschläge zur Asylrechtsnormierung wurden alternativ zu der endgültigen Fassung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 gemacht, welche Zielsetzung hatten sie, und wie wurden sie begründet ? Mit welchen Argumenten behauptete sich der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ ? (Unter dieser Fragestellung sollen die Diskussionen im Parlamentarischen Rat analysiert werden.)
4. Wurde der Asylparagraph einstimmig ins GG aufgenommen, und hatte die Parteizugehörigkeit der Abgeordneten Auswirkungen auf ihr Abstimmungsverhalten ? Wie wurde der Entwurf des Parlamentarischen Rates ratifiziert ?

Auf eine umfassende Definition des Asylrechts durch Art.16 Abs.2 Satz 2 GG soll deshalb an dieser Stelle verzichtet werden - vielmehr soll das Wesen dieser verfassungsrechtlichen Bestimmung durch die Beantwortung der Fragen geklärt werden. Dazu sollen hauptsächlich die Materialien zur Entstehungsgeschichte, die Hans Kreuzberg und Volker Wahrendorf unter dem Titel „Grundrecht auf Asyl“ zusammengestellt haben, einer kritischen Analyse unterzogen werden[5] - hier sind die wesentlichen Gesetzestexte und Protokolle des Parlamentarischen Rates bzgl. Art. 16 Abs.2 Satz 2 relativ vollständig zusammengefaßt[6]. Dennoch bleiben für den interessierten Laien zahlreiche Fragen offen, sowie werden Unklarheiten und Kontroversen bei den Abgeordneten und in der Literatur offenbar - diese sollen erläutert und geklärt, zu ihnen soll Stellung bezogen werden. Hierbei soll der Blick nur auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 focussiert werden; die Ausführungen, die sich auf Abs.1 desselben Artikels[7] sowie Satz 1 desselben Absatzes[8] beziehen (und welche ebenfalls in der erwähnten Materialsammlung publiziert wurden) sollen außen vor gelassen werden. Weiterhin (soweit möglich) unbeachtet belassen werden sollen die Diskussionen, welche sich mit der Zonenaufteilung Deutschlands beschäftigen - diese ergeben sich zwangsläufig aus dem historischen Kontext der Beratungen zum Grundgesetz, sind jedoch aus heutiger Sichtweise für das bundesdeutsche Asylrecht nicht mehr relevant.

1. Die Konstituierung und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates

Am 1. Juli 1948 wurden die Ministerpräsidenten der Westzonen durch die Frankfurter Dokumente von den Militärgouverneuren der westlichen alliierten Besatzungsmächte ermächtigt, bis spätestens zum 1.9. 1948 eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Diese sollte unter den Rahmenbedingungen, die von den Alliierten vorgegeben wurden, eine Verfassung für den neu zu gründenden westdeutschen Staat erarbeiten. Durch die Länderparlamente wurden 65 Abgeordnete für den „Parlamentarischen Rat“ gewählt (je 750000 Einwohner einer), zuzüglich fünf Abgeordneter aus Westberlin mit lediglich beratender Stimme. Das ergab bei dem ersten Zusammentritt am 1.9. 1948 folgendes politische Kräfteverhältnis: CDU/CSU 27 Abgeordnete (+1 für Berlin), SPD 27 (+3), FDP 5 (+1), DP 2, Zentrum 2, KPD 2. Zum Präsidenten wurde Konrad Adenauer (CDU) gewählt und zum Vorsitzenden des Hauptausschusses Carlo Schmid (SPD)[9]. Im Hauptausschuß wurde gemeinsam beraten, während zur Ausarbeitung von Entwürfen Fachausschüsse eingesetzt wurden. Die Bearbeitung der Grundrechte war Aufgabe des Ausschusses für Grundsatzfragen.
Ein zu schaffendes Asylrecht wurde erstmalig in dessen 3. Sitzung am 21.9. 1948 erwähnt. Hier wurden die Diskussionen über die ins Grundgesetz aufzunehmenden Grundrechte mit einem historischen Überblick und einer staatsrechtlichen Betrachtung eröffnet, sowie die Erarbeitung der ersten Diskussionsentwürfe an ein Redaktionskomitee (bestehend aus drei Abgeordneten) überwiesen[10]. Von weiteren Ausführungen zur Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates soll, soweit möglich, abgesehen werden, da diese keine Relevanz für die inhaltliche Ausgestaltung und Diskussion des Asylrechts besitzen - zahlreiche Aspekte wurden in verschiedenen Ausschüssen wiederholt erörtert, so das sich im folgenden auf das inhaltlich wesentliche konzentriert werden soll.

2. Die vorhandenen Gesetzesmaterialien zum Asylrecht

Auch wenn es im deutschen Verfassungswesen keine Tradition bzgl. eines wirklichen Asylrechts gab, so lag doch ein (wenn auch geringer) Fundus vor, an welchem sich die Arbeit des Parlamentarischen Rates orientieren konnte. Er setzte sich aus folgendem Material zusammen:

a) Der Auslieferungs- und Ausweisungsschutz in den bereits verabschiedeten Länderverfassungen von Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland[11],
b) Der Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents (HCHE), der ebenfalls einen Auslieferungsschutz vorsah,
c) Der Entwurf der Menschenrechtserklärung (MRE) der Vereinten Nationen, sowie später die während der Arbeit des Parlamentarischen Rates verabschiedete Fassung,
d) § 3 des Deutschen Auslieferungsgesetzes (DAG) von 1929 (zumindest den juristisch vorgebildeten Mitgliedern des Parlamentarischen Rates waren Wortlaut und Interpretation geläufig[12]).

Diese Vorlagen sollen nun auf ihren tatsächlichen Rechtsgehalt im Vergleich zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 hin untersucht werden.

a) Die Länderverfassungen
In den o.g. Bundesländern waren zum Zeitpunkt der Arbeit des Parlamentarischen Rates bereits Verfassungen in Kraft, welche für ein zu schaffendes Asylrecht als Vorbild hätten dienen können. Die Verfassungen von Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz enthielten nahezu gleichlautende Bestimmungen nach folgendem Muster:
„Ausländer, die unter Nichtbeachtung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Bayern geflüchtet sind, dürfen nicht ausgeliefert und ausgewiesen werden.“[13]

Die Bayerische Verfassung sei hier genannt, die Hessische und Rheinland-Pfälzische haben bei geringfügig verändertem Wortlaut einen identischen Sinngehalt.

Die Saarländische Verfassung setzte fest:

„Asylrecht genießt, wer unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte verfolgt wird und in das Saarland geflohen ist. Das Nähere regelt das Gesetz.“[14]

Die erste Einschränkung des Rechts auf Schutz vor Verfolgung ist in allen vier Verfassungen identisch: Schutz genießt nur derjenige, der unter Verletzung der festgelegten Grundrechte verfolgt wird. Der geschützte Rechtsbereich ist also ein wesentlich anderer, als der des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG: Es ist nicht maßgeblich, daß der Verfolgte aus politischer Motivation heraus in seinem Heimatland verfolgt wird, sondern daß bei dieser Verfolgung Grundrechte mißachtet werden. Dieses kann jedoch durchaus bei einer strafrechtlichen Verfolgung ohne politische Hintergründe geschehen: Der Schutzsuchende genießt dennoch nach den Länderverfassungen Auslieferungsschutz (nicht jedoch nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, durch den nur der politisch Verfolgte geschützt wird, bei dem es aber keine Rolle spielt, ob Grundrechte bei der politischen Verfolgung verletzt werden)[15].

Der zweite wesentliche Unterschied zur Formulierung „Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht“ liegt in einer zweiten Einschränkung: Diejenigen werden geschützt, die nach Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz oder ins Saarland geflohen sind, d.h. nur diejenigen, die bereits die Landesgrenzen überschritten haben und sich im Geltungsbereich der Verfassungen aufhalten. Von daher sind sämtliche erwähnten Gesetze nur als Auslieferungsschutz, nicht jedoch als Asylrecht im Sinne des Grundgesetzes zu bezeichnen. Der Geltungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geht als einzige Verfassungsnorm über das Staatsgebiet der Bundesrepublik hinaus, und bezieht jedes andere Land, sozusagen die ganze Erde mit ein. Jeder politisch Verfolgte, egal wo er sich momentan aufhält, genießt ein einklagbares Recht auf Asyl im Gebiet der Bundesrepublik, d.h. er darf, sobald er ein Asylgesuch an der Grenze oder in einer diplomatischen Vertretung artikuliert, nicht abgewiesen werden, sondern hat ein Recht auf Einreise und Prüfung seines individuellen Falles. Die Auslieferungsverbote der Länderverfassungen beinhalten eben dieses Einreiserecht nicht, sie können als Recht erst bei erfolgter Einreise wahrgenommen werden, während diese jedoch vorher verweigert werden kann[16]. Auf den Unterschied zwischen Asylrecht und Auslieferungsverbot wird noch genauer einzugehen sein, wenn die Diskussionen um Einschränkungsversuche des Asylrechts im Parlamentarischen Rat genauer beleuchtet werden. Es muß jedoch schon hier nochmals betont werden, daß es sich bei den genannten Bestimmungen aus den Länderverfassungen nicht um Asylrechtskodifizierungen im Sinne des Grundgesetzes handelt, auch wenn in der Saarländischen Verfassung der Terminus „Asylrecht“ explizit genannt wird.

Die Saarländische Verfassung enthält zudem eine dritte Einschränkung, die den anderen dreien fehlt: „Das Nähere regelt das Gesetz“. Diese Formulierung gibt dem saarländischen Länderparlament die Möglichkeit, ohne Änderung der Landesverfassung die Verfassungsnorm zu modifizieren und bei Bedarf auszuhöhlen.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Verfassungstext des Saarlandes und den anderen genannten besteht darin, daß in Bayern/Hessen/Rheinland-Pfalz nur „Ausländer“ bzw. „Fremde“ Schutz vor Ausweisung genießen, während im Saarland auf eine nähere Eingrenzung bzgl. der Nationalität der zu schützenden Personen verzichtet wurde. Hier deutet sich ein Problem an, auf welches ebenfalls noch im Rahmen der Analyse der Einschränkungsversuche des Asylrechts (während der Diskussionen im Parlamentarischen Rat) einzugehen sein wird: Die Frage nach einem Auslieferungsschutz bzw. einem Asylrecht für Deutsche aus der Ostzone.

b) Der Entwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents (HCHE)
Im Vorfeld der verfassunggebenden Versammlung des Parlamentarischen Rates wurde von der Ministerpräsidenten-Konferenz ein „Ausschuß von Sachverständigen für Verfassungsfragen“ berufen, der in Herrenchiemsee vom 10.-23.10. 1948 tagte. Von diesem Verfassungskonvent wurde ein Entwurf für das Grundgesetz erarbeitet, welcher dem Parlamentarischen Rat als Diskussionsgrundlage diente[17], und welcher in Art. 4 Abs. 2 ein Auslieferungsverbot enthielt. Dieser hatte folgenden Wortlaut: „Wer unter Nichtbeachtung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte von einer Stelle außerhalb des Bundes verfolgt wird, wird nicht ausgeliefert.“ Ein Vergleich mit den bereits erläuterten Bestimmungen der Länderverfassungen erklärt schnell, warum der HCHE in der Literatur einhellig als von den Länderverfassungen abgeleitete Formulierung charakterisiert wird[18] ; sie ist nahezu gleichlautend. Auch wenn ein Zusatz nach dem Schema „und in das Bundesgebiet geflüchtet ist“ fehlt, so ist doch diese oben erläuterte Einschränkung impliziert, da nur nicht ausgeliefert werden kann, wenn die betreffende Person sich im Staatsgebiet aufhält (wer nicht da ist, kann eh nicht ausgeliefert werden). So erübrigt sich eine weitere Analyse des HCHE; obige Darlegungen bzgl. der Länderverfassungen lassen sich direkt übertragen.

c) Der Entwurf der Menschenrechtserklärung (MRE) der Vereinten Nationen sowie die modifizierte verabschiedete Fassung

Der Entwurf der MRE wird in der Literatur als Vorbild für das subjektiv-öffentliche Grundrecht auf Asyl, verbürgt im Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, bewertet[19], da es erstmalig im Völkerrecht einen Rechtsanspruch auf Asylgewährung, und zwar als Recht der Einzelperson gegenüber den Staaten, kodifizieren sollte. Bislang war das Asylrecht im Völkerrecht stets nur als Recht der souveränen Staaten untereinander verstanden worden, dahingehend, daß kein Staat einen anderen wegen Asylgewährung für eine verfolgte Person sanktionieren durfte. Art. 12 Entwurf MRE sah nun folgenden Rechtsanspruch vor (in der bei den Drucksachen des Parlamentarischen Rates vorhandenen deutschen Übersetzung):

„(1) Bei Verfolgung hat jede Person das Recht, in einem anderen Land Asyl zu suchen und zu erhalten.
(2) Rechtmäßige Fahndungen aus Anlaß eines gemeinrechtlichen Verbrechens oder von Handlungen, die gegen die Prinzipien und Ziele der Vereinten Nationen verstoßen, stellen keine Verfolgung dar.“
Verabschiedet wurde am 10.12. 1948 jedoch nicht dieser genannte, ursprünglich geplante Entwurf, sondern ein in wesentlichen Punkten veränderter:

„(1) Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
(2) Dieses Recht kann jedoch im Falle einer Verfolgung wegen nichtpolitischer Verbrechen oder wegen Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, nicht in Anspruch genommen werden.“[20]

Mit der Ratifizierung des zunächst geplanten Entwurfes wäre erstmalig ein individueller Rechtsanspruch des Schutzsuchenden gegenüber potentiellen Zufluchtsstaaten völkerrechtlich verankert gewesen; Abs.1 Entwurf MRE bestimmte eindeutig ein Recht des Verfolgten, in „einem anderen Land Asyl zu suchen und zu erhalten“. Mit der Verabschiedung dieser Formulierung wären die Signatarstaaten somit verpflichtet gewesen, ein Asylgesuch dahingehend zu prüfen, ob eine Verfolgung auch unter den im 2. Absatz festgehaltenen Einschränkungen gegeben ist - und wenn dies der Fall ist, hätten sie dem Schutzsuchenden Asyl gewähren müssen. Das ausschlaggebende Wort im Entwurf der MRE, welches die Abkehr vom status quo (d.h. einem Asylrecht, welches völkerrechtlich nur als Recht der souveränen Staaten untereinander verstanden wird) hin zu einem völkerrechtlich verankertem individuellen Rechtsanspruch des Einzelnen bedeutet hätte, ist das „erhalten“ am Ende des ersten Absatzes; nur dieses Wörtchen implizierte die gerade kurz geschilderten Verpflichtungen der potentiellen Zufluchtsstaaten.

Doch der verabschiedete Art. 14 verwirklichte diesen geschilderten Individualanspruch in keinster Weise[21] - verwirklichte er doch nicht das Recht, „Asyl zu suchen und zu erhalten“, sondern das Recht, „Asyl zu suchen und zu genießen“. Diese Formulierung beinhaltet jedoch nicht mehr, als sich völkerrechtlich bereits eh durchgesetzt hatte, nämlich ein Asylrecht verstanden als das Recht der souveränen Staaten untereinander, verfolgten Fremden Schutz zu gewähren. Der Rechtsanspruch des Einzelnen erschöpft sich darin, Asyl zu suchen und evtl. gewährtes Asyl zu genießen - wobei jedoch die Frage der Gewährung im völlig freien Ermessen des Staates liegt, an den das Gesuch gerichtet war (nicht so beim vorher geplanten Entwurf). Die Formulierung der MRE „jeder Mensch hat das Recht, ...“ sollte den kritischen Betrachter also nicht davon ablenken, daß hier kein Recht des Menschen, sondern ein Recht der Staaten festgehalten wird. Es mag zunächst verwirren, daß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG weitergeht als die MRE und den geschilderten individuellen Anspruch durch den gleichen Terminus („genießen“) verwirklicht, der ihm in der MRE entgegensteht. Der Unterschied zwischen GG und MRE liegt hier wiederum in einem anderen Wort. Während die MRE das Recht aufstellt, „Asyl (...) zu genießen“, „genießen“ politisch Verfolgte nach dem GG nicht „Asyl“, sondern „Asylrecht“.

[...]


[1] Münch, U.: Asylpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1992, S.14

[2] Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (in der ursprünglichen, für die nachfolgenden Erläuterungen maßgeblichen Fassung; die Formulierung steht nach der Asylrechtsdeform vom 28.6. 1993 im Art.16a Abs.1)

[3] auf die besondere Stellung des bundesdeutschen Asylrechts im internationalen Vergleich verweisen nahezu alle relevanten Arbeiten zu diesem Thema; Kimminich weist darauf hin, daß Costa Rica „das einzige Land mit einer vergleichbaren Verfassungsnorm“ ist, wo in Art. 31 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von 1971 festgesetzt ist: “Das Staatsgebiet von Costa Rica bietet jedem politisch Verfolgten Asyl.“ (Kimminich, O.: Grundprobleme des Asylrechts, Darmstadt 1983 (im folgenden: Grundprobleme), S.96 f.)

[4] Kimminich, O.: Asylrecht, Berlin 1968 (im folgenden: Asylrecht), S.79

[5] Kreuzberg/Wahrendorf: Grundrecht auf Asyl. Materialien zur Entstehungsgeschichte, Köln 1992

[6] im Unterschied zur (für ältere Arbeiten zum Thema grundlegenden) Darstellung im Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, n. F., Bd. 1, 1951

[7] zu dem, da er „ausschließlich die Staatsangehörigkeit behandelt, (...) überhaupt kein Zusammenhang“ besteht (Kimminich, O.: Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, Köln 1962 (im folgenden: Rechtsstatus), S.374)

[8] der die Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger festsetzt,

[9] Erdmann, K. D.: Das Ende des Reiches und die Neubildung deutscher Staaten, München 1993, S. 298 f.

[10] Kreuzberg/Wahrendorf S.20 ff.

[11] die Verfassung des Saarlandes wird in einigen Arbeiten zum Thema vergessen, so auch bei Kreuzberg/Wahrendorf, Kimminich, Jochen Hofmann: Die Erarbeitung von Art. 16 GG in Herrenchiemseer Verfassungskonvent und Parlamentarischem Rat, in Otto-Benecke-Stiftung (Hg.): Vierzig Jahre Asylgrundrecht, Baden-Baden 1990, Sabine Wolken: Das Grundrecht auf Asyl als Gegenstand der Innen- und Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1988, während Hans-Ingo v. Pollern: Das moderne Asylrecht, Berlin 1980, S.268 es explizit in dieser Reihe nennt

[12] Hofmann, S.75

[13] Art. 105 Bayerische Verfassung vom 2.12. 1946

[14] Art. 11 Abs. 2 Saarländische Verfassung vom 15.12. 1947

[15] s. Kreuzberg/Wahrendorf S.12 Anm.37 sowie S.15 Anm.40, wobei jedoch die Fragestellung, ob der Geltungsbereich GG weiter oder enger als der der Länderverfassungen ist, irreführt; der Geltungsbereich ist ein anderer, der sowohl weiter wie auch enger sein kann

[16] Kimminich, Rechtsstatus, S.375 f.

[17] Erdmann, S.298

[18] so bei Kreuzberg/Wahrendorf, S.16 Anm.41; Hofmann, S.76 f.;

[19] Kreuzberg/Wahrendorf S.7 Anm.23; Hofmann S.75 ff.; Münch, S.18

[20] deutsche Übersetzung von Art. 14 MRE

[21] Hofmann, S.76, Kreuzberg/Wahrendorf, S.8 f., Münch, S.18, Wolken, S.21

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Aufnahme eines Asylrechts ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar "Gesellschaft und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland"
Note
1,3
Autor
Jahr
1996
Seiten
16
Katalognummer
V37970
ISBN (eBook)
9783638371711
ISBN (Buch)
9783638790307
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand
Schlagworte
Beratungen, Parlamentarischen, Rates, Aufnahme, Asylrechts, Grundgesetz, Bundesrepublik, Deutschland, Proseminar, Gesellschaft, Demokratie, Bundesrepublik, Deutschland
Arbeit zitieren
Jan Jansen (Autor:in), 1996, Die Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Aufnahme eines Asylrechts ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37970

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