Loyalitätskonflikte bei Kindern. Ein Problem in der Clearingarbeit und der pädagogische Umgang damit


Thèse de Master, 2017

154 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung

2 Unsichtbare Bindungen
2.1 Bindung
2.1.1 Bindungsverhalten
2.2 Eltern-Kind-Beziehung
2.2.1 Die soziale und emotionale Entwicklung
2.3 Familie
2.3.1 Krisen
2.3.2 Destruktive Familiendynamik
2.4 Gewalt
2.4.1 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung
2.4.2 Formen und Verhalten
2.5 Beziehungen in stationären Einrichtungen
2.5.1 Trennung von den Eltern
2.5.2 Vertrauen
2.5.3 Kommunikation
2.5.4 Loyalität

3 Zwangskontext und Zusammenarbeit
3.1 Eltern- und Kinderrechte
3.2 Kinder- und Jugendhilfe
3.2.1 Ziele und Aufgaben
3.3 Inobhutnahme und Unterbringung
3.3.1 Vollzeitpflege
3.4 Soziale Arbeit in Zwangskontexten
3.4.1 Professionelle HelferInnen, KlientInnen und deren Beziehung
3.4.2 Kontaktaufnahme
3.4.3 Grundhaltung
3.4.4 Einfluss
3.4.5 Problemdefinition
3.4.6 Arbeitsbündnis
3.4.7 Pädagogisches Vorgehen

4 Methodisches Vorgehen
4.1 Forschungsfrage
4.2 Untersuchungsfeld
4.2.1 Berliner Krisengruppe
4.3 Wahl der Interviewpartner
4.4 Wahl der Methode
4.4.1 Das Experteninterview
4.4.2 Aufbereitung der Daten
4.5 Inhaltsanalyse nach Mayring
4.5.1 Ablaufmodell nach Mayring
4.5.2 Inhaltsanalytische Gütekriterien

5 Auswertung
5.1 Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang 100

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb.1: Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow

Abb.2: Vertrauen und Zeit

Abb.3: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell nach Mayring

Abb.4: Zusammenfassung Allgemeine und Inhaltliche Strukturierung nach Mayring

Abb.5: Inhaltsanalytische Gütekriterien

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Laut des Statistischen Bundesamtes führten Jugendämter im Jahr 2015 insgesamt 129.000 Einschätzungen durch, die das Wohl des Kindes betrafen. Davon wurde bei 45.000 Verfahren eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung festgestellt, was etwa 36% der Gesamtheit darstellt (Statistisches Bundesamt 2015).Wieso die Zahlen im

Vergleich zu den Vorjahren[1] angestiegen sind, kann verschiedene Gründe haben. Zum einen werden dem Jugendamt mehr Fälle bekannt und zum anderen ist das Wächteramt wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Damit zu tun hat das gewandelte Verständnis der Kinder- und Jugendhilfe und die stärkere Medienpräsenz schockierender Fälle, die den Druck auf Ämter erhöht (Goldberg/Schorn 2011:44f.).

Können die Bezugspersonen des Kindes die gefährdenden Aspekte nicht abwenden, weil sie dazu nicht in der Lage sind oder es nicht wollen, kann eine stationäre Unterbringung initiiert werden. Das Kind wird durch die Hilfe von der Familie getrennt und in einer Krisenwohngruppe untergebracht, was einen großen Einschnitt in das Familiensystem darstellt. In einer solchen Trennungsperiode kommen vor allemunsichtbare Bindungen zum Vorschein. Loyalität spielt in destruktiven Familien-systemen eine große Rolle, denn sie ist es oft, die die Mitglieder aneinander bindet. Derartige Bindungen können während einer Krisenunterbringung allerdings emotionale Konflikte auslösen, sogenannte Loyalitätskonflikte. Durch die erhöhte Sensibilität für das Wohl des Kindes und die dadurch zu erklärenden steigenden Zahlen der stationären Hilfen, nehmen auch derartige emotionale Konflikte zu. Diese wirken sich auf die Kooperation aller an der Hilfe beteiligten Personen aus. Bevor ein Kooperationsprozess beginnen kann ist es wichtig, den Konflikt zu verbalisieren und wenn möglich aufzulösen.

Die folgende Masterarbeit wird sich einerseits mit den Themen befassen, wie diese bei einem Kind entstehen und sich äußern und andererseits wie MitarbeiterInnen einer Krisenunterbringung pädagogisch reagieren. In diesem Rahmen wird eine Berliner Krisengruppe als Praxisbeispiel herangezogen. Ziel der Arbeit soll es sein, die in den Interviews praxisnahen Informationen mit dem theoretischen Teil zu verknüpfen und so die Forschungsfrage umfassend beantworten zu können. An dieser Stelle soll betont werden, dass nicht nur Loyalitätskonflikte während einer Clearingphase auftreten können, diese aber explizit Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind. Eine der wichtigen Grundlagen für den ersten Themenkomplex der Arbeit bilden zum einen die Bindungstheorie von Bowlby und zum anderen das klassifizierte Bindungsverhalten von Ainsworth. Die Eltern-Kind-Bindung wird durch viele Ebenen der Kommunikation und Interaktion beeinflusst, wodurch nicht nur einzelne Familienmitglieder, sondern das gesamte System betrachtet werden muss. Jede Familie entwickelt durch das ausgebildete Bindungsverhalten und im Laufe ihres Zusammenlebens eine eigene Dynamik, welche auch durchaus destruktive Ausmaße annehmen kann. Dabei aufkommende Krisen können sich derart zuspitzen, dass kindeswohlgefährdende Aspekte auftreten. Im Rahmen dieser Arbeit werden Formen und dabei auftretendes Verhalten bei einer Kindeswohlgefährdung kurz aufgezeigt. Als ein besonderer Punkt werden Kinder psychisch kranker Eltern benannt, da dieser Problemhintergrund in den Interviews mit einem Loyalitätskonflikt in Verbindung gebracht wird. In Bezug auf den stationären Kontext wird das Thema Vertrauen und Loyalität gesondert angesprochen, weil jene unsichtbare Bindung und fehlendes Vertrauen des Kindes als auch der Eltern zu PädagogInnen Auslöser für den Konflikt sein können. Der zweite Teil befasst sich mit dem vorliegenden Zwangskontext der Kinder- und Jugendhilfe und welche Zusammenarbeit in diesem Rahmen möglich ist. Neben den Rechten der Familie und den Zielen sowie Aufgaben der Institutionen wird jene Unterbringungsform der stationären Hilfe näher betrachtet. Der Prozess der Zusammenarbeit beginnt allerdings nicht automatisch mit der Unterbringung des Kindes, sondern hängt von vielen Aspekten, angefangen mit der Kontaktaufnahme, der Haltung der PädagogInnen sowie der Motivation ab. Im Clearingkontext ist es häufig so, dass Eltern z.B. durch negative Hilfeerfahrungen ein reaktantes Verhalten zeigen, welches wiederum den Loyalitätskonflikt des Kindes hervorrufen oder begünstigen kann. Jene Kapitel werden sich damit auseinandersetzen, welche pädagogischen Maßnahmen helfen, Vertrauen aufzubauen, das Verhalten der Beteiligten anzusprechen und einen Veränderungsprozess anzustoßen.

Die Daten aus den geführten Interviews mit der Gruppenleitung und zwei Bezugsbetreuerinnen werden mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring aufgearbeitet, anschließend ausgewertet und durch inhaltsanalytische Gütekriterien überprüft. Die praxisnahen Erläuterungen der Mitarbeiterinnen werden mit den theoretischen Aspekten vor dem Hintergrund der Forschungsfrage verknüpft und ergeben so ein umfassendes Bild des Themengebietes.

2 Unsichtbare Bindungen

2.1 Bindung

Die Verbindung zwischen dem Kind und seiner Mutter respektive seinen Eltern ist die stärkste Bindung, die es gibt. Welches Bindungsverhalten während der Entwicklung auch herausgebildet wird, ein Kind ist den Eltern gegenüber immer loyal und wird sie lieben. Trotzdem beeinflussen Erfahrungen aus der Kindheit das aktuelle Erleben und Verhalten während einer stationären Unterbringung. Aus diesem Grund sollen in den folgenden Abschnitten die Bindungstheorie nach Bowlby sowie das Bindungsverhalten nach Ainsworth dargestellt werden.

Laut Bowlby[2], der die Theorie in den fünfziger Jahren entwickelte, kann Bindung passiv oder aktiv gestaltet werden und sie

„[…] setzt ein durch spezifische Faktoren gesteuertes Kontaktbedürfnis gegenüber bestimmten Personen voraus und stellt ein dauerhaftes, weitgehend stabiles und situationsabhängiges Merkmal des Bindungssuchenden dar.“(Bowlby 2014:22)

Durch die enge Beziehung zur Mutter ist Bindung das Ergebnis eines spezifischen Verhaltenssystems, bestehend aus individuellen Verhaltensweisen und Emotionen, die dem Kind vermittelt werden (vgl. Strauß 2014:27).Die Interaktion zwischen der Mutter und dem Säugling bildet die Grundlage für die Entwicklung und Ausgestaltung des weiteren Bindungsverhaltens. Eine sichere Bindung zu der primären Bezugsperson stellt die Basis aller Explorationen und demzufolge auch Erfahrungen dar, die das Kind macht und noch machen wird. Bowlby unterteilt dabei vier Stadien der Bindungsentwicklung, die fließend ineinander übergehen.

1. Phase (Geburt bis 8.-12. Lebenswoche): Den ersten Lebensabschnitt bezeichnet Bowlby als die „autistische Phase“ (vgl. Strauß 2014:41). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind unspezifische soziale Reaktionen wie Horchen, Anschauen oder Schreien zeigt, welche allerdings an noch keine bestimmte Person gerichtet sind. In dieser Zeit kann der Säugling nicht oder nur begrenzt Personen voneinander unterscheiden. Gegen Ende dieser Phase ist es dem Kind möglich, die Bezugsperson von anderen zu unterscheiden (vgl. Ainsworth 1978:247).
2. Phase (bis sechster Monat): Die Fähigkeit, primäre und sekundäre Bezugspersonen voneinander zu unterscheiden und damit spezifisch an sie gerichtete Signale zu senden, ist charakteristisch für diese Phase. Das Kind reagiert schneller und zielorientierter auf das Verhalten oder Äußerungen der Mutter (Grossmann/Grossmann 2004:73ff.). Bis zu dem zweiten bzw. dritten Lebensjahr ist laut Ainsworth, das Kind noch nicht fähig, eine Bindung aufzubauen. Dies beginnt erst in der dritten Phase, in der das Kind aktiv die Nähe zu (ausgewählten) Bezugspersonen sucht (vgl. ebd. 1978: 248).
3. Phase (bis zweites oder drittes Lebensjahr): Das Kind besitzt nun die Fähigkeit aktives, zielinitiierendes sowie zielkorrigierendes Bindungsverhalten gegenüber der Bezugs- und/oder anderen Personen zu zeigen. Es kann in dieser Zeit selbst die Nähe zu ausgewählten Personen durch Verfolgen, Suchen oder Rufen bestimmen. Zudem wird die Vokalisation von Lauten und ersten Wörtern differenzierter. Die geistige Vorstellung von der Mutter wächst und sie wird dabei als sichere Basis des Schutzes und somit auch für das Erkunden der Umgebung gesehen (vgl. Grossmann/ Grossmann 2004:73ff.).
4. Phase (ab dem zweiten oder dritten Lebensjahr): Wenn das Kind zu sprechen beginnt, können eigene Motive und Ziele sowie die anderer erkannt werden (vgl. Grossmann/Grossmann 2004:73ff.). Durch die verbale und kognitive Entwicklung können „Verhandlungen“ mit der Mutter geführt werden. Die zunehmende mentale Repräsentation der Mutter-Kind-Bindung ermöglicht es dem Kind auch, dass kleinere Interaktionssequenzen kognitiv vorstellbar werden (vgl. Strauß 2014:43).

Die Beziehung zur Mutter wird unabhängig von der Bedürfnisbefriedigung aufrechterhalten, was als Objektkonstanz bezeichnet wird. Auch wenn die Bezugsperson gerade abwesend ist und ein für das Kind unbefriedigender Zustand eintritt, so wird die Fürsorglichkeit der Mutter weiterhin gespürt (vgl. Lexikon der Psychologie 2000: o.S.). Die Bindung der Mutter an das Kind und die des Kindes an die Mutter ist grundverschieden. Das Neugeborene wendet sich direkt an die primäre Bezugsperson, von der es Schutz, Geborgenheit sowie Nahrung geboten bekommt. Demnach passt es sich der Bezugsperson an, welche die Versorgung übernimmt.

Das Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind wird allerdings von weiteren Faktoren beeinflusst, wie z.B. der Verlauf der Schwangerschaft, die Geburt und ob das Kind geplant war. Zusätzlich spielen elterliche Kindheitserfahrungen und die Beziehung zu deren Herkunftsfamilie eine Rolle. Die Entwicklung des Kindes hängt demnach davon ab, welche Bindungserfahrungen die Mutter und der Vater mitbringen und welche Faktoren die Erziehung beeinflussen (vgl. Steele 2002:117).

2.1.1 Bindungsverhalten

Ainsworth und KollegInnen erforschten anhand der „Fremden Situation“ kindliche Bindungsmuster. Durch das gezeigte Verhalten wurden verschiedene Bindungstypen kategorisiert.

Hat das Kind das sichere Gefühl, die Mutter als Basis des Schutzes und der Geborgen-heit an der Seite zu haben, dann steigt das Bedürfnis, die Umgebung respektive den Raum zu erkunden (vgl. Bowlby 2014:99). Bei Unsicherheit in fremden oder bedrohlichen Situationen(eine fremde Person betritt den Raum) oder einer möglichen Trennungsepisode (die Mutter verlässt den Raum) zeigt das Kind ein offenes Bindungsverhalten. Dabei kann die fremde Person es nicht beruhigen und das Kind ruft nach seiner Mutter. Kehrt diese in den Raum zurück, sucht das Kind sofort Kontakt zu ihr und erfährt Schutz, Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl (vgl. Bowlby 2014:64). Kinder wissen demzufolge, dass sie in angst- oder stressauslösenden Situationen immer wieder bei ihren primären Bindungspersonen sicheren Halt finden können. Schwächt das gezeigte Bindungsverhalten ab, tritt der Explorationstrieb erneut in den Vordergrund.

Wenn die Eltern ihre Zuwendung allerdings nur zögerlich, sporadisch oder gar nicht zeigen, kommt es zum Herausbilden einer unsicher-ambivalenten oder unsicher-vermeidenden Bindung. Wenn die Verhaltensweisen der Bindungspersonen nicht oder nicht adäquat miteinander harmonieren, wird von Asynchronität gesprochen (vgl. Hofer 1992:135).

Eine unsicher-vermeidende Bindung ist dadurch charakterisiert, dass das Kind um die Ablehnung der Eltern weiß und fremde Hilfe bei Problemen oder Krisen nur sehr schwer oder gar nicht annehmen kann (vgl. Bowlby 2014:101). Am Beispiel der fremden Situation äußert sich das dadurch, dass die Trennung von der Mutter und der Kontakt zu einer unbekannten Person keine emotionale Regung auslösen. Das Kind zeigt ein gewisses Explorationsinteresse, wobei es seine Aufmerksamkeit aber in Trennungs- und Kontaktsituationen auf einen neutralen Reiz, etwa ein Spielzeug, lenkt.

In der fremden Situation äußert ein unsicher-ambivalent gebundenes Kind Ärger, Wut oder Unbehagen, wenn die Mutter den Raum nach der Trennung betritt. Dieses Bindungsverhalten ist dadurch charakterisiert, dass es nicht weiß, ob und wann es auf den Rückhalt seiner Mutter bauen kann. Die Unzuverlässigkeit des Schutzes hemmt sein Explorationsverhalten. Gegenüber der fremden Person zeigt es sich ängstlich und diese kann es nur bedingt oder gar nicht trösten (vgl. Strauß 2014:46f.).

Da einige Kinder diesen Ausführungen nicht zugeordnet[3] werden können, ergänzen Solomon und Main die zusätzliche Kategorie des desorganisierten bzw. hoch unsicheren Bindungsverhaltens. Das Kind deutet in der fremden Situation zwar eine Wiedervereinigung an, kehrt jedoch auf halbem Wege zur potenziell tröstenden Mutter um und vergrößert teilweise den Abstand zu ihr. Typisch ist auch das Erstarren („freezing“) inmitten der Bewegung (vgl. Strauß 2014:48). Der Unterschied zu den bereits benannten Bindungstypen ist, dass sich das Kind durch sein gezeigtes Verhalten nicht an vorliegende Umweltbedingungen anpassen will. Es fürchtet sich eher vor der Bindungsperson. Hierbei entsteht ein Dilemma: Das Kind sucht aufgrund einer angstauslösenden Situation Schutz und Geborgenheit bei der Mutter, welche allerdings den Grund für die empfundene Bedrohung darstellt (vgl. Ziegenhein o.J.:1f.).

Die entwickelte Bindung zu den Eltern sowie das dadurch ausgebildete Bindungsverhalten werden dem Kind immer erhalten bleiben und somit auch alle zukünftigen Erfahrungen beeinflussen. Die enorme Verantwortung, welche Eltern tragen, beschreibt Wazlawik mit den Worten „Man kann in der Wahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein.“ (vgl. Wettig 2006: o.S.)

Die Bielefelder Längsschnittstudie[4] hat neben Beobachtungen in der Kindheit auch Interviews im Erwachsenenalter durchgeführt. Die Ergebnisse geben einen kleinen Einblick, wie sich das Verhalten der Mutter in der Kindheit auf die Bindungsqualität bei 22-Jährigen auswirkt. Psychisch wirken sich die gemachten Erfahrungen zum einen auf die spätere Bindungsqualität zum/zur PartnerIn aus. Zum anderen beeinflusst die Feinfühligkeit der Mutter das Anerkennen der Autonomie des/der PartnerIn, das offene Sprechen über Gefühle und Motive sowie eine empathische Haltung (vgl. Grossmann/Grossmann o.J.:o.S.).

2.2 Eltern-Kind-Beziehung

Die Eltern-Kind-Beziehung, vor allem die zu der Mutter, prägt kommende Entwicklungsjahre und dadurch das gesamte Leben. Aufgrund dessen soll im Folgenden, vor dem Hintergrund der Bindungstheorie, betrachtet werden, welche Bedeutung genau diese Bindung hat.
Instinktiv waren engere Bindungen zu Bezugspersonen früher vorrangig an das physische Überleben geknüpft, für den Fall, dass Not- und Angstsituationen auftreten. In der heutigen Gesellschaft tritt dieser Aspekt des Überlebens eher in den Hintergrund. Abraham Maslow hat in seiner Bedürfnispyramide (vgl. Abb. 1). die Aspekte, die zu einer gelingenden Entwicklung des Kindes führen, zusammengetragen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (1908-1970) (Boeree 2006: o.S.)

Die Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse bildet die Basis des Überlebens für das Kind. Neben den Sicherheitsbedürfnissen wie Angstfreiheit, Regelhaftigkeit und Geborgenheit wünschen sich Kinder, sozial eingebunden zu werden. Darunter fallen Erfahrungen des Zugehörigkeitsgefühls und das Knüpfen von Freundschaften. Anerkennung und Wertschätzung befriedigen sogenannte Individualisierungs-bedürfnisse, welche an die Erfüllung der anderen Bedürfnisse geknüpft sind.

2.2.1 Die soziale und emotionale Entwicklung

Indem das Kind soziale Impulse sendet sowie auf jene reagieren kann und die Mutter es ihm gleich tut, entsteht zwischen beiden eine Synchronizität[5]. Die Bezugsperson steht dabei in der Verantwortung, auf die Signale zu reagieren und ihr Verhalten dementsprechend anzupassen. Eine Möglichkeit, darauf zu reagieren, ist Blickkontakt herzustellen oder durch aufmerksame Mimik und Gestik zu kommunizieren. Die Antworten sollten immer dem Verständnishorizont des Kindes angepasst werden, damit dieses die entsprechende Aussage sprachlich wie inhaltlich erfassen kann. Bowlby nennt diesen Vorgang das „Einschwingen“ der Mutter-Kind-Bindung (vgl. Bowlby 2014:4ff.).

In jeder Beziehung, vor allem in der zur Mutter, ist Vertrauen unabdingbar. Je kontinuierlicher und öfter Schutz, Zuwendung und Sicherheit erfahren werden, desto mehr Vertrauen baut sich auf. Erkundet das Kind durch die sicher geschaffene Basis und den wachsenden Explorationsdrang die Umgebung, wird es zunehmend aktiver und entwickelt eine gewisse Selbstständigkeit. Es testet Grenzen, lernt seinen Körper kennen und entdeckt seinen eigenen Willen. Infolge dessen entwickelt es die „Lust, etwas selbst in die Hand zu nehmen“ (Initiative) (vgl. Hanselmann/Weber 1986: 25f.).

Um Entwicklungsschritte bewältigen zu können, ist es außerdem wichtig, dass „einAustausch von Gefühlen und nonverbalen Informationen erfolgen kann“ (Ziegenhein 2016: o.S). Indem Eltern die Emotionen des Kindes kommentieren und interpretieren, fördern sie bestimmte emotionale Reaktionen. Dabei werden Gefühlsausdrücke durch Spiegelung bestärkt oder vermindert. Dieser Prozess wird affect labelling[6] genannt (vgl. Ulrich 1993: 265ff.).

Für die Emotionalität und Sensibilität sind nicht nur die benennende Interaktion zwischen den Eltern und dem Kind wichtig, sondern ebenso das Verhalten der Eltern untereinander. Positive Emotionen angemessen auszudrücken und die Regulation negativer Gefühle erlernt es durch die Eltern als Rollen- und Interaktionsvorbilder.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das Herstellen von Kontingenz in der Beziehung und der Interaktion. Die Eltern sind(sollen) demnach dauerhaft mit dem Kind in Kontakt (sein). Kontingenz schafft die Fähigkeit, dass das Kind Einfluss auf seine Umwelt nehmen kann, wodurch es zu weiteren Interaktionen und Lernerfahrungen angeregt wird(vgl. Hofer 1992:132ff.). Während der sozialen und emotionalen Entwicklung wirkt nicht nur primär die Mutter auf das kindliche Verhalten ein, sondern ebenso alle Mitglieder des sozialen Umfeldes.

2.3 Familie

Laut Uhlendorff et al. bestehen Familien immer aus mindestens zwei Generationen, welche auf Dauer in einer Art Gemeinschaft zusammenleben. Das körperliche, geistige wie emotionale Wohl bildet dabei das Zentrum aller Handlungen und Beziehungen (vgl. ebd. 2013:43).
Die ersten Lebensjahre sollen für das Kind einen Schonraum darstellen, in dem es versorgt und seine Bedürfnisse befriedigt werden. Infolgedessen hat es die Möglichkeit, durch die elterliche Anleitung seine motorischen, sprachlichen, emotionalen sowie sozialen Kompetenzen (vgl. 2.2.1) zu entwickeln (vgl. Zeiher 2000:121).
Die kindliche Entwicklungswelt wird durch das Verhalten der Mitglieder, von den übermittelten Werten und Normen geprägt. Dadurch konstruiert sich das Kind eine Realität und schafft eine Grundlage für Kindheitserfahrungen. Jede Familie hat dabei ihre eigenen Kommunikations- und Interaktionsstrukturen.
„Die materielle und personale Umgebung, in der das Kind lebt und der es sich anpassen muss, ist seine ganze Welt, die einzige Welt, die es kennt und damit in seinen Augen normal.“ (Steele 2002:119)
Wird eine Krise in der Kindheit erlebt, so lernt das Kind, anhand elterlicher Vorbilder, die aufkommenden Gefühle zu regulieren und entsprechende Bewältigungsstrategien einzusetzen. Dabei erfährt es, wie Beziehungen während einer Krise gestaltet werden können. Besitzen die Eltern allerdings kaum adäquate Bewältigungsstrategien und wissen selbst nicht um den Umgang mit Problemen, können sie diese Erfahrungen nicht an die Kinder weitergeben (vgl. Kreppner 2000:136f.). Die Atmosphäre sowie der Kommunikationsstil sind ebenfalls prägend für das Kind und dessen Selbstbild. Die Familie wird einerseits als wichtige Ressourcenquelle angesehen, kann aber auch eine mögliche Stressquelle für ihre Mitglieder darstellen (vgl. Eichhoff 2000:167f.).
In den vorangegangen Abschnitten wurde deutlich, welche wichtige und prägende Rolle die Eltern aus bindungstheoretischer Sicht einnehmen. Um diese Position zu stärken, regelt die Gesetzgebung zusätzlich das Recht der Eltern und bestärkt sie in der innerfamiliären Erziehung des Kindes. Gleichzeitig beauftragt der Staat Helfersysteme mit dem Wächteramt, welche die gelingende Erziehung beaufsichtigen und sichern sollen (vgl. Mertens/Pankofer 2011:42).
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ (Art. 6 Abs. 2 GG)

2.3.1 Krisen

Familien müssen auf jede Art von Veränderung, inner- wie außerfamiliär, reagieren und entsprechende Verhaltensmuster und Handlungsoptionen entwickeln, um sich anzupassen . Plötzlich auftretende oder latent wirkende Krisen und Konflikte erschweren diesen Prozess. Eine Krise ist dabei die allgemeine Bezeichnung für plötzliche Zuspitzung oder Auftreten einer Problemsituation, die mit den herkömmlichen Problemlösetechniken nicht bewältigt werden kann. Sie sind bei Kindern und Eltern mit unangenehmen oder belastenden Gefühlen verbunden (vgl. Alle 2010:39).

Krisen lassen sich anhand einiger Charakteristika wie der Auswirkung oder des Ursprungs, der Dauer und der Intensität unterscheiden. Als eine sogenannte Einzelkrise wird ein nicht selbstverschuldetes Ereignis bezeichnet, bei welchem die Familie zwar die Grundversorgung gewährleisten kann, jedoch an die Grenze ihrer Bewältigungsstrategien gelangt. In einer Familie mit Mehrfachbelastungen wird von einer Strukturkrise gesprochen. Zu diesen Belastungen zählen unter anderem schwierige innerfamiliäre Beziehungen sowie strukturelle Defizite, die Familie zu organisieren. Existenzielle Probleme auf allen Ebenen, die das familiäre System betreffen, bezeichnen Uhlendorff et al. als chronische Strukturkrise. Eigene unzureichende Erfahrungen der Eltern aus der Herkunftsfamilie können sich erschwerend auf die entsprechende Problemlage auswirken. Jede dieser Krisen kann je nach Intensität und vorhandenen Bewältigungsstrategien zu einer temporären oder längerfristigen stationären Unterbringung der Kinder führen (vgl. ebd. 2013:72ff.).

Neben den Faktoren der Intensität, Dauer und Ursache oder Kontrollierbarkeit stellt die subjektive Einschätzung eines oder mehrerer Stressoren[7] eine wichtige Basis für die Bewältigung dar. Stressoren werden erst ein gewisses Maß an Bedeutung zuge-sprochen, wenn die Familie diese auch als solche einschätzt. Diese Begutachtungwird „primary appraisel“ genannt. Nachdem die Mitglieder den Stressor anhand von subjektiven Maßstäben eingeschätzt haben, versuchen sie ihre vorhandenen Bewältigungsstrategien abzuschätzen, auch „secondary appraisel“ genannt. In diesem Zusammenhang spielen individuelle (Intelligenz, Selbstwirksamkeit), dyadische (Probleme gemeinsam erkennen und bewältigen) und familiale (informelle, formelle, nicht formelle[8] ) Ressourcen eine Rolle (vgl. Hofer 2002:25ff.). Bei dem Versuch, eine Krise zu lösen, können Menschen entweder eine passive, abwartende respektive ablehnende Haltung einnehmen oder konstruktiv und lösungsorientiert handeln.

Eine Krise löst in der Familie eine destabilisierende Dynamik aus. Alle Familienmitglieder streben danach, das bekannte Gleichgewicht wiederherzustellen. In dem Hilfeprozess kann dies entweder förderlich, die Krise als Chance sehend, oder hinderlich sein (vgl. Alle 2010:39).

2.3.2 Destruktive Familiendynamik

Die persönliche Identität und die Betrachtungsweise der Welt des Kindes sind komplett von den bisherigen Erfahrungen sowie von den anerzogenen Werten und Normen der Eltern geprägt. Das, was ist und was war, ist die Wirklichkeit. Im kindlichen Denken ist die erlebte Beziehung der Eltern das Vorbild, wie das zwischenmenschliche Zusammenleben funktioniert. Das Verhalten, seine Eltern zu lieben und bei ihnen bleiben zu wollen, wird als sinnvoll erlebt, auch wenn kindeswohlgefährdende Aspekte den Rahmen bilden (vgl. Kotthaus 2010:109ff.). Beziehungs- und Bindungserfahrungen beziehen sich lediglich auf das Erleben mit den Eltern, da oft noch keine Alternativen der Beziehungsgestaltung erlebt wurden.

Wie in 2.3.1 bereits erwähnt, wirken sich Krisen auf das Familienklima aus. Die Dynamik, die meist in Verbindung mit überforderten Eltern und den vernachlässigten oder misshandelten Kind entsteht, ist destruktiv. In diesem Prozess ist es möglich, dass das Kind das Bindungsverhalten der Situation entsprechend anpasst. Diese Art von Dynamik entsteht, wenn beispielsweise versteckte Ablehnungen oder emotionale Differenzen gegenüber dem Kind im Alltag der Familie gezeigt werden. Das Selbstvertrauen kann durch kleinere Andeutungen oder Handlungen der Eltern zerstört werden, wobei diese häufig dementsprechend handeln, weil sie es selbst in ihrer Kindheit erlebt haben (vgl. Bründel 2011:475).

„[…] Ein Viertel aller Menschen, die als Kinder misshandelt wurden, werden später ihrerseits als Misshandler diagnostiziert […]. Andererseits sehen die Kinderschutzexperten selten einen Misshandler, der nicht seinerseits von einem signifikanten Maß an Vernachlässigung -mitunter im Verein mit Misshandlung- spricht, die er als Kind erfahren hat.“ (vgl. Steele 2002:116)

Motzkau, Leiter der Kinderschutzambulanz in Düsseldorf, beschreibt Eltern mit derlei Erfahrungen als grenzenlos bedürftig. Weil sie es selbst kaum schaffen, auf sich zu achten, gelingt es ihnen oft nicht, ihr Kind im Fokus zu haben und dessen Bedürfnisse adäquat zu erfüllen. Durch die destruktive Dynamik weisen diese Familien zwar oft eine Beziehung mit einem starken Loyalitätsgefühl zueinander auf, es jedoch an „echter Elternliebe“ mangelt (vgl. Lehn 2008: o.S.).

Die Dynamik wirkt sich einerseits innerfamiliär (meist destruktiv), aber andererseits auch im späteren Hilfeprozess aus. Bei Letzteren kann sie durchaus gewinnbringend sein, wenn Familienmitglieder durch das Aufdecken der Krise angetrieben werden, etwas zu verändern. In anderen Fällen begegnen die Eltern den HelferInnen aber auch mit Widerstand und Abwehr (vgl. Bründel 2011:475).

2.4 Gewalt

In den vergangenen Kapiteln wurden die Bindungstheorie, das Bindungsverhalten und der familiäre Kontext beschrieben. Die latenten oder massiven Krisen lösen in Familien die bereits angeführte destruktive Dynamik aus, die zu Gewalt gegenüber dem Kind führen kann.

Das familiäre Umfeld bietet seinen Mitgliedern zwar einerseits viel Raum für Individualisierung und Privatheit, andererseits kann genau diese Abgrenzung zur Öffentlichkeit Platz für Macht- und Vertrauensmissbrauch schaffen (vgl. Uhlendorff et al. 2013:88ff.). Infolgedessen kann es zu gewalttätigen Handlungen der Eltern gegenüber dem Kind kommen. Mit dem Begriff Gewalt ist der dem Menschen zugefügte physische und/oder psychische Schmerz gemeint (vgl. Mertens/Pankofer 2011:15).

In Familien herrschen zwei Arten von hierarchischen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen: Geschlechter- und Generationenverhältnisse. Beide sind durch Ungleichgewicht in den Punkten Stärke, Macht, Kontrolle und Abhängigkeit gekennzeic in der Familie kann folgendermaßen definiert werden:

„Mit familialer […] Gewalt sind physische, sexuelle, psychische, verbale und auch gegen Sachen gerichtete Aggressionen gemeint, die nach gesellschaftlichen Vorstellungen jener auf gegenseitige Sorge und Unterstützung ausgerichteten Erwartungshaltungen zuwiderlaufen.“(Uhlendorff et al. 2013:89)

Gewalt kann Familienmitglieder aufverschiedenen Ebenen betreffen. Erfährt das Kind diese direkt, so entsteht zwar einerseits ein physischer Schmerz, andererseits aberauch ein psychischer. Die Person, der das Kind vertraut, verletzt dieses bewusst oder unbewusst. Neben der direkten Gewalt gegenüber dem Kind wirkt sich auch partnerschaftliche Gewalt auf dessen Psyche aus. Auch wenn ein Elternteil beispielsweise das Lieblingsspielzeug vor dem Kind mit verbalen oder nonverbalen Signalen zerstört, wirkt sich das auf das Gefühlsleben und weitere Erfahrungen aus. In Fachkreisen werden derartige Erlebnisse als Kindeswohlgefährdung bezeichnet (Mertens/Pankofer 2011:125ff.).

2.4.1 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung

Bevor im Folgenden über Kindeswohlgefährdung gesprochen werden soll, gilt es erst den Begriff des Kindeswohls zu definieren. Beides gestaltet sich schwierig, da es keine einheitlichen Definitionen dieser unbestimmten Rechtsbegriffe[9] gibt. Je nach Autor und fachlichen Hintergrund werden andere Aspekte beleuchtet und hervorgehoben.

Dem Kindeswohl gerecht werden, meint die Befriedigung der physischen und psychischen Bedürfnisse des Kindes (vgl. 2.2), um es dem Kind zu ermöglichen, dass es sich zu einem selbstbewussten und eigenverantwortlichen Menschen entwickelt.

Kinder haben per Gesetz (§ 1631 BGB) ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, wobei „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen oder ähnliche entwürdigende Maßnahme unzulässig“ (Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW e.V. 2016: o.S.) sind.

Erfahren Kinder dementsprechende Handlungen, wird von einer Gefährdung gesprochen. Das Berliner Kinderschutz-Zentrum definiert diese wie folgt: „Kindeswohlgefährdung ist insofern als ein Syndrom zu verstehen, bei dem ein zielgerichtetes oder ungewolltes Handeln beziehungsweise Unterlassen in konfliktreichenBeziehungsarrangements und schwierigen Lebensverhältnissen […] zur Verletzung, Beeinträchtigung oder Verstörung eines Kindes führen können.“ (Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2009:30)

Das Kindeschutz-Zentrum spricht auch von einem passiven und aktiven Handeln, wodurch Gefährdungen auf mehreren Ebenen eingeschlossen werden.

2.4.2 Formen und Verhalten

Das Aufzeigen der Formen und das dabei sich entwickelnde Verhalten des Kindes dienen dem Zweck, die möglichen Unterbringungsgründe aufzuzeigen. Außerdem kann dadurch auf die Stärke des unsichtbaren Bandes der Loyalität auch in destruktiven Familiensystemen hingewiesen werden.

Kindeswohlgefährdende Aspekte können in unterschiedlichen Kontexten sowie differenzierte Ursachen und Handlungsweisen entstehen. Alle Formen von Gewalt haben Auswirkung auf die körperliche, emotionale und soziale Entwicklung des Kindes. Die Bezugspersonen sollen dem Kind Geborgenheit, Schutz und Zuwendung bieten. Erfährt es aber durch sie eine Form von Gewalt, ist dies besonders traumatisierend und kann sich auf die Vertrauensbildung auswirken. Beispielsweise werden bei einer körperlichen Misshandlung („battered child syndrome“) dem Kind Bissspuren oder Verbrennungen hinzugefügt und/oder es erleidet Knochenbrüche und Blutergüsse. Eine weniger offensichtliche Form der Misshandlung betrifft die Psyche des Kindes. Eltern entziehen ihm/ihr Liebe, Zuneigung sowie Empathie. Kinder selbst haben in ihren jungen Lebensjahren noch kein eigenes Bild von sich selbst, sondern spiegeln eher das wider, was deren Bezugspersonen über sie sagen, denken oder wie sie sie behandeln. Fehlt die Interaktion/Rückmeldung oder findet diese nur sporadisch statt, kann das Kind sich nur schwer ein Bild von seinem Selbst machen (vgl. Steele 2002:124-128). Sexueller Missbrauch[10] innerhalb der Familie steht nicht für eine einzelne Tat, sondern drückt außerdem destruktive Familienbeziehungen aus. Er steht für die mangelnde Vertrauensbasis und Kommunikation sowie für wenig Schutz der beteiligten Personen. Neben möglichen körperlichen Entwicklungsdefiziten beeinträchtigt sexuelle Gewalt auch das Identitäts- und Selbstwertgefühl des Kindes[11] (vgl. Steele 2002:130ff.). Als eine weitere Form der Kindeswohlgefährdung wird die Vernachlässigung benannt. Mit vernachlässigenden Handlungen sind beispielsweise fehlende oder mangelhafte Ernährung oder nicht alters- und entwicklungs-entsprechende Versorgung der kindlichen Bedürfnisse (Nähe, Schutz) gemeint Elterliche Verhaltensweisen wie unzureichende Kontrolle und emotionale Vernachlässigung stellen kein adäquates Beziehungsangebot für das Kind dar (vgl. Mertens/Pankofer 2011:332f.). Fehlt die verbale Interaktion mit der Bezugsperson stellt das eine schwere Form der Vernachlässigung dar, denn Kinder haben den angeborenen Drang, zu kommunizieren und zu verbalisieren (vgl. Steele 2002:128f.). Entfällt die Spiegelung der Bezugspersonen, kann sich das Kind selbst nur bedingt wahrnehmen.

Schader benennt verschiedene Verhaltensweisen für unterschiedliche Altersstufen von Kindern. Anhand der folgenden Aufschlüsselung sind psychische Folgen deutlich erkennbar (vgl. 2.1). Gleich welches Alter die Kinder und Jugendlichen haben, so sind Verhaltensauffälligkeiten wie frühzeitige Verantwortungsübernahme, aggressive oder passive Tendenzen sowie psychische Erkrankungen infolge von Missbrauch und Misshandlung denkbar. Das Kind ist meist sozial sowie emotional auffällig (vgl. Schader 2012: 62ff.).

Erlebt es in den frühen Jahren der Kindheit traumatische Erlebnisse, so können sich im Alter von null bis drei Jahren Verhaltensweisen wie Grimassen schneiden, das Wegdrehen des Kopfes, allgemeine Schreckhaftigkeit oder das „Einfrieren“ (vgl. 2.1.1) des Gesichtes ausbilden. In ihrer weiteren Entwicklung denken sie häufig an der familiären Situation Schuld zu sein. Das Gefühlsleben ist eher labil und von Trotz, Wut und Scham durchzogen. Oft steht das Kind unter körperlicher Anspannung, leidet an massiven Trennungsängsten sowie Konzentrations- und Schlafstörungen, Kommunikationsschwierigkeiten und/oder entwickelt regressive Symptome (erneutes Einnässen, Babysprache).

Im Alter von sechs bis zwölf Jahren werden die mangelnde soziale und emotionale Kompetenz vor allem im Umgang mit anderen Kindern auffällig. In der Schule kann es sich schlecht konzentrieren. Durch das „Versagen“ im schulischen und sozialen Umfeld entwickelt sich das Gefühl der Ausgeschlossenheit und Selbstwertprobleme. Infolge dessen werden Kinder und Jugendliche gewaltbereiter und sind leicht reizbar. In den kommenden Jahren fallen sie durch grenzverletzendes sexuelles und fremdge-fährdendes Verhalten, Mobbing, Kriminalität oder Schulabbrüche auf (vgl. Schader 2012: 62ff.).

2.4.2.1 Kinder psychisch kranker Eltern
Auch wenn eine diagnostizierte psychische Erkrankung nichts über die Erziehungskompetenz der Eltern aussagt, so haben 15% der Fälle von Kindeswohlgefährdung diesen Problemhintergrund. Der episodische Verlauf der (diagnostizierten) Krankheit kann von langer oder kurzer Dauer gekennzeichnet und die Symptome leichter oder schwerer ausgeprägt sein. Während der stabilen Phasen sind die Bezugspersonen auf keine bis wenig Unterstützung angewiesen. In krisenhaften Phasen können sie ihr Kind nicht angemessen versorgen und greifen auf dessen Mithilfe in der Alltagsbewältigung zurück (vgl. Wagenblass 2012:72ff.).
Um die Gefährdung für das mit dem psychisch kranken Elternteil(en) lebende Kind einschätzen zu können, müssen verschiedene Aspekte betrachtet werden. Grundlegend wichtig ist, ob die physische und psychische Versorgung (vgl. 2.2) des Kindes dem Alter und Entwicklungsstand entsprechend gewährleistet ist und wie es selbst die Krankheit erlebt. Manche können die Krankheitsepisoden durch individuelle Ressourcen kompensieren (Resilienz), andere erleben es als Krise und sind mit der familiären Situation überfordert. Doch gleich, ob es dies als Krise erlebt oder nicht, übernimmt es oft alltägliche Aufgaben und die Verantwortung in krankhaften Episoden. Es findet folglich eine Rollenumkehr („Parentifizierung“) statt und die Sorge um die Eltern (und eventuell Geschwister) bestimmt den Alltag. Dadurch verzichtet das Kind vielfach auf alters- und kindgerechte Beschäftigung und entwickelt eine hohe Sensibilität gegenüber den Stimmungen der Bezugsperson. Meistens wird es für seine Mühen mit Lob und Anerkennung belohnt, wodurch es wiederum ein gutes Gefühlt erfährt. Der so erlebte Alltag wird als richtig empfunden.
Ein Problem stellt die immer noch weitgehende Tabuisierung der Krankheit innerhalb der Familie wie in der Gesellschaft dar. Dem Kind wird es oft von den Bezugspersonen verboten darüber zu sprechen. Da es folglich in der Konfrontation mit der Krankheit allein dasteht, sucht es nach eigenen Erklärungen. Diese drehen sich oft um den Gedanken, dass sie an der Situation des Elternteils schuld sein könnte (vgl. Wagenblass 2012:72ff.). Die Eltern-Kind-Beziehung ist durch die Krankheit häufig stark belastet. Während psychotischer Schübe erlebt es seine Bezugsperson(en) teilweise als angst- und stressauslösend. Zusätzlich kommt es währenddessen auch zu Beziehungsabbrüchen, da in psychotischen Schüben das Kind meist weniger wahrgenommen wird. Die eigentliche Person, die den Schutz bieten soll, ist dabei die

„Quelle der Angst“ und es kann sich ein hoch-unsicheres Bindungsverhalten ausbilden (vgl. 2.2.1).
Kinder, die mit dem kranken Elternteil zusammenleben, sind neben den genannten noch weiteren psychosozialen Belastungsfaktoren ausgesetzt. Schon Säuglingen und Kleinkindern wird wenig oder nur phasenweise Empathie und emotionale Verfügbarkeit entgegengebracht, da das Feingefühl der Bezugsperson oft beeinträchtigt ist. Dementsprechend weniger können sie für die Bedürfnisse des Kindes da sein. Das bedingt häufig die zuvor erwähnte Parentifizierung. „Sie wirken oft besonders reif für ihr Alter, weil sie nicht Kind sein dürfen“ (Klein/Jungbauer 2016:13). Auch wenn es alltägliche Aufgaben gut meistern kann, so ist es häufig isoliert und empfindet eine Ohnmacht, den Eltern nicht helfen zu können. Die erlebten Krankheitsschübe können im kindlichen Denkmuster nicht eingeordnet und erklärt werden. Der Alltag wird oft von der Angst dominiert, dass sich die Bezugsperson selbst oder dem Kind etwas antun könnte (vgl. Klein/Jungbauer 2016:12ff.). Während psychotischer Schübe wird das Kind entweder in Phantasien einbezogen oder kaum noch wahrgenommen, wodurch die Eltern phasenweise oder dauerhaft emotional nicht erreichbar sind. Das Kind stellt seine Bedürfnisse hinter das Aufrechterhalten des Alltages und der Hilfe für die Eltern, was nach sich zieht, dass es eigene Empfindungen nicht klar wahrnimmt. Es lernt, sich selbst nicht richtig zu spüren: Wenn nicht einmal elementare Bedürfnisse wahrgenommen werden, fällt es sehr schwer respektive ist fast unmöglich, noch einen gesunden Selbstwert zu entwickeln. Während anhaltender krankhafter Episoden ist es schwierig, Signale der Eltern zu deuten und nachzuvollziehen. Es erlebt dieses Verhalten als irritierende und wenig verlässliche Quelle (vgl. Schone/Wagenblass 2002:20).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Kinder diese belastenden Erfahrungen äußerst unterschiedlich verarbeiten. Klein und Jungbauer benennen in diesem Zusammenhang insgesamt drei Copingstrategien. Infolge des Wechselspiels der Stimmungen der Eltern und der empfundenen Ohnmacht verfügt das Kind über wenig kognitiv-emotionale Strategien und sucht kaum Unterstützung im sozialen Nahraum. Bei einer moderaten Bewältigung treten emotionale Verarbeitungsstrategien wie Bagatellisieren, Ablenken oder Entspannen auf. Der Stress kann zwar unauffällig und durch ein flexibles Muster verarbeitet werden, trotzdem weist dieses Kind aggressive Tendenzen auf und will Situationen, in denen es sich befindet, kontrollieren. Im Gegensatz zu dem ersten Typ scheuen sie sich nicht, Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Andere können auf den ersten Blick gut den krankheitsbedingten Stress verarbeiten und wollen die Situation durch Verantwortungsübernahme und dem Finden von Lösungen klären. Allerdings kann es sich dadurch schlecht abgrenzen und ablenken, wodurch es leicht zu der Rollenumkehr kommen kann(vgl. Klein/Jungbauer 2016:14).

2.5 Beziehungen in stationären Einrichtungen

Bowlby spricht davon, dass „schwächere Individuen“ [Begriff des Autors], wobei mit dieser Beschreibung sowohl das Kind als auch die Eltern gemeint sein können, nach kompetenten Personen suchen. Das individuelle Bindungsverhalten ist dabei durch Angst, Schmerz, Müdigkeit sowie wirkliche oder vermeintliche Unerreichbarkeit zur Bezugsperson geprägt (vgl. ebd. 2014:64).

Die Familienmitglieder kommen mit individuellen Lebensgeschichten in die Wohngruppe. Zuvor gab es oft schon verschiedene Formen von ambulanten oder stationären Hilfen. In dieser fremden Umgebung kann das Kind ganz unterschiedlich mit Wut, Trauer, Angst oder Aggression reagieren. Die Unsicherheit, die im kommenden Abschnitt noch benannt wird, trägt außerdem zu diesen Gefühlen bei (vgl. Brendtro 1977:78).

Die Beziehung zwischen dem/der pädagogischen MitarbeiterIn und dem Kind wird zusätzlich durch Aspekte der Fremdheit, Unfreiwilligkeit oder dem Verhalten der Eltern, beeinflusst. Um eine Beziehung aufbauen zu können, müssen Sicherheit und Zuverlässigkeit kontinuierlich vermittelt werden. Wie bereits erwähnt, ist das Verhalten des Kindes durch viele Erfahrungen geprägt, die es vor der aktuellen Unterbringung gemacht hat. Vorerfahrungenwerden im kindeswohlgefährdenden Kontext oft nur mit negativen Erlebnissen in der Familie verknüpft. Jedoch gibt es im Leben des Kindes auch positive und fürsorgliche Momente mit den Eltern. Es aktiviert in dem Moment, in dem es von den Eltern getrennt und fremduntergebracht wird, genau diese Erinnerungen. Wenn die Eltern der Unterbringung zusätzlich noch kritisch oder ablehnend gegenüberstehen, orientiert sich das Kind an deren Meinung. Emotional sehr schwierig wird es, wenn es Vertrauen fasst und eine Beziehung zu den BetreuerInnen aufbaut. Es kann ein Loyalitätskonflikt entstehen (vgl. 2.5.4.1).

Im Kontext der stationären Unterbringung heißt Erziehung trotzdem nicht gleich Beziehung, sondern bezeichnet eher einen ständigen Prozess, in dem Vertrauen gegenüber dem/der HelferIn entwickelt wird. Offen ist jedoch immer, ob das Kind sich auf das Beziehungsangebot des/der PädagogIn einlässt oder einlassen kann. Gründe dafür wurden bereits im vorherigen Abschnitt angesprochen. Wenn nicht, wird die pädagogische Zusammenarbeit erschwert. Dennoch sollten BetreuerInnen dem Kind immer wieder Beziehungsangebote machen (vgl. Lemfeld 1997:281).

2.5.1 Trennung von den Eltern

Wenn eine Kindeswohlgefährdung festgestellt wird und ambulante Hilfen nicht greifen, die Gefährdung zu akut ist oder die Eltern nicht mitarbeiten wollen/ können, dann kann das Jugendamt eine stationäre Unterbringung initiieren. Durch die Fremdunterbringung wird das Kind aus seinem gewohnten Umfeld genommen und von den Eltern getrennt. Auch wenn es ihnen objektiv gesehen dort nicht gut geht, so ist das subjektiv gefärbte Erleben der Familienmitglieder oft ein anderes.

Wird von einer Trennung gesprochen, kann es sich zum einen um eine sogenannte „Alltägliche“ handeln, wie beispielsweise der Gang in die Kita oder Schule, oder zum anderen um jene, die Scheidung, Tod oder Heimaufenthalte als Hintergrund haben. Durch Letztere wird ein großer Einschnitt in das familiäre System vorgenommen, dieser kann sich ganz verschieden, auch im Hinblick auf andere Faktoren wie Dauer und/oder Wiederholung (im Falle einer stationären Unterbringung), auf alle Mitglieder auswirken.

Yarrow benenntverschiedene Trennungssituationen und unterscheidet sie je nach physischer wie psychischer Verfassung des Kindes und der Intensität.Es gibt einmalige kurz- oder längerfristige Trennungen des Kindes von den Eltern, wobei diese gemeinsam haben, dass sich das Familiensystem wieder vereinigt. Der Urlaub der Eltern oder ein Krankenhausaufenthalt sind kurzweilige einmalige Trennungen, der Besuch des Kindes in der Kita geschieht alltäglich. Dabei kann es entweder zu einer Abstumpfung des gezeigten Bindungsverhaltens in der Trennungssituation oder zu einer besonderen Empfindlichkeit kommen (vgl. Yarrow 1977:114f.).

Beispiele für eine längere Trennung können Krieg, Naturkatastrophen oder auch eine Krise in der Familie sein. Innerhalb des familiären Umfeldes kann es einerseits zu kurzfristigen intensiven Trennungen (z.B.: Ein Kind wird über das Wochenende in den Kindernotdienst eingewiesen und in der folgenden Woche wieder entlassen), aber andererseits auch zu mehrfachen längerfristigen Trennungen (z.B.: stationäre Unterbringungen) kommen. Diese Fälle werden vom Sozialen Dienst begleitet und beobachtet. Oft werden ambulante oder stationäre Hilfen installiert. Im Falle einer temporären Unterbringung stellt sich am Ende der Hilfe die Frage der Bedingungen für eine perspektivische Wiedervereinigung.Entscheidet sich das Helfersystem gegen die Rückführung in die Herkunftsfamilie, kann es zu einer länger andauernden Trennung kommen, in Form von einer Fremdunterbringung in einer Gruppe, Pflegefamilie oder Erziehungsstelle (vgl. Yarrow 1977:114f.).

Trennungsängste bei Kindern entstehen schon bei Androhung von Trennung der Bezugsperson und sie lösen Unsicherheits- und Angstbindungen aus. Das kann wiederum zur Hemmung von Autonomiebestrebungen und -konflikten führen. In Fällen einer kurz- oder längerfristigen Fremdunterbringung wird die Androhung zur Realität. Je jünger das Kind ist, desto größer wirkt die empfundene Belastung. Kleinkinder entwickeln ein „akutes Verlassenheitssyndrom“, welches sich durch psychomotorische Unruhe, Schlafstörungen oder Schreien äußert. Ältere Kinder zeigen ihren Unwillen deutlich entweder durch eine Idealisierung der Eltern, die gänzlich unrealistisch ist oder durch deren vollkommene Ablehnung. Auch wenn die Rahmenbedingungen in der Herkunftsfamilie als schwer wahrgenommen werden, so haben auch sie eine (enge) Bindung zu ihren Eltern. Dies entsteht, weil die Mutter respektive die Eltern als erste Bezugspersonen alle ersten Erfahrungen und Bedürfnisbefriedigungen des Kindes durch Momente, Stimmungen und den vermittelten Schutz sowie die Zuwendung färben und beeinflussen. Neben den Folgen häufiger oder heftiger Trennungs-erlebnisse wirken zusätzlich Faktoren wie das „neue“ Umfeld in seiner Beschaffenheit und Art der Pflege sowie auch die alten respektive neuen Beziehungserfahrungen auf das Kind ein. Weiterhin spielt es eine wichtige Rolle, auf welche Art und Weise es zu der Trennung kommt[12]. Der erlebte Trennungsschmerz und das (Nicht-) Annehmen des neuen Beziehungsangebotes werden von all diesen Faktoren mitbestimmt(vgl. Hanselmann/Weber 1986:36f.).

Ein Kind ist seinen Eltern gegenüber immer loyal. Veranlassen staatliche Entscheidungsträger eine Hilfe, mit welcher Familienmitglieder nicht einverstanden sind, kommt dieses unsichtbare Band besonders zum Tragen. Ganz gleich, welche negativen Erfahrungen es zu Hause gemacht hat, bleiben die Eltern die primären Bezugspersonen. Die Trennung von den Eltern kann das unsichtbare Band zwischen ihnen und dem Kind noch mehr hervorbringen und stärken. Im pädagogischen Feld wird davon gesprochen, dass der Leidensdruck beider Parteien sehr hoch wird.

Während der Fremdunterbringung ist für ein Kind eine der schwierigstenSituationen der ständige Wechsel zwischen Bezugs- und Pflegepersonen in Pflegestellen und/oder stationären Einrichtungen[13]. Dabei ist es sehr schwer, neues Vertrauen zu entwickeln und neue Beziehungen aufzubauen (vgl. Yarrow 1964:114f.).Doch auch wenn es schwierig ist, bedeutet das nicht, dass es nicht mindestens zu einer Annäherung des Kindes und der/dem BetreuerIn kommen kann.

Eine Trennung kann auch ambivalente Gefühle auslösen. Das neue Umfeld bietet Schutz und Geborgenheit, selbst wenn das Kind vorerst in den Widerstand geht.Die Art der Misshandlung oder Vernachlässigung, welche das Kind im familiären Umfeld erlebt hat, hört abrupt auf, wodurch sich das Kind sich entspannen und Vertrauen entwickeln kann. Wie stark die Loyalität wirkt, hängt auch von dem Verhalten der Familienmitglieder während der stationären Unterbringung ab. Es spielt eine wichtige Rolle, ob die Eltern und das Kind sich selbst erlauben, dass die Situation nun besteht und sie eventuell Abstand voneinander gewinnen müssen.

2.5.2 Vertrauen

Wie im vorherigen Absatz erwähnt, ist die kontinuierliche schützende, zuverlässige und wertschätzende Beziehung unablässig für den Vertrauensaufbau (vgl. 2.2). Kinder unterscheiden die Menschen, mit denen sie in Kontakt kommen, durch den Grad der Vertrautheit. Demnach werden unbekannte Personen im ersten Moment eher als bedrohlich eingestuft[14]. Das zugrundliegende Bindungsverhalten, welches sich im Zuge der Mutter-Kind-Bindung entwickelt hat, spielt dabei eine wichtige Rolle, wie es gegenüber fremden Personen reagiert[15] (vgl. Schmidt-Denter 1993:337ff.).
Wagenblass zitiert Luhmann so, dass Vertrauen immer ein Versuch ist, die Komplexität der wahrgenommenen Umwelt zu reduzieren. Dies wird als Kontroll- und Wissensverzicht von gesellschaftlichen Teilsystemen bezeichnet. Indem nicht jeder Mensch über alles Bescheid weiß (wissen muss), bleibt er handlungsfähig und macht mögliche Gefahren bewältigbar. Es „überbrückt die Kluft zwischen Erwartung und Gewissheit“ (Abb. 2). Ob sich das Investieren von Vertrauen gelohnt hat, kann durch das Ergebnis abgewogen werden. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit besetzen dahingehend eine gewichtige Position (vgl. Wagenblass 2004:68). Das folgende Schaubild soll veranschaulichen, wie sich Vertrauen bildet und welche Faktoren zusätzlich darauf einwirken.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Vertrauen und Zeit (Wagenblass 2004:69)

Die gewonnenen Erfahrungen und Informationen, haben eine große Wirkung auf die Erwartungen in der Gegenwart. Beides beeinflusst wiederum das Vertrauen, das den Personen für die Zukunft entgegengebracht wird. Geschenktes Vertrauen ist laut Wagenblass eine „riskante Vorleistung“, die erbracht wird. Um handlungsfähig zu bleiben, muss dieses Schenken von Vertrauen stattfinden, um die „Kluft“ (s.o.) zu überbrücken. Nach dem Ende eines Ereignisses oder einer gewissen Zeitperiode kann durch den Vergleich mit zurückliegenden Erfahrungen eruiert werden, ob sich die Vorleistung gelohnt hat.
Kinder müssen bei kurzen, längeren oder dauerhaften Trennungen ein solches Risiko erbringen. Dabei müssen sie (zwangsläufig) den BetreuerInnen in Gruppen oder Pflegefamilien Personenvertrauen entgegenbringen, wodurch Unsicherheitsmomente überbrückt werden. Es wird definiert als

„generalisierte Erwartung, dass der andere seine Freiheit, das unheimliche Potenzial seiner Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird- oder genauer, im Sinne der Persönlichkeit, die er als die seine darstellt und sozial sichtbar gemacht hat.“ (Wagenblass 2004:70)

Das bedeutet, dass jeder Mensch darauf vertraut, dass sein Gegenüber, ganz gleich wer es ist, die eigenen Handlungsmöglichkeiten seiner gezeigten Person[16] voll ausschöpft.Personenvertrauen ist nicht dauerhaft angelegt, es muss sich immer wieder bewähren und bestätigen. Dabei gibt es einen gewissen Kredit, der sich nach und nach erschöpft (vgl. Wagenblass 2004:71). Das bedeutet, dass in einer anhaltenden Krisensituation irgendwann ein Punkt erreicht wird, an dem Kinder mehr und mehr das Vertrauen in ihre Eltern verlieren. Gleichermaßen heißt das auch, dass BetreuerInnen das Vertrauen der Kinder gewinnen können. In diesem stetigen Prozess kann es dazu kommen, dass sich bei dem Kind ein Loyalitätskonflikt entwickelt. Wagenblass benennt drei Bedingungen dafür, dass Vertrauen entstehen kann: Das menschliche Handeln hat weder mit rechtlichen noch juristischen Gründen zu tun, es besteht für das Kind überhaupt ein Anlass zu vertrauen und beide Seiten erbringen diese Vertrauensvorleistung (vgl. ders. 2004:70f.).

2.5.2.1 Vertrauen (-sproblem) in der Jugendhilfe

Vertrauen wird niemals vorausgesetzt, denn es hängt zum großen Teil davon ab, ob die beteiligten Akteure es überhaupt entwickeln können. Wie vertraut wird, hängt von den genannten Faktoren abgesehen (s.o.) auch von der Struktur der individuellen Umwelt ab, sprich ob vorher schlechte oder gute Hilfeerfahrungen gemacht wurden.Das Vertrauen und somit auch die Beziehungen in derJugendhilfe werden durch verschiedene Aspekte wie Machtasymmetrie, Unfreiwilligkeit sowie einem ambivalenten Hilfe- und Kontrollcharakter beeinflusst (vgl. Wagenblass 2004:72f.; 105ff.).

Ein weiteres Problem stellt die Unsicherheit beider Seiten dar. Der/die BetreuerIn ist sich zu Beginn der Hilfe nicht sicher, ob und in welchem Maße das Kind und die Eltern mitwirken werden. Es stellen sich die Fragen, welche Verhaltensänderungen bewirkt werden können und welche familieninternen sowie externen Ressourcen dafür vorhanden sind respektive aktiviert werden müssen. Die Unsicherheit der Eltern begründet sich oft darin, dass sie nicht wissen, wie sie bei der Definition und Lösung des Problems beteiligt und in welcher Weise ihre individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Ängste können sich auch aus dem Gedanken ergeben, dass Interventionen veranlasst werden, denen sie willentlich nicht zustimmen (vgl. ders. 2004:103f.).Wenn auch bei Wagenblass nicht angesprochen, so sind einige Ängste des Kindes denkbar: Wird es beteiligt? Wem kann es vertrauen? Wie lange wird es untergebracht sein? Die Unsicherheit kann sich darauf begründen, dass es vor die Tatsache gestellt (im Falle, sie melden sich nicht selbst) wurde, untergebracht zu werden. Unbekannte Personen in einem fremden Umfeld können das Kind leicht in eine Überforderungssituation bringen.

Ein Problem, dass das Fassen von Vertrauen erschwert, ist, dass die Jugendhilfe oft von einer Machtasymmetrie begleitet ist. Weber definiert Macht als Option andere innerhalb sozialer Beziehungen zu beeinflussen. Infolgedessen können Handlungen und Ideen gegen deren Willen durchgesetzt werden (vglHeck 1989:23). Die Angst auf Seiten der Eltern könnte dadurch wachsen, dass gegen ihren Willen gehandelt wird. Bevor der eigentliche Prozess der pädagogischen Zusammenarbeit beginnt, müssen durch Transparenz und Offenheit unsichere Momente ausgeräumt werden. Auch wenn keiner der beteiligten Akteure vorhersehen kann, wie die anderen zukünftig handeln, muss Vertrauen als Vorleistung erbracht werden (vgl. 2.5.2).

Preisendörfer spricht noch einen weiteren Aspekt an, der es erschwert, Vertrauen zu entwickeln: soziale Beziehungen in Krisengruppen sind durch ein Zeitproblem charakterisiert (vgl. Wagenblass 2004:103ff.). Druck baut sich vor allem dann auf, wenn eine Hilfe nur für einen gewissen Zeitraum bewilligt und finanziell getragen wird. Eine Krisengruppe ist eine solche Hilfe. In der kurzen Zeit ein vertrauenswürdiges Arbeitsbündnis zu schaffen, stellt die beteiligten Personen des Helfersystems sowie die Familie vor eine Herausforderung.

Im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe stellt sich die Frage, ob verloren gegangenes Vertrauen in die eigene Person und die soziale Umwelt wiedererlangt werden kann. Begünstigend kann die Haltung des/der PädagogIn wirken. Sie sollte stets respektvoll, voller Anteilnahme und von Authentizität geprägt sein.Akzeptanz und Anerkennung sollten in Konsistenz, Gerechtigkeit, Wohlgesonnenheit und Verbundenheit gegenüber dem Kind eingebettet sein (vgl. ders. 2004:105ff.). Das Kind muss durch Einfühlungsvermögen in der fremden Situation aufgefangen werden. Der Aufbau des Vertrauens sowie die Beziehungsgestaltung hängen weiterhin von der empfundenen Sympathie, der Sicherheit wie der Kontinuität ab. Neben den eben erwähnten Aspekten spielt die Kommunikation eine wichtige Rolle. Der/die ErzieherIn muss sich dem Kind (und Eltern) mit der ganzen Aufmerksamkeit zuwenden und Empathie für die Situation und Gefühlslage entwickeln. Handlungen und Intentionen müssen für die am Hilfeprozess Beteiligten transparent gemacht werden. Wird langsam eine Vertrauensbeziehung aufgebaut, kann der/die ErzieherIn dem Kind anspruchsvolle Aufgaben übertragen und Erfolge bestätigt werden. Somit wird das Selbstvertrauen Schritt für Schritt wieder aufgebaut. Steinke betont für die sozialpädagogische Praxis, dass der „gelungene Alltag“ die Basis für das Vertrauen ist. Demnach muss von Beginn an kommuniziert werden, um die vorhin erwähnten Unsicherheiten auszuräumen. Weiterhin tragen „schmusen können, vertrauensvolle BetreuerInnen erleben, duzen mit Betreuern“ (Stanulla 2003:99) sowie verlässliche Abläufe von Tages- und Wochenstrukturen zum Gelingen bei (vgl. ders. 2003:97ff.).

2.5.3 Kommunikation

Um in Beziehung zu treten, ist es unablässig miteinander zu kommunizieren. Reifarth spricht davon, dass diese zum „Zustandekommen einer sozialen Beziehung beiträgt“. Im Umkehrschluss wirkt sich die Beziehung auf die zwischenmenschliche Kommunikation aus. Dies wird als reziproker Prozess gefasst, der durch bestimmte Gesetzmäßigkeiten, genannt Axiome, beeinflusst wird (vgl. ebd. 2002:562). Wazlawik bezieht sich in seinen Ausführungen auf insgesamt fünf Axiome:

1. Axiom: Auch wenn niemand etwas sagt, so heißt es nicht, dass nichts gesagt wird. Oder um es mit den Worten Wazlawiks auszudrücken: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ Jedes verbale wie nonverbale Verhalten beinhaltet Kommunikation.
2. Axiom: In jeder Kommunikation finden sich eine Inhalts- und eine Beziehungsebene. Erstere ist durch das Austauschen von offenkundigen Informationen gekennzeichnet, Letztere lässt erkennen, wie die Beteiligten zueinander stehen. Jede (non-)verbale Äußerung enthält eine Selbstoffenbarung („Ich möchte, dass du mich in einer bestimmten Art und Weise siehst.“) und einen Appell („Ich möchte, dass du das machst.“). Jede Äußerung wird zusätzlich dadurch beeinflusst, wie direkt oder versteckt beide Aspekte angesprochen werden. Die Beziehung fungiert als Filter, bei welcher die Gefühle des Gegenübers akzeptiert werden müssen, bevor Informationen verarbeitet werden können.
3. Axiom: Die Zeichensetzung (oder Interpunktion) beeinflusst ebenfalls die Struktur des Gesprächs und kann gegebenenfalls die Bedeutung verändern. Die Frage nach dem Beginn der Auseinandersetzung und der Schuld werden von den Beteiligten (wahrscheinlich) unterschiedlich beschrieben. „Die Perspektive bestimmt das Bild.“ Dabei spielt auch jedes Anheben oder Senken der Stimme sowie laut oder leise zu sprechen etc. eine Rolle. Indem versucht wird, sich in den anderen hineinzuversetzen, können „gegnerische“ Argumente besser verstanden werden und das eigene Verhalten wird nicht nur als Reaktion auf das des anderen gesehen.
4. Axiom: In diesem Axiom geht es darum, in welcher Form, analog oder digital, die Informationen der beiden genannten Ebenen (2. Axiom) geäußert werden. Vorwiegend werden Sachinformationen digital und Beziehungsaspekte analog[17] vermittelt.
5. Axiom: KommunikationspartnerInnen können sich entweder „komplementär“ oder „symmetrisch“ zueinander verhalten. Akzeptieren beide Seiten ihre Positionen und agieren dementsprechend, entstehen keine Probleme. Erkennt einer, oder beide, die Position (die eigene oder die des anderen) aber nicht an oder hat ein anderes Verständnis davon, entstehen Schwierigkeiten. „Denn dann geht es erst einmal darum, wer Recht haben darf, damit der dann entscheiden kann, wer Recht bekommt.“ (Wazlawik et al. 2007:50-71)

In der Kinder- und Jugendhilfe ist es selten, dass die KommunikationspartnerInnen ihre Positionen zu Beginn anerkennen. Sowohl die Eltern als auch das Kind sind durch die entstandene Krisensituation von dem (Fach-)Wissen und der helfenden Stellung des/der BetreuerIn abhängig. Unfreiwilligkeit als Ausgangspunkt oder in der Einrichtung entstehende Konflikte benötigen ein transparentes Vorgehen, um diese zu lösen. Zu Beginn der Unterbringung mögen viele Gespräche noch komplementär sein oder wirken. Ziel sollte es jedoch immer sein, eine symmetrische Beziehung herzustellen. Dies meint nicht nur die Auffassung, dass der/die HelferIn als ExpertIn gilt und die Eltern sich durch diese leiten lassen, sondern auch die Eltern und das Kind als ExpertInnen ihrer eigenen Familie wahrzunehmen.

In den vorherigen Ausführungen wurde die Bindung zwischen den Familienmitgliedern ausführlich dargestellt. Ebenso wurden Krisen und Konflikte sowie Aspekte von Kindeswohlgefährdung angesprochen. In diesem Kontext kann die Frage, wieso das Kind trotz gefährdender Aspekte bei seinen Eltern bleiben will, aufkommen. Neben der Objektkonstanz spielt auch die Loyalität eine wichtige Rolle. Diese begründet sich in der Bindung und dem Vertrauen zu den Familienmitgliedern. Das Kind verbringt sein gesamtes bisheriges Leben mit diesen Menschen. Und gleich, welches Bindungs-verhalten oder welche Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen sich durch den Familienkontext ergeben haben, wird es ihnen gegenüber loyal sein. Dieses Fundament der Bindung kann allerdings durch neue Erfahrungen in Frage gestellt werden. Das fremduntergebrachte Kind kann in einer Wohngruppe dadurch in einen Loyalitätskonflikt geraten. Die folgenden Ausführungen sowie die Auswertung der Experteninterviews sollen Aufschluss über das Problem sowie pädagogische Lösungsstrategien geben.

2.5.4 Loyalität

Boszormenyi-Nagy und Spark bezeichnen Loyalität als eine „positive Haltung der Zuverlässigkeit des Einzelnen gegenüber einem sogenannten Loyalitäts-Objekt“. Es bildet eine wichtige Grundlage für das seelische und soziale Leben der Familienmitglieder (vgl. Müller-Hohagen 2016: o.S.). Da im familiären System mehrere Mitglieder in ein sogenanntes Loyalitätsnetz verstrickt sind, generiert sich eine strukturierte Gruppenerwartung, deren Erfüllung vorausgesetzt wird. Als eines der Kennzeichen von Loyalität benennen Boszormenyi-Nagy und Spark das Zögern, die Gruppe zu verlassen, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt (vgl. Boszormenyi-Nagy/Spark 1981:66). Damit ist gemeint, dass das Kind gegenüber seinen Eltern loyal ist, selbst wenn es merkt, dass diese ihm Gewalt antun. Es sucht dabei nach Erklärungen, wieso die vertrauten Personen dieses Verhalten zeigen. Oft gelangt es zu dem Schluss, dass es selbst Schuld hat. Kleinere Kinder werden durch äußere Erziehungsmaßnahmen (z.B.: körperliche Strafen) dazu angehalten, sich den Erwartungen der Familie unterzuordnen. Ältere haben bestimmte Werte und Verhaltensweisen durch Maßnahmen in der Kindheit verinnerlicht und verhalten sich entsprechend ihrer Loyalitätsbindungen. Selbst wenn die Versorgung im Kleinkindalter nicht auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten war, so haben es die Mutter respektive Eltern versorgt und großgezogen. Das Kind empfindet, laut Boszormenyi-Nagy und Spark, eine lebenslange Dankesschuld ihnen gegenüber. Durch die erbrachte mehr oder weniger geschenkte Zuwendung hat das Kind trotzdem Vertrauen zu seinen Eltern gefasst, wodurch es sich loyal verhält (vgl. 2.5.2). Denn Loyalität gegenüber einem anderen Menschen entwickelt sich nicht in einem kurzen Zeitraum, sondern es muss eine gemeinsame Geschichte vorhanden sein (vgl. Flechter 1994:16ff.).

„Was sich als erschreckend destruktives und aufreizendes Benehmen eines Mitglieds gegen ein anderes darstellen mag, wird vielleicht von beiden gar nicht als solches empfunden, sofern ihr Verhalten grundsätzlich im Einklang steht mit der Familienloyalität.“ (Boszormenyi-Nagy/Spark 1981:70)

2.5.4.1 Loyalitätskonflikte

Boszormenyi-Nagy und Spark sprechen im Zusammenhang von Loyalitätskonflikten auch immer wieder von Gerechtigkeit und Ungleichgewicht der Beziehungskonten. Mit Gerechtigkeit sind das Geben von Liebe, Zuwendung, Empathie und Schutz gemeint. Wie auch das Kind von seinen Eltern Verhalten wie Emotionen imitiert und dies die Bindung beeinflusst, so sind die Erwachsenen von deren Herkunftsfamilie geprägt. Das destruktive Verhalten der Gegenwart bezieht sich häufig auf „unausgeglichene Loyalitätskonten“ zwischen den Eltern und den Großeltern -auf Kosten des Kindes. Das Forttragen des erlernten Verhaltens lässt die Eltern Rollen einnehmen, die sie in ihrer Kindheit vorgelebt bekommen haben. So wie das Kind während der Fremdunterbringung gegenüber den Eltern loyal ist, so sind es diese gegenüber den Großeltern. Das Maß an erbrachter Zuwendung und Sorge wird oft daran gemessen, was sie selbst empfangen haben. Indem sich Erfahrungen aus der Kindheit der Eltern in der Erziehung ihres Kindes wiederholen, müssen diese sich nicht in einen Loyalitätskonflikt zu eigenen Bezugspersonen begeben (vgl. Boszormenyi-Nagy/Spark 1981:46ff.;90;177).

Von Ausbeutung sprechen die Autoren wenn Liebe, Zuwendung, Schutz und Empathie nur unregelmäßig oder gar nicht gewährt werden. Dadurch entsteht eine ungerechte Buchführung, bei welcher Eltern durch bestimmte Aspekte die Konten nicht ausgleichen (können). Ein solcher Faktor kann beispielsweise Überforderung sein (vgl. ders. 1981:149).

Wenn Kinder in eine bedrohliche oder fremde Situation geraten, suchen sie, um diese einordnen zu können, bei den ihnen vertrauten Erwachsenen nach Emotionen oder Stimmungen. Die Fremdunterbringung stellt eine solche Situation dar und die Bindung zwischen dem Kind und den Eltern kommt in diesem Kontext besonders zur Geltung. Wenn die beteiligten Erwachsenen mit Unsicherheit, Wut, Trauer oder etwa Enttäuschung reagieren, dienen diese Emotionen als Orientierungshilfe für das Verhalten des Kindes. Dies wird „social referencing“ genannt. Ein Experiment[18] stellte fest, dass, wenn das Verhalten der Eltern nicht eindeutig ist (durch die unbekannte Situation), das Kind eher negative Emotionen sowie belastetes oder gehemmtes Verhalten zeigen (vgl. Sorce et al. 1985:195-200).Die Verhaltensweisen der Eltern beeinflussen demnach maßgeblich, ob sich das Kind in der neuen Umgebung einleben und wohlfühlen kann.Ambivalentes oder unsicheres Verhalten sowie unbewusst oder bewusst geäußerte Abneigung wirken sich auf die Gefühlslage des Kindes aus. Wenn es sich in der Wohngruppe zugehörig fühlt, die Eltern diese aber ablehnen, entsteht ein Konflikt.

Dem Kindfällt es oft schwer sich an sein neues temporäres Umfeld zu gewöhnen. Im elterlichen Haushalt wurde es entweder mit Ablehnung oder Überforderung konfrontiert. Um trotzdem zu bestehen, hat es im Laufe seiner Entwicklung bestimmte Schutzmechanismen entwickelt, die ihm helfen zu „überleben“. Zum Beispiel wurden Kommunikationsbarrieren errichtet, welche die Interaktion mit den BetreuerInnen auf ein Minimum beschränken können. Genau diese und andere Strategien[19] erschweren es, Vertrauen aufzubauen. Trotzdem begegnen MitarbeiterInnen ihm mit Geduld, Zuwendung und Empathie und offerieren immer neue Beziehungsangebote. Bemerkt das Kind, dass diese ehrlich um sein Wohlergehen und die Integration in die Gruppe bemüht sind, beginnt es sich zu öffnen und es bildet sich nach und nach ein Vertrauensverhältnis. Das Kind will sich im elterlichen wie im stationären Umfeld wohlfühlen, wobei die Loyalitätsbindung zu den Eltern um jeden Preis erhalten bleiben soll (vgl. Müller-Hohagen 2016: o.S).

Loyalität wird vonBoszormenyi-Nagy und Spark mit Verpflichtungen in Beziehungen gleichgesetzt, wobei die Nichteinhaltung derer zu Schuldgefühlen führen kann (vgl. ebd. 1981:67). Gleich, auf welchem Weg das Kind in eine Wohngruppe kommt, entwickelt es häufig das Gefühl, die Schuld zu tragen. Die kindlichen Denkmuster lassen wenig andere Erklärungen zu, da häufig über die Probleme im familiären Umfeld oft nicht gesprochen wird, wodurch auch keine Erklärungsalternativen geboten werden. Flechter verweist in dem Zusammenhang der sichtbar werdenden Loyalitäts-bindungen auf die Notwendigkeit einer dritten Partei. Diese stellen die MitarbeiterInnen der Wohngruppe dar. Zwar soll die Herausnahme des Kindes eine Entlastung darstellen, doch häufig wird sie von den Eltern als Zeichen des Versagens gedeutet und erweckt negative Gefühle bei ihnen. Für viele ist die Erziehung des Kindes eine lebensfüllende Aufgabe, welche von einem auf einen anderen Moment weggenommen wird. Die MitarbeiterInnen werden in diesem Konstrukt zu KonkurrentInnen, da sie die Erziehung des Kindes übernehmen (vgl. Flechter 1994:21ff.). Für Eltern ist die Unterbringung nur schwer auszuhalten. Wenn sie das signalisieren, befindet sich das Kind fortlaufend in einer Warteposition und kann sich somit nicht auf die BetreuerInnen und Kinder einlassen. In solchen Fällen vertrösten sie z.B. das Kind immer wieder auf einen neuen Zeitpunkt, an welchem es wieder nach Hause kann. Während dieser Zeit werden die Eltern aufgewertet und in der Gruppe verhält es sich eher zurückhaltend oder besonders ablehnend. Die MitarbeiterInnen der Gruppe bieten allerdings immer wieder neue Beziehungsangebote an und zeigen Geduld. Oft steht diese Interaktion im Kontrast zu den Erfahrungen im elterlichen Haushalt. Da diese dadurch in den Konflikt geraten, wollen sie eine bestimmte Dynamik einleiten, die der im Elternhaus nahekommt (vgl. Conen 1996: o.S).

Loyalität kommt vor allem dann zum Vorschein, wenn das Kind fremduntergebracht wird. Kinder blühen in der neuen Umgebung in den ersten Wochen richtig auf und genießen die Zuwendung, Freundlichkeit und den Schutz. Nach einiger Zeit endet dies allerdings, da sie langsam erkennen, dass die Probleme nicht bei ihnen liegen (da sie sich bei anderen woanders gut entwickeln). Im Vordergrund steht dann das elterliche Versagen. Das Zurückfallen in „alte Muster“ hilft dem Kind, den Loyalitätskonflikt zu ertragen oder zu verdrängen und entlastet die Eltern von dem Image „schlechte Eltern“ (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2014:23f.).

3 Zwangskontext und Zusammenarbeit

Da nun die bindungstheoretischen Grundlagen, (destruktive) Familiendynamiken und unsichtbare Bindungen thematisiert wurden, sollen im Folgenden rechtliche Grundlagen erklärt werden. Zum einen werden die Rechte der Eltern und Kinder betrachtet und zum anderen die Legitimationsgrundlage der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), die eine stationäre Unterbringung rechtfertigt.

3.1 Eltern- und Kinderrechte

Das Grundgesetz regelt in der Bundesrepublik Deutschland die Staatsorganisation und sichert Freiheiten jedes Einzelnen. In Artikel 6 wird insbesondere geregelt, dass Eltern das natürliche Recht auf die Erziehung und Pflege ihres Kindes haben. Sie sind außerdem in der Pflicht, für das Kind die Personen- und Vermögenssorge nach §1626 BGB auszuüben. Dabei sollen dessen wachsende Fähigkeiten und Bedürfnisse beachtet werden, während es nach Selbstständigkeit und verantwortungsbewusstem Handeln strebt (vgl. Tammen 2007:537). Anzumerken ist bei diesen Regelungen, dass sie nur Aussagen über das Kind und nicht in dessen Interesse treffen. Die Pflege und Erziehung soll sich, laut Bundesverfassungsgericht aber an dessen Wohl orientieren.

Die UN Kinderrechts-Konvention trug maßgeblich dazu bei, dass das Kind heute als eigenständiges Rechtssubjekt wahrgenommen wird. Seit dem Jahr 2000 ist dadurch gesetzlich verankert, dass es ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat und „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen […] unzulässig“ sind (§1631 BGB).

Das achte Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfegesetz) regelt alle Leistungen die bundesweit für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zutreffen. Das gesetzliche Wächteramt wird von Jugendämtern wahrgenommen, Angebote sowie Einrichtungen gehören meist freien Trägern der Jugendhilfe an (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk o.J.:o.S.).

3.2 Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe hat ein Doppelmandat inne: Sie soll fördernd, helfend und unterstützend für Kinder und Jugendliche sowie auch deren Familien wirken, um individuelle und soziale Krisen zu überwinden. Gleichzeitig ist sie aber auch die kontrollierende Instanz des Staates. Kriseninterventionen stellen einen schweren Eingriff in die Rechte der Familie dar und sind daher oft mit Unfreiwilligkeit, Unaufkündbarkeit und Asymmetrie verbunden (vgl. Kotthaus 2010:121).Es ist schwierig, die richtige Hilfe für die einzelnen Fälle und Bedarfe der Familien, im speziellen der Kinder, zu finden und abzuschätzen, ab wann in die aktuelle Familiensituation eingegriffen werden muss.

Werden den MitarbeiterInnen des Jugendamtes gewichtige Informationen zuteil, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist, muss das Risiko mit weiteren Fachkräften eingeschätzt werden (§8a SBG VIII). Kann der Schutz trotz allem gewährleistet werden, sollen nach Möglichkeit die Erziehungsberechtigten und das Kind mit einbezogen werden. Ist es möglich, die Gefährdung durch Hilfen des Jugendamtes oder freier Träger abzuwenden, müssen diese den Eltern angeboten werden (§27 SBG VIII). Alle Hilfen sollten grundsätzlich auf der Basis der Freiwilligkeit fungieren.

Das Familiengericht kann nach §1666a BGB angerufen werden, wenn das geistige, körperliche und seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und/oder wenn die Erziehungsberechtigten „nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken“ (§8a SGB VIII).

„Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll.“ (§1666a BGB)

Die Herausnahme der Kinder aus dem elterlichen Haushalt ist nur legitimiert (Art.6 Abs.3 GG), wenn der Erziehung und Versorgung nicht Sorge getragen wird oder eine Verwahrlosung aus anderen Gründen droht. In Gefährdungssituationen macht der Staat dementsprechend von seinem Wächteramt Gebrauch. Dabei sollten Mitarbeiter des Jugendamtes idealerweise nach dem Grundsatz „So viel Akzeptierung des Kindeswillens wie möglich, so viel staatlicher Eingriff wie nötig zur Sicherung des Kindeswohls“ (Bülow et al. 2014:17)handeln.

3.2.1 Ziele und Aufgaben

Die Aufgaben basieren auf dem Grundgedanken, dem Kind für und in seiner Entwicklung einen Schonraum zu bieten und dieses zu fördern (§1 SGB VIII). Die individuelle und soziale Entwicklung soll unterstützt, Benachteiligungen vermieden und Sorge für positive Lebensbedingungen getragen werden, wobei der Erziehungsgedanke im Mittelpunkt stehen sollDiese Aufgaben haben das Ziel, dass dem Kind Bedingungen des Aufwachsens zugrunde gelegt werden, die eine lebensweltorientierte Entwicklung und Gestaltung sowie ein Zusammenleben mit der Familie ermöglicht. Die Kinder- und Jugendhilfe hat außerdem folgenden Anspruch:

- Beteiligung aller am Hilfeplanprozess (Partizipation)
- Hilfe zur Bewältigung kritischer Lebensphasen gewährleisten (Prävention)
- Entwicklung tragfähiger Unterstützungsstrukturen (Regionalisierung)
- Respektierung der Lebenserfahrung (Alltagsorientierung)

Auch wenn diese Ansprüche immer berücksichtigt werden sollten, stehen die oft im Widerspruch zur Realität (vgl. Jordan et al. 2012:20ff.).

3.3 Inobhutnahme und Unterbringung

Eine gesetzliche Inobhutnahme nach §42 SGB VIII soll Abhilfe in aktuellen und akuten Familienkrisen schaffen. Das Jugendamt ist verpflichtet das Kind in Obhut zu nehmen, wenn dieses selbst darum bittet oder eine Gefahr für das Kindeswohl eine Herausnahme aus der Familie verlangt. Es ist nicht notwendig, dass Minderjährige ihre Selbstmeldung begründen, ausreichend ist die subjektive Wahrnehmung. Solange das Jugendamt keine tatsächliche Gefahr feststellt, kann das Kind oder der Jugendliche die Hilfe auch selbst beenden (vgl. Kirchhart 2008:16). Legitimiert wird dieser Eingriff (die Herausnahme) nur, wenn die Sorgeberechtigten zustimmen bzw. die familien-gerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden kann.

Mit einer Unterbringung ist die „Erziehung und Versorgung von Minderjährigen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie durch nicht-verwandte Personen […]“ (Schleiffer2015:68)gemeint, welche kurzzeitig oder längerfristig sein kann. Der stattfindende Hilfeplan (§36 SGB VIII) soll über die Form und Dauer der Unterbringung Aufschluss geben.

Ziel der Intervention ist die Krisen- und Perspektivklärung sowie der zeitlich begrenzte Schutz (vgl. Jordan et al. 2012:231ff.). Neben der entlastenden Wirkung bietet die Wohngruppe dem Kind emotionale Zuwendung, Ruhe und alternative Handlungsspielräume. Den Eltern muss der Ort, je nach Gefährdungslage, mitgeteilt werden (vgl. Kirchhart 2008:17f.).

Der Eingriff in die Eltern- und Kinderrechte stellt einen massiven Einschnitt dar und setzt dadurch auch eine gewisse Dynamik in der Hilfe freiIn der Sozialen Arbeit existiert der Begriff der doppelten Ohnmacht in diesem Zusammenhang, wobei Eltern wie PädagogInnen auf enttäuschte Erwartungen und Zuweisung der Verantwortung sowie Zeitmangel und Ressourcenknappheit reagieren. Meist kommt es infolgedessen zu einem Rückzugsverhalten, was die weiteren Handlungsmöglichkeiten und

-spielräume stark einschränkt. Sobald dann die Kommunikation darunter leidet, nimmt auch die Steuerbarkeit der gesamten Hilfe stetig ab (vgl. Pomey 2014:143).

3.3.1 Vollzeitpflege

Das Konzept der Vollzeitpflege ist die Kurzzeit- oder Bereitschaftspflege, wenn die Herkunftsfamilie für einen befristeten Zeitraum durch Krisen- oder Notsituation ausfällt, bis die Perspektive geklärt ist. Dafür infrage kommen vor allem stationäre Einrichtungen wie beispielsweise Krisengruppen. Das oberste Ziel eines solch besonderen Beziehungs- und Wohnarrangement sollte immer das Bestreben zur Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie sein. Ist dies, durch welche Gründe auch immer, nicht möglich, werden Vorbereitungen für eine Pflegefamilie oder alternative Wohngruppen getroffen (vgl. Jordan et al. 2012:230).

Durch eine Unterbringung ist das Problem jedoch nicht gelöst, denn jede Inobhutnahme bringt eine Belastung für das Kind mit sich. Die Erwartung der PädagogIn ist oft, dass das Kind in dieser Zeit neue Leistungen bringt und Lebenswirklichkeiten sowie einen Lebenssinn konstruiert. In der Wohngruppe erlebt es plötzlich Erwachsene, die Nähe aufbauen wollen. Das Kind ist das aus seiner Herkunftsfamilien nicht gewohnt und kann sich dadurch auch überfordert fühlen (vgl. Kotthaus 2010:115).

3.4 Soziale Arbeit in Zwangskontexten

In der Arbeit im Zwangskontext geht es darum, die Eltern in der Alltagsbewältigung zu unterstützen. Dabei unterscheidet er den privaten und den öffentlichen Alltag. Ersteres meint das „tägliche Leben im engsten Bezugssystem“, welches Familie und Freunde einschließt. Der öffentliche Alltag entsteht, wenn im öffentlichen Raum kommuniziert wird. Probleme im privaten Alltag entstehen durch Beziehungsabbrüche, Trennungen oder Vernachlässigung und im Öffentlichen durch Exklusion. Die Sicherheit wird durch wiederkehrende Muster bestimmt, die ein Gefühl von Kontrolle verschaffen. Soziale Arbeit kommt mit den Menschen in Kontakt, die „sich mit spezifischen, ihre Alltagsbewältigung mehr oder weniger einschränkenden Problemlagen“ (vgl. Ritscher 2007:60) auseinander setzen müssen. Die MitarbeiterInnen von entsprechenden Hilfesystemen müssen Eltern und das Kind dabei unterstützen, die Problemlagen mit vorhandenen oder externen Ressourcen zu kompensieren und zu lösen. Weist die Alltagsbewältigung gravierende Problemlagen auf, werden Unterstützungsstrukturen, etwa in Form einer stationären Unterbringung, installiert (vgl. Ritscher 2007:59ff.).

3.4.1 Professionelle HelferInnen, KlientInnen und deren Beziehung

3.4.1.1 Professionelle HelferInnen

Die MitarbeiterInnen haben im Zwangskontext ein doppeltes Mandat inne. Zum einen arbeiten sie auftragsorientiert (für das Jugendamt) und zum anderen klientenorientiert (für den/die KlientIn). Sie sollten in ihrer Position sich immer über die Verteilung der Macht in der Beziehung im Klaren sein. Durch einen Zwangskontext ist der/die PädagogIn nicht in der Lage, das Tempo der Arbeit selbst zu bestimmen. Die bewilligte Hilfe wird meistens nur für einen bestimmten Zeitraum finanziert. Veränderungs-prozesse müssen dementsprechend schnell angestoßen werden und auch Erwartungen des primären Auftraggebers (dem Jugendamt) entsprechen. Im optimalen Fall ist im Vorhinein geklärt, welche Erwartungen und Aufträge die Fachkräfte durch das Jugendamt erhalten, welche sie annehmen können und welche abgelehnt werden oder delegiert werden müssen. So wird Druck vermieden und die Aufträge sind für alle Beteiligten klar verteilt. Trotzdem kann es in der Zusammenarbeit zu einem Machtgefälle kommen, in welchem sich die Eltern in einem hohen Maße abhängig von den MitarbeiterInnen der Einrichtung fühlen. Dies geschieht meist, wenn Aufträge unklar formuliert und Ziele der Eltern nicht mit einbezogen werden (vgl. Conen/Cecchin 2007:103).

Begegnen die Eltern den Angeboten mit Unmut und Ablehnung, so ist es nicht die Aufgabe des/ der professionellen HelferIn, den Widerstand aufzulösen. Es geht darum, ihn zu akzeptieren und die darin liegende Kraft zu nutzen. In einigen Fällen kann es auch sein, dass der/die PädagogIn die Ablehnung persönlich nimmt und in der Zusammenarbeit ebenfalls „widerwillig“ handelt. Dabei ist es wichtig, den unfreiwilligen Klienten zu akzeptieren, wie er sich zeigt und verhält sowie eine neutrale Position einzunehmen.

Für eine gute Zusammenarbeit ist es wichtig, dass die Situation sowie vergangene, aktuelle und zukünftige Themen angesprochen werden. Dabei aufkommende negative Emotionen werden häufig im kollegialen Austausch besprochen (vgl. ders. 2007:102-108).

[...]


[1] Im Vergleich: 2013: 116.000 Verfahren; 38.000 latente/akute Kindeswohlgefährdungen 2014: 124.000 Verfahren; 40.000 latente/akute Kindeswohlgefährdungen.

[2] In seinen Ausführungen spricht er im Falle der „bemutternden“ Person, die das Kind primär versorgt, symbolisch von der Mutter. Diese Person muss nicht zwangsläufig die leibliche Mutter sei.

[3] Dabei ist zu beachten, das Schematisierungen immer kritisch hinterfragt werden müssen, wenn sie als Generalisierungen herangezogen werden. Das individuelle Wesen des Kindes ist vielschichtig, welcher ein Kategoriensystem nicht immer gerecht wird.

[4] Weiterführende Literatur: Petermann, U./Petermann, F./Schmidt, M./Stephani, U. (2015): Kindheit und Entwicklung: Zeitschrift für klinische Kinderpsychologie. München: Hogrefe Verlag.

[5] Synchronizität stellt laut Belsky harmonisch dialogische Verhaltensweisen dar, die durch eine sichere Bindung erzielt werden (Hofer 1992:135f.).

[6] Weiterführende Literatur: Vaughanbell (2007): Labelling emotions reduces their impact. URL: https://mindhacks.com/2007/06/21/labelling-emotions-reduces-their-impact/

[7] Stressoren führen kurz- oder längerfristig zu Krisen.

[8] Informell: Freunde, Nachbarn; formell: Gesundheitswesen, Polizei; nicht formell: kirchliche Gruppe (vgl. Hofer 2002:30)

[9] Unbestimmter Rechtsbegriff meint, dass Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung im Gesetz nicht sprachlich erklärt werden. Demzufolge müssen bei jedem Fall oder Vorkommen die Details einzeln bewertet und interpretiert werden.

[10] Der Begriff umfasst alle sexuellen Aktivitäten, die entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes unangemessen sind.

[11] Alle Formen von Misshandlung sind an dieser Stelle nur knapp dargestellt. Weiterführende Literatur: Helfer, M./Kempe, R./Krugman, R. (2002): Das misshandelte Kind. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

[12] In stationären Einrichtungen kann es eine Rolle spielen, ob die Kinder Selbstmelder, von den Eltern gebracht oder vom Jugendamt untergebracht werden.

[13] Die anhaltenden und wiederkehrenden Trennungserlebnisse führen zu weiteren Belastungen, das Kind kann nicht zur Ruhe kommen. Als Folge können sich verschiedene Traumata entwickeln oder Ursache für eine Deprivation sein (vgl. Yarrow 1977:114f.).

[14] Wie bei dem beschriebenen Aufbau der Bindung im zunehmenden Alter werden fremde Personen nicht mehr instinktiv angelächelt. Das Kind kann zwischen Bezugs- und fremden Personen unterscheiden.

[15] Vergleiche dazu die Auswirkungen des Bindungsverhaltens in der „fremden Situation“ von Ainsworth.

[16] Jeder Mensch nimmt in den verschiedenen Kontexten seines Lebens eine bestimmte Rolle. Die Mitmenschen sollen das Individuum so wahrnehmen, wie es selbst das möchte. Dadurch werden verschiedene Aspekte der Persönlichkeit mehr betont, andere weniger. Das ist in diesem Fall mit der „gezeigten Person“ gemeint.

[17] Analog: Zeichnungen, Diagramme, Gestik, Mimik. Digital: klares Symbolsystem aus Worten und Sätzen.

[18] „In einem klassischen Experiment wurden Kinder von genau einem Jahr auf einen Apparat gesetzt, der einen "Abgrund" suggerierte, der mit Plexiglas bedeckt war (visuelle Klippe).“ (Sorce et al. 1985:195-200)

[19] Weiterführende Literatur: Brendtro, L. (1977): Brückenköpfe für mitmenschliche Beziehungen. In: Trieschmann, A.E. (Hrsg.): Erziehung im therapeutischen Milieu, ein Modell. 2. Aufl. Freiburg

Fin de l'extrait de 154 pages

Résumé des informations

Titre
Loyalitätskonflikte bei Kindern. Ein Problem in der Clearingarbeit und der pädagogische Umgang damit
Université
University of Marburg
Note
1,3
Auteur
Année
2017
Pages
154
N° de catalogue
V380891
ISBN (ebook)
9783668591066
ISBN (Livre)
9783668591073
Taille d'un fichier
1076 KB
Langue
allemand
Mots clés
Pädagogik, Loyalität, Beziehung, Soziale Arbeit, Bindungen, Dynamik von Bindungen, Clearing, Krisen, Krisenkontext, Zwangskontext, Familiendynamik, Pädagogische Arbeit, Loyalitätskonflikte
Citation du texte
Julia Rauschenbach (Auteur), 2017, Loyalitätskonflikte bei Kindern. Ein Problem in der Clearingarbeit und der pädagogische Umgang damit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380891

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